Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4C.106/2004
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4C.106/2004 /lma

Urteil vom 16. Juli 2004

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichter Favre, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Widmer.

Erben des A.________, nämlich:,
1.B.________,
2.C.________,
3.D.________,
4.E.________,
5.F.________,
Kläger und Berufungskläger,
alle vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Ivo Schwander,

gegen

G.________ und H.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller.

Mietvertrag; Kündigung; Konventionalstrafe,

Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts Appenzell I.Rh., Abteilung
Zivil- und Strafgericht, vom 3. Februar 2004.

Sachverhalt:

A.
A.  ________ (Kläger) vermietete die Liegenschaft Hotel X.________ mit
schriftlichem Mietvertrag vom 22. September 1993 an G.________ und H.________
(Beklagte). Die Parteien vereinbarten eine Mietdauer vom 1. November 1993 bis
zum 31. Oktober 1998 und einen monatlichen Mietzins von Fr. 14'500.--. Der
Mietvertrag umfasst die vom Schweizerischen Wirteverband 1991 vorformulierten
und von den Parteien zum Teil abgeänderten Art. 1 bis 37 und ferner einen
Zusatzvertrag zum Mietvertrag mit 24 ergänzenden Bestimmungen. Ziffer 21 des
Zusatzvertrages lautet wie folgt:
"21. Ausserordentliche Auflösung
Sollte eine der Vertragsparteien das Mietverhältnis vorzeitig und nicht
vertragskonform auflösen, verpflichtet sich die auflösende Partei der
Gegenpartei zusätzlich zum effektiv verursachten Schaden Fr. 100'000.-- zu
bezahlen als Konventionalstrafe."

B.
Am 18. April 2002 reichte der Kläger beim Bezirksgericht Appenzell Klage
gegen die Beklagten ein und beantragte, es sei gerichtlich festzustellen,
dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger eine Konventionalstrafe von
Fr. 100'000.-- plus 5 % Zins seit 15. Januar 1998 sowie
Zahlungsbefehlskosten, für die vertragswidrige, fristlose Auflösung des
Mietvertrags vom 22. September 1993, Art. 21 des Zusatzvertrags, betreffend
Hotel X.________, zu bezahlen, und es seien die Beklagten zu verpflichten,
dem Kläger den erwähnten Betrag, eventuell unter dem Titel des vertraglichen
Schadenersatzes, zu bezahlen. Das Bezirksgericht wies die Klage mit Urteil
vom 12. Februar 2003 ab.

Auf Berufung des Klägers hin wies das Kantonsgericht Appenzell I.Rh.,
Abteilung Zivil- und Strafgericht, am 3. Februar 2004 die Klage ab, soweit es
darauf eintrat. Es befand, die Erweiterung der ursprünglich auf Feststellung
zielenden Klage auf eine Leistungsklage sei insoweit zuzulassen, als sie im
direkten Zusammenhang mit der vertragswidrigen Auflösung des Mietvertrages
stehe. Nicht eingetreten werden könne auf die Klage, soweit sie sich auf
Schadenersatz für Vorgänge während des Mietverhältnisses beziehe, die nicht
im Zusammenhang mit der vertragswidrigen Auflösung desselben stünden.

C.
Der Kläger beantragt dem Bundesgericht mit eidgenössischer Berufung, das
angefochtene Urteil des Kantonsgerichts und das Urteil des Bezirksgerichts
seien vollumfänglich aufzuheben. Die Beklagten seien zu verpflichten, dem
Kläger eine Konventionalstrafe von Fr. 100'000.-- zuzüglich 5 % Zins seit 15.
Januar 1998 sowie Zahlungsbefehlskosten für die vertragswidrige, fristlose
Auflösung des Mietvertrages vom 22. September 1993, Art. 21 des
Zusatzvertrags, betreffend Hotel X.________, eventuell unter dem Titel des
vertraglichen Schadenersatzes, zu bezahlen. Eventuell sei die Sache zur
Sachverhaltsergänzung und zur Neubeurteilung an die kantonalen Instanzen
zurückzuweisen.

Die Beklagten schliessen auf Abweisung der Berufung.

D.
Am 26. März 2004 kam der Kläger bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Seine
gesetzlichen Erben traten in das Berufungsverfahren ein.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Bei vorangegangenem kantonalem Rechtszug ist einzig der Entscheid der
letzten kantonalen Instanz Anfechtungsobjekt der eidgenössischen Berufung
(Art. 48 Abs. 1 OG). Auf die Berufung ist daher nicht einzutreten, soweit der
Kläger bzw. ihre Rechtsnachfolger die Aufhebung des unterinstanzlichen
Urteils des Bezirksgerichts Appenzell vom 12. Februar 2003 verlangen.

1.2  Der Kläger beantragt die vollumfängliche Aufhebung des
Kantonsgerichtsurteils vom 3. Februar 2004. In den Vorbemerkungen zur
Berufungsbegründung erklärt er allerdings ausdrücklich, dass das Urteil nicht
angefochten werde, soweit das Kantonsgericht auf die Klage teilweise nicht
eingetreten sei, weil damit in unzulässiger Klageänderung andere Forderungen
als solche im Zusammenhang mit der vertragswidrigen Auflösung des
Mietverhältnisses geltend gemacht worden waren. Auf den Berufungsantrag ist
daher nur soweit einzutreten, als damit die Aufhebung des
Kantonsgerichtsurteils im Umfang der Klageabweisung verlangt wird. Soweit das
Kantonsgericht auf die Klage nicht eintrat, ist sein Urteil in Rechtskraft
erwachsen. Das den Parteien und dem Kantonsgericht am 19. Juli 2004
zugestellte Urteilsdispositiv ist in diesem Sinne zu präzisieren, dass das
Urteil des Kantonsgerichts nur soweit aufgehoben wird, als das Kantonsgericht
die Klage abgewiesen hat.

1.3  Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der Berufung sind erfüllt und
geben zu keinen Bemerkungen Anlass, so dass auf das Rechtsmittel im Übrigen
einzutreten ist.

2.
Nach Art. 51 Abs. 1 lit. c OG hat die kantonale Behörde das Ergebnis der
Beweisführung im Entscheid festzustellen. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist,
prüft das Bundesgericht von Amtes wegen, und zwar vor der Eintretensfrage.
Die Notwendigkeit einer vollständigen und schlüssigen
Sachverhaltsfeststellung ergibt sich insbesondere aus Art. 63 Abs. 2 OG, der
das Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Behörde
bindet. Diese sind ausreichend, wenn sie alle entscheidwesentlichen
Sachumstände so klar, detailliert und widerspruchsfrei umfassen, dass die
Überprüfung der Rechtsanwendung möglich ist (BGE 119 II 478 E. 1c S. 480;
Poudret, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. II,
Bern 1990, N. 1 zu Art. 51 OG, S. 361 und N. 4 zu Art. 51 OG, S. 365).

Der angefochtene Entscheid entbehrt weitestgehend der Feststellungen zum
Sachverhalt und verweist diesbezüglich auch nicht auf das erstinstanzliche
Urteil. Er genügt insofern den Anforderungen von Art. 51 Abs. 1 lit. c OG
nicht. Eine Rückweisung zur Ergänzung der Sachverhaltsfeststellungen ist
daher bereits aus diesem Grund angezeigt.

3.
3.1 Das Kantonsgericht stellte einzig fest, es liege keine formgültige
Kündigung des Mietvertrages (Art. 266l OR) im Recht. Da der Mietvertrag nicht
gekündigt worden sei, sei weder eine Konventionalstrafe im Sinne von Ziffer
21 des Zusatzvertrages geschuldet noch habe im Zusammenhang mit einer
ausserordentlichen Auflösung Schaden entstehen können, der eine
Schadenersatzpflicht begründen würde. Mit dieser Argumentation geht das
Kantonsgericht davon aus, dass die vereinbarte Konventionalstrafe eine
formgültige Kündigung voraussetze.

Der Kläger bzw. seine Rechtsnachfolger rügen, die Vorinstanz habe damit in
mehrerer Hinsicht gegen bundesrechtliche Regeln über die Vertragsauslegung
verstossen, insbesondere gegen das Vertrauensprinzip bzw. den Grundsatz von
Treu und Glauben, gegen Art. 2 Abs. 2 ZGB, gegen Art. 2 und Art. 18 Abs. 1
OR, aber auch gegen die Art. 160 ff. OR.

3.2  Der Inhalt eines Vertrags bestimmt sich in erster Linie durch subjektive
Auslegung, das heisst nach dem übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen
(Art. 18 Abs. 1 OR). Wenn dieser unbewiesen bleibt, sind zur Ermittlung des
mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund des
Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und
Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und
mussten (BGE 130 III 66 E. 3.2; 129 III 118 E. 2.5; 128 III 265 E. 3a; 127
III 444 E. 1b). Dabei hat der Richter zu berücksichtigen, was sachgerecht
ist, weil nicht anzunehmen ist, dass die Parteien eine unangemessene Lösung
gewollt haben (BGE 122 III 420 E. 3a S. 424). Die Vertragsauslegung nach dem
Vertrauensprinzip stellt eine Rechtsfrage dar, die das Bundesgericht im
Berufungsverfahren überprüfen kann, wobei es an die Feststellungen der
Vorinstanz über die äusseren Umstände gebunden ist (vgl. BGE 129 III 702 E.

2.4  S. 707 mit Hinweisen).

Durch die Auslegung des Vertrages ermittelt das Gericht den vereinbarten
Inhalt des Vertrages, sofern und soweit dieser Inhalt unter den
Prozessparteien streitig ist. Die richterliche Vertragsauslegung setzt somit
stets einen Auslegungsstreit unter den beteiligten Parteien voraus
(Gauch/Schluep/Schmid, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil,
Bd. I, 8. Aufl., Zürich 2003, Rz. 1196).

3.3  In casu fragt sich zunächst, ob überhaupt ein Auslegungsstreit vorliegt,
ist doch nicht dargetan und geht aus dem angefochtenen Urteil nicht hervor,
dass der Gehalt der in Ziffer 21 des Zusatzvertrages zum Mietvertrag
stipulierten Klausel über die "vorzeitige und nicht vertragskonforme
Auflösung des Mietverhältnisses" unter den Parteien streitig ist. Die
Vorinstanz äussert sich nicht dazu. Auch scheinen sich die Parteien darin
einig zu sein, dass das Mietverhältnis beendet wurde. Der Streit dreht sich
vielmehr um die Frage, wie das Mietverhältnis beendet wurde. Der Kläger bzw.
seine Rechtsnachfolger vertreten den Standpunkt, die Mieter seien einfach
verschwunden und hätten sich geweigert, künftig den vertraglichen
Verpflichtungen nachzukommen, womit sie de facto eine vorzeitige und nicht
vertragskonforme Vertragsauflösung herbeigeführt hätten. Die Beklagten
behaupten demgegenüber, es sei zu einer einvernehmlichen Auflösung des
Mietverhältnisses zwischen den Parteien gekommen, indem der Kläger der
Übertragung der Miete an I.________ (konkludent) zugestimmt habe; es mangle
deshalb bereits an einer vertragswidrigen Auflösung des Mietverhältnisses
durch einseitigen Gestaltungsakt, wie er überhaupt erst eine
Konventionalstrafe diskutabel hätte machen können.

Die Vorinstanz hat zu diesen Vorbringen keine tatsächlichen Feststellungen
getroffen, da sie die Ziffer 21 des Zusatzvertrages zum Mietvertrag von
vornherein nur für anwendbar hielt, wenn der Mietvertrag (formgültig)
gekündigt wurde. Zu diesem Ergebnis scheint sie in Auslegung der besagten
Klausel nach dem Vertrauensprinzip gelangt zu sein, wobei aus ihren
Erwägungen nicht hervorgeht, inwieweit sie die entsprechenden Regeln
(Erwägung 3.2 vorne) angewandt hat. Das angefochtene Urteil enthält zunächst
kein Wort zum Vorliegen eines übereinstimmenden wirklichen Parteiwillens, wie
er im Rahmen einer richterlichen Vertragsauslegung zuerst abzuklären ist,
bevor die normative Auslegung greift. Bei vertrauenstheoretischer Auslegung
hindert sodann der Umstand, dass Kündigungen, welche die Formvorschriften von
Art. 266l OR missachten, nichtig sind, die Parteien keineswegs daran, eine
Konventionalstrafe für den Fall zu vereinbaren, dass ein Mietverhältnis durch
faktisches Verhalten vorzeitig und rechtswidrig beendet wird. - Wie mit der
Berufung zu Recht geltend gemacht wird, kann eine Konventionalstrafe gerade
für eine solche Konstellation Sinn machen. Die Vorinstanz hat mit ihrem
Vorgehen und ihrer Annahme hinsichtlich des Gehalts von Ziffer 21 des
Zusatzvertrags die bundesrechtlichen Auslegungsregeln verletzt. Das
angefochtene Urteil ist daher in teilweiser Gutheissung der Berufung
aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des massgeblichen Sachverhalts und zu
neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

4.
Endet das bundesgerichtliche Verfahren mit einem Rückweisungsentscheid, der
den Ausgang der Streitsache offen lässt, rechtfertigt es sich, die
Gerichtsgebühr den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen und die
Parteientschädigungen wettzuschlagen (Art. 156 Abs. 3 und Art. 159 Abs. 3
OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Berufung wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, das
Urteil des Kantonsgerichts Appenzell I.Rh., Abteilung Zivil- und
Strafgericht, vom 3. Februar 2004 wird aufgehoben, soweit damit die Klage
abgewiesen wurde, und die Sache wird zur Ergänzung des Sachverhalts und zu
neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-- wird den Parteien je zur Hälfte
auferlegt.

3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Appenzell I.Rh.,
Abteilung Zivil- und Strafgericht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Juli 2004

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: