Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.582/2004
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1P.582/2004 /zga

Urteil vom 7. Dezember 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Féraud, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Pfisterer.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Beat Kurt,

gegen

Z.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Bernhard Gerber,
Gerichtspräsident 4 des Gerichtskreises X Thun, Schloss, Schlossberg 1, 3601
Thun,
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012
Bern.

Art. 9, 29 Abs. 3 und Art. 30 BV (Ausstand),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern
vom 6. September 2004.

Sachverhalt:

A.
X. ________ reichte mit Schreiben vom 16. Januar 2004 gegen Z.________, Chef
der Sozialdienste der Stadt Thun, eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs und
Urkundendelikten ein und konstituierte sich als Privatklägerin. Der
Angeschuldigte wurde in der Folge mit Überweisungsbeschluss vom 30. Juni bzw.
1. Juli 2004 an das Strafeinzelgericht des Gerichtskreises X Thun überwiesen.

Der zuständige Gerichtspräsident 4 des Gerichtskreises X Thun lud die
Parteien mit Verfügung vom 14. Juli 2004 auf den 19. August 2004 zu einer
ersten Einvernahme evtl. Hauptverhandlung vor. Zu Beginn dieser Einvernahme
erklärte der Vorsitzende den Anwesenden, dass ausschliesslich der überwiesene
Sachverhalt, nicht aber Geschehnisse, welche sich vor zehn Jahren ereignet
hätten, zu beurteilen seien. Fürsprecher Beat Kurt verlangte jedoch namens
der Privatklägerin eine Ausdehnung des Verfahrens auf die Ereignisse der
letzten zehn Jahre. Der Vorsitzende bestätigte, dass er den Sachverhalt (d.h.
das Verfahren) allenfalls ausdehnen könne, er aber zunächst die Parteien
einzuvernehmen gedenke. Im Übrigen verwies er auf den Anklagegrundsatz gemäss
Art. 308 StrV/BE. Fürsprecher Kurt lehnte daraufhin den Vorsitzenden als
zuständigen Richter ab, weil dieser die Verfahrensausdehnung verweigert habe.
Aus den Akten werde klar ersichtlich, dass das Verfahren zwingend auszudehnen
sei. Dadurch, dass der Vorsitzende dies nicht gemacht habe, zeige sich, dass
er befangen sei.

Mit Beschluss vom 6. September 2004 wies die Anklagekammer des Obergerichts
des Kantons Bern das Ablehnungsbegehren ab.

B.
X.________ erhebt mit Eingabe vom 12. Oktober 2004 staatsrechtliche
Beschwerde gegen diesen Beschluss und beantragt dessen Aufhebung. Sie stellt
gleichzeitig das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Zudem
sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

Z. ________, der Gerichtspräsident 4 und das Obergericht beantragen Abweisung
der Beschwerde, Z.________ soweit darauf einzutreten sei.

C.
Das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde am 18. Oktober 2004
abgewiesen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Nach Art. 30 Abs. 1 BV hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von
einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne
Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Das Obergericht hat Gehalt
und Umfang dieser Garantie zutreffend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen
werden.

2.
Das Obergericht hat ausführlich dargelegt, weshalb es das Ablehnungsbegehren
abgewiesen hat. Namentlich war es der Ansicht, der Gerichtspräsident habe die
verlangte Ausdehnung nicht endgültig abgelehnt, sondern für später
vorbehalten. Damit habe er im Rahmen seines verfahrensleitenden Ermessens
gehandelt.

Soweit sich die Beschwerdeführerin überhaupt mit dem Beschluss des
Obergerichts hinreichend auseinander setzt (vgl. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG),
sind ihre Vorbringen nicht geeignet, diesen als verfassungswidrig erscheinen
zu lassen. Bei objektiver Betrachtung stellt das Verhalten des
Gerichtspräsidenten 4 nicht im Geringsten einen groben prozessualen
Fehlentscheid dar, der den Anschein der Befangenheit oder Voreingenommenheit
wecken könnte. Wie das Obergericht zutreffend erkannt hat, ist nicht
ersichtlich, weshalb der Gerichtspräsident 4 allein aufgrund der Ablehnung
der Ausdehnung befangen sein sollte.

Nach dem Gesagten widerspricht die einlässlich begründete Kostenauflage
gemäss Art. 37 Abs. 2 StrV/BE wegen Mutwilligkeit des Ablehnungsgesuchs,
trotz ursprünglich gewährter unentgeltlicher Rechtspflege (vgl. Art. 53 Abs.
1 StrV/BE), weder dem Willkürverbot noch dem verfassungsrechtlichen Anspruch
auf unentgeltliche Rechtspflege (Art. 9 und 29 Abs 3 BV).

3.
Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich somit als offensichtlich
unbegründet und ist im vereinfachten Verfahren nach Art. 36a OG abzuweisen,
soweit darauf eingetreten werden kann.
Sie ist als von vornherein aussichtslos im Sinne von Art. 152 OG zu erachten,
so dass das von der Beschwerdeführerin gestellte Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege abzuweisen ist.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat zudem dem Beschwerdegegner eine
angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 159 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Gerichtspräsidenten 4 des
Gerichtskreises X Thun und der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons
Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Dezember 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: