Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.46/2004
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2P.46/2004 /kil

Urteil vom 18. August 2004
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Bundesrichter Müller, Bundesrichterin Yersin,
Ersatzrichter Rohner,
Gerichtsschreiber Feller.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt
Bruno Frick,

gegen

Obergericht des Kantons Zürich, Gesamtobergericht, Postfach, 8001 Zürich.

Art. 8, 9 und 27 BV (Anwaltspatent unter Erlass der Prüfung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, Gesamtobergericht, vom 6. Januar 2004.

Sachverhalt:

A.
Gemäss § 1 des zürcherischen Gesetzes vom 3. Juli 1938 über den Anwaltsberuf
(Anwaltsgesetz, AnwG) steht das Recht zur berufsmässigen Vertretung und
Verbeiständung von Parteien in Zivil- und Strafprozessen vor den
zürcherischen Gerichten sowie vor Untersuchungs- und Anklagebehörden und
deren Oberinstanzen in der Regel nur solchen handlungsfähigen, ehrenhaften
und zutrauenswürdigen Personen zu, denen das Obergericht das
Fähigkeitszeugnis im Sinne von § 2 AnwG erteilt hat. § 2 AnwG lautet:
"Das Fähigkeitszeugnis erhält, wer die zürcherische Rechtsanwaltsprüfung
bestanden hat.

Das Obergericht kann ausnahmsweise Bewerbern, die auf Grund ihres
Bildungsganges und einer mindestens fünfjährigen erfolgreichen Tätigkeit in
der Rechtspflege oder in der Verwaltung zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes
geeignet erscheinen, nach Anhörung der Prüfungskommission und der
Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte die Prüfung ganz oder teilweise
erlassen."
Am 17. November 2003 hat der Kantonsrat des Kantons Zürich ein neues
Anwaltsgesetz (nAnwG) beschlossen, das der Regierungsrat des Kantons Zürich
mit Beschluss vom 12. Mai 2004 auf den 1. Januar 2005 in Kraft gesetzt hat
(OS Zürich Band 59 S. 144). Nach dem neuen Gesetz wird der Erwerb des
Fähigkeitszeugnisses unter Erlass der ganzen Prüfung (so genanntes
Schenkpatent) nicht mehr möglich sein. Gemäss seinem § 3 Abs. 2 lit. b wird
das Obergericht bloss einen Teil der Anwaltsprüfung erlassen können, wenn
sich die Bewerberin oder der Bewerber über eine langjährige erfolgreiche
Berufstätigkeit bei zürcherischen Gerichten oder in der Verwaltung ausweist.

B.
Lic.iur. X.________, geb. 1952, ist seit 1. April 1980 in der Zürcher Justiz
tätig. Im Jahr 1984 wurde sie als Richterin des Bezirksgerichts A.________
gewählt; seit 1993 ist sie dessen Vizepräsidentin und übt verschiedene
Funktionen aus (unter anderem Abteilungspräsidium, Präsidium Jugendgericht,
Einzelrichterin). Ihr Beschäftigungsgrad beträgt zurzeit insgesamt 60 %.

Mit einem am 26. Mai 2003 verfassten, am 20. September 2003 eingereichten
Gesuch, welches sie am 26. November 2003 ergänzte, beantragte sie gestützt
auf § 2 Abs. 2 AnwG die Erteilung des zürcherischen Anwaltspatents unter
Erlass der Prüfung. Nach Anhörung der Anwaltsprüfungskommission des Kantons
Zürich (welche in ihrer Vernehmlassung vom 19. November 2003 keinen
expliziten Antrag stellte) und der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte
im Kanton Zürich (welche am 6. November 2003 Ablehnung des Gesuchs
beantragte) behandelte das Obergericht das Gesuch in einer Plenarversammlung
vom 10. Dezember 2003 und wies es mit Beschluss vom 6. Januar 2004 ab.

C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 12. Februar 2004 beantragt X.________
dem Bundesgericht, den Beschluss des Plenums des Obergerichts unter Kosten-
und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Obergerichts bzw. zu Lasten des
Kantons Zürich zu kassieren. Sie rügt die Verletzung von Art. 8 Abs. 1 und 2,
Art. 9 und Art. 27 BV.

Das Obergericht beantragt Abweisung der Beschwerde. Die Aufsichtskommission
über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich verzichtet ausdrücklich, die
Anwaltsprüfungskommission des Kantons Zürich stillschweigend auf
Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Zur Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde ist legitimiert, wer ein
rechtlich geschütztes Interesse an der Behebung einer behaupteten
Rechtsverletzung hat (Art. 88 OG). Die Anwaltstätigkeit fällt in den
Schutzbereich der von Art. 27 BV garantierten Wirtschaftsfreiheit (BGE 130 II
87 E. 3 S. 92 mit Hinweisen). Die Nichterteilung des Fähigkeitszeugnisses
berührt die Beschwerdeführerin, die (neben-)beruflich als Anwältin tätig sein
möchte, in der Ausübung dieses Grundrechts und damit in rechtlich geschützten
Interessen. Sie ist zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen den ihr die
Erteilung des Fähigkeitszeugnisses verweigernden letztinstanzlichen
kantonalen Entscheid wegen Verletzung der Wirtschaftsfreiheit und, weil damit
zusammenhängend, von Art. 8 und 9 BV legitimiert. Ob es sich unter
verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten rechtfertigt, die Voraussetzungen für
den prüfungsfreien Erwerb des Zeugnisses zu verneinen, ist nicht
Eintretensfrage (vgl. spezifisch zum zürcherischen "Schenkpatent": Urteil
2P.222/1990 vom 22. März 1991 E. 1a).

1.2 Gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die staatsrechtliche Beschwerde die
wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten,
welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie
durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sein sollen. Die
Beschwerdeschrift enthält entsprechend begründete Rügen. Da auch die übrigen
formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich
einzutreten. Allerdings sind die Ausführungen in der Beschwerdeschrift
teilweise appellatorischer Natur (vgl. BGE 128 I 295 E. 7a S. 312; 127 I 38
E. 4 S. 43), sodass insoweit darauf nicht einzutreten ist. Zum Vornherein
nicht einzugehen ist auf die Kritik am angefochtenen Beschluss, soweit die
Beschwerdeführerin selber ausdrücklich auf die Erhebung eigentlicher Rügen
verzichtet (Beschwerdeschrift S. 8).

2.
§ 2 Abs. 1 AnwG macht den Zugang zum Anwaltsberuf von einem Fähigkeitszeugnis
abhängig, welches das Bestehen der zürcherischen Rechtsanwaltsprüfung
voraussetzt. Das Erfordernis, einen Fähigkeitsausweis vorzulegen, stellt
einen schweren Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit dar (BGE 125 I 322 E. 3b
S. 326). Einen solchen zu verlangen, ist, eine genügende gesetzliche
Grundlage vorausgesetzt, indessen zulässig, dient er doch dem Schutz des
rechtsuchenden Publikums und damit einem gewichtigen öffentlichen Interesse;
entsprechend dürfen hohe Anforderungen an die Fachkenntnisse des Anwalts
gestellt werden (BGE 122 I 13 E. 3c/cc S. 137: 113 Ia 286 E. 4c S. 290). Das
Vorhandensein dieser Kenntnisse dürfen die Kantone grundsätzlich vom Bestehen
einer Fähigkeitsprüfung abhängig machen; dies entspricht längstens einem
gesamtschweizerischen Standard und ist heute von Bundesrechts wegen eine
zwingende Voraussetzung für die Eintragung ins kantonale Anwaltsregister und
damit der binnenschweizerischen Freizügigkeit für Anwälte (Art. 7 Abs. 1 lit.
b des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen
und Anwälte [Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61]).

Da der Zweck der Prüfung darin besteht festzustellen, ob die für die Ausübung
des Anwaltsberufs erforderlichen Fachkenntnisse vorhanden sind, wäre auch
denkbar, dass der entsprechende Nachweis auf andere Weise erbracht wird.
(Unter anderem) darauf nimmt die Ausnahmeregelung von § 2 Abs. 2 AnwG Bezug,
wenn sie die ausnahmsweise Erteilung des Fähigkeitsausweises ohne Prüfung
insbesondere von einem qualifizierten Bildungsgang und langjähriger
erfolgreicher Tätigkeit in der Rechtspflege in verantwortungsvoller Position
abhängig macht. Unmittelbar aus Art. 27 BV selber indessen lässt sich kein
Anspruch darauf ableiten, dass die fachliche Befähigung anders unter Beweis
gestellt werden könnte als durch das Ablegen einer speziell im Hinblick auf
die Ausübung des Anwaltsberufs ausgestalteten Prüfung. Es ist Sache des
kantonalen Gesetzgebers, Ausnahmen ausdrücklich vorzusehen und die
Bedingungen für den Erlass der Prüfung näher zu umschreiben. Bei den
entsprechenden Normen handelt es sich nicht um solche, die erst die Grundlage
für einen Grundrechtseingriff bilden; vielmehr wird dadurch die als solche
grundsätzlich verfassungskonforme Eingriffsnorm entschärft. Wiewohl solche
Ausnahmebestimmungen im Gesamtzusammenhang mit der ganzen
Berufszulassungsregelung zu sehen sind, ist dieser besonderen Funktion bei
der verfassungsrechtlichen Überprüfung ihrer Anwendung und Auslegung Rechnung
zu tragen. Die gemäss Art. 36 BV für die Einschränkung von Grundrechten
massgeblichen Kriterien sind dabei nicht unbesehen anzuwenden. So stellt sich
bei dieser Konstellation die Frage nach dem Vorliegen eines schwerwiegenden
oder bloss leichten Grundrechtseingriffs ebenso wenig wie die Problematik der
(genügend bestimmten) formellgesetzlichen Grundlage. Erforderlich ist bloss,
dass die Ausnahmeregelung bzw. deren Auslegung auf vertretbaren,
nachvollziehbaren Motiven beruht und insbesondere das Rechtsgleichheitsgebot
respektiert. Dass dabei die mit dem Prüfungserfordernis verbundenen Aspekte
der Wirtschaftsfreiheit mit zu berücksichtigen sind, insbesondere der
Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen, wonach staatliche
Massnahmen unzulässig sind, die den Wettbewerb unter direkten Konkurrenten
verzerren und die Wettbewerbsneutralität verfälschen (BGE 130 I 26 E. 4.4 S.
42; 130 II 87 E. 3 S. 92, je mit Hinweisen), ändert nichts daran, dass das
Bundesgericht die Auslegung und Anwendung der Ausnahmebestimmung nicht frei,
sondern nur auf Willkür hin prüft. Insofern sind die Ausführungen im Urteil
2P.222/1990 vom 22. März 1991 E. 1b am Ende zu relativieren bzw. zu
präzisieren.

3.
3.1 Nach der Auslegung, die das Obergericht § 2 Abs. 2 AnwG gibt, wird der
Erlass der ganzen Prüfung in der Regel nur bewilligt, wenn der Bewerber, der
eine mindestens 5-jährige Tätigkeit als vollamtlicher Bezirks- oder
kantonaler Richter ausweisen kann, aus dem Staatsdienst ausscheidet. Dies ist
ausdrücklich so festgehalten in Art. 2 der Richtlinien des Gesamtobergerichts
vom 1. März 1995 betreffend die Erteilung des Fähigkeitszeugnisses für den
Rechtsanwaltsberuf unter Erlass der Prüfung. Gleich wie ein aus dem
Staatsdienst ausscheidender Richter kann - was mit den Teilrichterämtern
aktuell geworden ist - praxisgemäss auch der Richter von der Prüfung befreit
werden, der sich in einer Stellung befindet, die ihm die Ausübung des
Anwaltsberufs effektiv erlaubt. Erforderlich ist danach ein praktisches
aktuelles Interesse an der Patenterteilung.

Die Beschwerdeführerin rügt diese Gesetzesauslegung als willkürlich. Sie
kritisiert, entgegen der Ansicht des Obergerichts bestimme das Gesetz
nirgends, dass das Patent nur dann prüfungsfrei erteilt werden könne, wenn
der Bewerber - völlig - aus dem Staatsdienst ausscheide oder sich bei
Teilbeschäftigung jedenfalls in einer Stellung befinde, die ihm die Ausübung
des Anwaltsberufs erlaube; das in ihrem Fall zur Anwendung gekommene
Kriterium eines Beschäftigungsgrades im Staatsdienst von höchstens 50 % (bzw.
freier Kapazität von mindestens 50 %) lasse sich dem Gesetz ebenso wenig
entnehmen wie dasjenige eines aktuellen Interesses an der Berufsausübung; der
Gesetzestext sei nach Sinn und Zweck sowie nach grammatikalischem und
sprachlichem Verständnis insofern klar, als nebst fachlichen an sich keine
weiteren Zulassungskriterien massgeblich sein sollten; ein Anspruch auf
Prüfungserlass müsse bei Erfüllung der vom Gesetz genannten Vorgaben
jedenfalls dann bejaht werden, wenn durch Aufgabe der Vollzeitstelle oder bei
Besetzung einer blossen Teilzeitstelle noch freie wirtschaftliche Kapazitäten
vorhanden seien; unerheblich müsse bleiben, wie gross diese seien und ob sie
voraussichtlich auch tatsächlich für die Ausübung des Anwaltsberufs benützt
würden, liege es doch im freien verfassungsmässig geschützten Willen des
Individuums, ob und wie der Beruf dann auch tatsächlich ausgeübt werde.

3.2 Die Auslegung eines Gesetzes ist nicht schon dann willkürlich, wenn eine
andere Lösung vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst
dann, wenn sich dafür keine ernsthaften und objektiven Gründe finden lassen,
sie zu unhaltbaren, den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht werdenden
Ergebnissen führt und in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
zuwiderläuft (vgl. BGE 128 I 177 E. 2.1 S. 182, 273 E. 2.1 S. 275, je mit
Hinweisen).

3.3
3.3.1§ 2 AnwG will sicherstellen, dass niemand als Anwalt tätig ist, der
seine Fähigkeiten für die Ausübung dieses Berufs nicht nachgewiesen hat. Die
Prüfung stellt den Regelfall dar (Abs. 1), ihr gänzlicher oder teilweiser
Erlass die Ausnahme (Abs. 2). Der Ausnahmecharakter des Prüfungserlasses
ergibt sich explizit aus dem Wortlaut von § 2 Abs. 2 AnwG ("ausnahmsweise")
sowie aus dem Umstand, dass er als Kann-Vorschrift ausgestaltet ist. Dem
Obergericht ist damit ein Ermessen eingeräumt (vgl. Urteil des Bundesgerichts
2P.173/1995 vom 6. März 1996 E. 4e); der Spielraum erscheint umso grösser,
als die Möglichkeit der Prüfung allen Personen, die das Anwaltspatent
erwerben wollen, offen steht. Der Gesetzeswortlaut allein schlösse nicht aus,
die Prüfung überhaupt nur beim vollen Ausscheiden aus dem Staatsdienst zu
erlassen, wie dies die obergerichtlichen Richtlinien vom 1. März 1995
vorsehen. Erst recht erlaubt der Wortlaut die grosszügigere Auslegung, den
Erlass auch bei um mindestens 50 % reduziertem Beschäftigungsgrad zu
gewähren.
Diese mit dem Gesetzeswortlaut vereinbare Auslegung entspricht langjähriger
Praxis des Obergerichts (vgl. dazu Hans Schmid, in: Andreas Donatsch, Thomas
Fingerhuth, Viktor Lieber, Jörg Rehberg, Hans Ulrich Walder-Rickli [Hrsg],
101 Jahre zürcherisches "Schenkpatent", in: Festschrift 125 Jahre
Kassationsgericht des Kantons Zürich, S. 537 ff., insbesondere S. 541 bzw.
543 ff.). Es ist zu prüfen, ob sie, auch unter Berücksichtigung von Sinn und
Zweck der Regelung sowie des Rechtsgleichheitsgebots, auf vernünftigen,
nachvollziehbaren Gründen beruht.

3.3.2 Vorerst ist festzuhalten, dass - entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin - der Erwerb des Anwaltspatents unter Erlass der Prüfung
dem regulären Weg über eine Prüfung nicht gleichzusetzen ist. Zwar mag
langjährige Praxis in der Rechtspflege die Fähigkeit zur Lösung rechtlicher
Probleme belegen (vgl. Urteil 2P.222/1990 vom 22. März 1991 E. 2d).
Regelmässig betrifft diese Praxis aber nur Ausschnitte aus der Gesamtheit der
Rechtsordnung und ist daher dem umfassenden Erarbeiten des gesamten Stoffes
im Hinblick auf eine entsprechend breit angelegte Prüfung nicht
gleichzuhalten. Zudem wird mit dem Erfordernis einer schriftlichen und
mündlichen Prüfung auch die Fähigkeit trainiert, das erworbene Wissen innert
begrenzter Zeit und unter Stressbedingungen, mit denen in der praktischen
Advokatur immer zu rechnen ist, zuverlässig anwenden zu können (BGE 122 I 130
E. 3c/cc S. 137). Davon geht auch der Bundesgesetzgeber aus, wenn er das
Bestehen einer Prüfung zur absoluten Voraussetzung für die interkantonale
Freizügigkeit bei der Ausübung des Anwaltsberufs macht (Art. 7 Abs. 1 lit. b
BGFA). Da die beiden Erwerbsarten des zürcherischen Anwaltspatents nicht als
gleichwertig zu gelten haben, ist es unter dem Gesichtswinkel des
Rechtsgleichheitsgebots, das nur Gleiches gleich zu behandeln gebietet (BGE
129 I 1 E. 3 S. 3, 265 E. 3.2 S. 268 f., je mit Hinweisen), nicht zu
beanstanden, wenn unterschiedliche rechtliche Regelungen damit verknüpft
werden. Vielmehr erscheint es im Interesse derjenigen, die das
Fähigkeitszeugnis auf dem ordentlichen gesetzlichen Weg erwerben müssen,
geboten, den prüfungsfreien Erwerb von der Erfüllung besonderer
Voraussetzungen abhängig zu machen.

Die Voraussetzung, dass real die Möglichkeit zur Ausübung der Advokatur in
erheblichem Ausmass und ein aktuelles Interesse daran bestehen muss, ergibt
sich aus der Entstehungsgeschichte und dem Zweck des Schenkpatents (s. dazu
Hans Schmid, a.a.O., insbesondere S. 539 f. zur Regelung gemäss Anwaltsgesetz
von 1938). Dieses wurde in der Regel verdienten Justiz- oder
Verwaltungsangehörigen, die ganz oder doch zu einem erheblichen Teil aus dem
Staatsdienst ausschieden, erteilt. Damit sollte ihnen das künftige berufliche
Fortkommen in neuer Position erleichtert werden. Es handelte sich um eine Art
ausserordentliche Starthilfe bei freier Kapazität und bei ausgeprägtem
persönlichem, aktuellem Bedürfnis des Begünstigten bei besonderer
Ausgangslage. Wiewohl dieses Zulassungskriterium für sich nicht polizeilicher
Natur (Gewährleistung genügender Fachkenntnisse) ist, ermöglicht es auf
sinnvolle Weise die Begrenzung der Anzahl prüfungsfrei erworbener
Fähigkeitszeugnisse. Dass diese im Interesse der zur Ablegung der Prüfung
verpflichteten Bewerber erforderliche und legitime Begrenzung anhand dieses
Kriteriums erfolgreich herbeigeführt werden kann, zeigt die geringe Anzahl
prüfungsfrei erworbener Fähigkeitszeugnisse (Hans Schmid, a.a.O., S. 541 f.).
Damit erlaubt dieses Kriterium eine rechtsgleiche Handhabung der
Ausnahmebestimmung von § 2 Abs. 2 AnwG vorerst im Verhältnis zum Erwerb des
Fähigkeitszeugnisses durch Ablegen einer Prüfung.

Wird bei der Auslegung von § 2 Abs. 2 AnwG zulässigerweise auf das Kriterium
genügender zeitlicher Kapazität für eine effektive Anwaltstätigkeit
abgestellt, so leuchtet ein, dass es im Hinblick darauf einer Grenzziehung
zwischen noch genügenden und nicht mehr zureichenden zeitlichen Ressourcen
bedarf. Dabei steht dem Obergericht naturgemäss ein grosses Ermessen zu. Die
nach dem angefochtenen Entscheid praxisgemäss bei einer Tätigkeit im
Staatsdienst von maximal 50 % festgesetzte Grenze ist nicht zu beanstanden.
Der Umstand, dass wohl auch bei einer etwas geringeren Kapazitätsreserve noch
eine nebenamtliche Anwaltstätigkeit möglich wäre, lässt die Grenzziehung
nicht als verfassungswidrig, insbesondere nicht als willkürlich erscheinen.
Dies umso weniger, als für die Beanspruchung der ausserordentlichen
Privilegierung, welche der prüfungsfreie Erwerb des Fähigkeitszeugnisses
darstellt, nicht das Element der freien Kapazität als solches massgeblich
ist, sondern dieses in Verbindung mit einem ausgeprägten aktuellen Bedürfnis
nach Berufsausübung. Diese Grenzziehung erlaubt eine rechtsgleiche Anwendung
der Ausnahmeregelung von § 2 Abs. 2 AnwG grundsätzlich auch im Vergleich
zwischen verschiedenen Bewerbern um den prüfungsfreien Erwerb des
Fähigkeitszeugnisses.

Nicht nachvollziehbar ist, wenn die Beschwerdeführerin sinngemäss rügt, das
Erfordernis des aktuellen Berufsausübungsinteresses verletze die
Wirtschaftsfreiheit insofern, als dieses Grundrecht jegliche Verpflichtung
zur Ausübung eines Berufes untersage; durch das erwähnte Erfordernis wird
niemand zur Ausübung einer Tätigkeit verpflichtet. Umgekehrt führt die
Anwendung des Kriteriums auch nicht zu einem Berufsverbot, besteht doch die
Möglichkeit, das Fähigkeitszeugnis durch Ablegen der Prüfung zu erwerben.

3.3.3 Zusammenfassend ergibt sich, dass § 2 Abs. 2 AnwG bzw. die vom
Obergericht dazu entwickelte Praxis, den prüfungsfreien Erwerb des
Fähigkeitszeugnisses vom Ausscheiden aus dem Staatsdienst oder von einem
maximalen Beschäftigungsgrad im Staatsdienst von 50 % abhängig zu machen,
grundsätzlich verfassungskonform ist. Diese Praxis verletzt weder das
Willkürverbot, das Gleichbehandlungsgebot noch sonstwie Art. 27 BV.

3.4
Die Beschwerdeführerin ist aktuell zu 60 % in der Zürcher Justiz tätig,
weshalb sie der Praxis entsprechend keinen Anspruch auf Erlass der Prüfung
hat. Ihren weiteren Rügen, die sie zur konkreten Anwendung von § 2 Abs. 2
AnwG in ihrem Fall erhebt, fehlt damit weitgehend die Grundlage, und es ist
darauf nachfolgend nur kurz einzugehen. Vorbehalten bleiben die Rügen
betreffend rechtsungleiche Gesetzesanwendung, welche in E. 4 behandelt
werden.

3.4.1 Die Beschwerdeführerin kritisiert, dass das Obergericht zur Begründung
seines Beschlusses auch auf § 3 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom
13. Juni 1976 (GVG) hingewiesen hat, wonach es Zürcher Richtern, insbesondere
auch den teilamtlichen Mitgliedern der Bezirksgerichte, weitgehend untersagt
ist, Parteien vor Zürcher Gerichten zu vertreten. Ebenso bemängelt sie, dass
das Obergericht berücksichtigt hat, dass angesichts von Art. 7 Abs. 1 lit. b
BGFA kaum eine Möglichkeit zur forensischen Anwaltstätigkeit ausserhalb des
Kantons Zürich bestehe. Wenn es indessen für die Frage des Prüfungserlasses
darauf ankommen darf, ob ein aktuelles Interesse daran besteht, über das
Anwaltspatent zu verfügen, ist es nicht willkürlich oder sonstwie
verfassungswidrig, wenn geprüft wird, in welchem Umfang die Anwaltstätigkeit
nach den gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen überhaupt ausgeübt werden
kann. Die Beschwerdeführerin erfüllt schon das grundsätzlich zulässige
Kriterium des maximalen Beschäftigungsgrades von 50 % nicht, und der
Prüfungserlass hätte ihr schon allein darum wegen ungenügendem aktuellem
Interesse verweigert werden können. Erst recht muss ihr Interesse an der
privilegierten Erteilung des Fähigkeitszeugnisses nicht als hinreichend
angesehen werden, wenn sich dieses im Wesentlichen darauf beschränkt, in
limitierter Zeit beratende Tätigkeiten auszuüben, für die kein Anwaltspatent
erforderlich ist. Im Übrigen würde § 3 Abs. 2 GVG angesichts der den Kantonen
zustehenden grossen Freiheit bei der Gestaltung ihrer Justizorganisation
unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfung ohne weiteres standhalten. Die
Sonderregelung für Kassationsrichter liesse sich mit der speziellen Natur der
Institution des Kassationsgerichtes rechtfertigen, das als ausserordentliche
Milizinstanz ausgestaltet ist und namentlich auch durch praktizierende
Anwälte besetzt werden soll.

3.4.2 Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht zu Unrecht vor, es erlaube
eine unzulässige Rück- bzw. Vorwirkung des neuen, erst auf den 1. Januar 2005
in Kraft tretenden Anwaltsgesetzes, indem es berücksichtige, dass der
prüfungsfreie Erwerb des Fähigkeitszeugnisses nicht mehr zulässig sei (§ 3
Abs. 2 lit. b nAnwG). Mit seinem Hinweis auf das neue Recht hat das
Obergericht bloss hervorgehoben, dass (auch) angesichts der gewandelten
politischen Gewichtung der Frage des Schenkpatents kein Grund bestehe, von
der (zulässigerweise) zurückhaltenden Praxis abzuweichen.

4.
Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots, das
sich aus Art. 8 Abs. 1 BV wie auch aus Art. 27 BV ergibt, sowie des
Diskriminierungsverbots gemäss Art. 8 Abs. 2 BV.

4.1 Die Rechtsgleichheit wird zunächst in allgemeiner Weise durch Art. 8 Abs.
1 BV gewährleistet. Danach ist die rechtsanwendende Behörde verpflichtet,
Sachverhalte mit gleichen relevanten Tatsachen gleich zu behandeln, soweit
nicht sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen bzw.
gebieten (BGE 130 I 71 E. 3.6 S. 70; 129 I 113 E. 5.1 S. 125 f., je mit
Hinweisen). Darüber hinaus sieht Art. 27 BV die Gleichbehandlung von
Gewerbegenossen im Sinn der Wettbewerbsneutralität vor (vgl. BGE 130 I 26 E.
4.4 S. 42; 130 II 87 E. 3 S. 92, je mit Hinweisen). Im vorliegenden
Zusammenhang ergibt sich unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit aus
Art. 27 BV nichts Zusätzliches. Es ist anhand der von der Beschwerdeführerin
erwähnten Vergleichsfälle zu prüfen, ob das Obergericht die von ihm
beschriebene und als solche dem Gleichheitsgebot genügende Praxis tatsächlich
durchwegs angewendet oder aber die Beschwerdeführerin gegenüber gewissen
Bewerbern, die sich in vergleichbarer Lage wie sie befinden, benachteiligt
hat. Dies ist nicht der Fall:

In tatsächlicher Hinsicht kann, in Berücksichtigung der präzisierenden
Ausführungen in der Vernehmlassung des Obergerichts und ohne dass die
entsprechenden Akten noch einzuholen wären, davon ausgegangen werden, dass in
keinem der angesprochenen Fälle, in denen die Prüfung erlassen wurde, ein
Beschäftigungsgrad im Staatsdienst von über 50 % vorlag. Wohl verhält es sich
im Fall von Bezirksgerichtspräsident B.________ so, dass dieser sich zum
Zeitpunkt der Patenterteilung (Ende 2003/Anfang 2004) offenbar noch zu 100 %
im Staatsdienst befand; damals aber stand bereits sein definitives und
vollständiges Ausscheiden aus dem Staatsdienst per Ende August 2004 fest.
Damit aber lässt sich die Beschwerdeführerin mit Bezug auf das gemäss
feststehender Praxis massgebliche Abgrenzungskriterium des
Beschäftigungsgrads mit keiner der von ihr erwähnten Personen vergleichen.
Dies gilt insbesondere auch für ihren Ehemann, der ebenfalls vollständig aus
dem Staatsdienst ausgeschieden ist und dessen Situation sich, unabhängig von
der Frage der Beanspruchung der interkantonalen Freizügigkeit (Art. 7 Abs. 1
lit. b BGFA), mit derjenigen der Beschwerdeführerin nicht vergleichen lässt.

Das Obergericht hat das Rechtsgleichheitsgebot gemäss Art. 8 Abs. 1 BV (bzw.
Art. 27 BV) nicht verletzt, indem es das Gesuch der Beschwerdeführerin um
Erlass des Anwaltsexamens ablehnte.

4.2 Die Beschwerdeführerin erachtet das Diskriminierungsverbot des Art. 8
Abs. 2 BV als verletzt, weil sie vor allem wegen der ihr obliegenden
Erziehung ihrer Kinder einen Beschäftigungsgrad von 60 % und nicht eine
Vollzeitstelle innehabe; ihre Teilzeitbeschäftigung sei nicht zuletzt
Ausdruck ihrer gesellschaftlichen Rolle als Frau; es falle auf, dass das
prüfungsfreie Patent immer nur Männern gewährt werde, während es Frauen
verweigert werde oder diese es vor Bundesgericht erkämpfen müssten.

Soweit diese Rüge überhaupt nachvollziehbar und damit in einer den
Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise erhoben wird, ist
sie offensichtlich unbegründet. Eine im Sinne des Diskriminierungsverbots von
Art. 8 Abs. 2 BV qualifizierte Art der Ungleichbehandlung (vgl. zum Gehalt
des Diskriminierungsverbots: BGE 129 I 217 E. 2.1 S. 224, 232 E. 3.4 S. 239,
292 E. 3.2.2 S. 397) könnte gegebenenfalls dann vorliegen, wenn der
Beschwerdeführerin der Prüfungserlass gerade deshalb verweigert würde, weil
sie - wegen ihrer gesellschaftlichen Rolle als Frau - einer blossen
Teilzeitbeschäftigung nachgeht. So verhält es sich indessen gerade nicht; in
der Tat wären ihre Chancen, dass dem Gesuch entsprochen würde, klarerweise
grösser gewesen, wenn sie - wie es namentlich nicht selten bei Frauen mit
Kindern vorkommt - einen niedrigen Beschäftigungsgrad (z.B. von 50 %)
aufgewiesen hätte. Eine Diskriminierung wegen des Geschlechts hat die
Beschwerdeführerin nicht dargetan, auch nicht mit dem unspezifischen Verweis
auf den Fall von C.________, aus welchem sich nichts zu ihren Gunsten
ableiten lässt.

5.
Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich, soweit darauf einzutreten ist,
als unbegründet und ist abzuweisen. Dementsprechend sind die
bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 in
Verbindung mit Art. 153 und 153a OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Aufsichtskommission über die
Rechtsanwälte im Kanton Zürich, dem Obergericht des Kantons Zürich,
Anwaltsprüfungskommission, und dem Obergericht des Kantons Zürich,
Gesamtobergericht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. August 2004

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: