Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.637/2004
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1P.637/2004 /sza

Urteil vom 6. Januar 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
Gerichtsschreiberin Schilling.

X. ________,
p.A. Schürmann und Partner,
Beschwerdeführer,

gegen

Y.________, Bezirksgericht Zürich, 3. Abteilung, Postfach, 8026 Zürich,
Z.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Daniel Trachsel,
Beschwerdegegner,
Obergericht des Kantons Zürich, Verwaltungskommission, Postfach, 8023 Zürich.

Ablehnung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss der Verwaltungskommission des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 20. Oktober 2004.

Sachverhalt:

A.
Die Eheleute Z.________ und X.________ gelangten im Juni 2004 an den
Einzelrichter in Ehesachen des Bezirksgerichtes Zürich und verlangten
gestützt auf Art. 112 ZGB gemeinsam die Scheidung ihrer Ehe. An der "1.
Anhörung/Hauptverhandlung" vom 20. September 2004 stellten die Parteien ihre
Anträge zu den noch nicht einvernehmlich geregelten Scheidungsfolgen,
insbesondere zu den von X.________ zu leistenden nachehelichen
Unterhaltsbeiträgen. Anschliessend an die Parteivorträge fand offenbar eine
formlose - nicht im Einzelnen protokollierte - Besprechung darüber statt, wie
das Verfahren weiterzuführen sei bzw. ob vor der Fortsetzung des
Hauptverfahrens Vergleichsgespräche durchzuführen seien und bis wann der
Einzelrichter den Parteien einen Konventionsvorschlag vorlegen könnte. In
diesem Zusammenhang brachte Bezirksrichter Y.________ zum Ausdruck, dass er
den Standpunkt der Gesuchstellerin über den nachehelichen Unterhalt eher
teile als jenen des Gesuchstellers. Die Verhandlung wurde nach der getrennten
Anhörung der Ehegatten und deren Bestätigung des Scheidungswillens vertagt.

B.
Mit Schreiben vom 25. September 2004 forderte X.________ Bezirksrichter
Y.________ auf, im Scheidungsverfahren in den Ausstand zu treten. Er warf ihm
vor, unmittelbar nach den Parteivorträgen die Erklärung: "Ich neige dazu,
Frau Z.________ recht zu geben", abgegeben und auf den Einspruch des
Gesuchstellers hin diese "Überzeugung" noch näher begründet zu haben.
Aufgrund dieses parteiischen Verhaltens könne kein unvoreingenommenes und
gerechtes Urteil mehr von ihm erwartet werden.
Mit Eingabe gleichen Datums ersuchte X.________ die Verwaltungskommission des
Obergerichts des Kantons Zürich, das Ablehnungsbegehren als Aufsichtsbehörde
gutzuheissen, falls Y.________ nicht von selbst in den Ausstand trete. Zur
Begründung legte er sein an den Bezirksrichter gerichtetes Schreiben bei.
In seiner Vernehmlassung vom 28. September 2004 gab Y.________ die
gewissenhafte Erklärung im Sinne von § 100 Abs. 1 des Zürcher
Gerichtsverfassungsgesetzes ab, in der Streitsache in keiner Weise befangen
zu sein. Es sei wohl zutreffend, dass er in einer ersten Stellungnahme zum
Ausdruck gebracht habe, den Parteistandpunkt der Gesuchstellerin, was den
nachehelichen Unterhalt betreffe, eher zu teilen als denjenigen des
Gesuchstellers. Hingegen könne nicht die Rede davon sein, dass er
diesbezüglich bereits vor Abschluss des Hauptverfahrens und der Durchführung
eines allfälligen Beweisverfahrens eine feste Überzeugung gewonnen hätte.
Die Verwaltungskommission des Obergerichts wies das Ablehnungsbegehren mit
Beschluss vom 20. Oktober 2004 ab. Sie erwog im Wesentlichen, bereits die
Schilderung des Gesuchstellers gebe den deutlich subjektiv geprägten Eindruck
einer durch das Thema der Gerichtsverhandlung persönlich betroffenen Partei
wieder, während aus objektiver Sicht das Verhalten des Richters nicht den
Anschein von Befangenheit erwecke. Dieser habe die beanstandete Äusserung
nach dem Plädoyer der beiden Parteien getan, weshalb es für jeden
aussenstehenden Dritten habe klar sein müssen, dass jegliche Meinungsabgabe
des Richters in tatsächlicher Hinsicht auf einer vorläufigen Beurteilung der
Situation beruhe und dass daran anknüpfende rechtliche Einschätzungen von der
Richtigkeit dieser vorläufigen Annahmen abhangen würden. Durch die vom
Richter verwendete Wortwahl "Ich neige dazu, ..." habe er diese blosse
Vorläufigkeit seiner Einschätzung für den objektiven Dritten
unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Wer in einem bestimmten Zeitpunkt
zu einer Meinung tendiere, äussere damit eben gerade nicht eine
unabänderliche Meinung, sondern lasse die Möglichkeit zu Meinungsänderungen
offen. Dass der Richter seine vorläufige Meinung zusätzlich begründet habe,
ändere daran nichts. So habe er mit der Aussage, dass Umstände vorlägen,
welche tendenziell auf eine "lebensprägende Ehe" hindeuteten, insbesondere
gegenüber dem Gesuchsteller ein Signal gesetzt, welches dieser bei den
bevorstehenden Vergleichsverhandlungen oder im weiteren Prozessverlauf werde
berücksichtigen können. Dass also der Abgelehnte in diesem Fall von allem
Anfang an "mit offenen Karten" gespielt habe, möge zwar beim Gesuchsteller
unter dem Einfluss seiner offenbar starken Betroffenheit subjektiv einen
falschen Eindruck erweckt haben, in den Augen eines aussenstehenden und
objektiven Dritten stelle jedoch dieses offene Verhalten des Richters keinen
Umstand dar, der an seiner Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit im
Hinblick auf den weiteren Verlauf des Verfahrens zweifeln liesse.

C.
Gegen den Beschluss der Verwaltungskommission des Zürcher Obergerichts hat
X.________ staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Er stellt die Anträge,
der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und das Ausstandsbegehren
gutzuheissen bzw. Bezirksrichter Dr. Y.________ im Scheidungsverfahren von
der Ausübung seines Amtes endgültig auszuschliessen. Eventuell sei der
angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zu neuer Beweisabnahme und
Entscheidung im Sinne der Beschwerdebegründung an die Verwaltungskommission
zurückzuweisen. Zu seinem Hauptbegehren stellt der Beschwerdeführer die
prozessualen Anträge um Beizug und Anhörung der TonbandAufnahme der
fraglichen Verhandlung sowie um Befragung der an der Verhandlung Anwesenden.
Der Beschwerdeführer beklagt sich über eine Verletzung des Anspruchs auf
einen unabhängigen und unparteiischen Richter (Art. 30 Abs. 1 BV), des
Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) des
Gleichbehandlungsgebotes (Art. 8 BV) sowie des Willkürverbotes (Art. 9 BV).

D.
Die Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich weist darauf
hin, dass der Beschwerdeführer während des Verfahrens vor der
Aufsichtsinstanz nie Akteneinsicht verlangt hat, und verzichtet im Übrigen
auf eine Stellungnahme. Bezirksrichter Y.________ und Z.________ ersuchen
sinngemäss um Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gegen selbständig eröffnete Zwischenentscheide der letzten kantonalen
Instanz über Ausstandsbegehren ist die staatsrechtliche Beschwerde zulässig
(Art. 86 Abs. 1 und Art. 87 Abs. 1 OG). Auf die fristgemäss eingereichte
Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten.

1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht in Betracht fallenden
Ausnahmen abgesehen, rein kassatorischer Natur. Auf die erhobene Beschwerde
ist daher insoweit nicht einzutreten, als der Beschwerdeführer mehr als die
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses verlangt (vgl. etwa BGE 124 I 327 E.
4 S. 332 ff, 129 I 129 E. 121, 173 E. 1.5).
1.3 Der Beschwerdeführer rügt unter anderem eine Verletzung der
Rechtsgleichheit (Art. 8 BV), legt jedoch in keiner Weise dar, inwiefern
gegen dieses Verfassungsrecht verstossen worden sei. Auf die staatsrechtliche
Beschwerde ist daher in dieser Hinsicht mangels genügender Begründung im
Sinne von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer verbindet seinen Hauptantrag mit den prozessualen
Begehren, die Tonband-Aufnahme der Verhandlung vom 20. September 2004 sei
beizuziehen und anzuhören; ausserdem seien die an der Verhandlung Anwesenden
persönlich oder als Zeugen zu befragen.
Gemäss § 149 Abs. 2 des Zürcher Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13. Juni 1976
(GVG; kantonale Gesetzessammlung 211.1) kann das Gericht zur Unterstützung
der Protokollführung Aufzeichnungsgeräte verwenden. Die vom Beschwerdeführer
erwähnte Tonband-Aufnahme ist dem Bundesgericht zusammen mit den Akten des
Scheidungsverfahrens zugestellt worden. Wie der Beschwerdeführer inzwischen
selbst festgestellt hat, sind die inoffiziellen Verhandlungsteile, wie das
vom Beschwerdeführer beanstandete Gespräch, nicht aufgenommen worden.
Zeugen- oder persönliche Befragungen sind im Verfahren der staatsrechtlichen
Beschwerde nicht üblich. Eine solche Beweisaufnahme durch den
Instruktionsrichter erscheint, wie sich aus dem Folgenden ergibt, auch im
vorliegenden Verfahren zur Aufklärung des Sachverhalts nicht als erforderlich
(vgl. Art. 95 OG).

3.
In verfahrensmässiger Hinsicht rügt der Beschwerdeführer insofern eine
Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV, als ihm die Einsicht in die Akten und die
Herausgabe bzw. das Abhören der Tonband-Aufnahme vom 20. September 2004
verwehrt worden sei. Der Beschwerdeführer hat jedoch weder unmittelbar nach
der Verhandlung vom 20. September 2004 noch während des Verfahrens vor der
Aufsichtsinstanz um Einsicht in die Akten oder um Herausgabe des fraglichen
Tonbandes ersucht. Er hat solche Begehren, wie er in der staatsrechtlichen
Beschwerde selbst erwähnt, erst am 31. Oktober 2004 gestellt, also erst im
Anschluss an die Zustellung des angefochtenen Entscheides und kurz vor
Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde. Diesen Begehren ist inzwischen
stattgegeben worden. Die Verfahrensrügen sind mithin fehl am Platz.

4.
Der Beschwerdeführer hält die Sachverhaltsfeststellung der obergerichtlichen
Verwaltungskommission für willkürlich, weil diese die Tonband-Aufnahme der
Verhandlung vom 20. September 2004 nicht berücksichtigt habe, auf ein dem
Beschwerdeführer nicht bekanntes Protokoll abgestellt habe und kein
Beweisverfahren durchgeführt worden sei.
Nach § 100 Abs. 1 GVG ist ein Ablehnungsbegehren zu begründen und
gleichzeitig durch Urkunden oder schriftliche Auskünfte von Amtsstellen zu
belegen. Fehlen solche Beweismittel, wird auf Grund einer gewissenhaften
Erklärung des Abgelehnten entschieden. Aus zureichenden Gründen können
weitere Beweise erhoben werden.
Wie bereits erwähnt (Sachverhaltsdarstellung lit. B) hat der Beschwerdeführer
dem der Aufsichtsinstanz zugestellten Ablehnungsbegehren lediglich sein an
Bezirksrichter Y.________ gerichtetes Schreiben beigelegt. Er hat sich zur
Begründung seines Gesuchs weder auf das Verhandlungs-Protokoll noch auf die
Tonband-Aufnahme berufen noch vorgebracht, dass diese unvollständig seien.
Wohl hat der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 11. Oktober 2004
zur gewissenhaften Erklärung des Abgelehnten auf die Tonband-Aufnahme
hingewiesen, doch hat er sich wie gesagt erst nach der Zustellung des
angefochtenen Entscheides darum bemüht abzuklären, ob das fragliche Gespräch
überhaupt aufgezeichnet worden sei. Die Verwaltungskommission des
Obergerichts hat daher keineswegs willkürlich gehandelt, wenn sie im Sinne
des in § 100 GVG vorgesehenen raschen und einfachen Verfahrens auf die von
Bezirksrichter Y.________ abgegebene gewissenhafte Erklärung und die vom
Bezirksgericht übermittelten Akten abgestellt hat. Soweit sich der
Beschwerdeführer darüber beschwert, dass die Verwaltungskommission das
Verhandlungs-Protokoll als "nicht beanstandet" bezeichnet hat, das ihm - dem
Beschwerdeführer - vorenthalten worden sei, kann auf das bereits Erwogene (E.
3) verwiesen werden.

5.
Zu prüfen bleibt somit nur noch, ob der Vorwurf des Beschwerdeführers, sein
verfassungsmässiger Anspruch auf einen unparteiischen, unvoreingenommenen und
unbefangenen Richter (Art. 30 Abs. 1 BV) sei missachtet worden, berechtigt
sei. Dies ist jedoch zu verneinen. Zur Begründung kann im Wesentlichen auf
die Erwägungen der obergerichtlichen Verwaltungskommission verwiesen werden.
Wie in diesen zu Recht festgestellt wird, ist es dem Richter nicht verwehrt,
sich im Laufe eines Zivilverfahrens eine vorläufige Meinung zu bilden. Er
darf eine solche auch äussern, wenn dies für den weiteren Verlauf des
Verfahrens, insbesondere für die Durchführung von Vergleichsverhandlungen
infolge eines Begehrens nach Art. 112 ZGB, als opportun erscheint. Anders zu
entscheiden hiesse letztlich, dass sich ein Richter überhaupt nicht an
Vergleichsverhandlungen beteiligen und jedenfalls den Parteien keinen
Konventionsvorschlag unterbreiten dürfte, geht doch einem solchen
notwendigerweise eine vorläufige Meinungsbildung voraus. Darf sich aber der
Richter eine vorläufige Meinung bilden, so kann aus dem Umstand, dass der
Richter kaum je den Standpunkten beider Parteien folgen kann, objektiv
gesehen nicht auf dessen Voreingenommenheit geschlossen werden.
Schliesslich ist auch der Einwand des Beschwerdeführers, Bezirksrichter
Y.________ könne jedenfalls heute, nachdem ein Ablehnungsbegehren gegen ihn
gestellt worden sei, nicht mehr unbefangen seines Amtes walten,
zurückzuweisen. Müsste der Richter, der abgelehnt worden ist, stets in den
Ausstand treten, so hätte es jede Partei in der Hand, sich eines ihr nicht
genehmen Richters unabhängig davon zu entledigen, ob sich dieser befangen
gezeigt hat oder nicht. Dadurch würde nicht nur der Anspruch auf den (primär)
gesetzlichen Richter sondern auch das gute Funktionieren der Justiz selbst in
schwerer Weise gefährdet (vgl. BGE 122 II 471 E. 3b S. 477, mit Hinweisen).

6.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen, soweit auf
sie einzutreten ist.
Es besteht entgegen der Meinung des Beschwerdeführers kein Grund, vorliegend
von der üblichen Kostenregelung gemäss dem Obsiegen bzw. dem Unterliegen der
Parteien abzuweichen. Demnach sind die bundesgerichtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer zu überbinden (Art. 156 Abs. 1 OG). Dieser hat zudem der
Beschwerdegegnerin Z.________ eine angemessene Parteientschädigung für das
bundesgerichtliche Verfahren zu leisten (Art. 159 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat der Beschwerdegegnerin Z.________ für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- zu
bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Verwaltungskommission des
Obergerichts des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Januar 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: