Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.110/2004
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4C.110/2004 /rnd

Urteil vom 17. Juni 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Nyffeler,
Gerichtsschreiber Gelzer.

A. ________,
Beklagter und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marc Kaeslin,

gegen

X.________ AG,
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Hess.

Werkvertrag,

Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden,
Zivilabteilung Grosse Kammer, vom 14. November 2003.

Sachverhalt:

A.
A.  ________, B._______ und C._______ gründeten eine einfache Gesellschaft,
um
das Grundstück Z._______ mit fünf Einfamilienhäusern zu überbauen.

Mit Vorvertrag vom 4. November 1989 verpflichtete sich D._______  von der
einfachen Gesellschaft ein zu erstellendes 7 ½-Zimmer Einfamilienhaus auf dem
Grundstück Z.________, zum Preis von Fr. 1'290'000.-- zu kaufen. In Ziffer 18
des Vorvertrages sicherte die einfache Gesellschaft D._______ zu, die zur
Überbauung Z._______ nötigen Dachdecker- und Spenglerarbeiten ihm bzw. der
X._______ AG zu allgemein anerkannten, marktüblichen Konkurrenzpreisen zu
vergeben.

Am 27. Juli 1990 schloss die X.________ AG als Unternehmerin mit der
Y._______ AG und der einfachen Gesellschaft über die Spengler- und
Bedachungsarbeiten der fünf geplanten Einfamilienhäuser einen Werkvertrag ab.
Dieser wurde von der einfachen Gesellschaft als Bauherrin bzw. Bestellerin
und von der Y._______ AG als Generalunternehmerin unterzeichnet. Der
Werkvertrag schliesst die Allgemeinen Bedingungen der Y._______ AG ein,
welche in Ziff. 4 Art. 11 folgende Regelung vorsehen:
"Der Bauherr behält sich das Recht vor, im Leistungsverzeichnis vorgesehene
einzelne Positionen auch nach Abschluss des Werkvertrages durch Dritte als
Nebenunternehmer (Art. 30) ausführen zu lassen. Sofern dadurch der
Gesamtauftrag nicht um mehr als 30 % reduziert wird, führt dies zu keiner
Entschädigungspflicht des Bauherrn, auch nicht zu einer Veränderung der
vereinbarten Preise und Konditionen (Neufassung)."
Mit Vertrag vom 26. Juni 1991 kaufte D._______ das im Vorvertrag genannte
Grundstück der einfachen Gesellschaft mit dem zwischenzeitlich darauf
erstellten 7½-Zimmer-Einfamilienhaus.

Nachdem die einfache Gesellschaft beschlossen hatte, drei der fünf geplanten
Einfamilienhäuser nicht zu erstellen, klagte D._______ am 5. September 1994
beim Amtsgericht Luzern-Stadt gegen C._______  als Mitglied der einfachen
Gesellschaft auf Zahlung von Schadenersatz wegen entgangenem Gewinn für die
entfallenen Spengler- und Dachdeckerarbeiten. Das Amtsgericht wies die Klage
ab, da es annahm, nicht D._______ sondern die X.________ AG sei
aktivlegitimiert, Ersatz des ihr entgangenen Gewinnes zu verlangen.

B.  Am 2. November 1998 reichten D._______ und die X.________ AG beim
Kantonsgericht Nidwalden gegen A.________ und die Y._______ AG eine Klage
ein. Gemäss Ziffer 1 der Klagebegehren beantragte D._______ , A.________
(nachstehend: Beklagter) zu verpflichten, ihm Fr. 43'178.45 nebst Zins zu
bezahlen. In Ziffer 3 der Klagebegehren beantragte die X.________ AG
(nachstehend: Klägerin), den Beklagten zu verpflichten, ihr Fr. 45'142.20
nebst Zins zu 5 % seit dem 23. Juni 1994 zu bezahlen. Damit verlangte die
Klägerin Ersatz des Gewinns, der ihr zufolge des Entzugs von Spengler- und
Dachdeckerarbeiten entgangen war.

Mit Urteil vom 17. April 2002 verpflichtete das Kantonsgericht den Beklagten
in teilweiter Gutheissung von Ziff. 1 der Klagebegehren,  D._______  Fr.
30'304.15 nebst Zins zu 5 % seit 28. Mai 1998 zu bezahlen. Weiter
verpflichtete das Kantonsgericht den Beklagten in teilweiser Gutheissung von
Ziff. 3 der Klagebegehren, der Klägerin als Entschädigung für entgangenen
Gewinn Fr. 30'7171.70 nebst Zins zu 5 % seit 28. Mai 1998 zu bezahlen. Zur
Begründung führte das Kantonsgericht zusammengefasst aus, die einfache
Gesellschaft habe mit Werkvertrag vom 27. Juni 1991 die Spengler- und
Dachdeckerarbeiten an fünf geplanten Einfamilienhäusern der Klägerin
übertragen und habe davon nur zwei erstellen lassen. Zwar bestreite der
Beklagte, dass sich die einfache Gesellschaft mit dem Werkvertrag, der von
der Y._______ AG als Generalunternehmerin unterzeichnet wurde, habe
verpflichten wollen. Dieser Einwand dringe jedoch nicht durch, da aus dem
Werkvertrag klar erkennbar sei, dass sich auch die einfache Gesellschaft habe
verpflichten wollen. Alsdann ging das Kantonsgericht davon aus, der Beklagte
sei als ihr Mitglied der einfachen Gesellschaft gegenüber der Klägerin gemäss
Art. 377 OR für den Gewinnausfall haftbar, den ihr durch den teilweisen
Rücktritt der einfachen Gesellschaft vom Werkvertrag erwachsen sei. Bezüglich
der Höhe dieses Gewinnausfalls stützte sich das Kantonsgericht auf ein
Gutachten, das davon ausging, die nicht errichteten Dächer seien mit
Biberschwanzziegeln zu bedecken gewesen.

Gegen das Urteil des Kantonsgerichts appellierte der Beklagte an das
Obergericht des Kantons Nidwalden. Dieses hob das angefochtene Urteil am 14.
November 2003 teilweise auf, wies das Klagebegehren Ziff. 1 ab. Zudem
reduzierte das Obergericht den gemäss Ziff. 3 der Klagebegehren geforderten
Ersatz für entgangenen Gewinn auf Fr. 22'759.20 zuzüglich Zins zu 5 % seit
28. Mai 1998. Diese Reduktion begründete das Obergericht damit, dass es
entgegen der Annahme des Kantonsgerichts davon ausgehe, es sei vorgesehen
gewesen, die nicht erstellten Dächer nicht mit Biberschwanz sondern mit Herz-
bzw. Pfannenziegeln zu bedecken.

C.
Der Beklagte erhebt Berufung mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts
sei aufzuheben, und die von ihm an die Klägerin zu bezahlende Entschädigung
für entgangenen Gewinn sei auf Fr. 10'874.25 zuzüglich Zins zu 5 % seit 28.
Mai 1998 zu reduzieren. Eventualiter sei das Verfahren zur Festlegung dieses
Gewinns an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, auf die Berufung nicht einzutreten, eventualiter sie
abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das angefochtene Urteil ist berufungsfähig, weil es eine vermögensrechtliche
Zivilrechtsstreitigkeit betrifft, welche den Streitwert gemäss Art. 46 OG
erreicht, und es nicht durch ein ordentliches kantonales Rechtsmittel
angefochten werden kann (Art. 48 Abs. 1 OG). Auf die form- und fristgerechte
Berufung ist daher einzutreten.

2.
Vor Bundesgericht bestreitet der Beklagte nicht mehr, dass die einfache
Gesellschaft Partei des Werkvertrages vom 27. Juli 1990 mit der Klägerin war,
weshalb sich dazu weitere Darlegungen erübrigen.

3.
3.1 Das Obergericht verwies - abgesehen von der Frage der im Werkvertrag
vorgesehenen Art der Ziegel - bezüglich des der Klägerin auf Grund des
teilweisen Rücktritts vom Werkvertrag entgangenen Gewinns auf die
Ausführungen des Kantonsgerichts. Dieses verneinte eine Reduktion des
Gewinnes auf Grund der in Ziff. II.4 Art. 11 der Allgemeinen Bestimmungen
vorgesehenen Möglichkeit, Arbeiten bis zu 30 % des Gesamtvolumens
entschädigungslos an Dritte zu vergeben. Zur Begründung gab das
Kantonsgericht insbesondere an, der Beklagte habe nicht dargelegt, dass die
einfache Gesellschaft bzw. die Y._______ AG von der Möglichkeit der
vertraglichen Drittvergabe hätten Gebrauch machen wollen. Auch bei den beiden
erstellten Bauten sei von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht worden.
Damit sei davon auszugehen, dass sämtliche Arbeiten von der Klägerin
ausgeführt worden wären. Eine Reduzierung des Auftragsvolumens und des
entsprechenden Gewinns komme somit nicht in Betracht.

3.2  Der Beklagte rügt, die kantonalen Gerichte hätten aus der Bestimmung in
Ziff. 4 Art. 11 der allgemeinen Bedingungen zum Werkvertrag ableiten müssen,
die einfache Gesellschaft habe als Bauherrin - unabhängig davon, ob sie von
der vertraglichen Möglichkeit der Drittvergabe Gebrauch gemacht hätte - ein
entschädigungsloses Rücktrittsrecht im Umfang von 30 % des Gesamtvolumens.
Dies ergebe sich daraus, dass es für die Klägerin keinen Unterschied mache,
ob ihr 30 % des Gesamtauftrages wegen einer Vergabe an Dritte oder einer
Reduktion des Werkes entzogen werde. Aus der Bereitschaft der Klägerin, eine
nach Abschluss des Werkvertrages vorgenommenen Vergabe von 30 % des
Gesamtauftrages an Dritte entschädigungslos zu akzeptieren, könne daher
geschlossen werden, sie sei auch bereit gewesen, andere Rücktrittsgründe
entschädigungslos hinzunehmen, soweit das Auftragsvolumen nicht um mehr als
30 % verringert werde. Demnach bestehe für 30 % des entgangenen Gewinns keine
Ersatzpflicht.

3.3  Allgemeine Geschäftsbedingungen sind, wenn ein tatsächlich
übereinstimmendes Verständnis der Parteien nicht nachgewiesen ist, nach dem
Vertrauensprinzip auszulegen (BGE 122 III 118 E. 2a). Nach diesem Prinzip
bestimmt sich der Inhalt einer Vereinbarung danach, wie sie der Adressat nach
dem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstehen durfte
und musste (BGE 126 III 119 E. 2a). Der Wortlaut ist demnach für sich
genommen nicht verbindlich. Selbst wenn eine Vertragsbestimmung auf den
ersten Blick klar erscheint, kann sich aus den anderen Vertragsbestimmungen,
aus dem von den Parteien verfolgten Zweck und aus weiteren Umständen ergeben,
dass der Wortlaut der strittigen Bestimmung nicht genau den Sinn der
Vereinbarung wiedergibt (Urt. des BGer. 5C.305/2001 vom 28. Februar 2002, E.
4b; BGE 127 III 444 E. 1b, vgl. auch 129 III 118 E. 2.5). Die Auslegung nach
dem Vertrauensprinzip betrifft eine Rechtsfrage, welche im Berufungsverfahren
vom Bundesgericht überprüft werden kann. Dabei ist es an die Feststellungen
der Vorinstanz über die äusseren Umstände, unter denen die Erklärungen
abgegeben wurden, gebunden (BGE 123 III 165 E. 3a S. 168).

3.4  Der Wortlaut der umstrittenen Klausel in den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Y._______ AG bezieht sich eindeutig nur auf den
Entzug von Arbeiten auf Grund der Vergabe von einzelnen Positionen an Dritte.
Daraus ist grundsätzlich zu schliessen, der nicht genannte Verzicht auf die
Ausführung gewisser Positionen werde von der Klausel nicht erfasst. Dass der
Zweck der Klausel dennoch auch einen solchen Verzicht einbeziehen sollte, ist
nicht ersichtlich. Vielmehr ist anzunehmen, die Klausel bezwecke mit der
Zulassung der Möglichkeit der Drittvergabe bloss die Ausführung der Baute und
nicht den Verzicht darauf zu erleichtern. So kann eine Drittvergabe im
Interesse der Errichtung der Baute gerechtfertigt sein, wenn sich  nach
Abschluss des Werkvertrages herausstellt, dass Dritte gewisse Positionen
besser, schneller oder billiger ausführen können, als der ursprünglich dafür
vorgesehene Unternehmer. Bei einem Verzicht der Bauherrin auf die Ausführung
eines Teils des Werkes ist demgegenüber ein Grund, der den teilweise
entschädigungslosen Rücktritt vom Werkvertrag rechtfertigen könnte, nicht
ersichtlich. Damit ist entgegen der Annahme des Beklagten nicht anzunehmen,
die Klausel erfasse entgegen ihrem Wortlaut auch den ganzen oder teilweisen
Verzicht auf die Ausführung des Werkes. Daraus folgt, dass das Obergericht
das Vertrauensprinzip nicht verletzte, wenn es annahm, die umstrittene
Klausel erlaube nicht, die bei einem Verzicht auf die Ausführung eines Werkes
geschuldete Entschädigung des Unternehmers für entgangenen Gewinn zu kürzen,
wenn mit einer Vergabe von Arbeiten an Dritte nicht zu rechnen war. Damit
kann offen bleiben, ob eine von Art. 377 OR abweichende Vereinbarung
bezüglich der Entschädigungspflicht des Bestellers beim Rücktritt vom
Werkvertrag zulässig wäre. Offen bleiben kann auch, zu welcher
ziffernmässigen Reduktion eine solche Kürzungsmöglichkeit geführt hätte.

Demnach erübrigt sich eine Rückweisung der Streitsache an die Vorinstanz.

4.
Nach dem Gesagten ist die Berufung abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens wird der Beklagte kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156
Abs. 1 und 159 Abs. 2 OG). Bei der Bemessung der Parteientschädigung wird die
Mehrwertsteuer im Rahmen des geltenden Tarifs pauschal berücksichtigt
(Beschluss der Präsidentenkonferenz vom 8. Mai 1995).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beklagten auferlegt.

3.
Der Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr.
2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden,
Zivilabteilung Grosse Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Juni 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: