Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.44/2004
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2P.44/2004 /zga

Urteil vom 8. Juni 2004
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Bundesrichter Müller,
Bundesrichterin Yersin, Bundesrichter Merkli,
Gerichtsschreiber Moser.

1. X.________,
2.Y.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Kantonsrat des Kantons Zürich, c/o Staatskanzlei des Kantons Zürich, 8090
Zürich,
Regierungsrat des Kantons Zürich, Kaspar Escher-Haus, 8090 Zürich, vertreten
durch die Finanzdirektion des Kantons Zürich, Walcheplatz 1, 8090 Zürich.

Art. 9 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Entlastung von natürlichen Personen ab der
Steuerperiode 2006),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
des Regierungsrats des Kantons Zürich
vom 17. Dezember 2003.

Sachverhalt:

A.
Am 25. August 2003 beschloss der Kantonsrat des Kantons Zürich eine
Teilrevision des kantonalen Steuergesetzes vom 8. Juni 1997, welche
einerseits den Ausgleich der Teuerung bei den Progressionsstufen der
Einkommens- und Vermögenssteuertarife sowie den betragsmässig festgelegten
Abzügen und andererseits zusätzliche, über den Ausgleich der Teuerung
hinausgehende Erhöhungen verschiedener Abzüge (persönlicher Abzug,
Kinderabzug sowie Kinderbetreuungskostenabzug) zum Inhalt hat.

Mit Beschluss vom 24. November 2003 stellte der Kantonsrat das unbenützte
Ablaufen der Referendumsfrist für die erwähnte Teilrevision des
Steuergesetzes fest. Das Änderungsgesetz ist mit keiner Bestimmung über das
Inkrafttreten versehen (vgl. Offizielle Sammlung der Gesetze, Beschlüsse und
Verordnungen des Eidgenössischen Standes Zürich [OS], Band 58, Nr. 11 vom 19.
Dezember 2003, S. 367 ff.).

B.
Am 17. Dezember 2003 beschloss der Regierungsrat des Kantons Zürich, dass die
Änderung des Steuergesetzes vom 25. August 2003 auf den 1. Januar 2006 in
Kraft gesetzt wird.

C.
Mit Eingabe vom 6. Februar 2004 erheben X.________ und Y.________, beide
wohnhaft im Kanton Zürich, beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde,
mit der sie die Aufhebung des Beschlusses des Zürcher Regierungsrates vom 17.
Dezember 2003 beantragen. Sie erblicken im Umstand, dass der Regierungsrat
die Änderung des Steuergesetzes erst per 1. Januar 2006 in Kraft setzt, eine
unzulässige Rechtsverzögerung und rügen zudem eine Verletzung von Art. 6
Ziff. 1 EMRK, des Willkürverbots sowie des Grundsatzes der Gewaltentrennung.

Der Regierungsrat des Kantons Zürich (vertreten durch die Finanzdirektion)
stellt den Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Der Kantonsrat des Kantons Zürich (Geschäftsleitung) verzichtet auf eine
Stellungnahme.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Nach Art. 84 Abs. 1 lit. a OG kann gegen kantonale Erlasse und
Verfügungen (Entscheide) wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte
staatsrechtliche Beschwerde geführt werden. Beim angefochtenen Beschluss des
Zürcher Regierungsrates, welcher das Datum des Inkrafttretens der vom
Kantonsrat am 25. August 2003 verabschiedeten Änderung des zürcherischen
Steuergesetzes festlegt, handelt es sich um einen letztinstanzlichen
kantonalen Hoheitsakt, welcher sich auf kantonales Recht stützt und gegen den
als eidgenössisches Rechtsmittel einzig die staatsrechtliche Beschwerde zur
Verfügung steht (Art. 84 Abs. 2 und Art. 86 Abs. 1 OG; vgl. zur
Unzulässigkeit der kantonalen Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
regierungsrätliche Inkrafttretensbeschlüsse den Rechenschaftsbericht des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich [RB] 1994, Nr. 6).

1.2 Als aufgrund persönlicher Zugehörigkeit (Wohnsitz) im Kanton Zürich
Steuerpflichtige sind die Beschwerdeführer durch die behauptete rechtswidrige
Verzögerung der Inkraftsetzung der Änderung des zürcherischen Steuergesetzes
vom 25. August 2003, welche eine Reduktion der Steuerlast der natürlichen
Personen vorsieht, in ihrer Rechtsstellung betroffen und damit zur
staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (Art. 88 OG).

1.3 Die staatsrechtliche Beschwerde ist binnen 30 Tagen, von der nach dem
kantonalen Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung des Erlasses oder der
Verfügung an gerechnet, einzureichen (Art. 89 Abs. 1 OG).

Der angefochtene Beschluss des Zürcher Regierungsrates vom 17. Dezember 2003
betreffend die Inkraftsetzung der Änderung des Steuergesetzes wurde am 20.
Januar 2004 publiziert (OS, Band 59, Nr. 1, S. 3). Die vorliegende Beschwerde
vom 6. Februar 2004 wurde damit rechtzeitig erhoben.

2.
2.1 Die Beschwerdeführer rügen, indem der Zürcher Regierungsrat die
Inkraftsetzung der am 25. August 2003 verabschiedeten Änderung des kantonalen
Steuergesetzes in unerklärlicher Diskrepanz zur sonst üblichen Praxis und
ohne stichhaltige Gründe um 28 Monate hinausschiebe, begehe er eine
verfassungswidrige und gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK verstossende
Rechtsverzögerung bzw. eine formelle Rechtsverweigerung. Sodann verletze
dieses schlechterdings unhaltbare Vorgehen das Willkürverbot (Art. 9 BV);
namentlich liege eine willkürliche Anwendung von § 10 Abs. 2 des
zürcherischen Gesetzes vom 27. September 1998 über die Gesetzessammlung und
das Amtsblatt (Publikationsgesetz), wonach der Zeitpunkt des Inkrafttretens
eines rechtsetzenden Erlasses, wenn er nicht festgelegt ist, vom
Regierungsrat bestimmt wird, sowie ein willkürlicher Verstoss gegen Art. 40
Ziff. 2 der Verfassung des eidgenössischen Standes Zürich vom 18. April 1869
(KV/ZH; SR 131.211) vor, wonach dem Regierungsrat die Pflicht und Befugnis
zukommt, für die "Vollziehung der Gesetze und der Beschlüsse des Volkes und
des Kantonsrates" zu sorgen. Schliesslich sei es auch mit dem Grundsatz der
Gewaltentrennung unvereinbar, wenn der mit dem Gesetzesvollzug betraute
Regierungsrat - wie vorliegend - die Wirksamkeit eines Gesetzes durch eine
unbegründete Verschleppung des Zeitpunktes des Inkrafttretens unrechtmässig
hinauszögere und damit die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative unterlaufe.

2.2 Das in Art. 29 Abs. 1 BV enthaltene Verbot der Rechtsverzögerung bezieht
sich, wie schon aus dem Wortlaut hervorgeht, auf Verfahren vor Gerichts- und
Verwaltungsbehörden, d.h. auf Verfahren der Rechtsanwendung (vgl. Georg
Müller, in: Kommentar aBV, Rz. 88 zu Art. 4 aBV; Ulrich Häfelin/Walter
Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5. Aufl., Zürich 2001, N. 831 f.;
Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 497;
Pascal Mahon, in: Aubert/Mahon, Petit commentaire de la Constitution fédérale
de la Confédération suisse, Zürich 2003, Rz. 1 zu Art. 29 BV; Botschaft zur
neuen Bundesverfassung, in: BBl 1997 I 181; vgl. auch BGE 128 II 97,
unveröffentlichte E. 2a). Das gilt auch für die mitangerufene
Konventionsgarantie von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (vgl. Ruth Herzog, Art. 6 EMRK
und kantonale Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 1995, S. 139; Urteil des
Bundesgerichts 2P.76/1996 vom 21. Oktober 1996, E. 3h). Vorliegend geht es um
eine gerügte Verzögerung im Verfahren der Rechtsetzung. In der Doktrin wird
erwogen, eine Anrufung des Verfassungsrichters wegen Rechtsverzögerung unter
gewissen Voraussetzungen auch gegenüber dem Gesetzgeber zuzulassen, sofern es
um die Nichterfüllung einer präzise umschriebenen verfassungsrechtlichen
Rechtsetzungspflicht geht (vgl. Walter Kälin, Das Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 149 f.; J.P. Müller,
a.a.O., S. 498 ff.; vgl. auch die Urteile des Bundesgerichts P.815/1984 vom
18. Januar 1985, publ. in: ZBI 86/1985 S. 492 ff., E. 3a, sowie 2P.76/1996
vom 21. Oktober 1996, E. 3e). Ein solcher Tatbestand steht hier nicht in
Frage. Es wird nicht behauptet, dass die durchgeführte Revision des
Steuergesetzes einem präzisen verfassungsrechtlichen Auftrag entspreche. Im
Übrigen liegt eine vom Gesetzgeber beschlossene Neuregelung bereits vor, und
es geht einzig darum, auf welchen Zeitpunkt hin sie vom zuständigen Organ in
Kraft gesetzt werden muss. Soweit der Gesetzgeber diese Frage nicht selber
beantwortet, obliegt die Festsetzung des Inkraftsetzungstermins gemäss § 10
Abs. 2 des kantonalen Publikationsgesetzes dem Regierungsrat (vgl. dazu
Christian Schuhmacher, Das Rechtsetzungsverfahren im Kanton Zürich, in: LeGes
2004, Heft 1, S. 107; ferner: Tobias Jaag, Verwaltungsrecht des Kantons
Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, Rz. 407 und 616 ff.). Dass dieser bei
Stillschweigen des Gesetzgebers mit der Inkraftsetzung nicht beliebig
zuwarten oder von der Inkraftsetzung überhaupt absehen darf, bedarf keiner
weiteren Erläuterung. Der dem Regierungsrat durch Art. 40 Ziff. 2 KV/ZH
erteilte Auftrag zum Vollzug der Gesetze verlangt u.a. auch, dass er diese
entsprechend dem Willen des Gesetzgebers in Kraft setzt. Der Verzicht auf die
Inkraftsetzung eines gültig beschlossenen Gesetzes verstiesse gegen den
Grundsatz der Gewaltentrennung (vgl. auch BGE 111 Ia 176 E. 3c S. 178 f.).
Soweit aber lediglich die Wahl des Zeitpunktes der Inkraftsetzung in Frage
steht und weder die Kantonsverfassung noch das betreffende Gesetz hierüber
eine nähere Regelung enthält, womit der Entscheid gemäss der allgemeinen
Bestimmung von § 10 Abs. 2 des Publikationsgesetzes in die Hände des
Regierungsrates gelegt ist, fällt als Schranke gegen eine übermässige
Verzögerung einzig das allgemeine Willkürverbot (Art. 9 BV) in Betracht,
worauf sich die Beschwerdeführer hier ebenfalls berufen.

2.3 Die Inkraftsetzung eines beschlossenen Gesetzes oder einer
Gesetzesänderung soll vom hiermit beauftragten Vollzugsorgan (bzw. vom
Verordnungsgeber) nicht ohne zulässigen Grund verzögert werden. Anlass für
einen Aufschub können insbesondere Gründe administrativer Art bilden, indem
zum Beispiel Ausführungserlasse ausgearbeitet oder organisatorische
Massnahmen getroffen werden müssen, welche eine gewisse Zeit beanspruchen.
Zulässig sind aber auch Zweckmässigkeitsüberlegungen anderer Art (z.B.
Inkraftsetzen auf Beginn einer neuen Steuerperiode), doch müssen sie
sachlicher Natur sein (vgl. zum Ganzen: Gesetzgebungsleitfaden, Bundesamt für
Justiz, 2. Aufl., Bern 2002, S. 75 ff.; Hans Georg Nussbaum, Das Bundesgesetz
nach der Verabschiedung durch die Bundesversammlung, in: LeGes 2000, Heft 2,
S. 53 ff., insbesondere S. 55; Georg Müller, Elemente einer
Rechtssetzungslehre, Zürich 1999, Rz. 125 ff.; André Grisel, L'application du
droit public dans le temps, in: ZBl 75/1974 S. 236 f.; Jean-François Aubert,
Bundesstaatsrecht der Schweiz, Band II, Basel 1995, Nr. 1517 im
neubearbeiteten Nachtrag; VPB 32/1964-65 Nr. 11 S. 23 ff. sowie 58/1994 Nr. 2
S. 56). Rein finanzielle Interessen reichen grundsätzlich nicht aus, um etwa
die Einführung beschlossener Steuererleichterungen oder erhöhter Subventionen
länger hinauszuschieben als objektiv gerechtfertigt (Gesetzgebungsleitfaden,
a.a.O., S. 75; Grisel, a.a.O., S. 236; VPB 32/1964-65 Nr. 11 S. 26). Ein
gewisser Spielraum ist dem zuständigen Vollzugsorgan aber zuzugestehen.

2.4 Vorliegend ist unbestritten, dass von den administrativen Abläufen her
eine Inkraftsetzung der Steuererleichterungen auf den 1. Januar 2005 ohne
weiteres möglich gewesen wäre und wohl auch eher der bisherigen Übung
entsprochen hätte. Der Regierungsrat stellt nicht ernsthaft in Abrede, dass
die angespannte Finanzlage dazu Anlass gab, die Gesetzesrevision, welche für
den Staat zu einem grösseren Einnahmenausfall führen wird, erst per 1. Januar
2006 in Kraft zu setzen. Dieses Vorgehen erweckt nach dem Gesagten
verfassungsrechtliche Bedenken. Der Umstand, dass im Kanton Zürich in
Verfassung und Gesetz (Art. 31a KV/ZH sowie § 6 Abs. 2 und § 21 des Gesetzes
vom 2. September 1979 über den Finanzhaushalt des Kantons) Bestimmungen zur
Senkung der Ausgaben in Kraft getreten sind, vermag für sich allein die
verzögerte Inkraftsetzung der Steuergesetzrevision nicht zu rechtfertigen,
umso weniger, als diese letztere Gesetzesänderung (vom 25. August 2003)
jüngeren Datums ist, d.h. bereits unter der Herrschaft der erstgenannten
Regelung (in Kraft seit 1. Juli 2001) und in Kenntnis des bestehenden
Sanierungsbedürfnisses beschlossen wurde. Ins Gewicht fällt dagegen der vom
Regierungsrat hervorgehobene Umstand, dass er seine Absicht, die
Steuergesetzrevision (verbunden mit einer geplanten Steuerfusserhöhung) erst
per 1. Januar 2006 in Kraft treten zu lassen, schon Anfang Mai 2003, d.h.
noch vor der zweiten Lesung dieser Gesetzesrevision im Kantonsrat, öffentlich
kundgegeben hat. Nachdem der Kantonsrat in seiner zweiten Lesung der
Steuergesetzrevision am 25. August 2003 in Kenntnis dieser Erklärungen auf
eine eigene Vorschrift über die Inkraftsetzung verzichtet hat, kann dem
Regierungsrat, wenn er sich für die Inkraftsetzung an seine gemachte
Ankündigung hielt, jedenfalls keine willkürliche Missachtung des Willens des
Gesetzgebers vorgeworfen werden. Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich
daher als unbegründet.

3.

Demnach ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen.

Bei diesem Ausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens den
Beschwerdeführern aufzuerlegen, unter solidarischer Haftung (Art. 156 Abs. 1
und 7 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG). Auf die Zusprechung einer
Parteientschädigung besteht kein Anspruch (Art. 159 Abs. 2 OG analog).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern auferlegt,
unter solidarischer Haftung.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Kantonsrat und dem
Regierungsrat (Finanzdirektion) des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Juni 2004

Im Namen der II. Öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: