Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.151/2004
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4C.151/2004 /lma

Urteil vom 27. August 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichterin Klett, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Nyffeler,
Gerichtsschreiber Huguenin.

A. ________,
Beklagter und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Rutz,

gegen

B.________,
Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Gysi.

Ausweisung eines Pächters,

Berufung gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichter
für Rekurse im Obligationenrecht, vom 17. März 2004.

Sachverhalt:

A.
Mit Vertrag vom 8. Mai 2001 überliess B.________ (Kläger) A.________
(Beklagter) die Bewirtschaftung seines Landwirtschaftsbetriebes X.________.
Der Vertrag war erstmals auf Herbst 2016 kündbar. Die Parteien gerieten
jedoch bereits nach kurzer Zeit in Streit. Ein Summarverfahren, das der
Kläger wegen baulicher Veränderungen durch den Beklagten eingeleitet hatte,
endete am 2. Oktober 2001 durch Vergleich. Aufgrund von weiteren
Auseinandersetzungen kündigte der Kläger den Bewirtschaftungsvertrag mehrmals
vorzeitig unter Berufung auf wichtige Gründe, so am 9. und 14. August sowie
am 29. Oktober 2001. Ein vom Kläger und dessen Ehefrau am 18. Oktober 2002
gestelltes Ausweisungsgesuch wies das Bezirksgericht Wil am 31. März 2003 und
auf Rekurs hin das Kantonsgericht St. Gallen am 11. Juli 2003 ab. Auf eine
Berufung der Kläger ist das Bundesgericht am 9. Januar 2004 infolge
Nichtbezahlung des Kostenvorschusses nicht eingetreten.

B.
Am 19. März 2003 forderten der Kläger und dessen Ehefrau vom Beklagten die
Zahlung ausstehender Pachtzinsen im Betrage von Fr. 50'910.95 innert sechs
Monaten unter der Androhung der Auflösung des Bewirtschaftungsvertrages bei
Säumnis auf den 18. September 2003. Da die Zahlung ausblieb, beantragte der
Kläger dem Kreisgerichtspräsidium Wil am 15. Oktober 2003, es sei dem
Beklagten unter Androhung der Bestrafung nach Art. 292 StGB zu befehlen, den
von ihm gepachteten X.________ geräumt und gereinigt zu verlassen. Am 22.
Januar 2004 erliess der Präsident der 3. Abteilung des Kreisgerichts
Alttoggenburg-Wil einen entsprechenden Befehl. Den vom Beklagten erhobenen
Rekurs wies das Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichter für Rekurse im
Obligationenrecht, am 17. März 2004 ab, wobei es dem Kläger wie bereits der
erstinstanzliche Richter die unentgeltliche Prozessführung gewährte.

C.
Der Beklagte beantragt dem Bundesgericht mit eidgenössischer Berufung, den
Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 17. März 2004 aufzuheben und das
Ausweisungsgesuch abzuweisen. Eventuell sei der angefochtene Entscheid
aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung. Er hat auch für das
Verfahren vor Bundesgericht die unentgeltliche Rechtspflege verlangt, nachdem
sein gestützt auf Art. 150 Abs. 2 OG eingereichtes Sicherstellungsgesuch mit
Präsidialverfügung vom 28. Juni 2004 abgewiesen worden war.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die kantonalen Gerichte haben den Vertrag vom 8. Mai 2001 zutreffend als
Pachtvertrag qualifiziert und die Berechtigung der ausserordentlichen
Kündigung nach den Vorschriften des Bundesgesetzes über die
landwirtschaftliche Pacht in der Fassung vom 4. Oktober 1985 (SR 221.213.2;
LPG) beurteilt. Die Vorinstanz hielt insbesondere fest, dass sich die
Gesetzesänderung vom 20. Juni 2003 betreffend Art. 1 Abs.1 lit. b LPG und
Art. 5 lit. a sowie Art. 7 Abs. 1 BGBB (Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991 über
das bäuerliche Bodenrecht; SR 211.412.11) gemäss der Übergangsbestimmung zur
Änderung vom 20. Juni 2003 (Art. 60a LPG) nicht auswirke. Ebenfalls
unangefochten und zutreffend führte die Vorinstanz sodann aus, der unter den
Parteien vereinbarte Pachtzins bedürfe der Bewilligung nach Art. 42 LPG.

2.
Nach den verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil lag im
Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung (19. März 2003) noch keine behördliche
Bewilligung des Pachtzinses vor. Die zuständige Behörde leitete erst im
August 2003 von sich aus ein Bewilligungsverfahren ein. Daraus ergibt sich
nach Auffassung des Beklagten, dass der vereinbarte Pachtzins weder fällig
noch geschuldet sei, weshalb kein Rechtsgrund für eine Ausweisung vorliege,
obschon er nicht in Abrede stellt, dass er die vertraglich vereinbarten
Pachtzinsen - mindestens im Umfang von Fr. 24'955.80 - innerhalb der ihm
eingeräumten Zahlungsfrist nicht bezahlt hat. Die Vorinstanz schloss sich
indessen der in der Lehre vertretenen Auffassung an, wonach der Pachtzins für
Gewerbe in vollem Ausmass geschuldet ist, auch wenn die Bewilligung noch
nicht vorliegt. Darin erblickt der Beklagte eine Verletzung von Bestimmungen
des LPG.

3.
3.1 Das Bundesgericht hat sich in einem Urteil vom 16. September 2003
(4P.143/2003) mit der hier streitigen Frage befasst. Danach bestimmt Art. 45
LPG unter dem Marginale "Zivilrechtliche Folgen", dass die Vereinbarung über
den Pachtzins nichtig ist, soweit dieser das durch die Behörde festgesetzte
Mass übersteigt. Diese Fassung geht auf einen Vorschlag des Ständerates
zurück, welchem der Nationalrat zustimmte (Sten. Bull SR 1983, S. 528f.; Sten
Bull. NR 1985, S. 359f.). Damit wurde der Entwurf des Bundesrats geändert,
der betreffend die zivilrechtlichen Folgen noch vorgesehen hatte, dass der
Pachtzins für ein Gewerbe erst geschuldet sei, wenn der Entscheid der
Bewilligungsbehörde rechtskräftig ist (BBl 1982 I 314; Art. 45 Abs. 1). Um zu
vermeiden, in Schuldnerverzug nach Art. 21 LPG zu geraten, und um den
strafrechtlichen Folgen des Art. 54 Abs. 1 LPG zu entgehen, muss der Pächter
bei bestehender Bewilligungspflicht eine behördliche Festsetzung des
Pachtzinses erwirken und den vollen vereinbarten Pachtzins hinterlegen, auch
wenn er diesen als zu hoch erachtet (4P.143/2003 E. 2.3; Studer/Hofer, Das
landwirtschaftliche Pachtrecht, S. 297 und 302; Claude Paquier-Boinay, Le
contrat de bail à ferme agricole: conclusion et droit de préaffermage, Diss.
Lausanne 1990, S. 210; Manuel Müller, Les dispositions de droit privé de la
loi fédérale sur le bail à ferme agricole, in Blätter für Agrarrecht 1987,
II, S. 41 Fn. 29). Er kann sich mit einer blossen Anzeige bei der
Einsprachebehörde begnügen, welche alsdann das Bewilligungsverfahren von
Amtes wegen einleitet (Art. 42 Abs. 3 LPG; Studer/Hofer, a.a.O., S. 280 und
285).

3.2  Von dieser auf einhellige Lehre abgestützten Rechtsprechung abzuweichen
besteht auch mit Blick auf die Vorbringen des Beklagten in der Berufung kein
Anlass. So hilft ihm der Hinweis auf die Begründung, welche der Bundesrat in
der Botschaft für die von ihm vorgeschlagene Regelung gibt, nicht weiter,
nachdem der vom Bundesrat vorgesehene Abs. 1 von Art. 45 nicht ins Gesetz
aufgenommen wurde. Wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, steht erst bei
Vorliegen der Bewilligung fest, ob und in welchem Umfang der vereinbarte
Pachtzins allenfalls nichtig ist. Dem bis dahin herrschenden Schwebezustand
kann der Pächter durch das im zitierten Bundesgerichtsurteil beschriebene
Vorgehen begegnen. Nichts anderes gilt mit Bezug auf die vom Beklagten
ausführlich kommentierten Strafbestimmungen. Folgte man der Auffassung des
Beklagten, dass bis zum Vorliegen einer Bewilligung überhaupt kein Pachtzins
geschuldet, der Pachtvertrag aber im Übrigen gültig ist, hätte dies zur
Folge, dass ein Verpächter sein Grundstück dem Pächter unter Umständen
monate- oder jahrelang unentgeltlich überlassen müsste. Dafür, dass dieses
Ergebnis, allenfalls als Sanktion verspäteter oder unterlassener Einreichung
des Bewilligungsgesuchs, vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen wäre, bestehen
keine Anhaltspunkte. Aus der Formulierung "wer einen bewilligungsbedürftigen,
aber nicht bewilligten Pachtzins fordert oder bezahlt" in Art. 54 Abs. 1 al.
4 LPG ergibt sich diese einseitig den Verpächter belastende Rechtsfolge
jedenfalls nicht. Im Übrigen zeigt der Beklagte nicht auf, und es ist nicht
ersichtlich, weshalb und in welchem Ausmass er Grund zur Annahme hatte, der
vereinbarte Pachtzins übersteige das zulässige Mass. Dem Schutzbedürfnis des
Pächters vor überhöhten Pachtzinsen wird mit der Möglichkeit der Anzeige an
die Behörde und der Hinterlegung des Pachtzinses hinreichend Rechnung
getragen.

4.
Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz keine bundesrechtlichen Grundsätze
verkannt, als sie annahm, der Beklagte befinde sich mit der Zahlung fälliger
Pachtzinsen im Rückstand (Art. 21 Abs. 1 LPG), weshalb der Kläger, da die
übrigen Voraussetzungen unstreitig gegeben sind, zur Ausweisung des
Verpächters berechtigt ist. Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Sie
ist unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Beklagten abzuweisen
(Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Dem obsiegenden Kläger, dem beide kantonalen Instanzen die unentgeltliche
Prozessführung bewilligt haben, ist für das Verfahren vor Bundesgericht in
dem Sinne die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren (Art. 152 Abs. 2 OG),
dass ihm die Parteientschädigung aus der Gerichtskasse ausgerichtet wird,
sofern sie sich als uneinbringlich erweisen sollte.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'500.-- wird dem Beklagten auferlegt.

3.
Der Beklagte hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
6'500.-- zu entschädigen. Für den Fall der Uneinbringlichkeit der
Parteientschädigung wird ihm diese von der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen,
Einzelrichter für Rekurse im Obligationenrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. August 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Der Gerichtsschreiber: