Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.279/2004
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2P.279/2004 /dxc

Urteil vom 23. Februar 2005
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Müller,
Gerichtsschreiber Fux.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt A.________,

gegen

Stadtrat Kreuzlingen, Fürsorgebehörde, Rathaus, Hauptstrasse 74, 8280
Kreuzlingen,
Kanton Thurgau, handelnd durch die Staatskanzlei, Regierungsgebäude, 8510
Frauenfeld.

Art. 8, 9, 29, 30 Abs. 1 BV
(unentgeltliche Rechtspflege; Sozialhilfe),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid der Staatskanzlei des Kantons
Thurgau vom 4. Oktober 2004.

Das Bundesgericht stellt fest und zieht in Erwägung:

1.
X. ________ stellte am 27. Mai 2003 bei der Stadt Kreuzlingen ein Gesuch um
Alimentenbevorschussung. Am 17. Dezember 2003 reichte ihr Rechtsvertreter
Aufsichtsbeschwerde gegen die Fürsorgebehörde der Stadt Kreuzlingen sowie
gegen den Stadtrat Kreuzlingen ein. Die Beschwerde wurde vom Departement für
Finanzen und Soziales des Kantons Thurgau (im Folgenden: Departement) am 24.
Mai 2004 abgewiesen. Gegen diesen Entscheid erhob X.________ am 14. Juni 2004
Aufsichtsbeschwerde an den Regierungsrat des Kantons Thurgau. Nachdem die in
der Sache zuständige Sozialhilfekommission der Stadt Kreuzlingen über den
Antrag auf superprovisorische Leistung von Sozialhilfe mit Verfügung vom 26.
August 2004 (negativ) entschieden hatte, teilte der Rechtsvertreter von
X.________ dem Regierungsrat mit, ein Teil der Anträge in der Beschwerde vom
14. Juni 2004 seien damit gegenstandslos geworden (Schreiben vom 13.
September 2004). Auf Anfrage hin präzisierte er, dass die Angelegenheit
materiell erledigt und nur noch über den Antrag auf unentgeltliche
Prozessführung und Verbeiständung zu befinden sei. In der Folge schrieb die
Staatskanzlei des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 4. Oktober 2004 die beim
Regierungsrat eingereichte Beschwerde wegen Gegenstandslosigkeit am Protokoll
ab. Gleichzeitig wies sie das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und
Bestellung eines Offizialanwalts ab, weil die Aufsichtsbeschwerde als
aussichtslos beurteilt werden müsse. X.________ hat gegen diesen Entscheid am
5. November 2004 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie beantragt, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei ihr die unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.

2.
2.1 Der Entscheid der Staatskanzlei des Kantons Thurgau ist ein kantonal
letztinstanzlicher Endentscheid und kann nur mit staatsrechtlicher Beschwerde
angefochten werden. Der Beschwerdeführerin wurde das Armenrecht verweigert.
(Einzig) insofern ist sie in persönlichen, rechtlich geschützten Interessen
betroffen und deshalb zur Beschwerdeführung berechtigt. Die Beschwerde wurde
fristgerecht eingereicht. Unter dem Gesichtspunkt der Voraussetzungen von
Art. 84 Abs. 2, 86 Abs. 1, 87, 88 und 89 OG ist die Beschwerde damit
grundsätzlich zulässig.

2.2 Die Beschwerdeschrift muss die wesentlichen Tatsachen und eine kurz
gefasste Darlegung darüber enthalten, "welche verfassungsmässigen Rechte bzw.
welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Erlass oder
Entscheid verletzt worden sind" (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Das Bundesgericht
prüft im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nur klar und detailliert
erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf rein appellatorische Kritik
am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein. Macht der Beschwerdeführer
eine Verletzung des Willkürverbots geltend, so hat er nicht nur die
Rechtsnorm zu bezeichnen, die qualifiziert unrichtig angewandt oder nicht
angewandt worden sein soll, sondern er muss zudem anhand der angefochtenen
Subsumtion im Einzelnen darlegen, inwiefern der kantonale Entscheid
offensichtlich unhaltbar und damit geradezu willkürlich sein soll
(grundlegend: BGE 110 Ia 1 E. 2a S. 3 f.; 107 Ia 186; und statt vieler: BGE
130 I 258 E. 1.3; 125 I 492 E. 1b S. 495, je mit Hinweisen). Diesen
Begründungsanforderungen vermag die vorliegende Beschwerdeschrift nur zum
Teil zu genügen.

3.
In der Beschwerde wird zunächst geltend gemacht, die Staatskanzlei sei für
den Abschreibungsbeschluss gar nicht zuständig gewesen. Weil nicht die
angerufene Behörde, der Regierungsrat, entschieden habe, verstosse der
angefochtene Entscheid gegen Art. 30 Abs. 1 BV und sei daher für nichtig zu
erklären.

Die Beschwerdeführerin behauptet zu Recht nicht, ihre Beschwerde hätte in
einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden müssen. Die Berufung auf Art.
30 Abs. 1 BV geht deshalb zum Vornherein fehl. Selbst wenn aber diese
Bestimmung anwendbar wäre, könnte das Bundesgericht die Handhabung der
kantonalen Zuständigkeitsvorschriften nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür
prüfen (vgl. zu  Art. 58 aBV etwa BGE 110 Ia 106 f. E. 1, mit Hinweisen). Die
Staatskanzlei beruft sich für ihre Zuständigkeit auf das Reglement des
Regierungsrates vom 19. Dezember 1989. In § 9 dieses Reglements hat der
Regierungsrat - in Wahrnehmung seiner ihm durch die Thurgauer Verfassung (§
48) eingeräumten Delegationskompetenz - die Staatskanzlei als
Instruktionsorgan in Beschwerdeverfahren vor dem Regierungsrat bezeichnet
(Abs. 1) und ihr entsprechende Befugnisse übertragen (Abs. 2). Sodann wird
gemäss Abs. 3 des gleichen Paragraphen "das Geschäft am Protokoll
abgeschrieben", wenn sich die Streitsache durch Vergleich, Rückzug,
Anerkennung oder Gegenstandslosigkeit erledigt. Es ist nicht offensichtlich
unhaltbar, wenn die Staatskanzlei "aus dem systematischen Kontext" schliesst,
der Regierungsrat habe ihr nicht nur die formelle Verfahrensleitung (gemäss
Abs. 1 und 2 von § 9), sondern zugleich die Kompetenz zum Erlass der in Abs.
3 erwähnten Abschreibungsverfügungen übertragen, während der materielle
Beschwerdeentscheid dem Regierungsrat verbleibe (zum Willkürbegriff siehe BGE
129 I 8 E. 2.1; 127 I 54 E. 2b, je mit Hinweisen). Es kann zusätzlich auf die
zutreffenden Ausführungen in der Vernehmlassung der Staatskanzlei vom 8.
Dezember 2004 verwiesen werden (vgl. Art. 36a Abs. 3 zweiter Satz OG). Im
Übrigen fehlt in der Beschwerdeschrift eine substantiierte Rüge, mit der eine
Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV (oder einer anderen Verfassungsnorm) durch
willkürliche Anwendung oder Nichtanwendung kantonaler
Zuständigkeitsvorschriften dargetan würde.

4.
4.1 Die Staatskanzlei hat die Erfolgsaussichten der Aufsichtsbeschwerde
summarisch geprüft und gestützt auf das Ergebnis das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege für das betreffende, durch Abschreibung erledigte Verfahren
abgewiesen. Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, mit der
Aufsichtsbeschwerde sei sinngemäss die ungebührlich lange Verfahrensdauer vor
der Fürsorgebehörde Kreuzlingen und vor dem Departement gerügt worden.
Massgebend für die Frage einer Verfahrensverschleppung sei vorliegend der
Zeitraum zwischen der Erhebung der Aufsichtsbeschwerde beim Departement (am
17. Dezember 2003) und der gegen dieses gerichteten Aufsichtsbeschwerde beim
Regierungsrat (am 14. Juni 2004). Die sich daraus ergebende Verfahrensdauer
von rund sechs Monaten liege im Bereich des Üblichen und könne noch nicht als
übermässig lang bezeichnet werden. Aus Gründen der Rechtsgleichheit wäre es
auch nicht gerechtfertigt gewesen, den Fall der Beschwerdeführerin
vorzuziehen. Unter diesen Umständen durfte aber die Aufsichtsbeschwerde ohne
jegliche Willkür als aussichtslos beurteilt und damit der Beschwerdeführerin
das beantragte Armenrecht verweigert werden.

4.2 Die Beschwerdeführerin geht auf diese Begründung nicht ein. Sie macht
aber geltend, die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Entscheid seien
"unvollständig, streckenweise aktenwidrig und daher willkürlich", weshalb
Art. 9 BV (Willkür) und Art. 29 Abs. 2 BV (Anspruch auf rechtliches Gehör)
verletzt seien. Die kantonalen Behörden hätten aktenwidrig angenommen, sie,
die Beschwerdeführerin, habe am 27. Mai 2003 nur ein Gesuch um
Alimentenbevorschussung, nicht auch ein solches um Sozialhilfe gestellt. In
Wirklichkeit habe sie "nachweislich" an jenem Tag Sozialhilfe beantragt und
in den anschliessenden Aufsichtsbeschwerden nicht bloss eine
Rechtsverzögerung, sondern auch eine Rechtsverweigerung gerügt.
Die Behauptungen der Beschwerdeführerin finden in den Akten keine Stütze, im
Gegenteil, sie werden durch diese widerlegt. Ein formelles Sozialhilfegesuch
findet sich in den Akten nirgends, wohl aber die Feststellung, die
Beschwerdeführerin habe es gegenüber der Fürsorgebehörde abgelehnt, sich um
Sozialhilfe zu bemühen; sie habe sogar ausdrücklich erklärt, dass sie auf
einen Antrag auf Sozialhilfe verzichte und nur am Antrag auf
Alimentenbevorschussung festhalte (verwiesen wird auf die ausführliche
Darstellung des Verfahrensablaufs im Entscheid des Departements vom 24. Mai
2004, S. 6 f.). Es besteht kein Anlass, an der Richtigkeit der Feststellungen
der kantonalen Behörden zu zweifeln, zumal die Beschwerdeführerin ihre
gegenteilige Behauptung durch nichts zu belegen vermag. Im Übrigen braucht
ein Gesuch um Alimentenbevorschussung nicht notwendigerweise ein solches um
Sozialhilfe zu umfassen, wie der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin
anzunehmen scheint: Der Anspruch auf Bevorschussung von Alimenten setzt nicht
voraus, dass der betreffende Elternteil (bzw. hier die Pflegemutter)
fürsorgebedürftig ist. Den Akten ist ferner zu entnehmen, dass die
Beschwerdeführerin, nachdem sie im Verlaufe des Verfahrens über ihren
Rechtsvertreter auch Sozialhilfe beantragt hatte, trotz mehrfacher
Aufforderungen die zur Abklärung der Unterstützungsberechtigung nötigen
Unterlagen nicht einreichte (Schreiben der Sozialen Dienste der Stadt
Kreuzlingen vom 1. Juli 2004 an die Beschwerdeführerin).

Es wäre Sache des Rechtsvertreters gewesen, die Anträge der
Beschwerdeführerin gegenüber der Fürsorgebehörde zu bereinigen und seine
Klientin anzuhalten, ihren Mitwirkungspflichten nachzukommen. Das hat er
nicht getan. Unter den gegebenen Umständen konnten aber die diversen
Aufsichtsbeschwerden keinen Erfolg haben. Somit hat die Staatskanzlei, indem
sie - als zuständige Instanz - das Armenrecht für das
Aufsichtsbeschwerdeverfahren vor dem Regierungsrat verweigert hat, weder
willkürlich entschieden noch den Anspruch der Beschwerdeführerin auf
rechtliches Gehör verletzt.

5.
Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten als offensichtlich unbegründet
und ist im vereinfachten Verfahren mit nur summarischer Begründung
abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten wird (Art. 36a OG).

Bei diesem Verfahrensausgang hat grundsätzlich die unterliegende
Beschwerdeführerin die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1
OG). Ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung kann
schon deshalb nicht entsprochen werden, weil die Beschwerde als aussichtslos
erscheint (vgl. Art. 152 OG). Indessen sind laut Gesetz unnötige Kosten vom
Verursacher zu bezahlen (Art. 156 Abs. 6 OG). Im vorliegenden Fall muss die
Prozessführung auf Grund der Verfahrens- und Rechtslage als unnötig
bezeichnet werden. Die Kosten sind deshalb dem Rechtsvertreter aufzuerlegen,
der sie verursacht hat. Es sind keine Parteientschädigungen zuzusprechen
(Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
abgewiesen.

2.2 Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Vertreter der
Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt A.________, auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Stadtrat Kreuzlingen und dem
Regierungsrat des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Februar 2005

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: