Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.549/2004
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1P.549/2004 /sta

Urteil vom 12. Oktober 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Féraud,
Gerichtsschreiberin Leuthold.

X.  ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Peter
Arnold,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410
Liestal,
Präsidentin des Strafgerichts des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 16,
4410 Liestal.

persönliche Freiheit; Haftentlassung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung
der Präsidentin des Strafgerichts des Kantons
Basel-Landschaft vom 7. September 2004.
Sachverhalt:

A.
Der aus dem Kosovo stammende X.________ wurde am 12. August 2003 festgenommen
und mit Haftbefehl des Bezirksstatthalteramtes Liestal vom 13. August 2003
wegen Verdachts der qualifizierten Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz (BetmG) sowie wegen Flucht-, Fortsetzungs- und
Kollusionsgefahr in Untersuchungshaft versetzt. Die Präsidentin des
Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft verlängerte
die Haft am 9. September 2003 bis zum 4. November 2003. Nach Abschluss der
Untersuchung wurde der Angeschuldigte am 31. Oktober 2003 aus der Haft
entlassen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft erhob am 29.
Januar 2004 gegen X.________ Anklage wegen qualifizierter Widerhandlung gegen
das Betäubungsmittelgesetz, Geldwäscherei und Widerhandlung gegen das
Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer. Sie überwies
den Angeklagten an das Strafgericht (Dreiergericht) des Kantons
Basel-Landschaft zur Beurteilung. Am 25. August 2004 fand die
Hauptverhandlung vor dem Dreiergericht statt. Nach rund drei Stunden wurde
die Verhandlung abgebrochen; der Fall wurde "ausgestellt und an die Kammer
des Strafgerichts umgeteilt" und der Angeklagte in Haft genommen. Die
Präsidentin des Strafgerichts ordnete am 25. August 2004 die Haft bis zum 22.
September 2004 an. Der Angeklagte stellte am 30. August 2004 ein Gesuch um
Haftentlassung. Mit Verfügung vom 7. September 2004 wies die Präsidentin des
Strafgerichts das Gesuch ab.

B.
Gegen diesen Entscheid reichte X.________ am 27. September 2004 beim
Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein. Er beantragt, die angefochtene
Verfügung sei aufzuheben und er sei sofort aus der Untersuchungshaft zu
entlassen. Ausserdem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
für das bundesgerichtliche Verfahren.

C.
Die Staatsanwaltschaft und die Präsidentin des Strafgerichts des Kantons
Basel-Landschaft stellen unter Verzicht auf Gegenbemerkungen den Antrag, die
Beschwerde sei abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich gegen die Verfügung der
Präsidentin des Strafgerichts vom 7. September 2004, mit der das
Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vom 30. August 2004 abgewiesen
wurde. Nachdem die Haft am 25. August 2004 bis zum 22. September 2004
angeordnet worden war, verlängerte die Strafgerichtspräsidentin mit Verfügung
vom 17. September 2004 die Haft bis zur Hauptverhandlung vom 10. November
2004. Der Beschwerdeführer befindet sich somit weiterhin in Haft und hat
demzufolge nach wie vor ein aktuelles praktisches Interesse an der
Überprüfung des angefochtenen Entscheids (Art. 88 OG).

1.2  Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde, die sich gegen die Fortdauer der
Haft richtet, kann in Abweichung vom Grundsatz der kassatorischen Natur der
Beschwerde nicht nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern
ausserdem die Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 124 I 327 E. 4b/aa
S. 332 f.; 115 Ia 293 E. 1a S. 297, je mit Hinweisen). Die mit der
vorliegenden Beschwerde gestellten Anträge sind daher zulässig.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Abweisung seines
Haftentlassungsgesuchs verletze das verfassungsmässige Recht auf persönliche
Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) sowie das Willkürverbot (Art. 9 BV).

2.1  Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das
verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen der Ablehnung eines
Haftentlassungsgesuchs erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick
auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung des entsprechenden
kantonalen Rechts frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfeststellungen und
damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht
nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz
willkürlich sind (BGE 128 I 184 E. 2.1 S. 186; 123 I 31 E. 3a S. 35, je mit
Hinweisen). Der Berufung auf das Willkürverbot kommt im vorliegenden Fall
neben der Rüge der Verletzung der persönlichen Freiheit keine selbstständige
Bedeutung zu.

2.2  Gemäss § 77 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft (StPO)
ist die Anordnung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zulässig, wenn
der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird
und überdies Flucht-, Kollusions- oder Fortsetzungsgefahr besteht. Ausserdem
muss die Haft verhältnismässig sein.

Die Präsidentin des Strafgerichts war der Auffassung, im vorliegenden Fall
seien der dringende Tatverdacht sowie Fluchtgefahr und Kollusionsgefahr
gegeben; zudem erweise sich die Fortdauer der Haft als verhältnismässig.

Der Beschwerdeführer kritisiert den angefochtenen Entscheid in allen Punkten.

2.3  Die Strafgerichtspräsidentin führte aus, der dringende Verdacht der
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz ergebe sich aus den Aussagen
von A.________, B.________ und C.________, aus den Beschlagnahmen anlässlich
der Hausdurchsuchung beim Beschwerdeführer sowie aus den Telefonkontrollen
und den Untersuchungsergebnissen des Instituts für Rechtsmedizin.

In der staatsrechtlichen Beschwerde wird vorgebracht, das Vorliegen eines
Tatverdachts werde grundsätzlich nicht bestritten. Bestritten werde hingegen,
"dass dieser Tatverdacht rund elf Monate nach der Haftentlassung des
Beschwerdeführers und damit eben auch elf Monate nach dem Wegfall von
Haftgründen erneut zur Begründung der angeordneten Haft herangezogen werden"
könne. Diese Argumentation geht fehl. Der Beschwerdeführer wurde nach
Abschluss der Untersuchung am 31. Oktober 2003 nicht deshalb aus der Haft
entlassen, weil der dringende Tatverdacht weggefallen wäre, sondern weil die
Untersuchungsbehörde damals die Ansicht vertrat, ein besonderer Haftgrund im
Sinne von § 77 Abs. 1 lit. a-c StPO sei nicht mehr vorhanden. Die allgemeine
Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts hingegen war, wie den Akten zu
entnehmen ist, nach wie vor gegeben. Sie konnte im angefochtenen Entscheid
ohne Verletzung der Verfassung bejaht werden.

2.4  Was den Haftgrund der Fluchtgefahr betrifft, so braucht es nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts für die Annahme der Fluchtgefahr eine
gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte, wenn er in Freiheit
wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen
würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr
gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu
bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles,
insbesondere die gesamten Verhältnisse des Angeschuldigten, in Betracht
gezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117 Ia 69 E. 4a S. 70, je mit
Hinweisen).

Im angefochtenen Entscheid wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer, welcher
aus dem Kosovo stammt, habe derzeit keinen legalen Aufenthaltsstatus in der
Schweiz, da ein Gesuch um Wiedererwägung der rechtskräftigen Ausweisung nach
wie vor hängig sei. Er habe wohl einzelne familiäre Beziehungen in der
Schweiz, jedoch genauso zahlreiche in seiner Heimat. Der Beschwerdeführer
habe wiederholt Geld in seine Heimat transferiert und dort in die Renovation
eines Hauses investiert. Die von ihm geltend gemachten Schwierigkeiten bei
der Beschaffung der für ihn notwendigen Medikamente seien in Anbetracht der
Möglichkeit der postalischen Zustellung nicht entscheidrelevant. Der
Beschwerdeführer könne sich zur Belieferung mit Medikamenten auch seiner
Kontakte in der Schweiz und in Italien bedienen. Die Strafgerichtspräsidentin
gelangte zum Schluss, aufgrund der persönlichen Verhältnisse des
Beschwerdeführers in Verbindung mit der "drohenden unbedingten
Gefängnisstrafe" sei die Fluchtgefahr zu bejahen.

In der staatsrechtlichen Beschwerde wird nichts vorgebracht, was geeignet
wäre, die angeführten Feststellungen der kantonalen Instanz als
verfassungswidrig erscheinen zu lassen. Gegen den Beschwerdeführer wurde
Anklage wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz
im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 und 2 lit. a und b BetmG erhoben. Es wird ihm
zur Last gelegt, er habe als Mitglied einer Drogenhändlerbande in der Zeit
zwischen Januar 2002 und Juli 2003 in grösserem Umfang mit Heroin gehandelt.
Die Staatsanwaltschaft beantragte dem Dreiergericht mit Schreiben vom 29.
Januar 2004, der Beschwerdeführer sei zu einer bedingt vollziehbaren
Gefängnisstrafe von 18 Monaten zu verurteilen. Nachdem das Dreiergericht -
welches keine Freiheitsstrafe von mehr als 18 Monaten ausfällen kann (§ 3
Abs. 2 StPO) - die vorliegende Strafsache am 25. August 2004 an die Kammer
des Strafgerichts umgeteilt hat, besteht die Möglichkeit, gegen den
Beschwerdeführer eine bedeutend höhere und damit eine unbedingte
Freiheitsstrafe auszufällen. Konnte der Beschwerdeführer nach seiner
Haftentlassung Ende Oktober 2003 noch mit einer bedingt vollziehbaren
Freiheitsstrafe rechnen, so hat sich mit der am 25. August 2004 erfolgten
Umteilung des Straffalles vom Dreiergericht an die Kammer des Strafgerichts
die Situation bezüglich der zu erwartenden Strafe wesentlich zu Ungunsten des
Beschwerdeführers verändert. Mit Rücksicht darauf bildet der Umstand, dass
sich der Beschwerdeführer nach seiner Haftentlassung nicht ins Ausland
abgesetzt hat, kein entscheidendes Argument gegen die Annahme eines
Fluchtrisikos. Es lässt sich mit vertretbaren Gründen annehmen, sowohl im
Hinblick auf die drohende Strafe als auch aufgrund der persönlichen
Verhältnisse des Beschwerdeführers bestünden erhebliche und gewichtige
Indizien für eine Fluchtgefahr. Die Präsidentin des Strafgerichts verstiess
daher nicht gegen die Verfassung, wenn sie diesen Haftgrund bejahte.

2.5  Da es für die Fortdauer der Haft genügt, wenn ein einziger besonderer
Haftgrund (neben der allgemeinen Haftvoraussetzung des dringenden
Tatverdachts) vorliegt, kann dahingestellt bleiben, ob auch die Annahme der
kantonalen Instanz, es bestehe zudem Kollusionsgefahr, vor der Verfassung
standhält.

2.6  Zur Frage der Verhältnismässigkeit der Haft wird im angefochtenen
Entscheid erklärt, die Verhältnismässigkeit könne unter Hinweis auf die
zutreffenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft als gegeben betrachtet
werden. Diese hatte in ihrer Vernehmlassung zum Haftentlassungsgesuch
ausgeführt, es sei kein milderes Mittel ersichtlich, um die Realisierung der
Flucht zu verhindern. Sodann wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass die
Haft im Hinblick auf die zu erwartende Strafe "besonders kurz" sei und dass
eine Verhandlung in absehbarer Zeit zu erwarten sei. Sie hielt fest, auch
unter diesem Gesichtspunkt erscheine die Untersuchungshaft als
verhältnismässig.

Der Beschwerdeführer wendet ein, der angefochtene Entscheid enthalte in
diesem Punkt keine genügende Begründung. Die Rüge ist unzutreffend. Es reicht
unter dem Gesichtspunkt der aus Art. 29 Abs. 2 BV folgenden
Begründungspflicht aus, wenn die urteilende Behörde kurz die Überlegungen
nennt, von denen sie sich leiten liess und auf welche sich ihr Entscheid
stützt (BGE 126 I 97 E. 2b S. 102 f. mit Hinweisen). Die angefochtene
Verfügung genügt diesen Anforderungen. Es war entgegen der Meinung des
Beschwerdeführers nicht unzulässig, wenn die Strafgerichtspräsidentin auf die
Ausführungen verwies, welche die Staatsanwaltschaft in ihrer Vernehmlassung
zum Haftentlassungsgesuch zur Frage der Verhältnismässigkeit der Haft gemacht
hatte (BGE 123 I 31 E. 2c S. 34).

Auch in materieller Hinsicht ist die Auffassung der Strafgerichtspräsidentin
nicht zu beanstanden. Es lässt sich ohne Verletzung der Verfassung annehmen,
im vorliegenden Fall vermöchte eine Ersatzmassnahme die Fluchtgefahr nicht
hinreichend zu bannen. Was die Dauer der Haft angeht, so kann nicht gesagt
werden, die bisher erstandene Haft (insgesamt rund 4 Monate) sei bereits in
grosse Nähe der konkret zu erwartenden Strafe gerückt (BGE 126 I 172 E. 5a S.
176; 124 I 208 E. 6 S. 215 mit Hinweisen). Die Fortdauer der Haft ist deshalb
nicht unverhältnismässig.

Nach dem Gesagten verletzte die Präsidentin des Strafgerichts das
verfassungsmässige Recht des Beschwerdeführers auf persönliche Freiheit
nicht, wenn sie dessen Haftentlassungsgesuch ablehnte. Die staatsrechtliche
Beschwerde ist daher abzuweisen.

3.
Dem Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege im Sinne von Art. 152 Abs. 1 und 2 OG kann mit Rücksicht auf die
gesamten Umstände des Falles entsprochen werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2  Rechtsanwalt Peter Arnold wird als amtlicher Anwalt des
Beschwerdeführers
bezeichnet und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'800.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und der
Präsidentin des Strafgerichts des Kantons Basel-Landschaft schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 12. Oktober 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: