Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.599/2004
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1P.599/2004 /ggs

Urteil vom 11. Januar 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Othmar Schürmann,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zug,
vertreten durch Staatsanwalt lic. iur. Paul Kuhn, Aabachstrasse 1, Postfach
760, 6301 Zug,
Strafgericht des Kantons Zug, Berufungskammer, Postfach 760, 6301 Zug.

Strafverfahren; SVG; Beweiswürdigung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Strafgerichts des Kantons
Zug, Berufungskammer, vom 16. August 2004.

Sachverhalt:

A.
Mit Strafbefehl vom 25. August 2000 verurteilte der Einzelrichter des Kantons
Zug X.________ wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln zu einer Busse von
900 Franken. Er hielt für erwiesen, dass dieser am 12. Januar 2000, um ca.
22:45 Uhr, am Steuer seines Personenwagens die zulässige
Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h auf der Autobahn A4 zwischen der
Verzweigung Rütihof und dem Anschluss Küssnacht massiv überschritten hatte.

X. ________ erhob Einsprache. Nach durchgeführter Strafuntersuchung
bestätigte der Einzelrichter des Kantons Zug diesen Strafbefehl und
verurteilte X.________ am 2. September 2003 wegen grober Verletzung von
Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG, begangen durch Übertretung
von Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV, zu 900 Franken Busse.

Die Berufungskammer des Strafgerichts des Kantons Zug wies die Berufung von
X.________ am 16. August 2004 ab.

B.
Mit undatierter, am 18. Oktober 2004 der Post übergebener staatsrechtlicher
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV ("willkürliche Würdigung von
Sachverhaltsfeststellungen und Verletzung von Verfahrensvorschriften,
insbesondere den Anspruch auf Abnahme rechtserheblicher Beweise") beantragt
X.________, das Urteil des Strafgerichts aufzuheben.

C.
Die Staatsanwaltschaft und die Berufungskammer des Strafgerichts verzichten
auf Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Beim angefochtenen Entscheid der Strafkammer handelt es sich um einen
letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Der
Beschwerdeführer ist durch die strafrechtliche Verurteilung in seinen
rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG), weshalb er befugt ist,
die Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu rügen. Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die
Beschwerde einzutreten ist.

1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ermöglicht indessen keine Fortsetzung des
kantonalen Verfahrens. Das Bundesgericht prüft in diesem Verfahren nur in der
Beschwerdeschrift erhobene, detailliert begründete und soweit möglich belegte
Rügen. Der Beschwerdeführer muss den wesentlichen Sachverhalt darlegen, die
als verletzt gerügten Verfassungsbestimmungen nennen und überdies dartun,
inwiefern diese verletzt sein sollen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38
E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nur teilweise. So rügt der
Beschwerdeführer etwa, die Belastungsbeweise hätten nicht gegen ihn verwertet
werden dürfen, da ihn die Zuger Polizeibeamten auf dem Gebiet des Kantons
Schwyz angehalten hätten und damit nach Art. 356 StGB verpflichtet gewesen
wären, für das weitere Verfahren ihre Schwyzer Kollegen beizuziehen. Das
Strafgericht hat sich mit diesem bereits ihm unterbreiteten Einwand
auseinandergesetzt und ausgeführt, dass einerseits Art. 356 Abs. 2 StGB eine
Ordnungsvorschrift sei und daher die in Missachtung der interkantonalen
Zuständigkeitsordnung erhobenen Beweise verwertbar seien, und dass anderseits
die Zuger Kantonspolizei auf Grund der vom Bundesrat genehmigten
"Vereinbarung zwischen den Kantonen Zug und Schwyz über die Ausübung der
Autobahnpolizei auf der N 4" zur Behandlung des dem Beschwerdeführer
vorgeworfenen Deliktes zuständig gewesen sei. In der staatsrechtlichen
Beschwerde beschäftigt sich der Beschwerdeführer einzig mit dem zweiten Teil
dieser Eventualbegründung, indem er vorbringt, seine Anhaltung sei nicht auf
der Autobahn erfolgt, weshalb das angeführte Konkordat nicht anwendbar sei.
Mit der Hauptbegründung des Strafgerichts, selbst in Missachtung der
interkantonalen Kompetenzordnung erhobene Beweise würden nicht einem
Verwertungsverbot unterliegen, setzt er sich mit keinem Wort auseinander. Die
Rüge ist daher von vornherein nicht geeignet, das Abstellen auf die gegen ihn
erhobenen Beweise als verfassungswidrig nachzuweisen, weshalb sie den
gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht genügt (BGE 121 IV 94 E. 1b; 115
II 288 E. 4 S. 293; Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen
Beschwerde, 2. Auflage, Bern 1994, S. 368). Darauf ist nicht einzutreten.
Soweit im Folgenden auf weitere Ausführungen in der staatsrechtlichen
Beschwerde nicht eingegangen wird, handelt es sich um appellatorische und
damit in diesem Verfahren unzulässige Kritik.

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Willkürverbotes. Dass sein
Anwalt sich dabei auf Art. 4 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 bezieht,
welche seit Jahren nicht mehr in Kraft steht, erstaunt, schadet ihm aber
insofern nicht, als das Willkürverbot in Art. 9 der geltenden
Bundesverfassung ebenfalls enthalten ist. Als Verletzung von
"Verfahrensgarantien gemäss Art. 4 BV" rügt der Beschwerdeführer,
verschiedene Beweisanträge seien zu Unrecht abgewiesen worden; damit macht er
eine Verletzung seines von Art. 29 Abs. 2 BV garantierten rechtlichen Gehörs
geltend.

2.1 Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch darauf, von den staatlichen Organen
ohne Willkür behandelt zu werden. Auf dem Gebiet der Beweiswürdigung steht
den kantonalen Instanzen ein weiter Ermessensspielraum zu. Willkür in der
Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen
ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen
oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dabei genügt es nicht, wenn sich
der angefochtene Entscheid lediglich in der Begründung als unhaltbar erweist;
eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis
verfassungswidrig ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41; 124 IV 86 E. 2a S. 88, je
mit Hinweisen).

2.2 Nach den aus Art. 29 BV fliessenden Verfahrensgarantien sind alle Beweise
abzunehmen, die sich auf Tatsachen beziehen, die für die Entscheidung
erheblich sind (BGE 117 Ia 262 E. 4b; 106 Ia 161 E. 2b; 101 Ia 169 E. 1, je
mit Hinweisen). Das hindert aber den Richter nicht, einen Beweisantrag
abzulehnen, wenn er in willkürfreier Überzeugung der bereits abgenommenen
Beweise zur Überzeugung gelangt, der rechtlich erhebliche Sachverhalt sei
genügend abgeklärt, und er überdies in willkürfreier antizipierter Würdigung
der zusätzlich beantragten Beweise annehmen kann, seine Überzeugung werde
auch durch diese nicht mehr geändert (BGE 122 V 157 E. 1d; 119 Ib 492 E.
5b/bb).

3.
3.1 Die Verurteilung des Beschwerdeführers beruht auf dem Rapport des
Polizeibeamten A.________ sowie auf den Aussagen, die er und sein Kollege
B.________ im Untersuchungs- und Gerichtsverfahren machten. Danach fuhren sie
am 12. Januar 2000 in einem neutralen Patrouillenfahrzeug der Kantonspolizei
Zug auf der Autobahn A4 von Cham her kommend in Richtung Schwyz. Nach der
Verzweigung Rütihof hätten sie eine auf der A14 in Richtung Schwyz fahrende
Fahrzeugkolonne wahrgenommen. Nachdem die Doppellinie des
Beschleunigungsstreifens der Autobahneinfahrt A14 in die A4 zu Ende gewesen
sei, habe das hinterste Fahrzeug dieser Kolonne stark beschleunigt und sei
direkt auf die Überholspur der A4 gewechselt. Sie hätten sich etwa 100 m
hinter dem Fahrzeug befunden, welches ihnen durch ein extrem breites Heck mit
weit auseinander platzierten Heckleuchten aufgefallen sei. Sie hätten
beschlossen, ihm zu folgen. Es habe weiter so stark beschleunigt, dass der
Abstand zu ihnen grösser geworden sei, obwohl sie mit Vollgas gefahren seien.
Auf der Höhe des Bahnhofs Meierskappel sei ein weiteres Fahrzeug auf die
Überholspur gewechselt und habe dicht auf das verfolgte Fahrzeug
aufgeschlossen. Es habe den Anschein gemacht, als ob sich die beiden Fahrer
ein Rennen geliefert hätten; zu diesem Zeitpunkt habe ihr Tacho bei einer
zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h 190 km/h gezeigt. Der Abstand
zu diesen beiden Fahrzeugen sei konstant gestiegen. Etwa einen Kilometer vor
dem Anschluss Küssnacht habe das vordere Fahrzeug auf die Normalspur
gewechselt und das hintere Fahrzeug vorbei gelassen. Beim Anschluss Küssnacht
habe das verfolgte Fahrzeug die Autobahn verlassen; sie hätten es auf der
Höhe der Firma Baer stoppen können.

3.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, Opfer einer Verwechslung geworden zu
sein und rügt, seine auf die polizeiliche Sachverhaltsdarstellung gestützte
Verurteilung sei willkürlich. Es sei bei Nacht und bei regem
Verkehrsaufkommen schlechterdings ausgeschlossen, dass ihn die beiden
Polizisten auf einer Distanz von 100 - 200 m stets im Blick gehabt hätten,
zumal auf diese Distanz ein Fahrzeug weder anhand seines angeblich auffallend
breiten Hecks noch anhand der Fahrzeugleuchten zu identifizieren sei. Dies
wäre durch einen Augenschein und eine Nachstellung, wie er sie erfolglos
beantragt habe, leicht zu zeigen gewesen. Man habe ihm daher nicht erlaubt,
den Beweis dafür anzutreten, dass die Behauptung der beiden Polizisten, dass
eine Verwechslung ausgeschlossen sei, nicht zutreffen könne.

3.3 Das vom Beschwerdeführer beim fraglichen Vorfall gefahrene Fahrzeug
"Chrysler Viper" weist, wie sich aus den bei den Akten liegenden Fotokopien
ohne weiteres ergibt, eine auffallend breite Heckpartie mit weit auseinander
liegenden Schlusslichtern auf. Es ist nicht nachvollziehbar und wird vom
Beschwerdeführer auch nicht näher begründet, inwiefern es zwei geschulten
Polizeibeamten nicht möglich sein sollte, nachts auf einer übersichtlichen
Autobahn ein derart auffälliges Fahrzeug auf eine Distanz von 100 - 200 m zu
identifizieren und zu verfolgen, zumal sich nach anfänglich regem
Verkehrsaufkommen ab Höhe Bahnhof Meierskappel nur noch vereinzelte Fahrzeuge
auf der Autobahn befanden (Aussage B.________ vom 13. November 2001, Frage 15
S. 5). Eine Verwechslung mit dem zweiten überschnellen Fahrzeug erscheint
ausgeschlossen, da dieses nach den übereinstimmenden Aussagen des
Beschwerdeführers und der beiden Beamten von der Polizei unbehelligt
weiterfuhr, ganz abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer die ihm an der
Hauptverhandlung des Strafgerichts vom 16. August 2004 vorgehaltene Aussage
des Zeugen A.________, wonach dieses zweite Fahrzeug nicht über ein ähnlich
breites Heck wie sein Fahrzeug verfügte, unwidersprochen liess (Protokoll der
strafgerichtlichen Hauptverhandlung S. 6). Die Polizeibeamten haben im
Übrigen auch nicht behauptet, das verfolgte Fahrzeug während der ganzen
Verfolgung nie aus den Augen verloren zu haben. Der Zeuge B.________ sagte
aus, dieses im Bereich der Autobahnausfahrt Küssnacht für wenige Sekunden
nicht gesehen zu haben, schloss aber eine Verwechslung dennoch aus, weil es
in diesem Abschnitt keine anderen Fahrzeuge gehabt habe (Aussage B.________
vom 13. November 2001, Frage 24 S. 6). Zeuge A.________ schloss - namentlich
wegen des auffallend breiten Hecks des vom Beschwerdeführer gefahrenen
"Chrysler Viper" - eine Verwechslung ebenfalls kategorisch aus. Zwar gab auch
er an, das verfolgte Fahrzeug bei gewissen Kurven für kurze Momente aus den
Augen verloren zu haben; er habe aber immer gewusst, wo es gefahren sei und
habe es nach den kurzen Unterbrüchen jeweils immer wieder "gehabt" (Aussage
A.________ vom 22. Januar 2002, Frage 22 S. 6). Das Strafgericht konnte auf
Grund dieser übereinstimmenden, nachvollziehbaren Aussagen der beiden
Polizeibeamten die vom Beschwerdeführer behauptete Verwechslung ohne weiteres
ausschliessen. Unter diesen Umständen konnte es auch willkürfrei auf die
Abnahme weiterer Beweise - etwa den vom Beschwerdeführer verlangten
Augenschein mit einer Nachstellung des Geschehens - verzichten, und damit
ohne die Verfahrensrechte des Beschwerdeführers zu verletzen. Die Rügen sind
unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art.
156 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Staatsanwalt lic. iur. Paul Kuhn
und dem Strafgericht des Kantons Zug, Berufungskammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 11. Januar 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: