Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.705/2004
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1P.705/2004 /ggs

Urteil vom 7. April 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Schoder.

Ehepaar X.________, Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Landwirtschaft, Strukturverbesserungen und Vermessung Graubünden,
Grabenstrasse 8, 7001 Chur,
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 3. Kammer, Obere Plessurstrasse 1,
7001 Chur.

Kulturlandverminderungsabgabe,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden, 3. Kammer, vom 3. September 2004.

Sachverhalt:

A.
A.a Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden gelangte im Rekursverfahren
A 02 58 anlässlich einer ersten Beratung am 12. Dezember 2002 zum Schluss,
dass die Erhebung der Kulturlandverminderungsabgabe nach Art. 50bis des
Meliorationsgesetzes des Kantons Graubünden vom 5. April 1981 verfassungs-
und bundesrechtswidrig sei. Im Wesentlichen begründete es seine von der
bisherigen Praxis abweichende Auffassung damit, dass keine Pflicht der
Grundeigentümer bestehe, ausgeschiedenes Bauland dauernd für die
landwirtschaftliche Nutzung zur Verfügung zu stellen, weshalb die
Voraussetzungen zur Erhebung einer Ersatzabgabe nicht erfüllt seien. Mit
Schreiben vom 13. Dezember 2002 gab das Verwaltungsgericht den Parteien des
Rekursverfahrens A 02 58 Gelegenheit, sich zu seiner Auffassung zu äussern.

Mit Urteil vom 17. Juni 2003 (mitgeteilt am 10. Juli 2003) erkannte das
Verwaltungsgericht im betreffenden Rekursverfahren, dass die
Kulturlandverminderungsabgabe verfassungs- und bundesrechtswidrig sei und
weder als Ersatzabgabe noch als Zwecksteuer erhoben werden könne. Das
Bundesgericht trat auf eine dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde am
23. September 2003 nicht ein.

A.b Mit Verfügung vom 6. Juli 1995 erhob das Amt für Landwirtschaft,
Strukturverbesserungen und Vermessung des Kantons Graubünden (ALSV) gegenüber
dem Ehepaar X.________ einen Ausgleichsbeitrag für Kulturlandverminderung in
der Höhe von Fr. 6'468.--. Diese Verfügung wuchs unangefochten in
Rechtskraft, und die Abgabe wurde bezahlt.

Als das Ehepaar X.________ vom Urteil A 02 58 des Verwaltungsgerichts vom 17.
Juni 2003 Kenntnis erhielt, ersuchte es das ALSV, die Veranlagungsverfügung
zu widerrufen resp. in Wiedererwägung zu ziehen und die Abgaben
zurückzuerstatten. Mit Verfügung vom 10. März 2004 trat das ALSV auf das
Gesuch nicht ein. Dagegen erhob das Ehepaar X.________ Rekurs, welchen das
Verwaltungsgericht mit Urteil vom 3. September 2004 abwies.

B.
Das Ehepaar X.________ hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 3.
September 2004 wegen Verletzung von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art.
9 BV), des Willkürverbots (Art. 9 BV) sowie des Rechtsgleichheitsgebots (Art.
8 Abs. 1 BV) staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie beantragen, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an das
Verwaltungsgericht zurückzuweisen.

C.
Das ALSV beantragt, es sei die Bundesrechtskonformität von Art. 50bis des
Meliorationsgesetzes festzustellen, und es sei die staatsrechtliche
Beschwerde abzuweisen. Das Verwaltungsgericht beantragt ebenfalls die
Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde, soweit darauf eingetreten werde.
Die Beschwerdeführer haben repliziert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss eine staatsrechtliche Beschwerde die
wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten,
welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie
durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Im staatsrechtlichen
Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene
Rügen. Auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am
angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 262; 129
I 185 E. 1.6 S. 189, je mit Hinweisen).

Soweit die Beschwerdeführer diesen Begründungsanforderungen nicht nachkommen,
ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten. Dies gilt
insbesondere für ihre Ausführungen in Ziffer 2 und 3 der Beschwerde, da die
Beschwerdeführer darin nur allgemeine Kritik am angefochtenen Entscheid üben
und nicht aufzeigen, inwiefern ein verfassungsmässiges Recht verletzt ist.

1.2 Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen der staatsrechtlichen Beschwerde
sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist
somit einzutreten.

1.3 Das ALSV beantragt, es sei die Bundesrechtskonformität von Art. 50bis des
Meliorationsgesetzes festzustellen. Dieses Begehren geht über den
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens hinaus und ist daher unzulässig.

2.
2.1 Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots
(Art. 8 Abs. 1 BV). Das Verwaltungsgericht habe infolge der festgestellten
Bundesrechtswidrigkeit des Meliorationsgesetzes zwei Rekurse gutgeheissen,
ihren Rekurs hingegen abgewiesen.

2.2 Der Anspruch auf Rechtsgleichheit gebietet, Gleiches nach Massgabe der
Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe der Ungleichheit ungleich zu
behandeln. Das Rechtsgleichheitsgebot wird insbesondere verletzt, wenn
gleiche Sachverhalte ohne sachliche Gründe ungleich behandelt werden (BGE 127
I 202 E. 3f/aa S. 209; 125 I 166 E. 2a S. 168, je mit Hinweisen).

2.3 Die Beschwerdeführer legen in ihrer Beschwerdeschrift nicht dar, welche
Rekursverfahren gemeint sind. Das Bundesgericht geht davon aus, dass die
Beschwerdeführer das im angefochtenen Urteil genannte Rekursverfahren A 02 58
sowie ein weiteres Rekursverfahren meinen.

Von einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der
Beschwerdeführer im Vergleich zu diesen Rekursverfahren kann im vorliegenden
Zusammenhang nicht gesprochen werden. Das Verwaltungsgericht hat den Rekurs A
02 58 gestützt auf eine geänderte materiellrechtliche Praxis gutgeheissen,
weil die Parteien dieses Verfahrens die Veranlagungsverfügung innerhalb der
ordentlichen Rechtsmittelfrist angefochten haben. Die Beschwerdeführer
verlangen die Aufhebung der sie betreffenden Veranlagungsverfügung dagegen
rund zehn Jahre nach deren Erlass mit einem Wiedererwägungsgesuch. Eine
rechtskräftige Verfügung kann in einem Wiedererwägungs- resp.
Revisionsverfahren nur geändert werden, wenn die besonderen
Verfahrensvoraussetzungen dafür erfüllt sind. Da das Verwaltungsgericht der
Auffassung ist, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, hat es den
Rekurs der Beschwerdeführer abgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat das
Rechtsgleichheitsgebot daher nicht verletzt, indem es den Rekurs der
Beschwerdeführer gestützt auf verfahrensrechtliche Gründe anders beurteilte
als den Rekurs A 02 58. Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich in
diesem Punkt als unbegründet.

3.
3.1 Sodann rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Treu und Glauben. Es
sei für sie im Zeitpunkt der Veranlagung nicht erkennbar gewesen, dass das
Meliorationsgesetz dem Bundesrecht widerspreche. Deshalb hätten sie "im Sinne
des in Art. 9 der Bundesverfassung verankerten Grundsatzes von Treu und
Glauben gehandelt". Sinngemäss berufen sich die Beschwerdeführer sowohl auf
Art. 5 Abs. 3 als auch auf Art. 9 BV. Zudem bringen sie vor, die Verfügung
sei ohne rechtliche Grundlage ergangen, was einen schweren Mangel darstelle.
Sinngemäss rügen die Beschwerdeführer damit eine Verletzung des
Willkürverbots (Art. 9 BV).

3.2 Der Anspruch auf Behandlung nach Treu und Glauben umfasst einerseits den
Vertrauensschutz und andererseits das Verbot des Rechtsmissbrauchs (Christoph
Rohner, in: Bernhard Ehrenzeller/Philippe Mastronardi/Rainer J.
Schweizer/Klaus A. Vallender, Die schweizerische Bundesverfassung -
Kommentar, Zürich 2002, N. 45 zu Art. 9). Der Vertrauensschutz wurde vormals
aus Art. 4 aBV abgeleitet und ist nunmehr in seiner spezifisch
grundrechtlichen Ausprägung (vgl. Botschaft des Bundesrates über eine neue
Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 I 134) in Art. 9 BV
verankert. Wie das Bundesgericht konkretisiert hat, verleiht der in Art. 9 BV
enthaltene Grundsatz von Treu und Glauben Anspruch auf Schutz des
berechtigten Vertrauens in behördliche Zusicherungen oder sonstiges,
bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörden (BGE 126 II 377 E.
3a S. 387; 122 II 113 E. 3b/cc S. 123, je mit Hinweisen). Das
Rechtsmissbrauchsverbot hängt dagegen näher mit der behördlichen Pflicht zu
einem Verhalten nach Treu und Glauben im Allgemeinen (Art. 5 Abs. 3 BV)
zusammen (Rohner, a.a.O., N. 57 zu Art. 9 BV; Beatrice Weber-Dürler, Neuere
Entwicklung des Vertrauensschutzes, in: ZBl 103/2002 S. 282 f.).
Rechtsmissbräuchliches Handeln der Behörde, das mit dem Vertrauensschutz
nichts zu tun hat, weil die Behörde beim Privaten keine sein Verhalten
beeinflussenden Erwartungen begründete, kann daher nur Art. 5 Abs. 3 BV
zugeordnet werden (Weber-Dürler, a.a.O., S. 283; Ulrich Häfelin/Georg Müller,
Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., Zürich 2002, N. 708; René Rhinow,
Grundzüge des schweizerischen Verfassungsrechts, Basel 2003, N. 1796). Das
Rechtsmissbrauchsverbot nach Art. 5 Abs. 3 BV stellt kein verfassungsmässiges
Recht der Bürger dar, das selbständig geltend gemacht werden kann. Vielmehr
handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der seine Geltung
unmittelbar auf die Verfassung stützt und als grundlegende Schranke der
Rechtsausübung und -anwendung dient (Botschaft, a.a.O., BBl 1997 I 134;
Rhinow, a.a.O., N. 1796; Pierre Tschannen/Ulrich Zimmerli, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 2. Aufl., Bern 2005, § 22 Rz. 1 und 23; Ulrich
Häfelin/Walter Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5. Aufl., Zürich
2001, N. 824; anderer Ansicht offenbar Yvo Hangartner, in:
Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender, a.a.O., N. 37 ff. zu Art. 5). Im
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde kann das Rechtsmissbrauchsverbot
nach Art. 5 Abs. 3 BV nur über das Willkürverbot geltend gemacht werden
(Weber-Dürler, a.a.O., S. 284; vgl. auch BGE 122 I 328 E. 3 S. 333 f.).
3.3 Die Beschwerdeführer berufen sich auf ihr Vertrauen in die frühere
Gerichtspraxis, weshalb sie die Veranlagungsverfügung seinerzeit nicht
angefochten hätten. Anders als bei Verfahrensfragen gibt es bei Änderungen
der materiellrechtlichen Praxis keinen allgemeinen Vertrauensschutz. Vielmehr
bedarf es zusätzlich einer behördlichen Zusicherung oder eines sonstige,
bestimmte Erwartungen begründenden Verhaltens der Behörden gegenüber dem
Privaten, damit er aus dem Grundsatz von Treu und Glauben einen Anspruch
ableiten kann (BGE 111 V 161 E. 5b S. 170; 103 Ib 197 E. 4 S. 202, je mit
Hinweisen; kritisch gegenüber dieser Rechtsprechung allerdings Weber-Dürler,
a.a.O., S. 305).

Die Beschwerdeführer machen nicht geltend, und es ist nicht ersichtlich, dass
das ALSV eine besondere Vertrauensgrundlage schuf, auf welche sie hätten
vertrauen dürfen. Der Vertrauensschutz (Art. 9 BV) kommt daher nicht zum
Tragen.

3.4 Es bleibt zu prüfen, ob die kantonalen Behörden gegen das
Rechtsmissbrauchsverbot (Art. 5 Abs. 3 BV) verstossen haben, indem das ALSV
im Jahr 1995 von der Bundesrechtskonformität der
Kulturlandverminderungsabgabe ausging und die Beschwerdeführer
dementsprechend veranlagte.

Dies ist ohne weiteres zu verneinen. Im Zeitpunkt der Veranlagung der
Beschwerdeführer ging auch das Verwaltungsgericht - wenn auch
fälschlicherweise - davon aus, dass die Kulturlandverminderungsabgabe
bundesrechtskonform war (vgl. Praxis des Verwaltungsgerichts des Kantons
Graubünden (PVG) 1994 Nr. 40). Dass das ALSV der Gerichtspraxis folgend
Veranlagungen vornahm, war daher nicht rechtsmissbräuchlich. Anders
entscheiden würde bedeuten, dass jeder Behörde rechtsmissbräuchliches
Verhalten vorgeworfen werden müsste, wenn sie ein Gesetz anwendet und sich
die Gerichtspraxis zu diesem Gesetz in einem späteren Zeitpunkt ändert. Die
staatsrechtliche Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als
unbegründet.

3.5 Die Rüge der Willkür (Art. 9 BV), weil die Kulturlandverminderungsabgabe
ohne rechtsgenügliche Grundlage erhoben worden sei, erschöpft sich in der
Rüge der Verletzung des Rechtsmissbrauchsverbots (Art. 5 Abs. 3 BV). Soweit
die Beschwerdeführer eine Verletzung des Willkürverbots noch aus anderen
Gründen denn als Verstoss gegen Treu und Glauben rügen, ist ihre Beschwerde
unzureichend begründet (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 130 I 258 E. 1.3 S.
262, mit Hinweisen).

4.
Nach dem Gesagten hält der angefochtene Entscheid vor der Verfassung stand.
Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich als unbegründet, soweit darauf
einzutreten ist.

Ausgangsgemäss haben die Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art.
156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Amt für Landwirtschaft,
Strukturverbesserungen und Vermessung Graubünden und dem Verwaltungsgericht
des Kantons Graubünden, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. April 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: