Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.677/2004
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1P.677/2004 /gij

Urteil vom 14. Dezember 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
Gerichtsschreiber Steinmann.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Christoph Dumartheray,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410
Liestal,
Präsidentin des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons
Basel-Landschaft, Kanonengasse 20, 4410 Liestal.

persönliche Freiheit, Art. 10 und 31 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK (Haft),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss der Präsidentin des
Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft vom 16.
November 2004.

Sachverhalt:

A.
Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Basel-Landschaft führen gegen
X.________ ein Verfahren wegen Vergewaltigung, Gefährdung des Lebens und
weitern Delikten zum Nachteil von Y.________.

X. ________ wurde am 12. März 2004 in Untersuchungshaft gesetzt. Die
Untersuchungshaft wurde mehrmals verlängert. Die mittlerweile zuständige
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft ersuchte am 8. November 2004
um eine angemessene Verlängerung der Haft. Die Präsidentin des
Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft hiess dieses
Ersuchen am 16. November 2004 gut. Sie bejahte den allgemeinen Haftgrund des
dringenden Tatverdachts wie auch den speziellen Haftgrund der
Fortsetzungsgefahr, bewilligte im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende
Überweisung der Strafsache an das Strafgericht indessen lediglich eine
Haftverlängerung bis zum 15. Dezember 2004.

B.
Gegen diesen Entscheid des Präsidentin des Verfahrensgerichts hat X.________
am 26. November 2004 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er beantragt die
Aufhebung von deren Entscheid sowie seine unverzügliche Entlassung aus der
Haft und ersucht ferner um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Er
bestreitet das Vorliegen von Fortsetzungsgefahr, welche von der
Rückfallgefahr zu unterscheiden sei, und erblickt in der Fortsetzung der
Untersuchungshaft Verletzungen von Art. 10 und 31 BV sowie von Art. 5 Ziff. 3
EMRK.

Unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid beantragt die Präsidentin des
Verfahrensgerichts die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft
ersucht um Abweisung, soweit auf die Beschwerde eingetreten werden könne, und
weist auf die Ausführungen der Präsidentin zur Gegenüberstellung von
Fortsetzungs- und Rückfallgefahr in deren Beschluss vom 22. September 2004
hin.

In seiner Replik vom 8. Dezember 2004 hält der Beschwerdeführer an seinen
Anträgen fest.
In der Zwischenzeit ist die Strafsache an das Strafgericht überwiesen worden.
Das Strafgericht hat die Untersuchungshaft mit Entscheid vom 1. Dezember 2004
bis zum 26. Januar 2005 verlängert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen besondern Bemerkungen Anlass:
Der Beschwerdeführer ist zur rechtzeitig erhobenen Beschwerde legitimiert und
hat im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren zulässige Begehren gestellt
(vgl. BGE 124 I 327 E. 4/aa S. 333, 115 Ia 293 E. 1a S. 297). Der Beschwerde
steht auch der Umstand nicht entgegen, dass das Strafgericht, an das die
Strafsache überwiesen worden ist, die Haft mittlerweile bis am 26. Januar
2005 verlängert hat. Schliesslich ist im Zusammenhang mit den einzelnen
Vorbringen zu prüfen, ob die Beschwerdeschrift den Begründungsanforderungen
von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügt.

2.
Nach § 77 Abs. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft (StPO)
kann Untersuchungshaft angeordnet bzw. verlängert werden, wenn ein dringender
Verdacht besteht, dass die beschuldigte Person ein Verbrechen oder Vergehen
begangen hat, und aufgrund konkreter Indizien zudem ernsthaft zu befürchten
ist, die beschuldigte Person würde die Freiheit benützen zur Flucht (lit.a),
zur Erschwerung oder Vereitelung der Untersuchung (lit. b) oder zur
Fortsetzung der deliktischen Tätigkeit, sofern diese eine erhebliche Gefahr
für Leib, Leben, Freiheit oder Eigentum anderer Personen darstellt (lit. c).

Der Beschwerdeführer zieht den dringenden Tatverdacht nicht in Zweifel. Er
bestreitet indessen das Vorliegen von Fortsetzungsgefahr und erachtet daher
die Haftverlängerung als verfassungswidrig. Demgegenüber wird im
angefochtenen Entscheid der spezielle Haftgrund der Fortsetzungsgefahr
bejaht. Im Folgenden ist daher einzig zu prüfen, ob Fortsetzungsgefahr
gegeben ist und die Haft vor den angerufenen Freiheitsrechten standhält.

2.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist Untersuchungshaft wegen
Fortsetzungsgefahr verfassungsrechtlich zulässig und verhältnismässig, wenn
einerseits die Rückfallprognose sehr ungünstig ist und andererseits die zu
befürchtenden Delikte von schwerer Natur sind. Die rein hypothetische
Möglichkeit der Verübung weiterer Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass
nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen dagegen nicht aus, um
Präventivhaft zu begründen (vgl. BGE 125 I 60 E. 3a S. 62, mit Hinweisen).

Der Beschwerdeführer unterscheidet in terminologischer Hinsicht zwischen
Fortsetzungs- und Rückfallgefahr. Dieser Unterscheidung kommt indessen keine
Bedeutung zu, wie die Präsidentin in ihrem Beschluss vom 22. September 2004,
auf den im angefochtenen Entscheid verwiesen wird und mit dem sich der
Beschwerdeführer nicht auseinandersetzt, festgehalten hatte. Für die
verfassungsrechtliche Zulässigkeit der strafprozessualen Zwangsmassnahme der
Untersuchungshaft ist im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und
des Wortlautes von § 77 Abs. 1 lit. c StPO einzig ausschlaggebend, ob
ernsthaft zu befürchten ist, dass die Freiheit während der Dauer des
Verfahrens zur Fortsetzung der deliktischen Tätigkeit benützt werde. Dies ist
nachfolgend zu prüfen.

2.2 Im Beschluss vom 22. September 2004 wurde zur Begründung der
Fortsetzungsgefahr auf das Vorabgutachten der Psychiatrischen
Universitätsklinik (PUK) vom 7. Mai 2004 sowie auf ein Gutachten vom 23.
August 2004 verwiesen. Im nunmehr angefochtenen Beschluss wird (zudem) auf
die Antworten der Gutachterin vom 13. Oktober 2004 zu den Ergänzungsfragen
(im Folgenden Ergänzungsgutachten) Bezug genommen, woraus hervorgehe, dass
die Rückfallgefahr so lange bestehe, als die Probleme des Beschwerdeführers
nicht in spezifischer Weise und fachgemäss behandelt würden und der Therapeut
nachweisbare Veränderungen belegen könne.

Der Beschwerdeführer setzt sich mit diesen Ausführungen im angefochtenen
Beschluss bzw. im Ergänzungsgutachten nicht auseinander, weshalb fraglich
ist, ob insoweit auf die Beschwerde überhaupt eingetreten werden könne. Es
kann ihnen klarerweise entnommen werden, dass die Gefahr neuen deliktischen
Verhaltens anhalte, solange die Schwierigkeiten des Beschwerdeführers nicht
behandelt würden und eine Therapie keine klaren Ergebnisse zeitige. Diese
Beurteilung wird durch die Vorbringen des Beschwerdeführers nicht in Frage
gestellt. Insbesondere vermögen die Umstände, dass er therapiewillig und
-fähig sei und eine Therapie durch eine Fachperson nun tatsächlich
aufgenommen worden ist (was im Zeitpunkt des Beschlusses vom 22. September
2004 noch nicht der Fall gewesen war), an der Folgerung der Gutachterin und
der Beurteilung im angefochtenen Entscheid nichts zu ändern. Er bringt
lediglich vor, dass er mit der Therapie nunmehr begonnen habe, ohne
darzulegen, dass dieser auch schon nachhaltige Wirkung zukomme. Weiter ist
nach gutachterlicher Aussage ohne Bedeutung, dass der Beschwerdeführer ein
Geständnis abgelegt und seine Tat "verbalisiert" habe. Ferner bedarf es nach
dem Gutachten für die Bejahung der Gefahr weiteren deliktischen Verhaltens
keiner eigentlichen psychischen Störung. Auch ist in Anbetracht der erst
wenig zurückliegenden Straftaten nicht nachvollziehbar, weshalb ein intaktes
soziales Netz, eine Unterkunft und eine allfällige Arbeitsstelle den
Beschwerdeführer nunmehr von neuem deliktischen Verhalten abhalten könnten.
Schliesslich mag zwar zutreffen, dass die bereits erstandene Haft beim
Beschwerdeführer einen starken Eindruck hinterlassen hat; dem
Ergänzungsgutachten ist indessen zu entnehmen, dass die damit verbundene
Wirkung oftmals nur von kurzer Dauer ist.

Der angefochtene Beschluss und die Bejahung von Fortsetzungsgefahr beruhen
auf einer Würdigung von konkreten Indizien und gutachterlichen Aussagen zur
Person des Beschwerdeführers. Dagegen vermögen abstrakte Kriterien der
forensischen Psychiatrie zur Prognosebeurteilung von vornherein nicht
aufzukommen. Der Beschwerdeführer vermag darüber hinaus die
Fortsetzungsgefahr in keiner Weise in Zweifel zu ziehen. Damit lässt sich die
Annahme von Fortsetzungsgefahr im vorliegenden Fall im Lichte der angerufenen
Freiheitsrechte halten.

2.3 Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, die Fortsetzung der
Untersuchungshaft sei unverhältnismässig und verletze auch in dieser Hinsicht
Verfassungsrecht. Hierfür bringt er vor, dass es ihm in der Haft nicht
möglich sei, die Therapie im wünschbaren Ausmass zu vollziehen; die
Entlassung aus der Haft würde eine wesentlich intensivere Therapie
ermöglichen, den Vollzug einer Gruppentherapie erlauben und sich schliesslich
auf die spätere Resozialisierung positiv auswirken. Dabei übersieht er, dass
auf der andern Seite Delikte von schwerer Natur für Leib und Leben von
Personen zu befürchten sind. Diese konkrete Gefahr lässt die Fortsetzung der
Untersuchungshaft nicht als unverhältnismässig erscheinen.

3.
Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden kann.

Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im
Sinne von Art. 152 Abs. 1 und 2 OG. Obwohl sich die Beschwerde als
unbegründet erweist, kann sie nicht von vornherein als aussichtslos im Sinne
von Art. 152 OG betrachtet werden. Die Mittellosigkeit des Beschwerdeführers,
dem bereits im kantonalen Verfahren ein Offizialverteidiger bewilligt worden
ist, kann aufgrund der Akten angenommen werden. Dem Ersuchen ist daher
stattzugeben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Christoph Dumartheray wird für das bundesgerichtliche
Verfahren als amtlicher Rechtsvertreter bezeichnet und aus der
Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'000.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Basel-Landschaft und der Präsidentin des Verfahrensgerichts in Strafsachen
des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Dezember 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: