Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.732/2004
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1P.732/2004 /gij

Urteil vom 10. März 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiberin Scherrer.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Aebi,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen,
Untersuchungsamt St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.

Art. 9, 29 Abs. 2, Art. 31 Abs. 2 und Art. 32 BV, Art. 6 Ziff. 3 lit. d und
Ziff. 2 EMRK (Strafverfahren),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 30. August 2004.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil des Kreisgerichts St. Gallen vom 13. November 2003 wurde
X.________ des qualifizierten Raubs, des mehrfachen Verweisungsbruchs sowie
der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung
der Ausländer (ANAG) für schuldig befunden und zu einer Zuchthausstrafe von
sechs Jahren verurteilt. Gleichzeitig verwies ihn das Kreisgericht auf
Lebenszeit des Landes und zog die beschlagnahmten Ausweispapiere ein. Das
Kreisgericht erachtete es als erwiesen, dass der Angeklagte zusammen mit
Y.________ am 25. Januar 2003 einen Raubüberfall auf "Otto's Warenposten" in
St. Gallen verübt habe. Nach Ladenschluss seien die beiden Täter, bekleidet
mit weissen Overalls, schwarzen Wollmützen mit Sehschlitzen und
Einweghandschuhen, auf dem Weg von ihrem Versteck im zweiten Stock zum Büro
im Parterre plötzlich einer Verkäuferin begegnet. Y.________ habe diese zu
Boden gezwungen, ihr einen Dolch an den Hals gehalten und ihr befohlen, still
zu sein, ansonsten er das Messer durchziehen werde. Zu dritt seien sie sodann
die Treppe hinunter gestiegen, wobei Y.________ unmittelbar hinter der
Verkäuferin gegangen sei und sie mit dem Dolch bedroht habe, was bei dieser
zu Ritzverletzungen am Hals geführt habe. Beim Betreten des Büros sei der
Filialleiter gerade damit beschäftigt gewesen, die Tageseinnahmen zu zählen.
Der erbeutete Betrag, den die Täter hälftig untereinander aufgeteilt hätten,
habe sich auf Fr. 42'494.30 belaufen. Weiter warf das Gericht dem Angeklagten
vor, trotz einer am 14. August 2001 verhängten dreijährigen Landesverweisung
mehrmals in die Schweiz eingereist zu sein. Bei seiner Festnahme am 25. März
2003 habe er überdies einen verfälschten Ausländerausweis vorgewiesen.

B.
Gegen dieses Urteil gelangte X.________ an das Kantonsgericht St. Gallen. Die
Schuldsprüche wegen Verweisungsbruch und Verstoss gegen das ANAG bestritt er
nicht, indes stellte er eine Beteiligung am Raub in Abrede. Die Strafkammer
des Kantonsgerichts wies die Berufung am 30. August 2004 ab: Im Ergebnis sei
die Vorinstanz zu Recht von der Glaubwürdigkeit der Aussagen von Y.________
und damit von der Mittäterschaft des Angeklagten ausgegangen.

C.
Mit Eingabe vom 14. Dezember 2004 erhebt X.________ staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung der Verteidigungsrechte, des rechtlichen Gehörs,
der Unschuldsvermutung sowie des Grundsatzes "in dubio pro reo" durch
willkürliche Beweiswürdigung. Er beantragt, das Urteil vom 30. August 2004
sei aufzuheben, er sei vom Vorwurf des (qualifizierten) Raubs freizusprechen
und das Verfahren sei zur Strafzumessung für die übrigen Vergehen an das
Kantonsgericht zurückzuweisen. Im Eventualantrag ersucht er um Rückweisung an
das Kantonsgericht zur Beweisergänzung. Gleichzeitig stellt er ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Das Kantonsgericht St. Gallen verzichtet auf eine Vernehmlassung, während die
Staatsanwaltschaft auf Abweisung der Beschwerde schliesst.

In seiner Replik hält der Beschwerdeführer an seinen Anträgen fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid in seinen
rechtlich geschützten Interessen betroffen (Art. 88 OG). Er macht die
Verletzung verfassungsmässig garantierter Rechte geltend, wozu er legitimiert
ist (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
Soweit der Beschwerdeführer allerdings verlangt, das Bundesgericht habe ihn
vom Vorwurf des Raubes freizusprechen, verkennt er die kassatorische Natur
der staatsrechtlichen Beschwerde (BGE 129 I 129 E. 1.2 S. 131 f. mit
Hinweisen). Insoweit kann daher auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.

2.
Der Beschwerdeführer macht vorab geltend, nicht über die Grundlagen des gegen
ihn ausgestellten Haftbefehls informiert worden zu sein. Dadurch sei es ihm
nicht möglich gewesen, sich angemessen zu verteidigen. Er erachtet dies als
Verletzung von Art. 32 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 9 BV, Art. 31 Abs. 2 und Art. 29
Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK. Durch die Weigerung der
Untersuchungsbehörden und des Kantonsgerichts, ihm Einsicht in die für die
Verhaftung und das vorliegende Verfahren wesentlichen Akten zu geben und
allfällige Belastungszeugen zu befragen, sei sein Anspruch auf rechtliches
Gehör in krasser Weise verletzt worden. Diese Rüge ist angesichts der
formellen Natur des Gehörsanspruchs vor den weiteren Vorbringen des
Beschwerdeführers zu behandeln (BGE 126 I 19 E. 2d/bb S. 24; 125 I 113 E. 3
S. 118; 118 Ia 17 E. 1a S. 18, je mit Hinweisen).

2.1 Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits
stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht dar. Dazu gehört
insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine
Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche
Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen
Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung erheblicher Beweise
entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn
dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56
mit Hinweisen).

2.2 Gemäss Art. 31 Abs. 2 BV hat jede Person, der die Freiheit entzogen wird,
unter anderem Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen
Sprache über die Gründe des Freiheitsentzuges und über ihre Rechte
unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend
zu machen.

Grundvoraussetzung einer Verhaftung ist der dringende Verdacht, eine Straftat
begangen zu haben. Ist ein Verhafteter nach den erwähnten
verfassungsrechtlichen Garantien über die Gründe des Freiheitsentzuges zu
unterrichten, so gehört dazu vorab dieser Tatverdacht. Dessen Kenntnis ist
unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung seines Anhörungsrechtes, kann
sich der Verhaftete doch nur gegen einen ihm bekannten Vorwurf zur Wehr
setzen (Urteil 1P.182/2004 vom 8. April 2004 E. 2.1 mit Hinweisen).

2.3 Im vorliegenden Fall wurde dem Beschwerdeführer, welcher am 25. März 2003
im Säntispark angehalten wurde, gleichentags die Festnahme eröffnet.
Anlässlich der ersten Einvernahme teilte ihm der Untersuchungsrichter mit,
dass er wegen des Verdachts auf einen in St. Gallen am 25. Januar 2003
begangenen Raub sowie auf Verweisungsbruch festgenommen worden sei. Er
händigte ihm den Festnahmebefehl (auch in übersetzter Form) aus sowie das
Merkblatt für Festgenommene und Untersuchungsgefangene in albanischer
Sprache. Gleichzeitig machte er den Beschwerdeführer auf sein
Aussageverweigerungsrecht aufmerksam und übergab ihm eine Liste mit möglichen
Verteidigern (Protokoll der Einvernahme vom 25. März 2003, act. E 1/1). Noch
am 25. März 2003 konnte der Beschwerdeführer einen Anwalt mit der Wahrung
seiner Interessen beauftragen (act. K 2/1 und 2). Am 1. April 2003 wurde dem
Ersuchen des Beschwerdeführers um amtliche Verteidigung entsprochen (act. K
2/6). Der Rechtsvertreter erhielt am 24. April 2003 die Verfahrensakten zur
Einsicht (act. K 2/7). Es ist darum nicht ersichtlich, inwiefern der
Beschwerdeführer in seinen Verteidigungsrechten verletzt worden sein soll.
Diese Rüge ist unbegründet.

3.
Nach Auffassung des Beschwerdeführers verletzt das Urteil des Kantonsgerichts
den aus der Unschuldsvermutung abgeleiteten Grundsatz "in dubio pro reo" und
beruht auf willkürlicher Beweiswürdigung. Laut dem angefochtenen Entscheid
lägen keine Beweise für seine Täterschaft vor, mit Ausnahme der Aussage des
Mitangeklagten. Das äusserst inkonsistente Aussageverhalten des Letzteren,
dessen Vorstrafe wegen falscher Anschuldigung zu Gunsten seines Cousins sowie
die Aussage eines Zeugen, wonach bekannt geworden sei, dass der Mitangeklage
mit seinem Cousin in St. Gallen Raubüberfälle begangen habe, seien drei
gewichtige Indizien, die gegen dessen Glaubwürdigkeit sprächen.

3.1 Nach Art. 9 BV hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen
Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Willkürlich ist ein Entscheid nicht
schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar
vorzuziehen wäre, sondern erst dann, wenn er offensichtlich unhaltbar ist,
zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen
unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt nur vor, wenn nicht bloss
die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist
(BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9 mit Hinweisen).

3.2 Als Beweiswürdigungsregel besagt der aus der Unschuldsvermutung (Art. 32
Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) abgeleitete Grundsatz "in dubio pro reo",
dass sich der Strafrichter nicht von einem für den Angeklagten ungünstigen
Sachverhalt überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel
bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Die Maxime ist
verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln
müssen. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend,
weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden
kann. Es muss sich um erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln,
d.h. um solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei der
Frage, ob angesichts des willkürfreien Beweisergebnisses erhebliche und nicht
zu unterdrückende Zweifel hätten bejaht werden müssen und sich der
Sachrichter vom für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt nicht hätte
überzeugt erklären dürfen, greift das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung
ein, da der Sachrichter diese in Anwendung des Unmittelbarkeitsprinzips
zuverlässiger beantworten kann (Urteil 1P.428/2003 vom 8. April 2004, E.
4.2).

4.
Im kantonalen Verfahren hatte der Beschwerdeführer seine Tatbeteiligung
bestritten und u.a. geltend gemacht, der Mitangeklagte habe ihn als Komplizen
bezeichnet, um seinen von der Polizei verdächtigten Cousin zu schützen.

4.1 Das Kantonsgericht führt zunächst zu Recht aus, dass dem Beschwerdeführer
die Tat gestützt auf die vage Täterbeschreibung der beiden Augenzeugen und
das DNA-Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin nicht nachgewiesen werden
könne. Das DNA-Gutachten schloss den Beschwerdeführer als Verursacher der
DNA-Spur auf dem Messer und dem Einweghandschuh aus. Auf dem zweiten
Handschuh fand sich eine Mischspur, welche nicht eindeutig zugeordnet werden
konnte. Die Gutachterin stellte dazu zwei Hypothesen auf. Gemäss Hypothese 1
enthält die Mischspur DNA der Verkäuferin, des Zweittäters sowie des
Beschwerdeführers und eines Unbekannten. Hypothese 2 besagt, dass die
betreffende Spur DNA des Zweittäters, der Verkäuferin und von zwei
Unbekannten enthalte. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass die Hypothese 1
lediglich 1.2 mal wahrscheinlicher sei als Hypothese 2 (act. 1/12). Das
Kantonsgericht hat denn auch ausgeführt, dass mit dem Gutachten kein Beweis
für die allfällige Täterschaft des Beschwerdeführers erbracht werden könne.
Sofern der Beschwerdeführer sinngemäss geltend macht, das Gericht habe das
Gutachten willkürlich nicht in seine Beweiswürdigung miteinbezogen, ist die
Rüge unbegründet.

Mit dem Kantonsgericht ist darum davon auszugehen, dass den Aussagen des
geständigen Täters entscheidende Bedeutung zukommt. Dazu ist Folgendes
festzuhalten:
4.1.1Dieser wurde am 18. Februar 2003 wegen Verdachts auf Drogenhandel im
Kanton Zürich verhaftet. Nach der Überstellung an den Kanton St. Gallen
bestritt er zunächst den vorgeworfenen Drogenhandel und eine Beteiligung am
Raubüberfall vom 25. Januar 2003 (Einvernahmen vom 19. Februar und 3. März
2003, act. E 2/2 und 3). Bei der zweiten polizeilichen Befragung am 5. März
2003 (act. E 2/5) gab er zu, den Raub in St. Gallen begangen zu haben. Er
habe in Zürich ungefähr eine Woche vor der Tat einen ihm nicht näher
bekannten "Typen", einen Albaner aus Zürich, kennen gelernt. Dieser "Typ"
habe ihm zu verstehen gegeben, dass er etwas "am laufen" habe und dass er
sich bei Interesse daran beteiligen könne. Dafür habe er ihm Fr. 20'000.--
bis 30'000.-- in Aussicht gestellt.

4.1.2 Anlässlich der polizeilichen Befragung vom 12. März 2003 (act. E 2/7)
und zwei Tage später vor dem Untersuchungsrichter (act. E 2/8) blieb der
geständige Täter indessen bei seiner Behauptung, dass er seinen Mittäter
nicht kenne. Auf entsprechende Frage des Untersuchungsrichters hin meinte er,
es wäre hilfreich, wenn ihm Fotobögen mit möglichen Tätern vorgelegt würden.
Auch behauptete er in diesem Zeitpunkt noch, der andere Mann habe die
Verkäuferin mit dem Messer bedroht.

4.1.3 Am 18. März 2003 erklärte der geständige Täter in einer weiteren
polizeilichen Befragung, dass er zur Person des Komplizen keine Aussagen
machen könne. Falls er in sein Heimatland ausgeschafft werden sollte, habe er
ein grosses Problem. Auf den Vorhalt von fünf Fotos hin, sagte er aus, er
kenne sämtliche Personen, der Mittäter befinde sich jedoch nicht darunter.
Nr. 3 sei sein Cousin, er könne absolut versichern, dass dieser mit der Sache
nichts zu tun habe (act. E 2/11 S. 2). Am 1. April 2003 wurde ihm unter
anderen auch ein Foto des Beschwerdeführers vorgelegt. Dazu meinte er, mit
Ausnahme einer einzigen Person niemanden auf dem Fotobogen zu erkennen. Auf
die Frage des Beamten, ob diese Person eventuell etwas mit dem Raub zu tun
habe, erkundigte sich der geständige Täter zunächst, ob sich der fragliche
Mann in Haft befinde. Der Beamte erwiderte, das Bild des Mannes sei unter den
Fotos, weil er des Raubes zum Nachteil von "Otto's Warenposten" verdächtigt
werde. Er befinde sich in Haft. Als der Beamte auf seiner Frage beharrte, ob
es sich beim Beschwerdeführer um den Mittäter handle, antwortete der
geständige Täter: "Ich gehe schwer davon aus, dass Sie diese Frage selber
beantworten können". Sodann bestätigte er, dass der Beschwerdeführer beim
Raub sein Komplize gewesen sei. Er habe ihn im Jahr 2001 als Asylanten kennen
gelernt. Er würde ihn als Kollegen bezeichnen. Sie hätten sich vorwiegend im
Raum St. Gallen aufgehalten und hätten sporadisch Kontakt gehabt, zwischen
vier bis fünf Mal im Monat. Er habe auch gelegentlich Chauffeurdienste für
den Beschwerdeführer erledigt. "Otto's Warenposten" sei ihnen beiden ein
Begriff gewesen. Irgendwann sei die Idee entstanden, den Überfall zu begehen.
Im Unterschied zu seinen früheren Aussagen gab der geständige Täter nun an,
er sei zusammen mit der Verkäuferin die Treppe hinunter gegangen. Dabei habe
er seinen rechten Arm über deren Schulter gelegt und ihr das Messer im
Bereich der Brust aufgesetzt (act. E 2/13).

4.1.4 Bei der Befragung vom 23. April 2003 sicherte der geständige Täter zu,
er werde einer Konfrontation mit dem Beschwerdeführer standhalten und seine
Aussagen in dessen Anwesenheit wiederholen (act. E 2/15). Indessen bestritt
er anlässlich der Konfrontationseinvernahme vom 12. Mai 2003, dass der
Beschwerdeführer etwas mit dem Raubüberfall zu tun habe. Auf die Frage, warum
er denn am 1. April 2003 etwas anderes behauptet habe, antwortete er, er sei
nervös und verwirrt gewesen. Seine Familie habe darunter gelitten. Den
Beschwerdeführer kenne er aus dem Kosovo, jedoch nur flüchtig. Er habe ihn
der Mittäterschaft bezichtigt, weil er "schwarz" hier gewesen sei und er, der
geständige Täter, nicht gewusst habe, wen er "nehmen" solle (act. E 2/17).

4.1.5 Wiederum vier Tage später kam der geständige Täter auf seine früheren
Aussagen zurück und belastete erneut den Beschwerdeführer. Auf seine
Behauptungen während der Konfrontationseinvernahme angesprochen meinte er, es
sei ihm "schwer gefallen in Anwesenheit des Beschwerdeführers". Er habe ein
wenig Probleme mit ihm, falls er später einmal "herauskommen" sollte. Solange
er, der geständige Täter, sich in der Schweiz aufhalte, fühle er sich eher
sicher (act. E 2/18). In der Folge hielt er sowohl bei der zweiten
Konfrontationseinvernahme vom 27. September 2003 (act. E 2/19) als auch vor
erster Instanz und vor dem Kantonsgericht an der Version fest, wonach der
Beschwerdeführer sein Komplize gewesen sei.

4.2 Das Kantonsgericht scheint die Widersprüchlichkeiten in den Schilderungen
des geständigen Täters nicht für relevant zu halten. Zu Beginn verneinte
dieser jede Beteiligung am Raub. Gab er hierauf noch an, sie seien zu dritt
gewesen, stritt er dies in der Folge wieder ab. Anfangs behauptete er, sein
Mittäter habe die Verkäuferin mit dem Messer bedroht, dann wiederum gestand
er zu, dies selber getan zu haben. Wenn das Kantonsgericht dazu festhält, die
Ausführungen des geständigen Täters stimmten in den wesentlichen Punkten mit
denjenigen der Opfer überein, verkennt es, dass sich aus dem Tatablauf
mitnichten auf eine Beteiligung des Beschwerdeführers schliessen lässt. Nicht
übereinstimmend sind die Darstellungen, wann und wie der geständige Täter
seinen Komplizen kennen gelernt haben will. Seltsam mutet auch das Verhalten
des geständigen Täters bei der Präsentation des Fotobogens an, insbesondere
dessen vorgängige Fragen, warum sich das Bild des Beschwerdeführers darunter
befinde und ob dieser inhaftiert sei. Gleiches gilt für den Umstand, dass er
zur Identifikation seines Mittäters überhaupt Fotos verlangt hat, statt
einfach dessen Namen zu nennen. Das Kantonsgericht scheint sich ebenfalls
nicht sonderlich an den widersprüchlichen Aussagen anlässlich der
Konfrontationseinvernahmen zu stossen. Es hält für nachvollziehbar, dass der
geständige Täter den Namen des Beschwerdeführers zunächst verschwiegen hat.
Er bewege sich in einem recht "gewaltträchtigen Milieu". Hinzu komme, dass
der Beschwerdeführer zehn Jahre älter sei als der geständige Täter und auch
vor Gericht einen dominanten Eindruck hinterlassen habe. Vor diesem
Hintergrund spreche der Widerruf in der ersten Konfrontationseinvernahme
nicht gegen die Glaubwürdigkeit der zuvor gemachten Aussagen. Der
Altersunterschied zwischen den beiden und das Erscheinungsbild des
Beschwerdeführers bieten indessen kaum eine hinreichende Erklärung für die
wechselnden Aussagen des geständigen Täters. Daran ändert auch dessen spätere
Entschuldigung gegenüber dem Untersuchungsrichter nichts.

4.3 Zweifel an der Glaubwürdigkeit des geständigen Täters drängen sich
zusätzlich mit Blick auf dessen Vergangenheit auf. Der Beschwerdeführer hatte
im kantonalen Verfahren darauf hingewiesen, dass dieser bereits früher einen
Dritten einer Straftat beschuldigt hatte, um seinen Cousin vor einer
Strafverfolgung zu schützen. Der geständige Täter wurde deswegen zu einer
bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 30 Tagen verurteilt. Weiter war er
am 23. Oktober 2002 wegen Raubs zu einer bedingt vollziehbaren
Gefängnisstrafe von acht Monaten verurteilt worden. Zudem war er in
Drogengeschäfte verwickelt. Das Kantonsgericht räumt zwar ein, diese
negativen Umstände aus der Lebensgeschichte des geständigen Täters und die
damit verbundene Erfahrung in Strafverfahren seien bei der Würdigung von
dessen Aussagen zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers könne aber allein gestützt darauf nicht auf die
Unglaubwürdigkeit der Angaben zum Raubüberfall geschlossen werden. Dabei
lässt das Kantonsgericht ausser Acht, dass die Vorstrafen des geständigen
Täters lediglich ein weiteres Element darstellen, welches an dessen
Glaubwürdigkeit zweifeln lässt. Sinngemäss argumentiert das Kantonsgericht,
mit Blick auf das kollegiale Verhältnis zwischen dem geständigen Täter und
dem Beschwerdeführer sei kein Grund für eine Falschbeschuldigung ersichtlich,
umso weniger, als für dieses Delikt eine mehrjährige Freiheitsstrafe drohe.
Im Gegensatz dazu sei es bei der Falschbeschuldigung, aufgrund welcher der
geständige Täter (vor-)bestraft worden war, lediglich um Ausweisfälschung und
Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz gegangen. Indes hatte der
geständige Täter damals seinen Cousin entlastet, der ihm sicher näher steht
als der Beschwerdeführer. Darum wäre es nicht abwegig, wenn er sich in einem
schwerwiegenderen Fall erst recht dazu veranlasst sähe, wiederum den Cousin
zu schützen. Dafür spräche zusätzlich, dass ein weiterer Zeuge, bei welchem
der geständige Täter und sein Cousin gewohnt hatten, anlässlich einer
Einvernahme durch die Kantonspolizei Zürich am 12. Februar 2003 ausgesagt
hatte, er habe von einem Albaner gehört, die beiden hätten in St. Gallen
Raubüberfälle verübt (act. E 11/1 S. 5). Den Antrag des Beschwerdeführers,
diesen Zeugen nochmals einzuvernehmen, hat das Kantonsgericht abgelehnt, da
dieser nur bezeugen könne, was ihm ein Dritter angeblich gesagt habe. Selbst
wenn eine erneute Zeugenbefragung keine neuen Erkenntnisse bringen mag,
stützt doch die erwähnte Zeugenaussage nicht die Schilderungen des
geständigen Täters; sie könnte genauso gut als Indiz dafür gewertet werden,
dass dieser wiederum zugunsten seines Cousins ausgesagt hat.

4.4 Die Erwägung des Kantonsgerichtes, es sei nicht leicht verständlich,
weshalb der Beschwerdeführer nie auch nur annähernd versucht habe, den
Vorhalt seiner Mittäterschaft mit einem Alibi in Zweifel zu ziehen, kommt
zudem einer unzulässigen Umkehr der Beweislast nahe. Es ist nicht Sache des
Beschwerdeführers, seine Unschuld zu beweisen.

4.5 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das äusserst widersprüchliche
Aussageverhalten des geständigen Täters sowie dessen einschlägige Vorstrafen
erhebliche, schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen
Tatversion offen lassen. Auch wenn der Staatsanwalt in seiner Vernehmlassung
mögliche Erklärungen für dieses Aussageverhalten findet, verstösst eine
Verurteilung einzig gestützt auf die inkonsistenten Schilderungen des
geständigen Täters gegen die in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK
verankerte Unschuldsvermutung und den daraus abgeleiteten Grundsatz "in dubio
pro reo".

5.
Nach dem Gesagten erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde aus den in E.
4 angeführten Gründen als begründet. Sie ist gutzuheissen, soweit darauf
eingetreten werden kann, und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2
OG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird deshalb hinfällig. Der
Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren angemessen zu entschädigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten
ist, und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 30.
August 2004 aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Staatsanwaltschaft,
Untersuchungsamt St. Gallen, sowie dem Kantonsgericht St. Gallen,
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. März 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: