Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.35/2004
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2P.35/2004 /mks

Urteil vom 14. Mai 2004
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Bundesrichter Müller,
Gerichtsschreiber Moser.

X. ________ AG,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Storchenegger,

gegen

Regierung des Kantons St. Gallen, Regierungsgebäude, 9001 St. Gallen,
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Spisergasse 41, 9001 St. Gallen.

Art. 9 BV (Ausnahmebewilligung von den Vorschriften betr. Ladenschluss),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons St. Gallen vom 18. Dezember 2003.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG betreibt seit 1991 in St. Gallen ein Parkhaus mit
Tankstelle, Kiosk, Autoshop und Autoservicestation. Das Warensortiment des
täglich rund um die Uhr geöffneten Autoshops, dessen Verkaufsfläche
sukzessive auf 150 m2 erhöht worden war, umfasst neben Tabakwaren und
Zeitschriften auch Waren des täglichen Bedarfs (Brot, Kleingebäck, Dosen,
Frisch- und Tiefkühlprodukte, Tee, Kaffee, Milchprodukte, Teigwaren,
Speiseöle, Zucker, Salz, Wein, Bier, Wasch- und Putzmittel sowie
Körperpflege- und Toilettenartikel).

Am 11. April 1997 ersuchte die X.________ AG die Regierung des Kantons St.
Gallen um Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäss dem kantonalen Gesetz
über den Ladenschluss, wonach sie berechtigt sei, ihren "Kiosk" während 24
Stunden pro Tag und sieben Tagen je Woche uneingeschränkt, insbesondere auch
an Sonn- und Feiertagen, offen zu halten. Zur Begründung gab die
Gesuchstellerin im Wesentlichen an, der Verkauf von Kioskartikeln und
Lebensmitteln sei neben dem nicht dem Gesetz über den Ladenschluss
unterstellten Verkauf von Treibstoffen und Autozubehör im beantragten Umfange
jahrzehntelang unwidersprochen geduldet worden und entspreche einem
Kundenbedürfnis.

Am 18. Mai 2003 wurde eine Revisionsvorlage für das Gesetz über den
Ladenschluss, welche eine liberalere Regelung der Öffnungszeiten vorgesehen
hätte, vom Volk verworfen.

Am 4. Juli 2003 wies die Regierung des Kantons St. Gallen das Gesuch der
X.________ AG ab mit der Begründung, die gesetzlichen Voraussetzungen für die
Erteilung einer Ausnahmebewilligung für den (aufgrund des grösseren
Sortiments nicht als blosser Kiosk zu qualifizierenden) Tankstellenshop seien
nicht erfüllt und die Gesuchstellerin vermöge auch aus dem Vertrauensschutz
(Duldung der gesetzwidrigen Öffnungszeiten seitens der Behörden) nichts zu
ihren Gunsten ableiten. Der 24-Stunden-Betrieb des Autoshops war während der
Dauer des Verfahrens toleriert worden.

B.
Am 22. Juli 2003 erhob die X.________ AG gegen den Entscheid der Regierung
Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, wobei sie als
Anspruchsgrundlage für die Ausnahmebewilligung zur Hauptsache den
Vertrauensgrundsatz anrief. Am 12. August 2003 entsprach der Präsident des
Verwaltungsgerichts dem Gesuch um vorsorgliche Massnahmen, indem er der
Gesuchstellerin gestattete, ihren Tankstellenshop bis zum Abschluss des
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens täglich während 24 Stunden offen zu
halten und das besondere Warensortiment anzubieten und zu verkaufen.

Mit Urteil vom 18. Dezember 2003 wies das Verwaltungsgericht des Kantons St.
Gallen die Beschwerde ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen an, weder
sei behördlicherseits ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, noch habe
die X.________ AG bzw. ihr Rechtsvorgänger gutgläubig davon ausgehen dürfen,
die Öffnungszeiten, welche sie seit langem praktiziere, seien rechtmässig.

C.
Mit Eingabe vom 2. Februar 2004 erhebt die X.________ AG beim Bundesgericht
staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag: "In Aufhebung des Urteils des
Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 18. Dezember 2003 sei der
Beschwerdeführerin zu gestatten, ihren Tankstellenshop
....................... in St. Gallen täglich während 24 Stunden
offenzuhalten und das bestehende Warensortiment anzubieten und zu verkaufen."

Das Verwaltungsgericht sowie das Volkswirtschaftsdepartement (für die
Regierung) des Kantons St. Gallen schliessen auf Abweisung der Beschwerde.

D.
Mit Verfügung vom 20. Februar 2004 entsprach der Präsident der II.
öffentlichrechtlichen Abteilung dem Gesuch um Erlass einer vorsorglichen
Massnahme und gestattete der Beschwerdeführerin, bis zum bundesgerichtlichen
Entscheid in der Sache selber weiterhin von den bisherigen Öffnungszeiten zu
profitieren.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Beim angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen,
mit dem die (Ausnahme-)Bewilligung für die durchgehende Offenhaltung eines
Tankstellenshops verweigert wird, handelt es sich um einen letztinstanzlichen
kantonalen Endentscheid, welcher sich auf kantonales Recht stützt und gegen
den als eidgenössisches Rechtsmittel einzig die staatsrechtliche Beschwerde
zur Verfügung steht (Art. 84 Abs. 2, Art. 86 Abs. 1 und Art. 87 OG).

Die Beschwerdeführerin ist als abgewiesene Gesuchstellerin in ihren rechtlich
geschützten Interessen betroffen und somit zur staatsrechtlichen Beschwerde
legitimiert (Art. 88 OG).

1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich rein kassatorischer
Natur, d.h. sie kann nur zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führen
(statt vieler: BGE 129 I 173 E. 1.5 S. 176). Eine Ausnahme gilt dann, wenn
die von der Verfassung geforderte Lage nicht schon mit der Aufhebung des
angefochtenen kantonalen Entscheids wieder hergestellt wird, sondern dafür
eine positive Anordnung nötig ist (BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S. 131 f. mit
Hinweisen). Da sich die vorliegende Beschwerde gegen die Verweigerung einer
Polizeibewilligung richtet, kann neben der Aufhebung des angefochtenen
Entscheids auch eine positive Anordnung des Bundesgerichts beantragt werden;
in Frage kommt vorliegend aber nur eine allfällige Anweisung an die kantonale
Behörde, die streitige Bewilligung zu erteilen (BGE 115 Ia 134 E. 2c S. 137
f.; 114 Ia 209 E. 1b S. 212 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 124 I 327 E. 4b/bb
S. 333; ferner: Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde,
2. Aufl., Bern 1994, S. 400). Soweit die Erteilung derselben durch das
Bundesgericht verlangt wird, ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht
einzutreten.

1.3 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die staatsrechtliche Beschwerde die
wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten,
welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze inwiefern durch den
angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht prüft nur
klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen; auf
ungenügend begründete Vorbringen und appellatorische Kritik tritt es nicht
ein (statt vieler BGE 125 I 492 E. 1b S. 495, mit Hinweisen).

2.
2.1 Das Gesetz vom 21. März 1972 über den Ladenschluss des Kantons St. Gallen
(im Folgenden: GLS/SG) regelt den Ladenschluss für Verkaufsgeschäfte des
Detailhandels, worunter auch "Kioske und andere Verkaufsstellen, deren
Verkaufsart dem Ladenverkauf ähnlich ist", fallen (Art. 1). Davon ausgenommen
sind dagegen (u.a.) "Tankstellen, für die Abgabe von Treibstoff und
Autozubehör" (Art. 2 Abs. 1 lit. d). Hinsichtlich der Ausnahmebewilligungen
sieht Art. 15 GLS/SG (Weitere Ausnahmen) vor:
1 Wenn besondere Bedürfnisse es rechtfertigen, kann der Regierungsrat
vorübergehend Abweichungen von den Vorschriften dieses Gesetzes bewilligen.

2 Bestehen für eine Gemeinde ausserordentliche Verhältnisse, so kann der
Regierungsrat auf Antrag des Gemeinderates die erforderlichen Ausnahmen vom
gesetzlichen Ladenschluss bewilligen.

2.2 Die Beschwerdeführerin, welche sich bei der Regierung erfolglos um eine
Ausnahmebewilligung gemäss Art. 15 Abs. 1 sowie Abs. 2 GLS/SG bemüht hatte,
hat sich gegenüber dem Verwaltungsgericht auf den Standpunkt gestellt, sie
habe gestützt auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes Anspruch darauf, die
bisherigen, seit vielen Jahren behördlicherseits widerspruchslos geduldeten
Öffnungszeiten bei gleichbleibendem Sortiment beizubehalten. Im angefochtenen
Urteil ist das Verwaltungsgericht zum Schluss gekommen, die von der
Beschwerdeführerin angerufene bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach die
Befugnis der Behörden, die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes zu
verlangen, im Bereich des Baurechts nach 30 Jahren verwirkt sei, lasse sich
nicht auf die Durchsetzung der gesetzlichen Ladenöffnungszeiten übertragen.
Im Gegensatz zu Grundeigentum könnten Ladenöffnungszeiten nicht ersessen
werden, bzw. es könne daran keine eigentumsähnliche Rechtsposition erworben
werden. Demzufolge könne der Anspruch auf Wiederherstellung der rechtmässigen
Ladenöffnungszeiten nicht verwirken. Das Verwaltungsgericht verneinte im
Weiteren auch einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Beibehaltung der
Öffnungszeiten im bisherigen Umfange gestützt auf die allgemeinen Grundsätze
des Vertrauensschutzes.

3.
3.1 Dass die Verweigerung der anbegehrten Bewilligung dem geltenden Gesetz vom
21. März 1972 über den Ladenschluss (GLS/SG) entspricht, wird von der
Beschwerdeführerin mit Grund nicht in Abrede gestellt. Sie rügt gestützt auf
Art. 9 BV einzig eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben bzw.
des verfassungsrechtlichen Vertrauensgrundsatzes.

3.2 Der in Art. 9 BV verankerte Grundsatz von Treu und Glauben verleiht einer
Person Anspruch auf Schutz des berechtigten Vertrauens in behördliche
Zusicherungen oder sonstiges, bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten
der Behörden. Vorausgesetzt ist weiter, dass die Person, die sich auf
Vertrauensschutz beruft, berechtigterweise auf diese Grundlage vertrauen
durfte und gestützt darauf nachteilige Dispositionen getroffen hat, die sie
nicht mehr rückgängig machen kann; schliesslich scheitert die Berufung auf
Treu und Glauben dann, wenn ihr überwiegende öffentliche Interessen
gegenüberstehen (BGE 129 I 161 E. 4.1 S. 170 mit Hinweisen).

3.3 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist der Vergleich mit der
(30-jährigen bzw. gegebenenfalls auch kürzeren) Verwirkungsfrist für
widerrechtlich erstellte Bauten (vgl. BGE 107 Ia 121 sowie Urteil 1P.768/2000
vom 19. September 2001, publ. in: ZBl 103/2002 S. 188 ff., E. 3-5), wo es um
die Sanktionierung eines in der Vergangenheit liegenden Vorganges geht, nicht
stichhaltig. Die Befugnis zur Nichtbefolgung einer Verhaltensvorschrift kann
nicht ersessen werden. Die Beschwerdeführerin - wie auch ihr Rechtsvorgänger
- wusste oder musste wissen, dass die durchgehende Offenhaltung ihres
Ladengeschäftes nicht der geltenden Gesetzgebung entsprach, und hat aus
diesem Grunde aufforderungsgemäss denn auch um eine entsprechende
Ausnahmebewilligung ersucht. Eine klare Zusage der zuständigen Behörde
(Regierungsrat), den bisherigen Zustand unbeschränkt lange zu dulden, wurde
nie abgegeben. Die Beschwerdeführerin kann daraus, dass die Behörden gegen
die gesetzwidrigen Öffnungszeiten lange nicht eingeschritten sind, kein Recht
auf Beibehaltung dieses Zustandes ableiten, sowenig wie sie vor einer
Änderung der einschlägigen Gesetzgebung geschützt wäre. Sie hat von der
bisherigen Haltung der Behörden, welche die schleichende Erweiterung des
ursprünglichen Kioskes hinnahmen und in der Folge die gesetzwidrigen
Öffnungszeiten im Hinblick auf in Aussicht stehende Rechtsänderungen
tolerierten, einzig profitiert. Es kann auch nicht etwa von einer
willkürlichen Praxisänderung gesprochen werden, wenn die Behörde die
Ablehnung von zwei Gesetzesvorlagen, welche den bisherigen Zustand hätten
legalisieren können, zum Anlass nahm, nunmehr das geltende Recht
durchzusetzen. Dass dabei der Ausgang der aktuellen Gesetzesrevision (dritte
Vorlage) nicht mehr abgewartet wurde, ist schon deshalb nicht zu beanstanden,
weil der im Oktober 2003 vorgelegte Revisionsentwurf für Tankstellenshops
lediglich erweiterte Ladenöffnungszeiten, nicht jedoch die Zulassung von
24-Stunden-Shops vorsieht (Amtsblatt des Kantons St. Gallen 2003 S. 2283) und
die Beschwerdeführerin auch bei einem allfälligen Inkrafttreten der neuen
gesetzlichen Regelung ihre bisherigen Öffnungszeiten nicht ohne weiteres wird
beibehalten können.

Schliesslich vermag auch die Rüge der willkürlichen Feststellung des
Sachverhaltes nicht durchzudringen. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass das
Zuwarten der Behörde, entgegen der Darstellung im angefochtenen Urteil, nicht
von Anfang an bzw. nicht allein durch hängige Revisionsbemühungen motiviert
war, sondern zunächst auch anderweitige Gründe hatte, vermag dies die
Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichts im Ergebnis nicht in Frage zu
stellen.

4.
Nach dem Gesagten ist die staatsrechtliche Beschwerde als unbegründet
abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Bei diesem Ausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153
und 153a OG). Auf die Zusprechung einer Parteientschädigung besteht kein
Anspruch (Art. 159 Abs. 2 OG analog).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Regierung sowie dem
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Mai 2004

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: