Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.681/2004
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1P.681/2004 /gij

Urteil vom 14. Dezember 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
Bundesrichter Féraud,
Gerichtsschreiber Forster.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas
Fingerhuth,

gegen

Bezirksstatthalteramt Arlesheim,
Kirchgasse 5, 4144 Arlesheim,
Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons
Basel-Landschaft, Präsidentin,
Kanonengasse 20, 4410 Liestal.

Strafprozess, Haftverlängerung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Verfahrensgerichts in
Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft, Präsidentin, vom 23. November 2004.

Sachverhalt:

A.
Das Bezirksstatthalteramt Arlesheim führt eine Strafuntersuchung gegen
X.________ und weitere Verdächtige wegen Betruges, Diebstahls und anderen
Delikten. Der Angeschuldigte wurde am 31. August 2004 verhaftet. Am 1.
September 2004 wurde die Untersuchungshaft gegen ihn angeordnet. Dem
Inhaftierten wird vorgeworfen, er habe zwischen Februar 2004 und seiner
Verhaftung Zahlungsaufträge aus den Aussenbriefkästen der Poststellen Muttenz
1 und Muttenz 2 mit Hilfe von Spezialwerkzeug entwendet und in der Weise
abgeändert, dass in der Folge grössere Geldbeträge auf ein von den
Verdächtigen eingerichtetes Konto überwiesen wurden. Am 17. November 2004
beantragte das Bezirksstatthalteramt Arlesheim letztmals die Verlängerung der
Haft für die Dauer von zwölf Wochen. Mit Beschluss vom 23. November 2004
bewilligte die Präsidentin des Verfahrensgerichtes in Strafsachen des Kantons
Basel-Landschaft die Weiterdauer der Haft bis zum 16. Februar 2005.

B.
Gegen den Haftverlängerungsentscheid gelangte X.________ mit
staatsrechtlicher Beschwerde vom 24. November 2004 an das Bundesgericht. Er
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides sowie seine
Haftentlassung. Das Bezirksstatthalteramt und das Verfahrensgericht in
Strafsachen beantragen mit Stellungnahmen vom  2. Dezember 2004 je die
Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer replizierte am 9. Dezember
2004.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer beantragt neben der Aufhebung des angefochtenen
Entscheides seine Haftentlassung. Dieses Begehren ist in Abweichung vom
Grundsatz der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde zulässig,
da im Falle einer nicht gerechtfertigten strafprozessualen Haft die von der
Verfassung geforderte Lage nicht schon mit der Aufhebung des angefochtenen
Entscheids sondern erst durch eine positive Anordnung hergestellt werden kann
(BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S. 131 f.; 124 I 327 E. 4a S. 332; 115 Ia 293 E. 1a
S. 296 f., je mit Hinweisen).

2.
Nach basellandschaftlichem Strafprozessrecht ist die Anordnung und
Weiterdauer von Untersuchungshaft nur zulässig, wenn die inhaftierte Person
eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist, weswegen gegen sie
ein Strafverfahren eröffnet wurde, und falls aufgrund konkreter Indizien
ernsthaft zu befürchten ist, sie werde die Freiheit zur Flucht, zur
Verdunkelung oder zur Fortsetzung der deliktischen Tätigkeit missbrauchen (§
77 Abs. 1-2 StPO/BL). Fortsetzungsgefahr setzt voraus, dass die zu
befürchtenden Delikte "eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder
Eigentum anderer Personen" darstellen (§ 77 Abs. 1 lit. c StPO/BL).

3.
Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen des dringenden Tatverdachtes
eines Verbrechens oder Vergehens nicht. Er wendet sich jedoch gegen die
Annahme eines besonderen Haftgrundes, namentlich von Fortsetzungsgefahr. Die
im angefochtenen Entscheid getroffene Rechtsgüterabwägung sei "willkürlich",
die Weiterdauer der Haft verletze seinen verfassungsmässigen Anspruch auf
persönliche Freiheit.

3.1 Nach der Praxis des Bundesgerichtes kann die Anordnung von Haft wegen
Fortsetzungsgefahr dem strafprozessualen Ziel der Beschleunigung dienen,
indem verhindert wird, dass sich das Verfahren durch immer neue Delikte
kompliziert und in die Länge zieht (BGE 105 Ia 26 E. 3c S. 31). Auch die
Wahrung des Interesses an der Verhütung weiterer Delikte ist nicht
verfassungs- und grundrechtswidrig. Vielmehr anerkennt Art. 5 Ziff. 1 lit. c
EMRK ausdrücklich die Notwendigkeit, Angeschuldigte an der Begehung
strafbarer Handlungen zu hindern, somit Spezialprävention, als Haftgrund (BGE
125 I 361 E. 4c S. 366; 123 I 268 E. 2c S. 270).

Bei der Annahme, dass Angeschuldigte weitere Verbrechen oder Vergehen begehen
könnten, ist allerdings Zurückhaltung geboten. Da Präventivhaft einen
schwerwiegenden Eingriff in das Recht der persönlichen Freiheit darstellt,
muss sie auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruhen, im
öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein (BGE 123 I 221 E. 4
S. 226). Die Aufrechterhaltung von strafprozessualer Haft wegen
Fortsetzungsgefahr ist verhältnismässig, wenn einerseits die Rückfallprognose
sehr ungünstig und anderseits die zu befürchtenden Delikte von schwerer Natur
sind (BGE 123 I 268 E. 2e S. 271 ff.). Die rein hypothetische Möglichkeit der
Verübung weiterer Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige
Straftaten verübt werden, reichen dagegen nicht aus, um eine Präventivhaft zu
begründen. Schliesslich gilt auch bei der Präventivhaft - wie bei den übrigen
Haftarten - dass sie nur als "ultima ratio" angeordnet oder aufrecht erhalten
werden darf. Wo sie durch mildere Massnahmen (wie z.B. ambulante ärztliche
Betreuung, regelmässige Meldung bei einer Amtsstelle etc.) ersetzt werden
kann, muss von der Anordnung oder Fortdauer der Haft abgesehen und an ihrer
Stelle eine dieser Ersatzmassnahmen angeordnet werden (BGE 125 I 60 E. 3a S.
62; 124 I 208 E. 5 S. 213; 123 I 268 E. 2c S. 270 f.).
3.2 Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das
verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen der Ablehnung eines
Haftentlassungsgesuches erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick
auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und Anwendung des entsprechenden
kantonalen Rechtes frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit
Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur
ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich
sind (BGE 128 I 184 E. 2.1 S. 186; 123 I 31 E. 3a S. 35, 268 E. 2d S. 271, je
mit Hinweisen).

3.3 Im angefochtenen Entscheid wird unter anderem erwogen, dass der
Beschwerdeführer dringend verdächtig sei, schon im Oktober 2002 "praktisch
identische Delikte" begangen zu haben. Das betreffende Strafverfahren, dass
zwischenzeitlich sistiert worden sei, sei derzeit bei der Staatsanwaltschaft
des Kantons Basel-Landschaft hängig. Trotzdem habe der Beschwerdeführer (ab
Februar 2004) einschlägig weiter delinquiert. Daraus sei zu schliessen, dass
er sich "offensichtlich nicht einmal von einem hängigen Verfahren" davon
"abhalten liess, weitere Vermögensdelikte zu begehen".

3.4 Der Beschwerdeführer räumt zwar ein, dass er "während eines bereits
laufenden Strafverfahrens erneut einschlägig delinquiert" habe. Dieser
Umstand werde "zweifelsohne in der Strafzumessung seine Wirkung zeigen". Er
könne jedoch "alleine sicherlich noch nicht dazu führen, eine
Fortsetzungsgefahr zu begründen". "Der erneute Fall des Beschwerdeführers
zurück in die Delinquenz" sei "erst annähernd zwei Jahre später" erfolgt und
somit nicht innert relativ kurzer Zeit. Dazwischen habe er sich "nichts mehr
zuschulden kommen lassen". Insofern sei er nicht bereits mehrfach
"rückfällig" geworden. Auch dürfe "hier der Hinweis auf das Verhalten der
Banken nicht fehlen, welche trotz längerer Kenntnis der hier zur Diskussion
anstehenden Vorgehensweise (...) bis heute nichts unternommen" hätten, "um
einen solchen Missbrauch zu verhindern". Beim Beschwerdeführer handle es sich
nicht "um eine psychisch angeschlagene, unberechenbare oder impulsive
Person". Er sei "seit nunmehr über fünf Jahren" mit einer Schweizerin
verheiratet und "nicht vorbestraft". Zwar sei er arbeitslos und ohne
Vermögen, seine Ehefrau trage mit ihrem Verdienst jedoch zum finanziellen
Unterhalt der Eheleute bei. Selbst wenn Fortsetzungsgefahr bzw. eine sehr
ungünstige Rückfallprognose zu bejahen wäre, was er bestreite, sei noch zu
prüfen, "ob die Haft nicht durch mildere Massnahmen ersetzt werden könnte".
Auch die teilrevidierte kantonale StPO kenne nach wie vor die
Sicherheitsleistung als mögliche Ersatzmassnahme. Ausserdem seien weitere
Alternativen zu prüfen "wie z.B. eine regelmässige Meldung bei einer
Amtsstelle".

3.5 Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, er habe mit Hilfe von
Spezialwerkzeug mehrmals Zahlungsaufträge aus den Aussenbriefkästen
verschiedener Poststellen entwendet. Die fremden Zahlungsaufträge habe er
jeweils so abgeändert bzw. gefälscht, dass grössere Geldbeträge auf ein von
ihm bzw. seinen Komplizen eingerichtetes Konto überwiesen worden seien. Der
Beschwerdeführer ist diesbezüglich grundsätzlich geständig. Wie sich weiter
aus den Akten ergibt, wird der Deliktsbetrag auf mehrere Hunderttausend
Schweizer Franken geschätzt, betroffen sind zahlreiche Geschädigte. Der
Beschwerdeführer bestreitet nicht, bereits zwischen Mitte September und Ende
Oktober 2002 einschlägige Delikte verübt zu haben, weswegen die
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft am 24. Juni 2004 Anklage wegen mehrfachen
Betruges und weiteren Straftaten gegen ihn erhob. Dennoch habe er ab
Februar/März 2004 bis zu seiner Verhaftung am 31. August 2004 seine
deliktische Tätigkeit fortgesetzt. Nach eigener Darstellung hat er "in beiden
Verfahren ein vollumfängliches Geständnis abgelegt".

Bei dieser Sachlage erweist sich die Annahme der kantonalen Justizbehörden,
es drohe beim Beschwerdeführer im Falle seiner Haftentlassung eine erhebliche
Rückfallsgefahr, als verfassungskonform. Die zu befürchtenden
Vermögensdelikte sind sodann schwerwiegender Natur. Dem Angeschuldigten wird
eine hohe Deliktssumme von über CHF 400'000.-- sowie ein dreistes Vorgehen
angelastet, indem er wiederholt und mit Spezialwerkzeug öffentliche
Briefkästen geplündert habe. Aus seinem Einwand, die Geschädigten bzw. die
involvierten Banken hätten "bis heute nichts" gegen dieses deliktische
Vorgehen "unternommen", kann der Beschwerdeführer nichts ableiten, was gegen
Wiederholungsgefahr spräche. Im Zusammenspiel mit den bereits genannten
Faktoren kann ferner der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach eigenen
Darlegungen "ohne Vermögen" und arbeitslos sei, eine gewisse Versuchung für
weitere ähnliche Vermögensdelikte bilden. Seine Behauptung, er sei
(überhaupt) "nicht vorbestraft", findet in den Akten keine Stütze. Die
Annahme von Fortsetzungsgefahr beruht beim jetzigen Stand des Verfahrens auf
einer willkürfreien Würdigung der bisherigen Untersuchungsergebnisse. Das
Gleiche gilt für die Einschätzung der kantonalen Strafjustizbehörden, der
Wiederholungsgefahr lasse sich momentan nicht durch mildere Ersatzmassnahmen
für Untersuchungshaft ausreichend begegnen. Der Beschwerdeführer macht
geltend, er sei "ohne Vermögen" und lebe von der Arbeitslosenunterstützung
bzw. von den Einkünften seiner Frau. Eine Haftkaution oder eine
Friedensbürgschaft fallen ausser Betracht, zumal diese ihn nicht selbst
finanziell belasten würden, sondern allenfalls seine Angehörigen. Ebenso
wenig ist ersichtlich, inwiefern die vom Beschwerdeführer genannte
Meldepflicht ihn wirksam davon abhalten könnte, seine deliktische Tätigkeit
erneut fortzusetzen.

3.6 Nach dem Gesagten liegen ausreichende Haftgründe vor. Es braucht nicht
zusätzlich geprüft zu werden, ob neben der Fortsetzungsgefahr auch noch die
besonderen Haftgründe der Flucht- oder der Verdunkelungsgefahr zu bejahen
wären.

4.
Damit ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und
Rechtsverbeiständung. Er befinde sich seit 31. August 2004 in Haft. Zwar habe
er keine Schulden, aber auch kein Vermögen. Vor seiner Verhaftung sei er
arbeitslos gewesen und habe "bis dahin lediglich Arbeitslosenunterstützung"
bezogen. An anderer Stelle legt der Gesuchsteller allerdings dar, dass seine
Ehefrau mit ihrem Verdienst zum Unterhalt der Ehegatten beitrage. Ausserdem
wird die Deliktssumme von den kantonalen Behörden auf mehrere Hunderttausend
Schweizer Franken geschätzt. Insofern könnten sich gewisse Zweifel an der
Mittellosigkeit des Gesuchstellers aufdrängen (vgl. dazu Alfred Bühler,
Prozessarmut, in: Christian Schöbi [Hrsg.], Gerichtskosten, Parteikosten,
Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, Bern 2001, S. 143 f.; Max
Hauri, Die Bestellung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes für Geschädigte im
Zürcher Strafprozess, Diss. ZH 2002, S. 192). Aufgrund der vorliegenden Akten
lassen diese Bedenken jedoch noch keine Verweigerung der unentgeltlichen
Rechtspflege im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht zu. Die für die
Strafuntersuchung (und namentlich für die Ermittlung der finanziellen
Verhältnisse des Angeschuldigten) zuständigen kantonalen Justizbehörden haben
dem Angeschuldigten am 20. September 2004 die Offizialverteidigung bewilligt.
Er befindet sich seit gut drei Monaten in Haft, zuvor war er arbeitslos.
Seine Verbeiständung durch einen Rechtsvertreter erscheint ausserdem sachlich
geboten, und die vorliegende Beschwerde erweist sich nicht als zum vornherein
geradezu aussichtslos. Damit sind die gesetzlichen Voraussetzungen der
unentgeltlichen Rechtspflege bei der jetzigen Aktenlage grundsätzlich zu
bejahen (Art. 152 OG), und das Armenrechtsgesuch ist zu bewilligen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth wird als unentgeltlicher Rechtsvertreter
ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse
mit einem Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bezirksstatthalteramt Arlesheim
und dem Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft,
Präsidentin, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Dezember 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: