Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2P.156/2004
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2P.156/2004 /bie

Urteil vom 22. Juni 2004
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Müller, Bundesrichter Merkli,
Gerichtsschreiber Feller.

1. R.X.________,
2.S.X.________,
Beschwerdeführer,
beide vertreten durch Advokat Niggi Dressler,

gegen

Migrationsamt des Kantons Aargau,
Bahnhofstrasse 86/88, Postfach, 5001 Aarau,
Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 70,
Postfach, 5001 Aarau.

Art. 9 und 29 BV (Aufenthaltsbewilligung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Urteile des Rekursgerichts im
Ausländerrecht des Kantons Aargau vom 7. Mai 2004 und vom 26. September 2003.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der 1957 geborene, aus dem Kosovo stammende R.X.________ arbeitete 1987
bis 1990 als Saisonnier in der Schweiz und erhielt im November 1990 die
Aufenthaltsbewilligung. 1992 kamen seine Ehefrau S.X.________ und die vier
gemeinsamen Kinder (geboren 1980, 1982, 1983 und 1985), welche mittlerweile
alle volljährig sind, im Familiennachzug in die Schweiz. Seit Juli 1994 ist
R.X.________ aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erwerbstätig.

Am 30. August 2000 lehnte es die Fremdenpolizei (heute: Migrationsamt) des
Kantons Aargau ab, die Aufenthaltsbewilligungen des Ehepaars X.________ sowie
der in diesem Zeitpunkt noch minderjährigen Kinder zu erneuern, und es wies
sie aus dem Kanton Aargau weg. Die dagegen erhobene Einsprache wurde am 28.
Februar 2001 in Bezug auf die Kinder gutgeheissen und in Bezug auf R. und
S.X.________ abgewiesen. Das beim Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons
Aargau anhängig gemachte Beschwerdeverfahren wurde im Hinblick auf das
R.X.________ betreffende IV-Verfahren sistiert. Am 10. Juni 2003 entschied
das Versicherungsgericht des Kantons Aargau, R.X.________ werde rückwirkend
per 1. Juli 1999 eine halbe IV-Rente und dreien seiner Kinder eine halbe
Kinderrente zugesprochen (insgesamt Fr. 907.--). Am 15. August 2003 trat die
Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau auf ein Gesuch um Ausrichtung
einer Ergänzungsleistung zur IV-Rente wegen Verletzung der
Mitwirkungspflichten nicht ein. Am 26. September 2003 wies das Rekursgericht
im Ausländerrecht des Kantons Aargau die Beschwerde gegen die Verfügung der
Fremdenpolizei ab. Massgeblich für das Rekursgericht war, dass die Familie
X.________ fortgesetzt fürsorgeabhängig war (Leistungen von bisher Fr.
300'000.--), ohne dass Aussicht auf eine Änderung der Lage bestehe.

1.2 Nachdem die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau am 28. Oktober
2003 R.X.________ rückwirkend ab November 2000 und für die Zukunft
Ergänzungsleistungen zugesprochen hatte, reichten R. und S.X.________ am 19.
Dezember 2003 beim Rekursgericht im Ausländerrecht ein Gesuch um
Wiederaufnahme des Verfahrens ein mit den Anträgen, dessen Entscheid vom 26.
September 2003 sei revisionsmässig aufzuheben und es sei ihnen eine
ordentliche Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Dem Gesuch waren die
Verfügung der Sozialversicherungsanstalt vom 28. Oktober 2003 sowie eine vom
1. Dezember 2003 datierte Zusicherung der Kinder der Beschwerdeführer
beigelegt, worin sich diese zu Unterstützungsbeiträgen für den Schuldenabbau
verpflichten. Mit Urteil vom 7. Mai 2004 trat das Rekursgericht auf das
Wiederaufnahmegesuch nicht ein.

1.3 Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 11. Juni 2004 beantragen R. und
S.X.________ dem Bundesgericht, die Urteile des Rekursgerichts vom 7. Mai
2004 und 26. September 2003 aufzuheben, eventualiter das Urteil vom 7. Mai
2004 aufzuheben und das Rekursgericht anzuweisen, auf das
Wiederaufnahmeverfahren einzutreten.

1.4 Es ist weder ein Schriftenwechsel noch sind andere Instruktionsmassnahmen
(wie Einholen zusätzlicher Akten) angeordnet worden. Das Urteil, mit dessen
Ausfällung das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos wird, ergeht im
vereinfachten Verfahren gemäss Art. 36a OG.

2.
2.1 Die staatsrechtliche Beschwerde muss gemäss Art. 89 Abs. 1 OG binnen 30
Tagen seit der Mitteilung des anzufechtenden Entscheids dem Bundesgericht
eingereicht werden. Rechtzeitig angefochten ist nur das Urteil vom 7. Mai
2004, nicht dasjenige vom 26. September 2003. Der Umstand, dass ein Entscheid
über ein Begehren um Wiederaufnahme des Verfahrens ergangen ist, lässt für
sich die Frist zur (Mit-)Anfechtung des Urteils vom 26. September 2003 mit
staatsrechtlicher Beschwerde nicht wieder aufleben. Die Gutheissung der
staatsrechtlichen Beschwerde (gegen das Urteil vom 7. Mai 2004) hätte im für
die Beschwerdeführer günstigsten Fall höchstens zur Folge, dass das
Rekursgericht nochmals über das Begehren um Wiederaufnahme befinden müsste
und seinerseits - allenfalls - zu einer anderen Beurteilung der Sach- und
Rechtslage als im früheren Verfahren käme. Eine materielle Überprüfung bzw.
eine Aufhebung des ursprünglichen Urteils durch das Bundesgericht selbst kann
bei der vorliegenden Verfahrenskonstellation unter keinen Umständen erwirkt
werden. Die Mitanfechtung früherer Urteile nach Ablauf der Beschwerdefrist
ist grundsätzlich nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Sache im
neuen Urteil - wenn auch mit eingeschränkter Kognition - geprüft worden ist;
jedenfalls darf es sich dabei nicht um einen Nichteintretensentscheid handeln
(BGE 109 Ia 248; vgl. BGE 126 II 377 E. 8 b S. 395). Im Übrigen fehlte den
Beschwerdeführern die Legitimation zur Anfechtung des Sachurteils vom 26.
September 2003, da sie keinen Rechtsanspruch auf eine ausländerrechtliche
Bewilligung haben (Art. 88 OG; vgl. BGE 126 I 81 E. 3b S. 85 ff.); wegen
Fehlens eines Bewilligungsanspruchs wäre übrigens auch eine
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht gegeben (vgl. Art. 100 Abs. 1 lit. b
Ziff. 3 OG). Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist nicht einzutreten,
soweit sie sich gegen das Urteil vom 26. September 2003 richtet.

Auch soweit sich die - weitschweifigen - Äusserungen in der Beschwerdeschrift
auf das Urteil vom 7. Mai 2004 beziehen, zielen sie zumindest teilweise auf
die Bewilligungsfrage als solche ab, und auf die Beschwerde ist insofern auch
in Bezug auf das zweite Urteil nicht einzutreten. Darüber hinaus befassen
sich die Beschwerdeführer mit der Frage, ob die Voraussetzungen für eine
Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben wären. Sie rügen in diesem Zusammenhang
vorerst eine Verletzung von Art. 6 EMRK; diese Garantie kann in
ausländerrechtlichen Bewilligungsverfahren nach konstanter Rechtsprechung
nicht angerufen werden (Urteile 2A.284/2001 vom 9. Oktober 2001 E. 2;
2A.103/1998 vom 30. September 1998 E. 2; vgl. auch BGE 123 I 25). Weiter
machen sie eine formelle Rechtsverweigerung geltend. Zu dieser Rüge sind sie,
trotz fehlender Berechtigung zur Anfechtung eines ausländerrechtlichen
Sachentscheids, im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde grundsätzlich
legitimiert (BGE 114 Ia 307 E. 3c S. 312 f.; 127 II 161 E. 3b S. 167; 126 I
81 E. 3b S. 86 sowie E. 7b S. 94).

2.2 Dafür, ob das mit Urteil vom 26. September 2003 abgeschlossene Verfahren
wieder aufzunehmen gewesen wäre, ist grundsätzlich kantonales Recht
massgeblich, sofern sich nicht von Verfassungs wegen weitergehende Ansprüche
ergeben.

2.2.1 Gemäss § 27 lit. a des aargauischen Gesetzes vom 9. Juli 1968 über die
Verwaltungsrechtspflege (Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRPG) ist ein
rechtskräftig erledigtes Verfahren auf Begehren eines Beteiligten durch die
letzte Instanz wieder aufzunehmen, wenn nachgewiesen wird, dass neue
erhebliche Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die zur Zeit des Erlasses
der Verfügung oder des Entscheides wohl bestanden, den Behörden aber nicht
bekannt waren. Dass ein eigenständiges verfassungsmässiges Recht
weitergehende Ansprüche auf ein Zurückkommen auf rechtskräftige
Rechtsmittelentscheide einräumen würde, wird von den Beschwerdeführern - zu
Recht - nicht geltend gemacht. So ist es nicht von Verfassungs wegen geboten,
dass Rechtsmittelentscheide in gleicher Weise wie rechtskräftig gewordene
erstinstanzliche Verfügungen nachträglich in Frage gestellt werden können.
Insbesondere müssen nach der Ausfällung des Rechtsmittelentscheids
eingetretene Veränderungen des Sachverhalts oder entstandene Beweismittel, so
genannte echte Nova, nicht berücksichtigt werden, während solche Umstände
allenfalls zur Wiedererwägung einer erstinstanzlichen Verfügung führen können
bzw. müssen (BGE 116 Ia 433 E. 5 S. 441; 100 Ib 368 E. 3a S. 371 f.; Urteil
2P.119/1997 vom 24. Juli 1997 E. 3). § 27 lit. a VRPG macht daher
zulässigerweise die Geltendmachung von zum Zeitpunkt des ursprünglichen
Entscheids bereits bestehenden Tatsachen und existierenden Beweismitteln zur
Voraussetzung für die Wiederaufnahme bzw. Revision eines gerichtlichen
Rechtsmittelentscheids.

2.2.2 Die Beschwerdeführer machten in ihrem Gesuch an das Rekursgericht vom
19. Dezember 2003 geltend, bei der Verfügung der Sozialversicherungsanstalt
des Kantons Aargau vom 28. Oktober 2003 handle es sich um eine - für die
Beurteilung der Angelegenheit entscheidende - neue Tatsache und/oder um ein
neues Beweismittel, welche(s) vor der Fällung des Urteils des Rekursgerichts
vom 26. September 2003 nicht habe bekannt sein können.

Das Rekursgericht hat dazu vorerst ausgeführt, dass es sich bei der
fraglichen Verfügung um ein echtes Novum handle, da sie im Zeitpunkt der
Fällung des ursprünglichen Urteils noch nicht bestanden habe; ebenso handle
es sich bei der von den Kindern der Beschwerdeführer am 1. Dezember 2003
unterzeichneten Unterstützungsverpflichtung um ein echtes Novum. Das
Nichteintreten auf das Wiederaufnahmegesuch liesse sich schon allein mit
dieser Begründung rechtfertigen; eine solche Handhabung von § 27 lit. a VRPG
ist angesichts des Wortlauts dieser Bestimmung mit dem Willkürverbot
vereinbar und erscheint nicht überspitzt formalistisch.

Trotz der Ausführungen der Beschwerdeführer zu echten und unechten Noven und
ihrer diesbezüglicher Relativierungen erscheint fraglich, ob noch erheblich
ist, was das Rekursgericht zusätzlich ausgeführt hat; jedenfalls aber halten
auch diese weiteren Erwägungen verfassungsrechtlicher Prüfung stand. Das
Rekursgericht  hat sich mit der (von den Beschwerdeführern in ihrem Gesuch
vom 19. Dezember 2003 so nicht aufgeworfenen) Frage befasst, ob die sich aus
der Verfügung vom 28. Oktober 2003 ergebende Tatsache, dass seit November
2000 Anspruch auf IV-Ergänzungsleistungen bestehe, einen Wiederaufnahmegrund
darzustellen vermöge. Es hat in dieser Hinsicht willkürfrei festgestellt,
dass es im Urteil vom 26. September 2003 nicht auf das Bestehen oder
Nichtbestehen eines Leistungsanspruchs abgestellt, sondern das Verhalten der
Beschwerdeführer im Verfahren betreffend Ergänzungsleitungen für die Prognose
über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung mitberücksichtigt habe;
diesbezüglich habe es angesichts der Verfügung vom 15. August 2003, eines
Nichteintretensentscheids, gewusst, dass Ergänzungsleistungen wegen bis anhin
ungenügender Mitwirkungspflicht nicht zugesprochen worden seien; dass dieses
Wissen Grundlage für den Beschwerdeentscheid des Rekursgerichts bilden würde,
sei den Beschwerdeführern bekannt gewesen; entscheidwesentlich (für das
ursprüngliche Urteil) hätte nun allenfalls das Wissen über die Hängigkeit
eines Wiedererwägungsverfahrens bezüglich des Nichteintretensentscheids vom
15. August 2003 sein können; ein derartiger Umstand hätte in einem
Wiederaufnahmeverfahren aber höchstens dann angerufen werden können, wenn er
bereits vor dem 26. September 2003 bestanden haben sollte, was nicht bekannt
sei; diesfalls aber hätten die Beschwerdeführer bei Beachtung der
erforderlichen Sorgfalt dem Rekursgericht davon Kenntnis geben müssen; indem
sie dies unterlassen hätten, falle ein entsprechendes Vorbringen im
Wiederaufnahmeverfahren ausser Betracht. Die Beschwerdeführer bringen dagegen
vor, dass bereits vor dem 26. September 2003 weitere Bemühungen um ein
Vorantreiben des Verfahrens vor der Sozialversicherungsanstalt unternommen
worden seien und dieses am 22. September 2003 wieder aufgenommen worden sei.
Ob dies im Hinblick auf die Geltendmachung eines Wiederaufnahmegrundes im
ausländerrechtlichen Verfahren überhaupt von Bedeutung gewesen wäre, ist vor
allem darum zweifelhaft, weil die Beschwerdeführer davon dem Rekursgericht
nicht unmittelbar Kenntnis gegeben haben, obwohl dem früheren Anwalt
zumindest für das ausländerrechtliche Verfahren das Mandat nicht entzogen
worden war, was sich daraus ergibt, dass dieser noch am 19. Dezember 2003 das
Wiederaufnahmegesuch verfasste. Wie es sich damit verhält, kann aber offen
bleiben, handelt es sich doch bei der behaupteten Wiederaufnahme des
sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens um ein erstmals mit der
staatsrechtlichen Beschwerde vorgetragenes Sachverhaltselement; im
Wiederaufnahmegesuch vom 19. Dezember 2003 war davon keine Rede. Neue
tatsächliche Vorbringen sind im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde
aber grundsätzlich unzulässig (BGE 128 I 354 mit Hinweisen, insbesondere E.
6c S. 357). Das Rekursgericht durfte somit willkürfrei feststellen, die
Beschwerdeführer könnten sich auf keine in seinem Urteil vom 26. September
2003 nicht berücksichtigte Tatsachen oder Beweismittel berufen, die für
dessen Ergebnis erheblich gewesen wären. Waren aber die - restriktiven -
gesetzlichen Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Zurückkommen auf einen
rechtskräftigen gerichtlichen Rechtsmittelentscheid nicht erfüllt, hat das
Rekursgericht mit seinem Nichteintretensurteil vom 7. Mai 2004 keine formelle
Rechtsverweigerung begangen bzw. ist es nicht überspitzt formalistisch
vorgegangen; in keiner Weise stellt sich die Frage der
(Un-)Verhältnismässigkeit.

2.3 Soweit auf die staatsrechtliche Beschwerde überhaupt eingetreten werden
kann, ist sie offensichtlich unbegründet und abzuweisen. Da sie von
vornherein aussichtslos erschien, ist das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung abzuweisen (Art. 152 OG), und die
bundesgerichtlichen Kosten sind dem Verfahrensausgang entsprechend den
Beschwerdeführern, zu gleichen Teilen unter Solidarhaft, aufzuerlegen (Art.
156 Abs. 1 und Abs. 7 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird den Beschwerdeführern unter
Solidarhaft auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Migrationsamt des Kantons
Aargau und dem Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 22. Juni 2004

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: