Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.271/2004
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2P.271/2004 /zga

Urteil vom 25. Januar 2005
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Moser.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Samuel Keller,

gegen

Einwohnergemeinde Zweisimmen, handelnd durch den Gemeinderat, 3770
Zweisimmen,
Regierungsstatthalter von Obersimmental,
Schloss, 3771 Blankenburg,
Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Speichergasse 12, 3011 Bern.

Art. 8, 9 und 127 BV (Gemeinwerkabgabe),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 22. September 2004.

Sachverhalt:

A.
X. ________, Miteigentümer zu einem Viertel an den
Stockwerkeigentumseinheiten Zweisimmen Gbbl.-Nrn. A________ und B________,
wurde mit Verfügung vom 15. November 2003 der Einwohnergemeinde Zweisimmen
für eine Gemeinwerkabgabe für das Jahr 2003 in der Höhe von Fr. 200.--
veranlagt.

Dagegen führte X.________ erfolglos Beschwerde beim Regierungsstatthalter von
Obersimmental (Entscheid vom 7. Januar 2004).

B.
In teilweiser Gutheissung einer dagegen eingereichten Beschwerde hob das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 22. September 2004 den
Entscheid des Regierungsstatthalters von Obersimmental auf und setzte die von
X.________ geschuldete Gemeinwerkabgabe für das Jahr 2003 auf Fr. 50.-- fest.
Das Gericht erachtete die Erhebung dieser Art von Abgabe zwar als
grundsätzlich zulässig, hielt es jedoch für nicht angängig, einem einzelnen
Miteigentümer den gesamten von der Miteigentümergemeinschaft geschuldete
Abgabebetrag in Rechnung zu stellen; X.________ schulde die Abgabe vielmehr
nur im Verhältnis seines Miteigentumsanteils, mithin zu einem Viertel.

C.
Mit Eingabe vom 25. Oktober 2004 erhebt X.________ beim Bundesgericht
staatsrechtliche Beschwerde, mit der er die Aufhebung des Urteils des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 22. September 2004 beantragt.

Die Einwohnergemeinde Zweisimmen, der Regierungsstatthalter von Obersimmental
sowie das Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsrechtliche
Abteilung) schliessen auf Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts stellt einen
letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid dar, der sich auf kantonales Recht
stützt und gegen den als eidgenössisches Rechtsmittel einzig die
staatsrechtliche Beschwerde zur Verfügung steht (Art. 84 Abs. 2 sowie Art. 86
Abs. 1 OG).

1.2 Die von der Gemeinde eingeforderte Gemeinwerkabgabe wurde im
angefochtenen Urteil zwar betragsmässig reduziert. Mit seinen Vorbringen zur
Zulässigkeit der Abgabe an sich ist der Beschwerdeführer dagegen vor
Verwaltungsgericht nicht durchgedrungen. Als im Grundsatz nach wie vor
Abgabepflichtiger ist der Beschwerdeführer daher durch den angefochtenen
Entscheid in seinen rechtlich geschützten eigenen Interessen betroffen und
zur Ergreifung der staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (Art. 88 OG).

2.
Die kommunalgesetzliche Grundlage für die Erhebung der streitigen
Gemeinwerkabgabe bildet das Gemeinwerkreglement der Einwohnergemeinde
Zweisimmen vom 31. Mai 2002. Danach besorgt die Gemeinde im Gemeinwerk "den
Unterhalt und die Verbesserung der im Wegverzeichnis bezeichneten Strassen,
Wege, Brücken und Plätze", wobei das Gemeinwerk in der Leistung von
Schneeräumungs-, Reinigungs- und Instandstellungs- sowie von werterhaltenden
Unterhaltsarbeiten besteht (Art. 1 Abs. 1 und 3). Gemeinwerkpflichtig sind
die in der Gemeinde "als Grundeigentümer, Stockwerkeigentümer oder
Baurechtsnehmer" eingetragenen natürlichen und juristischen Personen (Art. 2
Abs. 1); ausgenommen sind Minderjährige und Bezüger einer vollen
Invalidenrente (Art. 3). Art. 4 Abs. 1 erklärt die "Leistung der
Gemeinwerkpflicht" für obligatorisch. Die jährliche Arbeitsleistungspflicht
beträgt 10-20 Stunden (Art. 5). Als Entschuldigungsgründe kommen u.a.
Krankheit und Schwangerschaft in Frage, wobei eine Ersatzabgabe zu entrichten
ist, soweit die Arbeitsleistung nicht nachgeholt wird (Art. 4 Abs. 3 und 4).
Fernbleiben trotz Anmeldung zur Gemeinwerkleistung wird zusätzlich mit einer
Busse in der Höhe des anderthalb- bis dreifachen Ersatzabgabebetrages
geahndet (Art. 4 Abs. 5). Art. 9 Abs. 1 sieht darüber hinaus die Möglichkeit
einer dauerhaften Befreiung von der Arbeitsleistung im Gemeinwerk auf Gesuch
hin vor, so u.a. für Personen mit Wohnsitz oder Arbeitsort ausserhalb der
Gemeinde, für die die Leistung des Gemeinwerks besondere Umstände verursachen
würde. Auch dieser Personenkreis hat die Ersatzabgabe zu entrichten, wobei
der Abgeltungssatz mindestens Fr. 20.-- und höchstens Fr. 30.-- pro Stunde
beträgt (Art. 10).

3.
3.1 Der Beschwerdeführer erblickt in der Ausgestaltung der Gemeinwerkabgabe
und der Gemeinwerkpflicht nach dem Gemeinwerkreglement der Gemeinde
Zweisimmen u.a. eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebotes gemäss Art. 8
BV, da nur die Grundeigentümer und diese zudem losgelöst von sachlichen
Kriterien des Grundeigentums der Abgabepflicht unterstellt seien. Das
öffentliche Strassennetz werde von den Grundeigentümern nicht stärker in
Anspruch genommen als von der übrigen Bevölkerung; jedermann benütze die
öffentlichen Verkehrswege, unabhängig davon, ob er Eigentümer eines
Grundstückes sei. Die Grundeigentümer als Personenkreis zögen aus den
erwähnten Arbeiten keinen grösseren Nutzen als die übrige Bevölkerung. Es
beständen keine sachlich haltbaren Gründe dafür, die betreffenden staatlichen
Aufwendungen nur den Grundeigentümern und nicht sämtlichen Bewohnern und
Benutzern anzulasten. Im Weiteren wird auch beanstandet, dass innerhalb der
Gruppe der Grundeigentümer keinerlei Differenzierungen (nach Anzahl, Grösse
oder Wert der Liegenschaften) gemacht würden. Die gestützt auf diese
rechtsungleiche kommunale Regelung erlassene Abgabeverfügung sei daher
aufzuheben.

Die genannten beiden Einwendungen wurden in rudimentärer Form bereits im
Verfahren vor Verwaltungsgericht erhoben, weshalb ihnen der Grundsatz, wonach
mit staatsrechtlicher Beschwerde im Allgemeinen keine rechtlichen Argumente
vorgebracht werden können, welche nicht schon im kantonalen Verfahren geltend
gemacht wurden (sog. Novenverbot; vgl. BGE 119 Ia 88 E. 1 S. 90 f.; 107 Ia
265, je mit Hinweisen; Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen
Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 369 ff.), nicht entgegengehalten werden
kann. Dass vorliegend der Akzent des kantonalen Rechtsmittelverfahrens auf
anderen Fragen lag und sich das Verwaltungsgericht nicht vertieft mit diesen
Aspekten der Rechtsgleichheit befasst hat, ändert nichts.

3.2 Die Ausgestaltung des Gemeinwerks gemäss dem Gemeinwerkreglement der
Einwohnergemeinde Zweisimmen, auf welches sich die streitige Abgabeerhebung
stützt, ist dadurch gekennzeichnet, dass die primäre Naturalleistungspflicht
(Arbeitsleistung), welche unter gewissen Voraussetzungen von den Pflichtigen
durch eine Ersatzpflicht abgegolten werden kann, ausschliesslich die
Eigentümer (und Baurechtsnehmer) der in der Gemeinde gelegenen Grundstücke
trifft. Wie das Bundesgericht unlängst in einem die inhaltlich im
Wesentlichen gleich lautende Regelung der Einwohnergemeinde Grindelwald
betreffenden Entscheid festgehalten hat, sind keine sachlichen Gründe
ersichtlich, welche es rechtfertigen würden, die für den Unterhalt des
Strassen- und Wegnetzes statuierte Arbeitspflicht ausschliesslich den
Grundeigentümern der Gemeinde aufzuerlegen. Das öffentliche Strassennetz wird
von den Grundeigentümern nicht stärker in Anspruch genommen als von der
übrigen Bevölkerung. Vielmehr werden die öffentlichen Verkehrswege von
jedermann benützt, unabhängig davon, ob er Eigentümer eines Grundstückes ist
oder in gemieteten Räumen wohnt und arbeitet. Es kann weder gesagt werden,
dass die Grundeigentümer als Personenkreis aus der Strassenreinigung einen
grösseren Nutzen ziehen als die übrige Bevölkerung, noch erscheinen sie als
primäre Verursacher des Unterhalts- und Reinigungsbedarfes. Es verstösst
demzufolge gegen das Rechtsgleichheitsgebot, ausschliesslich die
Grundeigentümer einer Gemeinde für die Instandhaltung und Reinigung des
kommunalen Strassennetzes arbeits- oder ersatzabgabepflichtig zu erklären
(zur Publikation bestimmtes Urteil 2P.135/2004 vom 23. November 2004, E.
4.3/4.4).

An diesem Ergebnis vermag auch der in der Vernehmlassung des
Verwaltungsgerichts erhobene Einwand nichts zu ändern, wonach es den
Eigentümern freistünde, die Abgabe via Mietzins auf die Mieter zu überwälzen.
Die Möglichkeit einer privatautonomen Abgabenüberwälzung entbindet den
Gesetzgeber nicht davon, den Kreis der Abgabepflichtigen selber in einer das
Rechtsgleichheitsgebot respektierenden Weise festzulegen. Entgegen der
Auffassung des Verwaltungsgerichts lässt sich die Gemeinwerkabgabe auch nicht
mit den Grundeigentümerbeiträgen für den Strassenbau vergleichen, erfolgt
doch dort die Beitragserhebung nach Massgabe eines dem einzelnen Eigentümer
durch den Strassenbau konkret zufliessenden, individualisierbaren
Sondernutzens, während vorliegend die Last des Unterhalts am gesamten (im
Wegverzeichnis bezeichneten) kommunalen Strassennetz pauschal (ohne
ausgewiesenen eigentlichen Sondervorteil) den Grundeigentümern überbunden
wird.

Im Weiteren verstösst eine Regelung, wie sie vorliegend das
Gemeinwerkreglement der Einwohnergemeinde Zweisimmen statuiert, auch insofern
gegen das Gebot rechtsgleicher Behandlung (Pflicht zur gebotenen
Differenzierung), als sie innerhalb des erfassten Kreises der Grundeigentümer
für das Mass der Belastung keinerlei Differenzierungen vorsieht. Die absolute
Gleichbehandlung aller Eigentümer wäre selbst dann nicht angängig, wenn die
Gemeinwerkabgabe nach den - gegenüber den Kausalabgaben weniger strengen -
Grundsätzen für Kostenanlastungssteuern beurteilt würde, wonach die
Abgabepflicht an die abstrakte Interessenlage des belasteten Personenkreises
anknüpft und keinen konkreten besonderen Nutzen oder Verursacheranteil des
Einzelnen voraussetzt (zit. Urteil 2P.135/2004, E. 4.5). Es mag zwar
zutreffen, dass sich das Gemeinwerk als historisches Rechtsinstitut nicht
ohne weiteres im (erst später entwickelten) System des öffentlichen
Abgabenrechts einordnen lässt, wie das Verwaltungsgericht in seiner
Vernehmlassung geltend macht. Dieser Umstand entbindet jedoch nicht davon,
dass die Abgabeerhebung in heutiger Zeit den steuer- und abgaberechtlichen
Verfassungsprinzipien zu genügen hat, was vorliegend - wie dargelegt - nicht
der Fall ist.

3.3 Nach dem Gesagten erscheint die Regelung der Gemeinde Zweisimmen
betreffend das Gemeinwerk als Ganzes als verfassungswidrig (Verstoss gegen
das Rechtsgleichheitsgebot von Art. 8 BV), womit der hier angefochtenen
Ersatzabgabe die Grundlage entzogen ist. Die staatsrechtliche Beschwerde ist
infolgedessen gutzuheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22.
September 2004 aufzuheben. Auf die weiteren Einwendungen des
Beschwerdeführers (Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots, willkürliche
Auslegung und Anwendung von kantonalem Recht) braucht somit nicht eingegangen
zu werden.

4.
Bei diesem Ausgang sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Einwohnergemeinde Zweisimmen aufzuerlegen, deren Vermögensinteressen
vorliegend betroffen sind (Art. 156 Abs. 1 und 2, Art. 153 und 153a OG). Der
Beschwerdeführer hat für das Verfahren vor Bundesgericht Anspruch auf
Parteientschädigung durch die Einwohnergemeinde Zweisimmen (Art. 159 Abs. 2
OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 22. September 2004 wird aufgehoben.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Einwohnergemeinde Zweisimmen
auferlegt.

3.
Die Einwohnergemeinde Zweisimmen hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Einwohnergemeinde Zweisimmen,
dem Regierungsstatthalter von Obersimmental und dem Verwaltungsgericht des
Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Januar 2005

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: