Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.525/2004
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1P.525/2004 /ggs

Urteil vom 22. Dezember 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, Bundesrichter Aeschlimann,
Ersatzrichter Rohner,
Gerichtsschreiber Haag.

Munizipalgemeinde Oberems, 3948 Oberems, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Advokat Peter Jossen-Zinsstag,

gegen

Munizipalgemeinde Turtmann, 3946 Turtmann, Beschwerdegegnerin, vertreten
durch Rechtsanwälte Dr. Hans-Peter Jaeger und Simon Graber,
Staatsrat des Kantons Wallis, Regierungsgebäude, 1950 Sitten,
Kantonsgericht Wallis, Öffentlichrechtliche Abteilung, Justizgebäude, 1950
Sitten.

Art. 9, 26, 35, 36 und 50 BV
(kommunale Grenzstreitigkeit),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Wallis,
Öffentlichrechtliche Abteilung, vom 5. Juli 2004.

Sachverhalt:

A.
Zwischen den Munizipalgemeinden Oberems und Turtmann besteht ein weit in die
Geschichte zurückreichender Konflikt über die Gebietshoheit im oberen Teil
des Turtmanntals. Mit Beschluss des Staatsrats des Kantons Wallis vom 10.
August 1869 wurde die Munizipalgemeinde Oberems provisorisch und ohne
Präjudiz für eine bereits damals erwartete gerichtliche Entscheidung des
Streitfalls ermächtigt, im gesamten umstrittenen Gebiet des Turtmanntals die
Steuern zu erheben.
Mit Eingabe vom 8. Mai 1996 an den Staatsrat verlangte die Munizipalgemeinde
Oberems, die Grenze zwischen den Gemeinden Oberems und Turtmann festzulegen
und ihr die strittigen Hoheitsrechte zuzusprechen. Der Staatsrat ernannte am
9. Oktober 1996 gestützt auf Art. 6 des kantonalen Gesetzes über die amtliche
Vermessung vom 16. November 1994 die in dieser Bestimmung vorgesehene
Vormeinungskommission. Diese führte einen Schriftenwechsel sowie ein
Beweisverfahren durch und schlug mit Bericht vom 14. Januar 2002 dem
Staatsrat vor, jeder Gemeinde die Hälfte des umstrittenen Gebiets von 67,6
km2 zuzuteilen. Der Staatsrat entschied am 23. Januar 2002 in diesem Sinne
und hob die seinerzeit der Gemeinde Oberems übertragene provisorische
Verwaltung über das umstrittene Gebiet auf.

B.
Am 20. Februar 2002 reichte die Munizipalgemeinde Oberems beim Kantonsgericht
Wallis öffentlichrechtliche Klage gegen die Munizipalgemeinde Turtmann ein
mit dem Antrag, den Entscheid des Staatsrats aufzuheben und festzustellen,
dass die Gesamtheit des umstrittenen Gebiets im Turtmanntal Territorium von
Oberems sei und sich in dessen Hoheit befinde. Die Gemeinde Turtmann
beantragte Klageabweisung und verlangte widerklageweise die Zusprechung einer
näher bezeichneten zusätzlichen Fläche.

Mit Urteil vom 5. Juli 2004 bestätigte das Kantonsgericht den Entscheid des
Staatsrats vom 23. Januar 2002 und legte die Grenze entsprechend dem Antrag
der Vormeinungskommission fest. Die Klage der Gemeinde Oberems wies es ab,
und auf die Widerklage der Gemeinde Turtmann trat es nicht ein, soweit sie
mehr verlangte, als ihr der Staatsrat zugesprochen hatte.

C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 10. September 2004 wegen Verletzung der
Art. 9, 26, 35, 36 und 50 BV beantragt die Munizipalgemeinde Oberems die
Aufhebung des Urteils des Kantonsgerichts vom 5. Juli 2004 sowie des
Entscheids des Staatsrats vom 23. Januar 2002. Zudem seien die Rechtsbegehren
der direkten Klage vom 20. Februar 2002 gutzuheissen und es sei
festzustellen, dass die Gesamtfläche des oberen Turtmanntales, von den
unbestrittenen Grenzen der Gemeinden Ergisch und Unterems an, mit allen
Rechten und Pflichten zum Gebiet der Gemeinde Oberems gehöre.

D.
Die Munizipalgemeinde Turtmann beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit
darauf einzutreten sei. Das Kantonsgericht schliesst auf Abweisung der
Beschwerde; der Staatsrat des Kantons Wallis verzichtet auf Stellungnahme.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist die Gemeinde zur Wahrung
ihrer Existenz oder des Bestandes ihres Gebiets zur staatsrechtlichen
Beschwerde legitimiert; dies zumal auch dann, wenn der angefochtene Entscheid
einer anderen Gemeinde ein bisher umstrittenes Gebiet zuspricht (BGE 104 Ia
381 E. 3 S. 389 ff.; 110 Ia 50 f.; 121 I 218 E. 2a S. 220, je mit Hinweisen).

1.2 Vorbehältlich von Ausnahmen, die hier nicht zutreffen, ist die
staatsrechtliche Beschwerde ein rein kassatorisches Rechtsmittel. Soweit die
Beschwerdeführerin mehr verlangt als die Aufhebung des angefochtenen
Entscheids, kann darauf nicht eingetreten werden (BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S.
131 f., 173 E. 1.5 S. 176). Erweist sich eine staatsrechtliche Beschwerde als
begründet, so wird durch die Aufhebung des angefochtenen Entscheids das
kantonale Verfahren wieder in den Zustand zurückversetzt, in dem es sich vor
Ergehen des Anfechtungsobjekts befand. Die kantonale Behörde hat erneut über
die bei ihr anhängigen Begehren zu entscheiden und dabei den Erwägungen des
Bundesgerichts Rechnung zu tragen (BGE 104 Ia 377 E. 1 S. 378 mit Hinweisen).
Daher drängen sich insbesondere explizite Feststellungen bezüglich eines
bestimmten Grenzverlaufes nicht auf.

2.
Das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren ist nicht lediglich die Fortsetzung
des vorausgegangenen kantonalen Verfahrens, sondern ein besonderes
bundesrechtliches Verfahren mit eigenem Beschwerdegegenstand (BGE 117 Ia 393
E. 1c S. 395 mit Hinweisen). Die Begründung der staatsrechtlichen Beschwerde
muss nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG die wesentlichen Tatsachen und eine
kurzgefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte
bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid
verletzt worden sind. Vom Beschwerdeführer wird verlangt, dass er sich mit
den Erwägungen des angefochtenen Entscheids konkret auseinandersetzt und im
Einzelnen dartut, inwieweit diese gegen die angerufenen verfassungsmässigen
Rechte verstossen. Es genügt insbesondere nicht, lediglich in
vorinstanzlichen Verfahren vorgetragene Argumente zu wiederholen und als
Quintessenz eine pauschale, nicht auf bestimmte, konkret kritisierte
Erwägungen des angefochtenen Urteils bezogene Verfassungsrüge zu erheben.
Fehlt es an hinreichend begründeten Rügen in diesem Sinne und beschränkt sich
die Beschwerde auf appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid, kann
darauf nicht eingetreten werden (BGE 129 I 185 E. 1.6 S. 189; 127 I 38 E. 3c
S. 43; 125 I 492 S. 495 E.1b; 117 Ia 393 E. 1c S. 395, je mit Hinweisen).

2.1 Die Beschwerde enthält zunächst auf den Seiten 3 bis 17 breite
Ausführungen zum Sachverhalt. Die Ergebnisse des kantonalen Beweisverfahrens
werden mit Einschluss der Protokolle einzelner Zeugeneinvernahmen teilweise
sehr ausführlich wiedergegeben, und es werden weitere Beweisanträge gestellt.
Hingegen wird nicht dargetan, dass bestimmte - und welche -
Tatsachenfestellungen des angefochtenen Entscheids gegen die angerufenen
verfassungsmässigen Rechte, namentlich das Willkürverbot, verstossen sollen.
Diese Vorbringen sind rein appellatorisch, weshalb darauf nicht einzutreten
ist.

2.2 Auf den Seiten 17 bis 21 der Beschwerde folgen gewisse Ausführungen zur
Beschwerdebegründung. Auch diese Vorbringen lassen eine dem Art. 90 Abs. 1
lit. b OG genügende Auseinandersetzung mit den Erwägungen des angefochtenen
Urteils vermissen. Es wird nicht, wie es erforderlich wäre, der dem
angefochtenen Urteil zugrunde liegende Gedankengang analysiert und dargelegt,
weshalb und inwieweit dadurch gegen die angerufenen verfassungsmässigen
Rechte verstossen wird. Wohl werden einzelne Behauptungen aufgestellt - etwa,
das angefochtene Urteil habe "die Frage nach dem Eigentum am Tal faktisch
ausgeklammert" und es werde "aus unbestrittenen Nutzungen von
Privateigentümern an Chalets ... auf das Eigentum am ganzen Tal geschlossen";
eine Bezugnahme auf konkrete Erwägungen des angefochtenen Urteils und deren
Kritik unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten fehlt jedoch. Auch das
Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe "trotz der erdrückenden Beweislage
für die Gemeinde Oberems die nicht bewiesenen Ansprüche der Gemeinde Turtmann
geschützt" und deshalb gegen die Art. 9, 26, 35 und 36 BV sowie gegen die
Gemeindeautonomie verstossen, wird ohne Auseinandersetzung mit bestimmten
Erwägungen des Verwaltungsgerichts als blosse Behauptung vorgetragen. Darauf
ist nicht einzutreten. Gleiches gilt, soweit die Beschwerdeführerin dartut,
das angefochtene Urteil habe "... zwar die höchstrichterliche Rechtsprechung
in Sachen Streitfragen von öffentlichen Grenzen erwähnt, sie aber nicht
angewandt." Die Beschwerdeführerin zählt zwar einzelne Kriterien auf, die das
Bundesgericht bei öffentlichen Grenzstreitigkeiten heranzuziehen pflegt. Sie
legt aber nicht dar, weshalb und inwieweit die Erwägungen des angefochtenen
Urteils gegen diese Grundsätze verstossen; vielmehr sind ihre Ausführungen
auch in diesem Zusammenhang rein appellatorisch und setzen sich mit dem
angefochtenen Entscheid nicht auseinander.

2.3 Die Beschwerde erweist sich somit als offensichtlich unzulässig (Art. 36a
Abs. 1 lit. a OG); auf sie ist daher nicht einzutreten.

3.
Der Streit um die Ausdehnung des Hoheitsgebiets einer Gemeinde hat (auch)
wirtschaftliche Tragweite. Demzufolge hat die unterliegende
Beschwerdeführerin die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen
(Art. 156 Abs. 2 OG e contrario). Zudem hat die Beschwerdeführerin die
obsiegende, anwaltlich vertretene Beschwerdegegnerin angemessen zu
entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Staatsrat des Kantons Wallis und dem
Kantonsgericht Wallis, Öffentlichrechtliche Abteilung, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 22. Dezember 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: