Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.585/2004
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1P.585/2004 /ggs

Urteil vom 12. Januar 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
Gerichtsschreiberin Schoder.

X. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Statthalteramt Andelfingen, Schlossgasse 14, 8450 Andelfingen,
Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Andelfingen, Bezirksgericht
Andelfingen, Thurtalstrasse 1, 8450 Andelfingen,
Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, Postfach, 8023 Zürich.

Strafverfahren; gerichtliche Beurteilung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, III. Strafkammer, vom 31. August 2004.

Sachverhalt:

A.
Das Statthalteramt des Bezirks Andelfingen bestrafte X.________ mit
Strafverfügung vom 19. März 2003 wegen Tätlichkeiten im Sinn von Art. 126
Abs. 1 StGB mit einer Busse von Fr. 500.--. Dieser verlangte daraufhin die
gerichtliche Beurteilung der Strafverfügung. Anlässlich der Hauptverhandlung
vor dem Einzelrichter in Strafsachen des Bezirks Andelfingen am 11. Dezember
2003 zog X.________ sein Begehren um gerichtliche Beurteilung zurück.

Mit Verfügung vom 11. Dezember 2003 schrieb der Einzelrichter das Verfahren
als durch Rückzug erledigt ab und erklärte die Strafverfügung des
Statthalteramtes als rechtskräftig. Sodann auferlegte er X.________ die
Gerichtskosten, die Kosten der Strafverfügung des Statthalteramtes und die
nachträglichen Untersuchungs- und Überweisungskosten.

Am 11. August 2004 reichte X.________ gegen die Verfügung des Einzelrichters
vom 11. Dezember 2003 beim Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer,
Nichtigkeitsbeschwerde ein. Das Obergericht trat mit Beschluss vom 31. August
2004 auf die Beschwerde nicht ein. Als Begründung führte es an, X.________
habe die Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde versäumt.

B.
X.________ hat gegen den Beschluss des Obergerichts vom 31. August 2004
staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Der Beschwerdeführer stellt folgende
Anträge:
"3.1Die gesamten Verfahrenskosten sind dem Antragssteller zu erlassen.

3.2 Es ist dem Antragssteller die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

3.3 Anweisung an das Obergericht des Kantons Zürich dahingehend, dass die
abgewiesene Nichtigkeitsbeschwerde gutzuheissen ist.

3.4 Anweisung an das Bezirksgericht Andelfingen dahingehend, dass eine
Verzeigung des Antragstellers durch das Statthalteramt Andelfingen, als
desgleichen die diesbezügliche Bestätigung des Bezirksgerichtes Andelfingen
zu Unrecht erfolgt ist.

3.5 Eine Prozessentschädigung des Antragsstellers ist in Erwägung zu ziehen."

C.
Das Statthalteramt als auch das Obergericht haben auf Vernehmlassung
verzichtet. Der Einzelrichter liess sich vernehmen, ohne einen ausdrücklichen
Antrag zu stellen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer bezeichnet seine Eingabe als "Berufung". Die
Voraussetzungen für die Behandlung der Eingabe als Berufung sind nicht
erfüllt (Art. 43 Abs. 1 und 2 OG). Die Eingabe kann jedoch als
staatsrechtliche Beschwerde entgegengenommen werden, sofern die
Eintretensvoraussetzungen hierzu erfüllt sind.

1.2 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, gegen den die
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte
erhoben werden kann (Art. 269 Abs. 2 BStP; Art. 86 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Der Beschwerdeführer ist in seinen rechtlich
geschützten Interessen berührt und damit zur Beschwerde legitimiert (Art. 88
OG). Die Beschwerde ging binnen dreissig Tagen seit Erhalt des begründeten
Entscheids rechtzeitig beim Bundesgericht ein (Art. 89 Abs. 1 und 2 OG). Die
Eingabe kann somit - unter Vorbehalt zulässiger Anträge und genügend
begründeter Rügen - im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde geprüft
werden.

1.3 Abgesehen von hier nicht gegebenen Ausnahmen ist die staatsrechtliche
Beschwerde rein kassatorischer Natur, d.h. sie kann nur zur Aufhebung des
angefochtenen Entscheids führen (BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S. 131 f.; 127 II 1
E. 2c S. 5, je mit Hinweisen). Das Bundesgericht befasst sich mit den
materiellen Vorbringen einer Beschwerde nur unter der Voraussetzung, dass der
Beschwerdeführer wenigstens sinngemäss die Aufhebung des angefochtenen
Entscheids beantragt (BGE 115 Ia 12 E. 2b S. 14). Auch bei einer
Laienbeschwerde, d.h. einer von einer nicht rechtskundig vertretenen Person
verfassten Beschwerde, muss jedenfalls die Absicht deutlich erkennbar sein,
dass das prozessuale Ziel die Aufhebung oder Änderung des angefochtenen
Entscheids betrifft (BGE 117 Ia 126 E. 5d S. 133; 115 Ia 12 E. 2b S. 14;
ferner Marc Forster, Staatsrechtliche Beschwerde, in: Thomas Geiser/Peter
Münch (Hrsg.), Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl., Basel/Frankfurt a.M.
1998, N. 2.54). Vorliegend verlangt der Beschwerdeführer nicht, dass das
Bundesgericht den Beschluss des Obergerichts aufhebt, sondern dass es das
Obergericht anweist, die Nichtigkeitsbeschwerde gutzuheissen (Ziff. 3.3 des
Begehrens). Trotz Ermangelung eines ausdrücklichen Begehrens um Aufhebung des
angefochtenen Entscheids kann aber aufgrund der Formulierung des
Rechtsbegehrens und aufgrund der gesamten Eingabe geschlossen werden, dass
der Beschwerdeführer zumindest implizit die Aufhebung des angefochtenen
Entscheids anbegehrt. Die staatsrechtliche Beschwerde ist insoweit zulässig.

Soweit der Beschwerdeführer indessen mehr oder anderes, insbesondere die
Änderung des unterinstanzlichen Entscheids verlangt, ist auf die
staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten.

1.4 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss eine staatsrechtliche Beschwerde die
wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten,
welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie
durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Im staatsrechtlichen
Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene
Rügen. Auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am
angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 125 I 492 E. 1b S. 495, 71 E.
1c S. 76, je mit Hinweisen). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts
muss zudem die Begründung in der Beschwerdeschrift selber enthalten sein (BGE
115 Ia 27 E. 4a S. 30, mit Hinweis). Diese Substanziierungsobliegenheit gilt
(mit der gebotenen Zurückhaltung in formaljuristischer Hinsicht) auch für
Laienbeschwerden (BGE 115 Ia 12 E. 2b S. 14).

Soweit der Beschwerdeführer den Begründungsanforderungen nicht nachkommt, ist
auf seine Ausführungen nicht einzugehen. Unzulässig ist namentlich der
Verweis auf die Rechtsschrift im kantonalen Beschwerdeverfahren im Sinne
eines "integralen Bestandteils" der staatsrechtlichen Beschwerde.

2.
2.1 Als erstes macht der Beschwerdeführer geltend, das Obergericht habe seinen
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt. Das Obergericht
gehe davon aus, dass die Ausführungen des Beschwerdeführers unkorrekt und der
dargestellte Sachverhalt unwahr sei. Damit befinde man sich "im Bereiche des
Hörensagens und Vermutens, jedoch nicht bei der Sachlage und des zu
gewährenden rechtlichen Gehöres".

2.2 Der in Art. 29 Abs. 2 BV verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör gibt
dem Betroffenen das Recht, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung
eingreifenden Entscheids zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen,
Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu
werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder
sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den
Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56; 124 I 241 E. 2 S. 242,
je mit Hinweisen). Dem Mitwirkungsrecht entspricht die Pflicht der Behörde,
die Argumente und Verfahrensanträge der Partei entgegenzunehmen und zu prüfen
sowie die ihr rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweismittel
abzunehmen, es sei denn, diese beträfen eine nicht erhebliche Tatsache oder
seien offensichtlich untauglich, über die streitige Tatsache Beweis zu
erbringen (BGE 124 I 241 E. 2 S. 242, mit Hinweisen). Aus dem Gehörsanspruch
folgt sodann die grundsätzliche Pflicht der Behörden, ihren Entscheid zu
begründen. Der Bürger soll wissen, warum die Behörde entgegen seinem Antrag
entschieden hat (BGE 126 I 97 E. 2b S. 102).

2.3 Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, es hätte seinen
Ausführungen nicht geglaubt und den Sachverhalt als unwahr angenommen. Damit
ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör aber nicht
berührt. Wie sich aus dem oben Gesagten (E. 2.2 hiervor) ergibt, fällt die
Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers gar nicht in den Schutzbereich
des Gehörsanspruchs. Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich daher in
diesem Punkt als unbegründet.

3.
3.1 Sodann macht der Beschwerdeführer geltend, das Obergericht versäume es,
"mit der hier vorliegenden Begründung eine scharfe Trennung zwischen der
regulären Anmeldung eines ersichtlichen Nichtigkeitsgrundes und der
nachträglichen - subsidiären - Anmeldung eines Nichtigkeitsgrundes zu ziehen,
welcher auf dem späteren Entdecken von Mängeln beruht." Es hätten
Nichtigkeitsgründe vorgelegen, und er habe die Nichtigkeitsbeschwerde
rechtzeitig angemeldet. In diesem Vorbringen kann implizit die Rüge der
Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) gesehen werden. Sinngemäss rügt der
Beschwerdeführer die willkürliche, d.h. krass falsche Rechtsanwendung.

3.2 Das Obergericht trat auf die gegen die Abschreibungsverfügung des
Einzelrichters gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde mit der Begründung nicht
ein, dass der Beschwerdeführer die Frist zur Anmeldung der
Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingehalten habe. Nach § 431 Satz 1 des Gesetzes
betreffend den Strafprozess des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 sei die
Nichtigkeitsbeschwerde binnen zehn Tagen, von der Eröffnung des Entscheides
oder der Entdeckung des Mangels an gerechnet, anzumelden. Die
einzelrichterliche Verfügung vom 11. Dezember 2003 sei dem Beschwerdeführer
am 20. Februar 2004 zugestellt worden. Die ordentliche Anmeldefrist sei damit
am 1. März 2004 abgelaufen. Der Beschwerdeführer habe seine Eingabe aber erst
am 13. August 2004 der Post übergeben, weshalb sich diese hinsichtlich der
ordentlichen Anmeldefrist als offensichtlich verspätet erweise. Sollte sich
der Beschwerdeführer, wie er behaupte, nach Empfang der Verfügung zwecks
mündlicher Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde tatsächlich erfolglos um ein
Gespräch mit dem Einzelrichter bemüht haben, so sei es ihm angesichts der
laufenden Beschwerdefrist zuzumuten gewesen, mittels schriftlicher Eingabe an
das Gericht eine Beschwerdeanmeldung fristgerecht vorzunehmen. Zwar berufe
sich der Beschwerdeführer auf die nachträgliche Entdeckung von Mängeln.
Jedoch seien die Voraussetzungen für die Annahme nachträglicher
Nichtigkeitsgründe und eines subsidiären Fristenlaufs von zehn Tagen ab
Kenntnis der Mängel nicht erfüllt. Insbesondere sei nicht ersichtlich,
inwiefern der Beschwerdeführer ohne Verschulden erst nachträglich von einem
behaupteten Nichtigkeitsgrund Kenntnis erhalten habe. Ein
verfahrensrechtlicher Fehler betreffend die Kostenfolgen oder ein in der
Mitwirkung eines einzelnen Gerichtsbeamten liegender Mangel habe der
Beschwerdeführer bereits innerhalb der ordentlichen Anmeldefrist vorbringen
können. Auch sei nicht nachvollziehbar, inwiefern die Äusserungen des
Einzelrichters anlässlich eines einige Wochen nach Verfahrensabschluss
geführten Telefongesprächs Anlass zu einer nachträglichen
Nichtigkeitsbeschwerde gegeben hätten.

3.3 Der Beschwerdeführer setzt sich mit diesen Erwägungen des angefochtenen
Beschlusses nicht auseinander und zeigt nicht auf, inwiefern
verfassungsmässige Rechte verletzt worden sind. Er beschränkt sich im
Wesentlichen darauf, pauschal zu behaupten, er habe nachträgliche
Nichtigkeitsgründe entdeckt und die Nichtigkeitsbeschwerde rechtzeitig
angemeldet. Aus seinen Ausführungen ergibt sich jedoch nicht, und es ist für
das Bundesgericht auch nicht ersichtlich, inwiefern das Obergericht
strafprozessuale Vorschriften falsch oder gar willkürlich angewendet haben
soll. Insbesondere legt der Beschwerdeführer nicht dar, inwiefern er, sofern
der Einzelrichter ihm tatsächlich Zusicherungen betreffend die Kostenfolgen
gegeben hat, daran gehindert wurde, den Mangel einer von der Zusicherung
abweichenden Kostenverlegung nicht innerhalb der ordentlichen Frist
anzumelden. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist mangels genügender
Begründung (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; vgl. E. 1.4 hiervor) in diesem Punkt
nicht einzutreten.

4.
Zusammenfassend ergibt sich, dass der angefochtene Beschluss des Obergerichts
vor der Verfassung standhält. Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich
insgesamt als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer
die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Eine Prozessentschädigung
hat er nicht zugute (vgl. Art. 159 OG). Der Beschwerdeführer stellt das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren. Ein
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege besteht nur insoweit, als ein
Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (Art. 152 Abs. 1 OG). Diese
Voraussetzung ist vorliegend zwar nicht erfüllt, jedoch werden umständehalber
keine Kosten erhoben. Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Statthalteramt Andelfingen, dem
Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Andelfingen und dem Obergericht des
Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Januar 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: