Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.736/2004
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1P.736/2004
1P.738/2004
1P.740/2004
1P.742/2004 /ggs

Urteil vom 5. April 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Nay, Aeschlimann, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Steinmann.

1. A.________,
2.B.________,
3.C.________,
4.D.________,
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt
lic. iur. Markus Leimbacher,

gegen

Einwohnergemeinde Böttstein, 5314 Kleindöttingen, vertreten durch den
Gemeinderat Böttstein, Gemeindekanzlei, Kirchweg 16, Postfach 94, 5314
Kleindöttingen,
Departement des Innern des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau.

Art. 8 und Art. 29 Abs. 2 BV (Einbürgerung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Beschlüsse der  Einwohnergemeinde
Böttstein vom 24. November 2004.

Sachverhalt:

A.
Mit der Einladung zur Einwohner- und Ortsbürger-Gemeindeversammlung der
Gemeinde Böttstein vom 24. November 2004 unterbreitete der Gemeinderat
Böttstein unter Traktandum 6 den Stimmberechtigten verschiedene
Einbürgerungsgesuche. Er legte dar, dass die Einbürgerungsgesuche seriös
geprüft und mit den Bewerberinnen und Bewerbern persönliche Gespräche geführt
worden seien. Diese fühlten sich in der Schweiz zu Hause und wünschten hier
zu bleiben. Sie seien gut assimiliert, verfügten über einen einwandfreien
Leumund und könnten bedenkenlos zur Einbürgerung empfohlen werden. Sie
erfüllten die gesetzlichen Voraussetzungen zur Aufnahme in das Schweizer
Bürgerrecht, das Bürgerrecht des Kantons Aargau und das Gemeindebürgerrecht.
Die Einbürgerungsakten könnten im Büro der Gemeindekanzlei eingesehen werden.

Um eine Einbürgerung bewarben sich u.a. die serbisch-montenegrinischen
Staatsangehörigen, in Kleindöttingen wohnhaften Geschwister  A.________
(1983), B.________ (1984), C.________ (1988) und D.________ (1990). Neben
diesen Personen bewarben sich sechs weitere Personen bzw. Personengruppen um
die Einbürgerung.

Anlässlich der Gemeindeversammlung vom 24. November 2004 ist das
Einbürgerungsgesuch der Geschwister mit 92 zu 80 Stimmen abgewiesen worden.
Vier Personen bzw. Personengruppen wurde das Gemeindebürgerrecht erteilt,
einer weitern Person ebenfalls verweigert und ein weiteres Ersuchen
ausgestellt. Eine Diskussion über die Einbürgerungsgesuche ist nicht geführt
worden und Gründe für die Abweisung der Gesuche der Geschwister sind nicht
genannt worden.

B.
Mit vier getrennten Eingaben vom 16. Dezember 2004 haben A.________,
B.________, C.________ und D.________ beim Bundesgericht staatsrechtliche
Beschwerde erhoben und um Aufhebung des sie betreffenden Beschlusses der
Gemeindeversammlung ersucht. Sie rügen wegen des Mangels einer Begründung
eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV.

Der Gemeinderat von Böttstein hat sich ohne ausdrücklichen Antrag vernehmen
lassen. Das Departement des Innern des Kantons Aargau hat auf Vernehmlassung
verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die vier gleich lautenden Beschwerden der vier Geschwister sind
zusammenzufassen und in einem einzigen Urteil zu beurteilen.

Der Beschluss der Gemeindeversammlung über die Verweigerung der Einbürgerung
der Beschwerdeführer kann nach § 16 des aargauischen Gesetzes über das
Kantons- und Gemeindebürgerrecht mit keinem kantonalen Rechtsmittel
angefochten werden und stellt daher einen kantonal letztinstanzlichen
Entscheid gemäss Art. 86 Abs. 1 OG dar (vgl. Urteil 1P.468/2004 vom 4. Januar
2005 E. 1.1). Nach der neueren Rechtsprechung sind die Beschwerdeführer
aufgrund ihrer Parteistellung im kantonalen Verfahren legitimiert, das Fehlen
jeglicher Begründung des angefochtenen Beschlusses geltend zu machen (BGE 129
I 217 E. 1.4 S. 222). Demnach kann auf die Beschwerden eingetreten werden.

2.
Nach der neueren Rechtsprechung stellen Beschlüsse über Einbürgerungsgesuche
keine rein politischen Entscheidungen dar. Sie sind vielmehr auch als
Verfügungen, mit denen individuell-konkret über den rechtlichen Status von
Einzelpersonen befunden wird, zu betrachten. Sie unterliegen daher den
allgemeinen verfassungsmässigen Verfahrensgarantien gemäss Art. 29 BV und
sind zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV
zu begründen. Eine Begründungspflicht ergibt sich gerade für den politisch
heiklen Bereich der Einbürgerungen zudem aus dem Zusammenhang mit dem
Diskriminierungsverbot gemäss Art. 8 Abs. 2 BV (BGE 129 I 232 E. 3.3 - 3.5 S.
237, 130 I 140 E. 4.2 S. 146).

In welcher Form dieser Begründungspflicht nachgekommen werden kann, hat das
Bundesgericht nicht abschliessend umschrieben und hängt von den Umständen ab.
Bei Urnenentscheiden vermag eine nachträgliche Begründung den
verfassungsmässigen Anforderungen nicht zu genügen (BGE 129 I 232 E. 3.5-3.7
S. 241). Unter dem Gesichtswinkel des Begründungserfordernisses kann
angenommen werden, dass nach erfolgter Diskussion in einer
Gemeindeversammlung die Mehrheit der Stimmenden den entsprechenden
vorgetragenen Gründen beistimmt und der getroffene Beschluss entsprechend
begründet werden kann (BGE 130 I 140 E. 5.3.6 S. 154). Gleichermassen kann
davon ausgegangen werden, dass Gemeindeversammlungsbeschlüsse, die dem
(allenfalls negativen) Antrag des Gemeinderates folgen, auch der
gemeinderätlichen Begründung zustimmen. Problematisch sind indessen
Gemeindeversammlungsbeschlüsse, die ohne Diskussion von der Empfehlung des
Gemeinderates oder einer vorberatenden Kommission abweichen (vgl. Urteil 1P.
468/2004 vom 4. Januar 2005 E. 3; Tobias Jaag, Aktuelle Entwicklungen im
Einbürgerungsrecht, in: ZBl 106/2005 S.113/129).

So verhält es sich im vorliegenden Fall. Der Gemeinderat beantragte nach
ernsthafter Prüfung und aufgrund der den Stimmberechtigten vorgetragenen
Begründung die Gutheissung der Einbürgerungsgesuche der Beschwerdeführer.
Davon wich die Gemeindeversammlung ohne jegliche Diskussion ab. Im Vorfeld
der Gemeindeversammlung sind, wie der Gemeinderat in der Vernehmlassung
festhält, nicht die geringsten Vorbehalte bekannt geworden. Bei dieser
Sachlage sind die angefochtenen Beschlüsse in keiner Weise begründet worden
und vermögen daher den verfassungsrechtlichen Verfahrensanforderungen nicht
zu genügen. Damit ist den Beschwerdeführern das rechtliche Gehör gemäss Art.
29 Abs. 2 BV verletzt worden.

Das führt zur Gutheissung der Beschwerden und zur Aufhebung der angefochtenen
Gemeindeversammlungsbeschlüsse.

3.

Demnach sind die Beschwerden gutzuheissen und die angefochtenen, die
Beschwerdeführer betreffenden Beschlüsse aufzuheben. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 OG). Die Einwohnergemeinde
Böttstein hat die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu
entschädigen (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtlichen Beschwerden werden gutgeheissen und die
Einbürgerungsentscheide der Einwohnergemeindeversammlung Böttstein vom 24.
November 2004 aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Die Einwohnergemeinde Böttstein hat die Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Einwohnergemeinde und dem
Gemeinderat Böttstein sowie dem Departement des Innern des Kantons Aargau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. April 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: