Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.578/2004
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1P.578/2004 /ast

Urteil vom 21. Januar 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Kurt Bischofberger,

gegen

Regierungsrat des Kantons Aargau, Regierungsgebäude, 5001 Aarau,
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, Obere Vorstadt 40, 5000
Aarau.

Art. 29 Abs. 3 BV (unentgeltliche Rechtspflege),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 25. August 2004.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte X.________ am 17. Oktober 2002
wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von 12
Monaten und 1'500 Franken Busse.

Nachdem das Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde gegen dieses
Urteil am 11. März 2003 abgewiesen hatte, wandte sich die Sektion Straf- und
Massnahmenvollzug des Departementes des Innern des Kantons Aargau am 7. April
2003 mit zwei Schreiben an X.________. Im einen wurde ihm die Vorladung zum
Vollzug der am 17. Oktober 2003 ausgesprochenen Strafe angekündigt. Im
anderen wurde er darauf hingewiesen, dass wegen des Rückfalls in der
Probezeit und der Höhe der ausgesprochenen neuen Strafe die am 23. Juli 1997
erfolgte bedingte Entlassung widerrufen und der Vollzug des Strafrestes
angeordnet werden müsse; er habe Gelegenheit, sich dazu bis zum 1. Mai 2003
zu äussern.

Mit Eingabe vom 15. April 2003 verlangte X.________ Akteneinsicht und stellte
den Antrag, "in diesem Verfahren betreffend Massnahmenvollzug" sei
Rechtsanwalt K. Bischofberger zum amtlichen Verteidiger zu ernennen, da es um
einen zu verbüssenden Strafrest von nicht weniger als 1'252 Tagen Zuchthaus
gehe.

Mit Verfügung vom 5. Januar 2004 wies das Departement des Innern das Gesuch
um Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ab und setzte X.________
Frist an, sich zum Vollzug der Reststrafe und zum Strafantritt zu äussern.

Der Regierungsrat des Kantons Aargau wies am 30. Juni 2004 die Beschwerde von
X.________ ab, mit welcher er beantragte, ihm die unentgeltliche
Verbeiständung zu bewilligen und Rechtsanwalt K. Bischofberger als amtlichen
Anwalt einzusetzen.

Mit Urteil vom 25. August 2004 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
die Beschwerde von X.________ gegen diesen Regierungsratsentscheid ab.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 8. Oktober 2004 wegen Verletzung von
Art. 29 Abs. 3 BV beantragt X.________, diesen Verwaltungsgerichtsentscheid
aufzuheben. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.

C.
Das Verwaltungsgericht verzichtet auf Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid schliesst das Verfahren gegen den Beschwerdeführer
nicht ab, es handelt sich um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid
im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde
zulässig ist, wenn er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken
kann. Dies ist nach der Rechtsprechung bei einem Entscheid über die
Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung regelmässig
der Fall (BGE 129 I 281 E. 1.1, 129 E. 1.1; 126 I 207 E. 2a). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die
Beschwerde einzutreten ist.

2.
2.1 Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird in
erster Linie durch das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig davon
besteht ein solcher Anspruch unmittelbar aufgrund von Art. 29 Abs. 3 BV (BGE
127 I 202 E. 3a S. 204 f.). Der Beschwerdeführer beruft sich ausschliesslich
auf Art. 29 Abs. 3 BV und macht nicht geltend, das kantonale Recht gewähre
einen darüber hinausgehenden Anspruch.
Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat die bedürftige Partei in einem für sie nicht
aussichtslosen Verfahren Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege; soweit es
zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf
unentgeltlichen Rechtsbeistand. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts
gilt diese verfassungsrechtliche Minimalgarantie nicht nur im Straf- und
Zivilprozess sowie im Verwaltungsbeschwerde- und
Verwaltungsgerichtsverfahren, sondern auch im nichtstreitigen
Verwaltungsverfahren. Ein verfassungsmässiger Anspruch auf unentgeltliche
Rechtspflege besteht für jedes staatliche Verfahren, in welches der
Gesuchsteller einbezogen wird oder welches zur Wahrung seiner Rechte
notwendig ist. Nicht entscheidend ist dabei die Rechtsnatur der
Entscheidungsgrundlagen oder jene des in Frage stehenden Verfahrens. Das
Bundesgericht hat einen Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung namentlich
im Verfahren um Rückversetzung in den Massnahmenvollzug nach bedingter oder
probeweiser Entlassung gemäss Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1 StGB bejaht, ebenso im
Verfahren um bedingte oder definitive Entlassung aus dem Vollzug einer
Massnahme gemäss Art. 43 StGB sowie in einem Verfahren, in dem es um die
Prüfung der Zulässigkeit von medizinischen Zwangsmassnahmen (Zwangsmedikation
und Einschliessung im Isolierzimmer) während eines fürsorgerischen
Freiheitsentzuges ging (zum Ganzen: BGE 128 I 225 E. 2.3 mit zahlreichen
Hinweisen).

2.2 Nach dem Rechtsbegehren in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 27. Juli
2004 und dem angefochtenen Entscheid liegt einzig im Streit, ob der
Beschwerdeführer im Verfahren betreffend den Widerruf der bedingten
Entlassung einen verfassungsmässigen Anspruch auf einen unentgeltlichen
Verteidiger hat oder nicht. Das Verwaltungsgericht hat einen solchen Anspruch
verneint mit der Begründung, sein Bestreben, den Vollzug des Strafrestes ganz
oder teilweise abzuwenden, sei aussichtslos, da der Widerruf der bedingten
Entlassung in seinem Fall zwingend vorgeschrieben sei und den
Strafvollzugsbehörden dabei keinerlei Ermessen zustünde.

2.3 Der Widerruf der bedingten Entlassung des Beschwerdeführers ist nach Art.
38 Ziff. 4 StGB zwingend, da er unbestrittenermassen während der laufenden
Probezeit erneut delinquierte und dafür zu einer 12-monatigen Freiheitsstrafe
verurteilt wurde. Der zu verbüssende Strafrest von 1'252 Tagen wurde nach der
unwiderlegten Feststellung des Verwaltungsgerichts in der Verfügung des
Departementes des Innern vom 23. Juli 1997 rechtskräftig festgelegt. Nach der
vom Verwaltungsgericht dargelegten, vom Kassationshof des Bundesgerichts in
BGE 113 IV 49 geschützten langjährigen, vom Beschwerdeführer nicht als
unhaltbar gerügten Praxis, werden beim Vollzug mehrerer Freiheitsstrafen
zunächst diejenigen vollzogen, die am stärksten von der Verjährung bedroht
sind. Unter dieser Prämisse steht, was auch der Beschwerdeführer nicht
bestreitet, eine Vollstreckungsverjährung für keinen Teil des zu verbüssenden
Strafrestes zur Diskussion. Dass sich im Widerrufsverfahren andere heikle
Rechtsfragen stellen, zu denen er ohne Rechtsvertreter nicht sachgemäss
Stellung nehmen könnte, behauptet der Beschwerdeführer zu Recht nicht. Die
Rechtsfolgen, die sich aus seiner erneuten Delinquenz während der laufenden
Probezeit ergeben, sind weitestgehend festgelegt. Die Auffassung des
Verwaltungsgerichts, er könne in diesem Verfahren seine Rechte auch ohne
Beigabe eines unentgeltlichen Verteidigers in angemessener Weise wahren, ist
daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das bedeutet zwar keineswegs, dass in derartigen Widerrufsverfahren
grundsätzlich kein Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung besteht. Es mag
durchaus Fälle geben, in denen sich (z.B. in Bezug auf die Berücksichtigung
ausländischer Urteile, bei hängigen Revisionsverfahren oder ausgesprochenen
Grenzfällen) heikle Rechtsfragen stellen, zu denen sich der Betroffene ohne
anwaltliche Verbeiständung nicht sachgemäss äussern kann. Dies trifft
indessen nach dem Gesagten vorliegend nicht zu, und zwar auch dann nicht,
wenn es entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts dabei auch darum
ginge, den Zeitpunkt des Strafantritts zu bestimmen: dazu kann der im Umgang
mit Straf- und Strafvollzugsbehörden nicht unerfahrene Beschwerdeführer auch
selber kompetent Stellung nehmen. Die Rüge ist unbegründet.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig
(Art. 156 OG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung gestellt, welches jedoch abzuweisen ist, da die Beschwerde
aussichtslos war (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
abgewiesen.

2.2 Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie dem Regierungsrat und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Januar 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: