Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.212/2004
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2P.212/2004 /sza

Urteil vom 23. November 2004
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Bundesrichterin Yersin,
Gerichtsschreiber Wyssmann.

X. ________ GmbH,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Herrn Urs Härter,

gegen

Steuerverwaltung des Kantons Thurgau, Abteilung juristische Personen,
Schlossmühlestrasse 15, 8510 Frauenfeld Kantonale Verwaltung,
Kantonales Steueramt Zürich, Dienstabteilung Recht, Sumatrastrasse 10, 8090
Zürich.

Doppelbesteuerung
(Staats- und Gemeindesteuern 2001),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Einspracheentscheid der
Steuerverwaltung des Kantons Thurgau vom 10. August 2004 und die
Einschätzungsmitteilung der Gemeinde Dielsdorf vom 27. Februar 2004.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ GmbH verlegte ihren Sitz am 28. August 2001 von der Gemeinde
Kreuzlingen (TG) nach Dielsdorf (ZH). Sie schliesst ihre Geschäftsjahre
jeweils per 31. Dezember ab. Gemäss der von ihr am 18. Februar 2003 im Kanton
Zürich eingereichten Steuererklärung für das Jahr 2001 belief sich der
Reingewinn auf Fr.________. Das Eigenkapital wurde mit Fr.________
deklariert.

Am 27. Februar 2004 (oder 29. April 2004) wurde ihr durch die Gemeinde
Dielsdorf die zürcherische Einschätzung für die Steuerperiode 2001 eröffnet
und die Schlussrechnung zugestellt. Das steuerbare Kapital wurde auf
Fr.________ und der steuerbare Reingewinn auf Fr.________ festgesetzt. Die
Steuer belief sich auf Fr.________. Eine Steuerausscheidung für die Kantone
Thurgau und Zürich wurde nicht vorgenommen.

Am 23. März 2004 erliess die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau die
Veranlagung für die Staats- und Gemeindesteuern 2001. Als
Veranlagungsgrundlage dienten die zürcherischen Gesamtfaktoren, wobei der
Kanton Thurgau diese pro rata temporis (für 265 Tage) in Anspruch nahm. Am
14. Mai 2004 erliess das Steueramt Kreuzlingen die Schlussrechnung mit einem
Steuerbetrag von Fr.________.

Am 27. Mai 2004 reichte die Steuerpflichtige Einsprache gegen die
Steuerrechnung des Steueramtes Kreuzlingen ein, und am 3. Juni 2004 erhob sie
Einsprache gegen die Schlussrechnung der Gemeinde Dielsdorf. Sie verlangte,
dass eine Steuerausscheidung vorgenommen werde.

Mit "Einschätzungsvorschlag" vom 15. Juni 2004 teilte das Kantonale Steueramt
Zürich der Steuerpflichtigen mit, die Einsprache sei sowohl gegenüber der
Schlussrechnung der Gemeinde Dielsdorf vom 27. Februar 2004 wie auch der
Veranlagung des Kantons Thurgau vom 23. März 2004 verspätet. Somit könne eine
Verletzung des Verbots der Doppelbesteuerung nicht mehr geltend gemacht
werden. Gestützt auf diese Auskunft zog die Steuerpflichtige die Einsprache
zurück.

Mit Schreiben vom 10. August 2004 teilte die Steuerverwaltung des Kantons
Thurgau mit Bezug auf die Einsprache der Steuerpflichtigen mit, dass "die
Fristen auf der ganzen Linie verpasst wurden, so dass nun tatsächlich eine
Doppelbesteuerung eintritt".

B.
Mit Eingabe vom 31. August 2004 führt die X.________ GmbH staatsrechtliche
Beschwerde wegen interkantonaler Doppelbesteuerung. Sie beantragt, der Kanton
Zürich sei anzuweisen, in seiner Steuerberechnung die Steuer lediglich für
die Zeit vom 29. August bis 31. Dezember 2001 (125 Tage) zu erheben.
Eventualiter sei die Steuerrechnung des Kantons Thurgau aufzuheben und der
Kanton Zürich anzuweisen, mit dem Kanton Thurgau direkt auf der Basis von
65,75% (Thurgau) und 34.25 % (Zürich) abzurechnen.

Die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau verzichtete auf eine Stellungnahme.
Das Steueramt des Kantons Zürich macht geltend, dass die Beschwerde wegen
Doppelbesteuerung verspätet sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Verbots der
interkantonalen Doppelbesteuerung (Art. 127 Abs. 3 BV) ist spätestens im
Anschluss an die Geltendmachung des zweiten der einander ausschliessenden
Steueransprüche zu erheben, wobei der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft
zu werden braucht, aber gegenüber dem angefochtenen Entscheid die
dreissigtägige Beschwerdefrist einzuhalten ist. Der Steuerpflichtige ist
berechtigt, zunächst die kantonalen Rechtsmittel zu ergreifen (vgl. Art. 86
Abs. 2 OG), hat aber in diesem Fall die Doppelbesteuerungsbeschwerde gegen
den Entscheid derjenigen kantonalen Instanz zu richten, die sich zuletzt mit
der Sache befasst hat (Art. 89 Abs. 3 OG; BGE 123 I 289 E. 1a).

2.
2.1 Die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde wegen Doppelbesteuerung
richtet sich gegen die Kantone Zürich und Thurgau. Sie wurde im Anschluss an
das Schreiben der Steuerverwaltung des Kantons Thurgau vom 10. August 2004
rechtzeitig erhoben. Dieses Schreiben ist zwar nicht ausdrücklich als
Entscheid (Verfügung) bezeichnet, und es enthält auch keine
Rechtsmittelbelehrung. Der Sache nach handelt es sich indessen um den
Einspracheentscheid. Der Beschwerdeführerin wurde darin mitgeteilt, dass die
Veranlagung für die Staats- und Gemeindesteuerveranlagung 2001 bereits am 23.
März 2004 ergangen sei und die im Anschluss an die Schlussrechnung des
Gemeindesteueramtes vom 14. Mai 2004 eingereichte Einsprache verspätet sei.
Aus dem Schreiben der Steuerverwaltung geht auch unmissverständlich der Wille
der Behörde hervor, auf die Einsprache vom 27. Mai 2004 nicht eintreten zu
wollen. Alle notwendigen Elemente einer Verfügung sind vorhanden, auch wenn
der Einspracheentscheid nicht formrichtig eröffnet worden ist.

Die Frist von 30 Tagen für die staatsrechtliche Beschwerde wegen
Doppelbesteuerung ist somit gegenüber dem Einspracheentscheid des Kantons
Thurgau vom 10. August 2004 eingehalten worden. Es stellt sich einzig die
Frage, ob die Doppelbesteuerungsbeschwerde gegen den Einspracheentscheid
deshalb unzulässig ist, weil die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau über
die Einsprache nicht materiell entschied, sondern einen
Nichteintretensentscheid fällte.

2.2 Die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau nahm die Steuerveranlagung für
das Jahr 2001 bereits am 23. März 2004 vor, womit die Einsprache der
Beschwerdeführerin vom 27. Mai 2004 in der Tat verspätet und darauf nicht
einzutreten gewesen wäre. Die Beschwerdeführerin bestreitet jedoch, von der
Steuerveranlagung Kenntnis erhalten zu haben. Davon ist auszugehen. Es finden
sich in den Akten keine Hinweise, dass der Beschwerdeführerin die Veranlagung
zugekommen wäre. Veranlagungen werden in der Regel, d.h. wenn nicht besondere
Umstände eine andere Zustellung nahe legen, nicht mit eingeschriebener Post
eröffnet. Auch im Falle der Beschwerdeführerin erfolgte die Zustellung nicht
mit eingeschriebener Post. Es ist zudem glaubhaft, dass die
Beschwerdeführerin von der Veranlagungsverfügung vom 23. März 2004 keine
Kenntnis hatte, weil sie in der Einsprache ausführen liess, sie sei
"lediglich für die Zeit vom 1.1.2001 bis 28.8.2001" in der Gemeinde
steuerpflichtig. Hätte die Beschwerdeführerin von der Veranlagungsverfügung
Kenntnis gehabt, wäre ihr aufgefallen, dass der Kanton Thurgau die
Sitzverlegung vom 28. August 2001 berücksichtigt hatte.

Die Beschwerdeführerin war somit gezwungen, Einsprache zu führen. Das
Bundesgericht hat in älteren Entscheiden festgehalten, dass die
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots
auch an den Nichteintretensentscheid einer kantonalen Behörde angeschlossen
werden könne, wenn ein anderer Weg, auf dem über den streitigen Punkt ein
materieller Entscheid hätte erwirkt werden können, nicht gangbar sei (BGE 72
I 75 E.1 S. 80, 48 I 349 E. 1 S. 360; vgl. Locher/Locher, Doppelbesteuerung,
§ 12, III A, 2 Nr. 3). Genau dieser Fall liegt hier vor. In einem Entscheid
vom 15. Oktober 1982 hat das Bundesgericht diese Rechtsprechung bestätigt
(ASA 53 292 E. 1a, vgl. auch Locher/Locher, a.a.O., § 12, III A, 2 Nr. 28).
Die staatsrechtliche Beschwerde im Anschluss an den Einspracheentscheid des
Kantons Thurgau ist daher rechtzeitig eingereicht worden und zulässig.

2.3 In die rechtzeitig an den Einspracheentscheid des Kantons Thurgau
erhobene staatsrechtliche Beschwerde konnte die Beschwerdeführerin auch die
im Kanton Zürich ergangene frühere Veranlagung (Einschätzungsmitteilung der
Gemeinde Dielsdorf) vom 27. Februar 2004 mit einbeziehen, obschon die Frist
für die selbständige Anfechtung dieser Veranlagung mit staatsrechtlicher
Beschwerde abgelaufen war (Art. 89 Abs. 3 OG). Die Beschwerdeführerin hat
zwar gegen die zürcherische Veranlagung vom 27. Februar 2004 mit Schreiben
vom 3. Juni 2004 ebenfalls Einsprache erhoben, diese jedoch zurückgezogen,
nachdem ihr vom kantonalen Steueramt mitgeteilt worden war, dass die
Einsprache verspätet sei. Die Einschätzungsmitteilung vom 27. Februar 2004
wurde somit durch keinen Einspracheentscheid ersetzt, weshalb sich die
staatsrechtliche Beschwerde wegen Doppelbesteuerung gegen diese Verfügung
richten muss.

3.
3.1 Eine aktuelle (effektive) Doppelbesteuerung liegt vor, wenn eine
steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren Kantonen für das gleiche
Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu gleichartigen Steuern herangezogen
wird (BGE 125 I 54 E. 1b, 458 E. 2a S. 466). Es ist offensichtlich, dass für
den Zeitraum vom 1. Januar 2001 bis 28. August 2001 die Beschwerdeführerin in
beiden Kantonen Steuern bezahlen muss, obschon sie am 28. August 2001 ihren
Sitz von Kreuzlingen (TG) nach Dielsdorf (ZH) verlegte. Es handelt sich um
eine aktuelle Doppelbesteuerung, welche für die Wiederherstellung des
verfassungsmässigen Zustandes beseitigt werden muss. Anwendbar sind die
Regeln, welche die Rechtsprechung in Anwendung des verfassungsmässigen
Doppelbesteuerungsverbots entwickelt hat, soweit nicht nunmehr das
Steuerharmonisierungsgesetz (StHG; SR 642.14) Vorschriften enthält.

3.2 Der mit Wirkung ab 1. Januar 2001 neu gefasste Art. 22 Abs. 1 StHG regelt
in Verbindung mit Art. 39 Abs. 2 StHG sowohl die Steuerbefugnis wie auch die
Koordination der Veranlagung, wenn eine juristische Person während der
Steuerperiode ihren Sitz oder die tatsächliche Verwaltung von einem Kanton in
einen anderen verlegt. Danach ist die juristische Person in beiden Kantonen
für die gesamte Steuerperiode steuerpflichtig, wobei die Veranlagungsbehörde
desjenigen Kantons, wo sich der Sitz oder die tatsächliche Verwaltung am Ende
der Steuerperiode befindet, die Veranlagung vornimmt und der Steuerbehörde
des anderen Kantons von der Steuererklärung und der Veranlagung Kenntnis
gibt. Als Steuerperiode gilt das Geschäftsjahr (Art. 31 Abs. 2 StHG). Gewinn
und Kapital sind sodann in sinngemässer Anwendung der Grundsätze des
Bundesrechts über das Verbot der Doppelbesteuerung zwischen den Kantonen
auszuscheiden (Art. 22 Abs. 3 StHG).

Das bedeutet, dass die juristische Person, die im Laufe der Steuerperiode
ihren Sitz oder ihre tatsächliche Verwaltung in einen anderen Kanton verlegt,
ihre Deklarationspflicht mit der Einreichung einer einzigen Steuererklärung
für die gesamte (ungeteilte) Steuerperiode im Zuzugskanton erfüllt (Grundsatz
der Einheit der Bemessungs- und der Steuerperiode). Doch erfolgt zwischen den
Kantonen auf der Grundlage der Gesamtfaktoren und der in Anwendung des
verfassungsmässigen Doppelbesteuerungsverbots geltenden Ausscheidungsregeln
eine Steuerausscheidung. Diese ist im Allgemeinen, d.h. wenn nicht
beispielsweise ausserordentliche Gewinne eine andere Zuteilung nahe legen,
pro rata temporis vorzunehmen (zum Ganzen, vgl. Athanas/Widmer, in: Kommentar
zum Schweizerischen Steuerrecht I/1, 2. Aufl. 2002, Art. 22 N 1 ff., 19 ff.,
28 ff.; Richner/Frei/ Kaufmann, Kommentar zum harmonisierten Zürcher
Steuergesetz, Ergänzungsband, Zürich 2001, § 10 N 8 ff., § 59 N 18 ff.).
3.3 Im Falle der Beschwerdeführerin dauert das Geschäftsjahr vom 1. Januar
bis 31. Dezember. Sie hatte ihren Sitz am Ende der Steuerperiode 2001, die
mit dem Geschäftsjahr zusammenfällt (Art. 31 Abs. 2 StHG), im Kanton Zürich.
Veranlagungsbehörde im Sinne von Art. 22 Abs.1 StHG ist somit das Kantonale
Steueramt Zürich. Dieses nahm aufgrund der von der Beschwerdeführerin
ordnungsgemäss im Kanton Zürich eingereichten Steuererklärung die Veranlagung
für die gesamte Periode vor. Der Kanton Zürich unterliess es indes, in der
Folge auch eine Steuerausscheidung vorzunehmen. Er erhob vielmehr die Steuer
auf den Gesamtfaktoren für die gesamte Periode und überschritt damit seine
Besteuerungsbefugnis. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher gegenüber dem
Kanton Zürich gutzuheissen und dessen Veranlagung gemäss
Einschätzungsmitteilung der Gemeinde Dielsdorf vom 27. Februar 2004
aufzuheben.

3.4 Der Kanton Thurgau hat die Beschwerdeführerin entsprechend ihrer
Anwesenheit bis zum Wegzug pro rata temporis besteuert. Von den beteiligten
Kantonen wird nicht geltend gemacht, die Steuerausscheidung könne aufgrund
ausserordentlicher Faktoren nicht pro rata temporis vorgenommen werden. Die
thurgauische Veranlagung hat keine unzulässige Doppelbesteuerung zur Folge.

4.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit gegenüber dem Kanton Zürich
gutzuheissen und die Einschätzung für die Staats- und Gemeindesteuern 2001
gemäss Einschätzungsmitteilung der Gemeinde Dielsdorf vom 27. Februar 2004
aufzuheben. Es wird Sache der zürcherischen Steuerbehörden sein, die
Veranlagung entsprechend den hiervor aufgestellten Grundsätzen neu
vorzunehmen. Gegenüber dem Kanton Thurgau ist die Beschwerde abzuweisen.
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens sind dem Kanton Zürich
aufzuerlegen, der unterliegt (Art. 156 Abs. 1 OG). Dieser hat die
Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art.
159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gegenüber dem Kanton Zürich gutgeheissen
und dessen Veranlagung gemäss Einschätzungsmitteilung der Gemeinde Dielsdorf
vom 27. Februar 2004 aufgehoben.

2.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gegenüber dem Kanton Thurgau abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Kanton Zürich auferlegt.

4.
Der Kanton Zürich hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Steuerverwaltung des Kantons
Thurgau und dem Kantonalen Steueramt Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. November 2004

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: