Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.527/2004
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1P.527/2004 /ast

Urteil vom 26. Januar 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________, zzt. in der Strafanstalt Bostadel, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Hug,

gegen

Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Strafvollzugsdienst, Feldstrasse
42, 8090 Zürich,
Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, Postfach, 8090
Zürich.

Bedingte Entlassung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung der Direktion der Justiz und
des Innern des Kantons Zürich vom 15. Juli 2004.

Sachverhalt:

A.
Das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich (AJV) ordnete am 14. April 2004
an, verschiedene von X.________ erwirkte Zuchthaus- bzw. Verwahrungsstrafen
seien gemeinsam zu vollziehen und lehnte dessen bedingte Entlassung aus den
vom Geschworenengericht des Kantons Zürich, vom Obergericht des Kantons Zug
und zuletzt am 21. Dezember 2001 vom Obergericht des Kantons Thurgau
angeordneten Verwahrungsmassnahmen nach Art. 42 StGB ab.

Am 29. April 2004 teilte der Sonderdienst des AJV X.________ u.a. mit, auf
Grund seines Verhaltens in der Vergangenheit - insbesondere habe er
wiederholt Vollzugslockerungen zur Flucht missbraucht - gehe man davon aus,
dass nach wie vor erhebliche Fluchtgefahr bestehe, weshalb ihm vorläufig
keine Vollzugslockerungen gewährt werden könnten.

X. ________ focht beide Verfügungen bei der Direktion der Justiz und des
Innern des Kantons Zürich (DJI) an, welche am 15. Juli 2004 verfügte:

"I. Der Rekurs von X.________ gegen die Verfügung des Amtes für
Justizvollzug, Sonderdienst, vom 14. April 2004 betreffend bedingte
Entlassung wird abgewiesen.

II. Der Rekurs von X.________ gegen die Verfügung des Amtes für
Justizvollzug, Sonderdienst, vom 29. April 2004 betreffend
Vollzugslockerungen wird abgewiesen.

III. .. (Kosten)

IV. ..(Abweisung des Gesuches um unentgeltliche Verbeiständung)

V. Gegen Ziff. I dieses Entscheides kann innert dreissig Tagen, von der
schriftlichen Mitteilung an gerechnet, beim Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich schriftlich Beschwerde eingereicht werden. (..)

VI. .. (Mitteilungen)"

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 14. September 2004 wegen Verletzung der
Art. 9, 29 und 31 BV beantragt X.________, diese Verfügung der DJI
aufzuheben. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung.

C.
Die DJI beantragt unter Hinweis auf ihren Entscheid, die Beschwerde
abzuweisen. Sie teilt mit, dass sie die Akten dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich überwiesen habe, bei welchem X.________ ihren Entscheid
ebenfalls angefochten habe. Das AJV beantragt ebenfalls, die Beschwerde
abzuweisen. Die Vollzugsakten befänden sich beim Verwaltungsgericht und
würden nach Rückerhalt dem Bundesgericht überstellt.

Am 7. Januar 2005 sind die Verfahrensakten mitsamt dem Dispositiv des
Entscheids des Einzelrichters des Zürcher Verwaltungsgerichts vom 24.
November 2004 und am 13. Januar 2005 der begründete Entscheid beim
Bundesgericht eingegangen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer hat die Verfügung der DJI vom 15. Juli 2004 sowohl mit
staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht als auch mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Zürcher Verwaltungsgericht angefochten.
Dessen Einzelrichter hat in seinem Entscheid vom 24. November 2004 die
Anträge, Vollzugslockerungen zu gewähren und ihn bedingt aus der Verwahrung
zu entlassen, materiell behandelt und abgewiesen. Hingegen hat er die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde - der Gerichtspraxis entsprechend (vgl. das den
Beschwerdeführer betreffende Urteil des Bundesgerichts 6A.32/2003 vom 26.
Juni 2003) - insoweit als unzulässig erachtet, als der Beschwerdeführer
vorbrachte, die DJI habe zu Unrecht keinen Vollzugsplan bzw. faktisch einen
unrechtmässigen Quasivollzugsplan erlassen, da es sich dabei um eine Frage
der Anwendung von kantonalem Recht handle, welche weder der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Verwaltungsgericht noch derjenigen ans
Bundesgericht unterliege.

Mit staatsrechtlicher Beschwerde rügt der Beschwerdeführer, die Weigerung der
Strafvollzugsbehörden, einen Strafvollzugsplan zu erlassen, sei in
verschiedener Hinsicht verfassungswidrig. Der angefochtene Entscheid ist nach
dem Gesagten kantonal letztinstanzlich und im Bund nicht mit einem anderen
Rechtsmittel anfechtbar (Art. 84 Abs. 2, Art. 86 Abs. 1 OG). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die
Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1
lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten
ist. Soweit im Folgenden auf Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht
eingegangen wird, genügen sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen
nicht.

2.
Nach § 77 der hier unbestrittenermassen anwendbaren Zürcher
Justizvollzugsverordnung vom 24. Oktober 2004 (JVV; vgl. dazu BGE 128 I 225
E. 2.4.3) hat die Vollzugseinrichtung für die bei ihr eingetretene
verurteilte Person einen Vollzugsplan zu erstellen, wenn der zu verbüssende
Strafrest sechs Monate übersteigt (Abs. 1). Darin sind die Vollzugsziele, die
Unterbringung in der Vollzugseinrichtung, der Arbeitsplatz, die schulische
und berufliche Ausbildung und Weiterbildung, die notwendige besondere
Betreuung und der Therapiebedarf festzusetzen (Abs. 2).

Die DJI erwog im angefochtenen Entscheid (E. 2.2 S. 5), aus dem Gutachten
Kiesewetter vom 30. April 1998 ergebe sich, dass einer Entlassung des
Beschwerdeführers aus dem Verwahrungsvollzug stufenweise Vollzugslockerungen
mit schrittweiser Reintegration vorauszugehen hätten, was einen individuellen
Stufenplan mit wachsenden Freiheitsgraden voraussetze. Der Beschwerdeführer
sei im Februar 1999 bereits beim ersten Vollzugslockerungsschritt, der
Versetzung in die offene Anstalt Realta, gescheitert, indem er das in ihn
gesetzte Vertrauen umgehend zur Flucht und zu erneuter Delinquenz missbraucht
habe, wofür er vom Obergericht Thurgau zu 9 Jahren Zuchthaus verurteilt und
erneut verwahrt worden sei. Angesichts der bereits wegen schwerwiegender
Delikte wie Raub und Geiselnahme, mehrfach ausgesprochenen Verwahrungen und
seinem nunmehr jahrelangen, nur durch kurze Fluchten unterbrochenen
Aufenthalt im Strafvollzug sei beim Beschwerdeführer die Vollzugsplanung
nicht auf den frühestmöglichen Zeitpunkt der bedingten Entlassung - November
2006 - auszurichten. Dem Beschwerdeführer könnten Vollzugslockerungen nur mit
grösster Zurückhaltung und wohl nicht ohne ergänzende Begutachtung gewährt
werden, nachdem er seine Versetzung in den offenen Vollzug 1999 zur Flucht
missbraucht habe. Nachdem das Obergericht des Kantons Thurgau bei seiner
letzten Verurteilung im Dezember 2001 zum Schluss gekommen sei, seine erneute
(dritte) Verwahrung sei zum Schutz der Gesellschaft notwendig, sei es zur
Zeit trotz gutem Führungsbericht verfrüht, dem Beschwerdeführer Vertrauen
entgegenzubringen. Das Amt für Justizvollzug habe es daher zu Recht
abgelehnt, eine Vollzugsplanung mit der Bewilligung von Vollzugslockerungen
zu erstellen.

3.
Der Beschwerdeführer rügt, die Strafvollzugsbehörden hätten noch keinen
Vollzugsplan erstellt, obwohl die einzige Voraussetzung, die § 77 JVV dafür
vorsehe - ein noch zu verbüssender Strafrest von mehr als 6 Monaten -, in
seinem Fall erfüllt sei. Dies sei willkürlich und stelle eine
Rechtsverweigerung dar. Ausserdem habe das AJV in seiner Verfügung vom 24.
Oktober 2002 erklärt, dass nach dem Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils
des Thurgauer Obergerichts, welcher inzwischen erfolgt sei, eine
Vollzugsplanung erstellt werde. Es verstosse daher gegen Treu und Glauben,
dass sich die DJI nunmehr weigere, dies zu tun.

3.1 Der Rechtsverweigerungsrüge kommt vorliegend keine eigenständige
Bedeutung zu, sie fällt vielmehr mit der Willkürrüge zusammen: konnten die
zuständigen Strafvollzugsbehörden zur Zeit willkürfrei auf die Erstellung
eines Vollzugsplanes verzichten, haben sie mit ihrer Weigerung, dies zu tun,
keine Rechtsverweigerung begangen. Im gegenteiligen Fall wäre der
angefochtene Entscheid wegen Willkür aufzuheben.

Willkürlich ist ein Entscheid, der mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.
Dabei genügt es nicht, dass die Begründung unhaltbar ist, der Entscheid muss
sich vielmehr im Ergebnis als willkürlich erweisen (BGE 125 I 166 E. 2a; 125
II 10 E. 3a; 129 E. 5b; 122 I 61 E. 3a, je mit Hinweisen).

Sinn und Zweck des Vollzugsplanes ist u.a. unbestrittenermassen, den
Verurteilten mit schrittweisen Vollzugslockerungen auf ein Leben in Freiheit
und damit auf eine allfällige (bedingte) Entlassung vorzubereiten. Im Fall
des Beschwerdeführers stehen nach der Einschätzung der Strafvollzugsbehörden
Vollzugslockerungen zur Zeit nicht zur Diskussion, da dieser gefährlich sei
und solche verschiedentlich - zuletzt 1999 - missbraucht habe. Diese
Beurteilung wird vom Beschwerdeführer nicht substanziiert als willkürlich
gerügt (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Stehen aber Vollzugslockerungen zur Zeit
nicht zur Diskussion, so erübrigt sich vorderhand auch die Erstellung eines
Vollzugsplanes, mit welchem solche Massnahmen in die Wege geleitet werden.
Dies steht im Übrigen auch nicht im Widerspruch zum Wortlaut von § 77 JVV,
verlangt doch diese Bestimmung nicht, dass in jedem Fall sofort nach Eintritt
in die Vollzugsanstalt ein Vollzugsplan erstellt wird. Mit Sinn und Zweck
dieser Bestimmung vereinbar ist es ebenfalls, damit zuzuwarten, bis
Vollzugslockerungen ernsthaft zur Diskussion stehen. Die DJI ist jedenfalls
nicht in Willkür verfallen, indem sie die Erstellung eines Vollzugsplanes im
jetzigen Zeitpunkt als verfrüht ablehnte.

3.2 Nicht ganz nachvollziehbar ist die Beschwerde insofern, als der
Beschwerdeführer der DJI einen Verstoss gegen Treu und Glauben vorwirft. Das
AJV hat in seiner Verfügung vom 24. November 2002 bloss festgehalten, eine
Vollzugsplanung werde erst nach dem Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils
des Thurgauer Obergerichts erstellt. Dass dies unmittelbar danach oder innert
einer bestimmten, kurzen Frist erfolge, lässt sich der Verfügung nicht
entnehmen; solches wird vom Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet. Die
Verfügung enthält offensichtlich keine Zusicherung dieser Art, aus der der
Beschwerdeführer gestützt auf das Vertrauensprinzip von Art. 9 BV allenfalls
einen Anspruch auf die rasche Erstellung eines Vollzugsplanes ableiten
könnte. Die Rüge ist unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei
diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten. Er hat zwar ein Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen
abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
abgewiesen.

2.2 Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie dem Amt für Justizvollzug,
Strafvollzugsdienst, und der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons
Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Januar 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: