Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.650/2004
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1P.650/2004 /sta

Urteil vom 9. Dezember 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Féraud,
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch
Advokat Daniel Bäumlin,

gegen

Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Präsident, Bäumleingasse 1, 4051
Basel.

Art. 29 Abs. 3 BV (unentgeltliche Verteidigung für das
Haftbeschwerdeverfahren),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt, Präsident, vom 27. Oktober 2004.
Sachverhalt:

A.
X. ________ wurde am 15. Juli 2004 festgenommen. Ihm wird der Handel mit 2,5
bis 3 Kilogramm Kokain vorgeworfen. Am 17. Juli 2004 wurde er wegen
Kollusionsgefahr, vorerst für vier Wochen, in Untersuchungshaft versetzt. Aus
demselben Grund verlängerte der Haftrichter des Kantons Basel-Stadt am 12.
August 2004 und am 6. Oktober 2004 die Untersuchungshaft für je weitere acht
Wochen, d.h. letztmals bis am 4. Dezember 2004.

B.
X.________ erhob gegen die Haftverfügung vom 6. Oktober 2004 Beschwerde an
das Appellationsgericht Basel-Stadt. Er beantragte, die Haftverfügung sei
aufzuheben und er sei unverzüglich auf freien Fuss zu setzen. Für den Fall
der Abweisung der Beschwerde beantragte er eventualiter die unentgeltliche
Prozessführung.

C.
Zusammen mit der Eröffnung des zweiten Schriftenwechsels im
Haftbeschwerdeverfahren wies der Präsident des Appellationsgerichts das
Begehren um unentgeltliche Verteidigung zufolge Aussichtslosigkeit der
Beschwerde mit Verfügung vom 27. Oktober 2004 ab.

D.
Gegen die Verfügung des Appellationsgerichtspräsidenten führt X.________
staatsrechtliche Beschwerde. Neben der Aufhebung des angefochtenen Entscheids
beantragt er, es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege im
Haftbeschwerdeverfahren zu gewähren, unter Beiordnung des beschwerdeführenden
Advokaten als unentgeltlichen Verteidiger. Zudem stellt er ein Gesuch um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Verfahren vor
Bundesgericht.
Der Präsident des Appellationsgerichts ersucht um Abweisung der Beschwerde.
Dabei verweist er auf die am 12. November 2004 erfolgte kostenpflichtige
Abweisung der Haftbeschwerde.

E.
In der Replik hat X.________ an seinen Anträgen festgehalten.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die angefochtene Verfügung, mit der das Gesuch um unentgeltliche
Verteidigung für das Haftbeschwerdeverfahren abgewiesen worden ist, hat
dieses Verfahren gegen den Beschwerdeführer nicht abgeschlossen. Es handelt
sich um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87
Abs. 2 OG. Dagegen ist die staatsrechtliche Beschwerde zulässig, sofern der
Entscheid einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann.
Zwischenentscheide, mit denen die unentgeltliche Rechtspflege und
Verteidigung verweigert wird, haben in der Regel einen solchen Nachteil zur
Folge (BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131, 281 E. 1.1 S. 283 f., je mit Hinweis).
Das trifft auch für den hier in Frage stehenden Zwischenentscheid zu. Der
Umstand, dass der Beschwerdeführer seine Interessen im kantonalen
Haftbeschwerdeverfahren ohne den Beistand eines Anwalts wahrnehmen muss, kann
einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG
bewirken. Gegen einen solchen Entscheid steht die staatsrechtliche Beschwerde
offen.

1.2 In der Folge hat der Beschwerdeführer im kantonalen
Haftbeschwerdeverfahren die Wiedererwägung der mit staatsrechtlicher
Beschwerde angefochtenen Verfügung vom 27. Oktober 2004 beantragt. Dieses
Gesuch wurde im Rahmen des Haftbeschwerdeentscheids vom 12. November 2004
abgewiesen. Ein Wiedererwägungsgesuch ist kein förmliches Rechtsmittel, da
auf seine Behandlung grundsätzlich kein Anspruch besteht; es muss daher auch
nicht zur Erschöpfung des Instanzenzugs vor der staatsrechtlichen Beschwerde
gestellt werden. Wird es abgewiesen, so tritt in der Regel der
Wiedererwägungsentscheid nicht an die Stelle des angefochtenen Entscheids und
er muss deshalb nicht erneut mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten
werden (BGE 121 I 326 E. 1a S. 328 mit Hinweisen). Die staatsrechtliche
Beschwerde gegen die Verfügung vom 27. Oktober 2004 bleibt damit zulässig.

1.3 Eine Ausnahme von der grundsätzlich kassatorischen Natur der
staatsrechtlichen Beschwerde ist im vorliegenden Fall nicht gegeben (BGE 129
I 129 E. 1.2.3 S. 132 f.). Soweit der Beschwerdeführer mehr beantragt als die
Aufhebung des angefochtenen Entscheides, kann darauf nicht eingetreten
werden.

1.4 Weiter sprengt die staatsrechtliche Beschwerde den Streitgegenstand
insoweit, als sie sich gegen die Auferlegung der Verfahrenskosten im
kantonalen Haftbeschwerdeverfahren richtet.
Bei der unentgeltlichen Rechtspflege (im Sinne einer Befreiung von den
Verfahrens- und Gerichtskosten) und der unentgeltlichen Verteidigung handelt
es sich um zwei verschiedene Teilgehalte von Art. 29 Abs. 3 BV (Ulrich
Häfelin/Walter Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5. Aufl., Zürich
2001, Rz. 840 ff.). Gemäss baselstädtischem Strafprozessrecht sind die beiden
Bereiche in unterschiedlichen Bestimmungen geregelt. Die Verfahrenskosten
werden grundsätzlich nach Massgabe des prozessualen Obsiegens verlegt (§ 165
Abs. 2 i.V.m. § 35 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt vom 8.
Januar 1997 [StPO/BS]). Der kantonalrechtliche Anspruch auf unentgeltliche
Verteidigung ist in § 15 StPO/BS verankert.

Die angefochtene Verfügung äussert sich im Dispositiv lediglich zur
unentgeltlichen Verteidigung, nicht jedoch auch zur unentgeltlichen
Rechtspflege. In der Verfügungsbegründung wird das Dispositiv zwar in den
weiteren Zusammenhang der Aussichtslosigkeit im Sinne der Kostenerlasspraxis
gestellt. Gemäss der Vernehmlassung des Appellationsgerichtspräsidenten ging
es aber mit der Verfügung darum, der Verteidigung frühzeitig anzuzeigen, dass
ihre Bemühungen nicht zu Lasten des Staates honoriert würden. Dem
Beschwerdeführer war für die Haftbeschwerde auch kein Kostenvorschuss
auferlegt worden. Auf die Beschwerde ist demnach nicht einzutreten, soweit
damit, über die Verweigerung der unentgeltlichen Verteidigung hinaus, eine
Verletzung des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege gerügt wird.

1.5 Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben keinen Anlass zu
Bemerkungen, so dass auf die Beschwerde gegen die Verweigerung der
unentgeltlichen Verteidigung, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen
(Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 130 I 26 E. 2.1 S. 31 mit Hinweisen),
eingetreten werden kann.

2.
2.1 Der Anspruch auf unentgeltliche Verteidigung ergibt sich als
Minimalgarantie direkt aus Art. 29 Abs. 3 BV, soweit das kantonale Recht
keine weitergehenden Ansprüche gewährt (BGE 128 I 225 E. 2.3 S. 226 f. mit
Hinweisen). Da der Beschwerdeführer nicht detailliert vorbringt, § 15 StPO/BS
sei verletzt worden, kann sich die Prüfung darauf beschränken, ob der direkt
aus Art. 29 Abs. 3 BV hergeleitete Anspruch verletzt worden ist.

2.2 Gestützt auf Art. 29 Abs. 3 BV kann der mittellose Angeschuldigte die
unentgeltliche Rechtsverbeiständung in einem für ihn nicht aussichtslosen
Verfahren verlangen, sofern dies zur Wahrung seiner Interessen notwendig bzw.
sachlich geboten ist. Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers und die
sachliche Gebotenheit der Verbeiständung stehen hier nicht in Frage. Die
unentgeltliche Verteidigung wurde im angefochtenen Entscheid allein deshalb
verweigert, weil die Beschwerde gegen die Verweigerung der Haftentlassung
aussichtslos sei.

3.
Ein Rechtsmittel ist dann als aussichtslos anzusehen, wenn die
Gewinnaussichten erheblich geringer sind als die Verlustgefahren und daher
kaum mehr als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren
nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren
ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese.
Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel
verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Rechtsmittel entschliessen
oder davon absehen würde; denn eine Partei soll ein Rechtsmittel, das sie auf
eigene Rechnung und Gefahr nicht einreichen würde, nicht deshalb erheben
können, weil es sie nichts kostet.

Die Rüge einer bedürftigen Partei, ihr verfassungsmässiger Anspruch auf
unentgeltliche Verteidigung sei verletzt, prüft das Bundesgericht in
rechtlicher Hinsicht frei, in tatsächlicher dagegen nur unter dem
Gesichtspunkt der Willkür. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten
bestehen, beurteilt sich nach den Verhältnissen zur Zeit, in der das Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird, namentlich aufgrund der bis
dann vorliegenden Akten (BGE 128 I 225 E. 2.5.3 S. 236; 127 I 202 E. 3a S.
205, je mit Hinweisen).

Die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft stellt eine tief
greifende Beschränkung der persönlichen Freiheit dar, weshalb nach ständiger
Praxis des Bundesgerichts bei Haftentlassungsgesuchen nur mit grosser
Zurückhaltung auf Aussichtslosigkeit zu schliessen ist.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer stellt das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts
nicht in Frage. Er beruft sich auf die Rechtsprechung, wonach für die Annahme
von Kollusionsgefahr konkrete Indizien gefordert sind (BGE 128 I 149 E. 2.1
S. 151 mit Hinweisen), und bringt weitgehend appellatorisch vor, solche
würden in seinem Fall fehlen. Seit seiner letzten Einvernahme seien mehrere
Wochen verstrichen. Nachdem im Laufe einer Strafuntersuchung die
Kollusionsgefahr stets abnehme, wiege die Haft umso schwerer, je länger sie
andauere. Deshalb sei die erhobene Haftbeschwerde durchaus legitim.

4.2 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers war die gegen ihn
gerichtete Strafuntersuchung im Zeitpunkt der Erhebung der kantonalen
Haftbeschwerde und des Gesuchs um unentgeltliche Verteidigung nicht
abgeschlossen. Es trifft auch nicht zu, dass keine weiteren
Untersuchungshandlungen vorgesehen waren.

4.2.1 Der Beschwerdeführer war hinsichtlich der ihm vorgeworfenen
Betäubungsmittelmenge nur in einem kleinen Umfang geständig. Zugegeben hatte
er den Vertrieb in einer Menge von höchstens 400 Gramm. Die Aussagen von
Y.________ sind nach den insoweit unbestrittenen Ausführungen der
Staatsanwaltschaft der Hauptbelastungsbeweis, von dessen Überzeugungskraft
eine Anklage gegen den Beschwerdeführer offenbar in wesentlichen Punkten
abhängig ist. Es ist gerichtsnotorisch, dass in Verfahren gegen
Drogenhändlerbanden immer wieder versucht wird, Belastungszeugen bzw.
belastende Auskunftspersonen einzuschüchtern oder sonstwie zu beeinflussen,
um sie zu einer Rücknahme ihrer Belastungen zu bringen. Nach der
Rechtsprechung war unter diesen Umständen Kollusionsgefahr anzunehmen, auch
wenn der Beschwerdeführer zuvor keine Anstalten getroffen hatte, Y.________
zu beeinflussen. Dazu hatte er in der Untersuchungshaft auch keine
Gelegenheit, weshalb dies keine Gewähr dafür bot, dass er die Freiheit nicht
dazu missbrauchen könnte, auf diesen einzuwirken.

Der Beschwerdeführer war denn auch verschiedentlich bestrebt, seine Aussagen
mit denen der übrigen Mitbeschuldigten abzustimmen (vgl. seine Einvernahme
vom 26. August 2004). Aufgrund der erheblichen Divergenzen in den Aussagen
und des bisherigen Aussageverhaltens des Beschwerdeführers war die
Kollusionsgefahr demnach ohne weiteres zu bejahen. Seine Interessenlage
unterschied sich grundlegend von derjenigen des geständigen Y.________, so
dass er aus dessen Freilassung nichts zu seinen Gunsten ableiten konnte.

4.2.2 Mit der Verlängerung der Haft sollte aber vor allem verhindert werden,
dass der Beschwerdeführer mit den bisher nicht einvernommenen Lieferanten der
Drogen, insbesondere dem flüchtigen Z.________ und dem aus
untersuchungstaktischen Gründen noch nicht verhafteten "A.________", - aber
auch mit weiteren Beteiligten - in Kontakt treten und sich mit diesen
absprechen könne. Dass bei dieser Sachlage auch insofern eine konkrete
Kollusionsgefahr zu bejahen ist, liegt auf der Hand.

4.3 Der Appellationsgerichtspräsident hat deshalb Art. 29 Abs. 3 BV nicht
verletzt, indem er die Beschwerde als aussichtslos bezeichnet und das Gesuch
um Gewährung der unentgeltlichen Verteidigung abgewiesen hat.

5.
Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Die Voraussetzungen zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne
von Art. 152 OG sind erfüllt, zumal sich für die staatsrechtliche Beschwerde
hinsichtlich deren Aussichtslosigkeit andere Fragen als im kantonalen
Haftbeschwerdeverfahren stellen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird gutgeheissen.

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Advokat Daniel Bäumlin wird als unentgeltlicher Rechtsvertreter
eingesetzt und mit Fr. 1'000.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt, Präsident, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Dezember 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: