Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.92/2004
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1P.92/2004 /gij

Urteil vom 24. Juni 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Féraud,
Gerichtsschreiber Pfisterer.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Barbara
Strehle,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich,
Kassationsgericht des Kantons Zürich, Postfach 4875, 8022 Zürich.

Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziffer 2 EMRK sowie Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1
BV (Strafverfahren),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 25. Dezember 2003.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 25. April 2002
wegen Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 in Verbindung mit Art.
19 Ziff. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) verurteilt. Ihm wurde
vorgeworfen, im Juli und August 2000 bandenmässig eine grössere Menge Heroin
entgegengenommen, bei sich aufbewahrt sowie an Dritte weitergegeben zu haben.
Sodann habe er sich der Geldwäscherei im Sinne von Art. 305bis Ziff. 1 StGB
schuldig gemacht, da er dafür verantwortlich sei, dass das Geld aus dem
Drogenhandel an den Drogenlieferanten in Mazedonien weitergegeben worden sei.

B.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X.________ auf Berufung hin am 6.
März 2003 des mehrfachen Verbrechens im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und
5 BetmG in Verbindung mit Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG sowie der
Geldwäscherei im Sinne von Art. 305bis Ziff. 1 StGB schuldig.

Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die gegen dieses Urteil
erhobene Nichtigkeitsbeschwerde am 25. Dezember 2003 ab, soweit es darauf
eintrat.

C.
X.________ führt mit Eingabe vom 11. Februar 2004 staatsrechtliche Beschwerde
gegen das Urteil des Kassationsgerichts des Kantons Zürich und beantragt
dessen Aufhebung. Gleichzeitig verlangt er die Aufhebung einzelner Ziffern
des obergerichtlichen Urteilsdispositivs vom 6. März 2003. Die Sache sei an
das Obergericht des Kantons Zürich zurückzuweisen. Zudem ersucht er um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Verfahren vor
Bundesgericht.

Das Kassationsgericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
verzichten auf eine Vernehmlassung.

D.
Das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde am 8. März 2004
gutgeheissen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid, der die
Verurteilung durch das Obergericht des Kantons Zürich bestätigt, in seinen
rechtlich geschützten Interessen betroffen (Art. 88 OG). Er macht die
Verletzung von durch die Bundesverfassung sowie durch die EMRK garantierten
Rechten geltend (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Dazu ist er legitimiert. Da auch
die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die
staatsrechtliche Beschwerde, unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen,
einzutreten.

1.2 Der Beschwerdeführer beantragt einerseits die Aufhebung des Entscheides
des Kassationsgerichts vom 25. Dezember 2003. Andererseits sollen die ihn
betreffenden Ziffern 1c, 2c und 6 des obergerichtlichen Urteilsdispositivs
vom 6. März 2003 aufgehoben werden.

Das Urteil einer unteren Instanz kann mitangefochten werden, wenn die letzte
kantonale Instanz dieses nur mit beschränkter Kognition hat überprüfen
dürfen. Dies gilt jedoch nur, wenn die Möglichkeit der Aufhebung des
unterinstanzlichen kantonalen Urteils zur Wahrung des vollen Rechtsschutzes
erforderlich ist. Dies ist der Fall, wenn entweder der letzten kantonalen
Instanz nicht sämtliche vor Bundesgericht erhobenen Rügen unterbreitet werden
konnten oder wenn solche Rügen zwar von der letzten kantonalen Instanz zu
beurteilen waren, jedoch mit einer engeren Prüfungsbefugnis, als sie dem
Bundesgericht zusteht (BGE 125 I 492 E. 1a/aa mit Hinweisen).

Der Beschwerdeführer rügt vor Bundesgericht, die Beweiswürdigung des
Obergerichts sei willkürlich und verletze den Grundsatz der
Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Art. 9 BV in
Verbindung mit §§ 161 ff. StPO/ZH). Weiter sei das Gleichbehandlungsgebot
verletzt worden (Art. 8 Abs. 1 und 9 BV in Verbindung mit § 400 StPO/ZH),
weil gegen den einen Mittäter aufgrund des gleichen Sachverhalts in erheblich
geringerem Umfang Anklage erhoben worden sei.

Damit werden keine Rügen vorgebracht, die vom Zürcher Kassationsgericht im
Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde gemäss § 430 Abs. 1 Ziff. 4 und 5
StPO/Zürich nicht oder nur mit einer eingeschränkteren Überprüfungsbefugnis
beurteilt werden konnten als vom Bundesgericht im Rahmen der
staatsrechtlichen Beschwerde (vgl. Andreas Donatsch/ Niklaus Schmid,
Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Zürich 2000, Rz. 20 f.
zu § 430; vgl. auch BGE 106 IV 85 E. 2a). Soweit mit der vorliegenden
Beschwerde auch das obergerichtliche Urteil formell angefochten und dessen
Aufhebung verlangt wird, kann deshalb darauf nicht eingetreten werden.

1.3 Gemäss Art. 86 Abs. 1 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde nur gegen
letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig.

Der Beschwerdeführer erhebt die Rügen der willkürlichen Anwendung bzw.
Verletzung der §§ 161 ff. und 400 StPO/ZH erstmals vor Bundesgericht.
Insofern liegt kein letztinstanzlicher Entscheid vor. Auf diese Vorbringen
ist deshalb nicht einzutreten.

1.4 Die Rügen der Verletzung der Art. 349 Abs. 2 und 350 StGB betreffen das
materielle Strafrecht. Die Anwendung bundesstrafrechtlicher Normen kann im
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nicht überprüft werden (vgl. Art.
84 Abs. 2 OG), auch wenn sich der Beschwerdeführer nur analog auf diese
Bestimmungen beruft. Auf die Beschwerde ist insofern ebenfalls nicht
einzutreten.

1.5 Das Kassationsgericht ist in einzelnen Punkten auf die kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde mangels hinreichender Auseinandersetzung mit dem
obergerichtlichen Urteil nicht eingetreten. Der Beschwerdeführer macht in
dieser Hinsicht keine formelle Rechtsverweigerung geltend.

2.
2.1 In der Sache hält der Beschwerdeführer dafür, das Obergericht habe den aus
der Unschuldsvermutung abgeleiteten Grundsatz "in dubio pro reo" als
Beweiswürdigungsregel verletzt (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK).
Er sieht in der Tatsache, dass gegen Y.________ lediglich wegen der
Entgegennahme von 1 kg Heroin von ihm (dem Beschwerdeführer) Anklage erhoben,
er (der Beschwerdeführer) jedoch wegen der Über- bzw. Weitergabe von 2,5 kg
Heroin an Y.________ verurteilt wurde, eine willkürliche Verletzung der
Beweiswürdigungsregel.

2.2 Die Beweiswürdigung ist willkürlich (Art. 9 BV), wenn sie offen-sichtlich
unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht,
auf einem offenkundigen Versehen beruht oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Dabei genügt es nicht, wenn der
angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine
Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig
ist (BGE 129 I 49  E. 4, 8 E. 2.1, mit Hinweisen).

2.3 Gemäss Art. 32 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 2 EMRK gilt jede
angeschuldigte Person bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz "in dubio pro reo", dass sich
der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen
Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel
bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Die
Beweiswürdigungsregel ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des
Angeklagten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und
theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und
absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich um erhebliche
und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln, d. h. um solche, die sich nach
der objektiven Sachlage aufdrängen (BGE 127 I 38 E. 2a mit Hinweisen).

Im Bereich der Beweiswürdigung verfügt der Sachrichter über einen weiten
Ermessensspielraum. Das Bundesgericht auferlegt sich bei der Überprüfung der
Beweiswürdigung im Strafprozess Zurückhaltung. Es greift im Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro
reo" als Beweiswürdigungsregel nur ein, wenn der Sachrichter den Angeklagten
verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des ganzen Beweisergebnisses
offensichtlich erhebliche und schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel
an dessen Schuld fortbestanden (BGE 127 I 38 E. 2a mit Hinweisen).

3.
3.1 Das Kassationsgericht führte aus, auch wenn gegen Y.________ nur wegen der
Entgegennahme von 1 kg Heroin Anklage erhoben worden sei, habe sich das
Obergericht im Verfahren gegen den Beschwerdeführer zu Recht nicht an diese
Anklage gebunden gefühlt.

3.2 Mit diesem Argument des Kassationsgerichts setzt sich der
Beschwerdeführer nicht auseinander. Er macht vielmehr geltend, die
Strafverfolgungsbehörden hätten im Zweifelsfall anzuklagen, der Richter habe
im Zweifelsfall frei zu sprechen. Wenn die Anklagebehörde der Meinung gewesen
sei, Y.________ habe von ihm nur 1 kg Heroin erhalten, dann hätte der Richter
umso mehr zweifeln müssen, ob er Y.________ wirklich 2,5 kg Heroin übergeben
habe. Die Gerichte hätten aus der Nichtanklage bei Y.________ ihm gegenüber
nicht die richtigen Schlüsse gezogen.

3.3 Der Richter hat die Beweise frei zu würdigen und ist nicht an gesetzliche
Beweisregeln gebunden. Die Organe der Strafrechtspflege sollen frei von
Beweisregeln und nur nach ihrer persönlichen Ansicht aufgrund gewissenhafter
Prüfung darüber entscheiden, ob sie eine Tatsache für bewiesen halten (vgl.
z. B. BGE 127 IV 172 E. 3a zu Art. 249 BStP). Entscheidend ist die
Gesamtwürdigung der Beweise. Das Kassationsgericht hat im angefochtenen
Urteil ausführlich dargelegt, weshalb es den Schuldspruch des Obergerichts
geschützt hat. Diese Ausführungen werden im vorliegenden Verfahren vom
Beschwerdeführer jedoch nicht diskutiert. Der Umstand, dass gegen Y.________
wegen einer geringeren Menge Heroinhandels Anklage erhoben worden ist, vermag
für sich alleine genommen gegenüber dem Beschwerdeführer keine Verletzung der
Unschuldsvermutung zu belegen und lässt auch nicht die Beweiswürdigung des
Obergerichts als willkürlich erscheinen. Weitere Rügen, welche geeignet
wären, eine Verfassungs- oder Konventionsverletzung zu belegen, bringt der
Beschwerdeführer nicht vor.

4.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist.

Die Voraussetzung zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege sind erfüllt
(Art. 152 OG). Eine Gerichtsgebühr ist nicht zu erheben (Art. 152 Abs. 1 OG).
Dem Beschwerdeführer ist seine jetzige Verteidigerin als unentgeltliche
Rechtsvertreterin beizugeben. Diese ist für das bundesgerichtliche Verfahren
aus der Bundesgerichtskasse angemessen zu entschädigen (Art. 152 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt:
a)Es werden keine Kosten erhoben.
b)Rechtsanwältin Dr. Barbara Strehle wird als unentgeltliche
Rechtsvertreterin ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Bundesgerichtskasse mit einem Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem
Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. Juni 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: