Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.280/2004
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2P.280/2004 /leb

Urteil vom 15. November 2004
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Merkli,
Gerichtsschreiber Feller.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Stadt Y.________,
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden,
2. Kammer, Obere Plessurstrasse 1, 7000 Chur.

Art. 9, 29 BV (Sozialhilfe [Wiedererwägung]),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden,

2. Kammer, vom 19. August 2004.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
X. ________ wurde im Jahr 2002 aus Frankreich repatriiert und bezog vom 1.
Februar 2002 bis Ende Oktober 2003 Sozialhilfe von der Stadt Y.________,
wovon ein Betrag von Fr. 700.-- auf Wohnkosten entfiel. Am 4. November 2002
schloss X.________ per 1. Dezember 2002 einen Mietvertrag für eine
Zweieinhalbzimmer-Wohnung in Y.________, welcher monatliche Mietkosten von
Fr. 1'480.-- vorsah. Ab dem 1. April 2003 sodann lagerte er seine Möbel, die
zuvor während fast eines Jahres in einem von der Gemeinde zur Verfügung
gestellten Raum untergebracht gewesen waren, für einen Betrag von monatlich
Fr. 150.-- ein. Mit Verfügung vom 15. September 2003 lehnten die Sozialen
Dienste der Stadt Y.________ es ab, die zusätzlich entstehenden Kosten von
insgesamt Fr. 930.-- pro Monat (Differenz zwischen Fr. 700.-- und 1480.--
sowie Fr. 150.-- Lagerkosten) zu übernehmen. Das Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden bestätigte diese Verfügung mit Urteil vom 30. Januar 2004,
welches in Rechtskraft erwuchs. Es hielt dafür, dass X.________ im Wissen um
die für Einzelpersonen geltende Limite von Fr. 700.-- für die Wohnkosten ohne
Rücksprache mit den Behörden eine für seine Verhältnisse viel zu teure
Wohnung gemietet habe; was den Lagerraum für das Mobiliar betreffe, würde die
Schadenminderungspflicht es gebieten, das nicht unmittelbar
existenznotwendige Mobiliar zu liquidieren.

Aufgrund eines Gutachtens des kantonalen Datenschutzbeauftragten erhielt
X.________ Ende April 2004 ergänzend Einblick in den Auszug aus einer sein
Dossier betreffenden Datenbank (VIS-Datenbank). Darin befindet sich ein
Eintrag vom 6. November 2002 über ein damals zwischen ihm und einer
Mitarbeiterin der Sozialen Dienste geführtes Telefongespräch, worin steht:
"Hat auf 1.12.02 Wohnung gefunden."

X.________ ersuchte am 24. April 2004 gestützt auf den als neues Beweismittel
erachteten Datenbankauszug um Wiedererwägung des Urteils vom 30. Januar 2004.
Das Verwaltungsgericht stellte mit Urteil vom 19. August 2004 fest, dass kein
Wiedererwägungsgrund (Revisionsgrund) vorliege, und trat auf das
Wiedererwägungsgesuch nicht ein.

Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 1. November (Postaufgabe 8. November)
2004 beantragt X.________ dem Bundesgericht, das verwaltungsgerichtliche
Urteil vom 19. August 2004 aufzuheben und das Verwaltungsgericht anzuweisen,
die Wiedererwägung neu zu beurteilen.

Es ist weder ein Schriftenwechsel noch sind andere Instruktionsmassnahmen
angeordnet worden. Das Urteil, mit dessen Ausfällung das Gesuch des
Beschwerdeführers um aufschiebende Wirkung gegenstandslos wird, ergeht im
vereinfachten Verfahren (Art. 36a OG).

2.
2.1 Eine kantonale Behörde muss sich mit einem Wiedererwägungsgesuch (bzw.
Revisionsgesuch) dann förmlich befassen und allenfalls auf eine
rechtskräftige Verfügung zurückkommen, wenn das kantonale Recht dies vorsieht
und die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind; darüber
hinaus sind die unmittelbar aus der Bundesverfassung abgeleiteten Grundsätze
massgebend. Hiefür ist die zu Art. 4 aBV entwickelte Rechtsprechung
massgeblich, die unter Art. 29 Abs. 1 und 2 BV ihre Gültigkeit behält (vgl.
BGE 127 I 133 E. 6 S. 137).

2.2 Das Verwaltungsgericht hat geprüft, ob es nach kantonalem Recht zur
Wiedererwägung seines ursprünglichen Urteils vom 30. Januar 2004 verpflichtet
sei, und hat dies verneint. Der Beschwerdeführer rügt, das Verwaltungsgericht
sei damit in Willkür verfallen; es habe ihm dabei insofern das rechtliche
Gehör verweigert, als es beantragte Abklärungen nicht getroffen habe. Eine
Verletzung von sich unmittelbar aus Art. 29 BV ergebenden Grundsätzen, die
einen über das kantonale Recht hinausgehenden Anspruch auf Wiedererwägung
eines rechtskräftigen Entscheids einräumten, wird nicht geltend gemacht und
dargetan.

2.3 Gemäss Art. 78 Abs. 1 des Gesetzes vom 9. April 1967 über die
Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton Graubünden (Verwaltungsgerichtsgesetz,
VGG) zieht das Verwaltungsgericht ein Urteil unter anderem dann in
Wiedererwägung, wenn eine Partei entscheidende Beweismittel auffindet, deren
Beibringung im Rekurs- oder Klageverfahren unmöglich war (lit. a); wenn einer
Partei wesentliche Tatsachen bekannt geworden sind, von denen sie vor dem
Urteil keine Kenntnis hatte (lit. b); wenn durch eine strafbare Handlung auf
das Urteil eingewirkt worden ist (lit. c); wenn das Verwaltungsgericht
aktenkundige erhebliche Tatsachen aus Versehen gar nicht oder auf irrtümliche
Weise gewürdigt hat oder wenn einzelne Punkte des Rechtsbegehrens unbeurteilt
geblieben sind (lit. e).
Hinsichtlich des Wiedererwägungsgrundes von Art. 78 Abs. 1 lit. e VGG hat das
Verwaltungsgericht festgestellt (E. 5 des angefochtenen Urteils),
diesbezüglich fehlten jegliche Anhaltspunkte und habe der Beschwerdeführer
nichts vorgebracht. Dazu werden in der staatsrechtlichen Beschwerde keine
Rügen vorgebracht.

Zum Wiedererwägungsgrund von Art. 78 Abs. 1 lit. a VGG hat das
Verwaltungsgericht festgestellt, dass zwar der Datenbankauszug ein erst
nachträglich aufgefundenes Beweismittel darstelle, dass dieses jedoch nicht
entscheidend sei (E. 2 des angefochtenen Urteils). Was daran willkürlich sein
soll, ist nicht ersichtlich. Für die im ursprünglichen Verfahren streitige
Frage, ob für die Festsetzung der Sozialhilfe ein Wohnungsmietzins von Fr.
1'480.-- berücksichtigt werden müsse, war in der Tat unerheblich, ob und wann
genau der Beschwerdeführer die zuständige Behörde über den diesbezüglichen
Mietvertrag informiert und diesen vorgelegt habe. Es ist nach allen
sozialhilferechtlichen Grundsätzen völlig ausgeschlossen, dass für
Wohnungskosten in dieser Höhe Unterstützungsleistungen erbracht werden. Daran
ändern die Ausführungen des Beschwerdeführers über die Wohnversorgung und
-situation älterer Menschen im Wiedererwägungsgesuch vom 28. April 2004
nichts. Das Verwaltungsgericht hätte im ursprünglichen Verfahren den Rekurs
auch in Kenntnis sämtlicher Vorgänge im Zusammenhang mit dem Mietvertrag in
keinem Fall gutgeheissen. Unerfindlich ist in diesem Zusammenhang, was der
Beschwerdeführer mit seinem Hinweis auf das Erfordernis einer schriftlich
begründeten Verfügung sagen will (Beschwerdeschrift S. 4 oben); eine solche
Pflicht besteht hinsichtlich der Festlegung der Unterstützungsbeiträge, nicht
aber im Hinblick auf eine "Einsprache" gegen einen Mietvertrag.

Aus den gleichen Gründen erweisen sich die Vorbringen des Beschwerdeführers
im Wiedererwägungsgesuch auch nicht als wesentliche Tatsachen im Sinne von
Art. 78 Abs. 1 lit. b VGG, und das Verwaltungsgericht hat willkürfrei
annehmen können, dass dieser Wiedererwägungsgrund nicht gegeben ist (s. dazu
E. 3 des angefochtenen Urteils).

Das Verwaltungsgericht hat schliesslich willkürfrei das Vorliegen des
Wiedererwägungsgrundes von Art. 78 Abs. 1 lit. c VGG verneint (E. 5 des
angefochtenen Urteils). Die Ausführungen des Beschwerdeführers sind nicht
geeignet, strafwürdiges Verhalten von Behördemitgliedern aufzuzeigen. Daran
fehlt es letztlich schon allein darum, weil die angeblich wissentlich und zum
Nachteil des Beschwerdeführers verschwiegenen Tatsachen und vorenthaltenen
Belege, wie vorstehend ausgeführt, für die sozialhilferechtliche Streitfrage
unerheblich sind. Unter diesen Umständen fällt die Annahme, es sei durch
strafbares Verhalten auf das ursprüngliche Urteil eingewirkt worden,
jedenfalls solange ausser Betracht, als sich nicht in einem Strafverfahren
konkret etwas anderes ergibt. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall, wie
aus der Verfügung der Staatsanwaltschaft Graubünden vom 19. Juli 2004 zu
schliessen ist, welche die Eröffnung einer Strafuntersuchung abgelehnt hat.
Im Übrigen hätte der Beschwerdeführer den Wiedererwägungsgrund von Art. 78
Abs. 1 lit. c VGG wirksam wohl nur mit den Strafakten belegen können. Er legt
denn auch nicht dar, was gegen deren Beizug durch das Verwaltungsgericht
gesprochen haben könnte, nachdem es darin insbesondere nicht um die
Beurteilung von ihm vorgeworfenen Straftaten geht. In verfassungsrechtlicher
Hinsicht nicht zu beanstanden ist ferner, dass das Verwaltungsgericht den
Ausgang des vor der Beschwerdekammer des Kantonsgerichts Graubünden hängigen
Rechtsmittelverfahrens gegen die Staatsanwaltschaft nicht abgewartet hat.
Sollte im Nachhinein ein Strafurteil hiezu Anlass geben, bliebe es dem
Beschwerdeführer unbenommen, dannzumal gestützt auf Art. 78 Abs. 1 lit. c VGG
ein neues Wiedererwägungsgesuch beim Verwaltungsgericht einzureichen.

2.4 Offensichtlich unbegründet ist die Gehörsverweigerungsrüge, nachdem die
vom Beschwerdeführer beantragten und vom Verwaltungsgericht unterlassenen
Abklärungen allein Umstände betreffen, denen keine Relevanz für die
Wiedererwägung des ursprünglichen sozialhilferechtlichen Urteils zukommt.
Auch sonst zeigt der Beschwerdeführer nicht klar auf, welche - im
Wiedererwägungsverfahren entscheidwesentlichen - Begehren und Vorbringen das
Verwaltungsgericht nicht behandelt haben soll.

2.5 Soweit überhaupt formgerecht die Verletzung verfassungsmässiger Rechte
dargetan wird (vgl. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) und auf die staatsrechtliche
Beschwerde eingetreten werden kann, erweist sich diese als offensichtlich
unbegründet und ist abzuweisen.

2.6 Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten
dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 OG). Dem steht sein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege nicht entgegen, welches schon wegen
Aussichtslosigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde abzuweisen ist (vgl. Art.
152 OG). Bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr (Art. 153a OG) ist einerseits
den finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers, andererseits seiner Art
der Prozessführung Rechnung zu tragen (Art. 153a Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Stadt Y.________ und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. November 2004

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: