Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.115/2004
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4C.115/2004 /lma

Urteil vom 16. Juni 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiber Widmer.

A. ________ & Co.,
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Fürsprecher Marc R.
Bercovitz,

gegen

B.________ AG,
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Fürsprecher Marc Wollmann.

Zusammenarbeitsvertrag; Mäklervertrag; Provisionen,

Berufung gegen das Urteil des Appellationshofs des Kantons Bern, I.
Zivilkammer, vom 22. Januar 2004.

Sachverhalt:

A.
Die B.________ AG (Klägerin) und die A.________ & Co. (Beklagte) sind beide
als Vermittler (Broker) von Lebens- sowie
Sachleistungsversicherungsabschlüssen tätig. Die Beklagte ist bereits seit
1995 auf diesem Markt tätig. Die Klägerin verfügte kurz nach ihrer Gründung
im Dezember 2000 noch über keine eigenen Broker-Verträge mit
Versicherungsgesellschaften oder anderweitige Beziehungen zu Brokern, die ihr
den Bezug von Provisionen ermöglicht hätten. Sie suchte deshalb den Kontakt
zur Beklagten. Beidseits wurde eine längere Zusammenarbeit in einem
Co-Brokerverhältnis in Erwägung gezogen und es wurden hierzu erste
Vorbereitungen getroffen.

Die Klägerin nahm in den ersten Monaten des Jahres 2001 ihre Beratungs- und
Vermittlungstätigkeit auf. Ihre Bemühungen führten namentlich zur
erfolgreichen Vermittlung und zum Abschluss von vier Versicherungsverträgen
zwischen Kunden der Klägerin und der C.________. Da die Klägerin keinen
eigenen Brokervertrag mit diesen Versicherungsgesellschaften hatte, trat
ihnen gegenüber formell nicht sie, sondern die Beklagte als Vermittlerin auf.
Die Provisionen von insgesamt Fr. 9'303.20 aus den erwähnten Abschlüssen
wurden daher von den Versicherern direkt an die Beklagte ausbezahlt, die auch
das Stornorisiko trug. Die Beklagte selber hatte zumindest keine direkten
Bemühungen im Zusammenhang mit dem Abschluss der fraglichen Policen gehabt.

Von den Parteien wurde nie eine schriftliche Vereinbarung über die Aufteilung
der Provisionsansprüche getroffen. Ebenso wenig kam es zwischen ihnen zum
Abschluss eines schriftlichen Zusammenarbeitsvertrages. Vielmehr endete der
geschäftliche Kontakt mangels einer längerfristigen Einigung bereits nach
rund drei Monaten.

B.
B.aAm 30. August 2002 belangte die Klägerin die Beklagte vor dem
Gerichtspräsidenten 2 des Gerichtskreises Courtelary-Moutier-La Neuveville
unter anderem auf Bezahlung der von ihr geforderten Provision von Fr.
9'303.20 nebst Zins und Betreibungskosten. Die Beklagte schloss auf Abweisung
der Klage. Sie bestritt den Provisionsanspruch und stellte eine
Gegenforderung in der Höhe von Fr. 9'700.-- zur Verrechnung, die sie als
Entschädigung für Aufwendungen im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der
Klägerin erhob.
Mit Schreiben vom 22. August 2003 stellte die Klägerin dem
Gerichtspräsidenten das zusätzliche Rechtsbegehren, die Beklagte zu
verpflichten, ihr Fr. 11'040.15 zurückzuerstatten. Zur Begründung führte sie
aus, die Beklagte habe ihre Gegenforderung trotz ihrem Wissen um deren
Bestreitung in Betreibung gesetzt. Da die Klägerin es irrtümlicherweise
unterlassen habe, rechtzeitig Rechtsvorschlag zu erheben, sei sie angesichts
des drohenden Konkurses gezwungen gewesen, die zu Unrecht erhobene Forderung
einschliesslich Betreibungskosten zu befriedigen.

Der Gerichtspräsident verurteilte die Beklagte am 20. Oktober 2003, der
Klägerin einen Betrag von Fr. 8'372.90 nebst Zins zu bezahlen sowie den
Betrag von Fr. 11'040.15 zurückzuerstatten.

B.b Dagegen gelangte die Beklagte erfolglos an den Appellationshof des
Kantons Bern, der das erstinstanzliche Urteil am 22. Januar 2004 bestätigte.
Er erachtete es, was die Provisionsforderung der Klägerin betrifft, als
erstellt, dass die Parteien eine erfolgsabhängige Beteiligung der Klägerin an
den Provisionen für von ihr vermittelte Versicherungspolicen vereinbart
hatten. Die Vereinbarung sei als Mäklervertrag bzw. als Untermäklervertrag
("Co-Brokervertrag") nach Art. 412 ff. OR zu qualifizieren. Im Zusammenhang
mit der Rückerstattungsforderung hielt der Appellationshof unter anderem
fest, es sei weder aus dem zwischen den Parteien kurzfristig bestehenden
Maklervertrag noch aus culpa in contrahendo eine Entschädigungsforderung der
Beklagten für ihren Aufwand im Zusammenhang mit der tatsächlich erfolgten
oder künftigen Zusammenarbeit der Parteien abzuleiten.

C.
Die Beklagte beantragt mit eidgenössischer Berufung, die Klage vom 30. August
2002 und das ergänzende Rechtsbegehren vom 22. August 2003 abzuweisen.

Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten
sei.

Eine in gleicher Sache erhobene staatsrechtliche Beschwerde der Beklagten hat
das Bundesgericht mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen, soweit es darauf
eingetreten ist.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Im Berufungsverfahren hat das Bundesgericht seiner Entscheidung die
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz zugrunde zu legen, es sei denn,
sie beruhten auf einem offensichtlichen Versehen, seien unter Verletzung
bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen oder bedürften der
Ergänzung, weil das kantonale Gericht in fehlerhafter Rechtsanwendung einen
gesetzlichen Tatbestand nicht oder nicht hinreichend klärte, obgleich ihm die
entscheidwesentlichen Behauptungen und Beweisanträge rechtzeitig und in der
vorgeschriebenen Form unterbreitet wurden (Art. 63 und 64 OG; BGE 127 III 248
E. 2c; 125 III 193 E. 1e S. 205). Blosse Kritik an der Beweiswürdigung des
kantonalen Gerichts kann mit Berufung nicht vorgetragen werden (BGE 127 III
73 E. 6a; 126 III 10 E. 2b S. 12 f.; 119 II 84 E. 3; 118 II 365 E. 1).

Die Beklagte hat die beweisrechtlichen Feststellungen der Vorinstanz
erfolglos mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten. Darauf ist nicht
zurückzukommen. Wenn sie daher der rechtlichen Beurteilung der Streitsache im
Berufungsverfahren einen von den Feststellungen des Obergerichts abweichenden
oder erweiterten Sachverhalt zu Grunde legt, ist sie nur zu hören, soweit sie
sich auf eine der genannten Ausnahmen beruft, die dem Bundesgericht eine
Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen des Sachgerichts erlauben.

2.
Die Beklagte rügt, die Vorinstanz habe sich bei der Beantwortung der Frage,
ob zwischen den Parteien eine Vereinbarung über eine Beteiligung der Klägerin
an den Provisionen für die vermittelten Versicherungsverträge zustande
gekommen sei, auf den unzutreffenden Standpunkt gestellt, dass eine
allfällige Branchenusanz, nach der Provisionszahlungen nur bei Vorliegen
eines schriftlichen Zusammenarbeitsvertrages zwischen Broker und Co-Broker
ausgerichtet würden, nur mangels anderweitiger vertraglicher Abreden zur
Lückenfüllung beachtlich sei. Die Vorinstanz habe übersehen, dass die Usanz
auch bei der Auslegung der Willenserklärungen der Parteien nach Treu und
Glauben zu berücksichtigen sei.

Ziel der Vertragsauslegung ist es, in erster Linie den übereinstimmenden
wirklichen Willen der Parteien festzustellen (vgl. Art. 18 Abs. 1 OR). Die
Beklagte verkennt mit ihrer Rüge, dass die Vorinstanz aufgrund ihrer
Beweiswürdigung festgestellt hat, dass die Parteien eine erfolgsabhängige
Beteiligung der Klägerin an den Provisionen für von ihr vermittelte
Versicherungspolicen vereinbart haben. An diese Feststellung über das
Bestehen eines wirklichen übereinstimmenden Parteiwillens, hinsichtlich der
die Beklagte keine substanziierte Sachverhaltsrüge nach Art. 63 Abs. 2 und
Art. 64 OG erhebt, ist das Bundesgericht im Berufungsverfahren gebunden (BGE
126 III 119 E. 2a, 375 E. 2e/aa S. 379 f.; 121 III 118 E. 4b/aa S. 123, je
mit Hinweisen). Für eine Auslegung der Willenserklärungen nach dem
Vertrauensprinzip zur Ermittlung eines normativen Konsenses unter
Berücksichtigung der behaupteten Usanz besteht damit von vornherein kein Raum
(vgl. BGE 86 II 258; ferner: BGE 130 III 66 E. 3.2; 127 III 248 E. 3f S. 255,
444 E. 1b; 126 III 119 E. 2a S. 120; 105 II 16 E. 3c, je mit Hinweisen ).
Eine Bundesrechtsverletzung fällt insoweit ausser Betracht und auf die
Berufung ist diesbezüglich nicht einzutreten.

3.
Die Beklagte rügt weiter, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie
das Verhältnis zwischen den Parteien als Mäklervertrag qualifiziert und die
Tätigkeit der Klägerin nicht den Regeln der Geschäftsanmassung im Sinne von
Art. 423 OR oder allenfalls des unentgeltlichen einfachen Auftrages (Art. 394
OR) unterstellt habe. Sie legt ihren Ausführungen dazu indessen in
verschiedenen Punkten nicht den von der Vorinstanz verbindlich festgestellten
Sachverhalt zugrunde, sondern weicht von diesem unter Erhebung frei
gehaltener Kritik an der Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil ab, ohne
insoweit eine Ausnahme von der Sachverhaltsbindung im Sinne von Art. 63 Abs.
2 und Art. 64 OG geltend zu machen. Ausserdem übergeht sie auch in diesem
Zusammenhang die verbindliche vorinstanzliche Feststellung, dass die Parteien
tatsächlich eine Beteiligung der Klägerin an den Provisionen für die von ihr
vermittelten Versicherungsverträge vereinbart haben, was eine Unterstellung
der Tätigkeit der Klägerin unter die Regeln des unentgeltlichen Auftrags oder
der Geschäftsanmassung offensichtlich ausschliesst. Auf die Rüge ist daher
nicht einzutreten.

4.
Die Vorinstanz hielt fest, es sei nicht davon auszugehen, dass die Klägerin
sich zu keinem Zeitpunkt für eine wirkliche Zusammenarbeit mit der Beklagten
interessiert habe und einzig deren Know-how habe ausnutzen wollen. Sie
verneinte unter anderem gestützt auf diese Feststellung, dass die Klägerin
der Beklagten nach dem Scheitern der Verhandlungen über eine längerfristige
Zusammenarbeit aus culpa in contrahendo hafte.

Die Beklagte macht geltend, die Vorinstanz habe eine Haftung aus culpa in
contrahendo zu Unrecht verneint. Sie bringt dazu sinngemäss vor, die Klägerin
habe die Zusammenarbeit aus fadenscheinigen Gründen abgebrochen und nicht
offen gelegt, dass sie von vornherein nicht an einer Zusammenarbeit mit der
Beklagten als Co-Brokerin interessiert sei. Auch insoweit weicht sie von den
vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ab, ohne eine Ausnahme von der
Bindung des Bundesgerichts an diese zu substanziieren. Auf die Berufung kann
auch in diesem Punkt nicht eingetreten werden.

5.
Ist nach dem Dargelegten auf die Berufung nicht einzutreten, wird die
Beklagte für das Verfahren vor Bundesgericht kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beklagten auferlegt.

3.
Die Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, I.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Juni 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: