Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.511/2004
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2004
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2004


1P.511/2004 /ggs

Urteil vom 19. Januar 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Ersatzrichter Seiler,
Gerichtsschreiber Störi.

Ehepaar X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur.
Erich Vogel,

gegen

Gemeinde Schiers, 7220 Schiers, vertreten durch Rechtsanwältin Jacqueline
Moser,
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 4. Kammer, Obere Plessurstrasse 1,
7001 Chur.

Baugesuch,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden, 4. Kammer, vom 25. Mai 2004.

Sachverhalt:

A.
Im Dezember 2003 erteilte die Gemeinde Schiers dem Ehepaar X.________ die
Baubewilligung für den Um- und Ausbau ihres Wohnhauses mit 2 Wohnungen auf
der Parzelle Nr. 212. Als Auflage verfügte die Gemeinde, vor Baubeginn sei
der Nachweis über die Bereitstellung zweier Autoabstellplätze zu erbringen.
Das bisherige Wohnhaus verfügte über keine Parkplätze.

Die Bauherrschaft erhob gegen diese Auflage am 7. Januar 2004 Rekurs an das
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. In der Folge hob die Gemeinde am
9. Februar 2004 die umstrittene Auflage auf und verfügte dafür eine
Parkplatzersatzabgabe von Fr. 4'500.-- pro Wohnung, das heisst insgesamt Fr.
9'000.--. Dagegen rekurrierte die Bauherrschaft erneut beim
Verwaltungsgericht.

B.
Das Verwaltungsgericht vereinigte die beiden Rekursverfahren, soweit das
erste nicht gegenstandslos geworden war, und führte einen Augenschein durch.
Mit Urteil vom 25. Mai 2004 wies es die Rekurse ab, soweit sie nicht
gegenstandslos geworden waren.

C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 13. September 2004 beantragt das Ehepaar
X.________, der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 25. Mai 2004 sowie die
Verfügung der Gemeinde Schiers vom 9. Februar 2004 seien aufzuheben.

Das Verwaltungsgericht und die Gemeinde Schiers beantragen, die Beschwerde
sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

D.
Mit Verfügung des Präsidenten der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des
Bundesgerichts vom 7. Oktober 2004 wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung
zuerkannt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde gegen den kantonal letztinstanzlichen, auf
kantonales Recht gestützten Endentscheid des Verwaltungsgerichts ist zulässig
(Art. 84 Abs. 2 und Art. 86 Abs. 1 OG). Die Beschwerdeführer sind legitimiert
(Art. 88 OG). Die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 34 Abs. 1 lit. b und
Art. 89 Abs. 1 OG). Auf die Beschwerde ist einzutreten, soweit sie sich gegen
das Urteil des Verwaltungsgerichts wendet. Soweit die Aufhebung des
Entscheids der Gemeinde Schiers vom 9. Februar 2004 beantragt wird, ist
darauf nicht einzutreten, da sich die staatsrechtliche Beschwerde nur gegen
den kantonal letztinstanzlichen Entscheid richten kann.

2.
2.1 Das Verwaltungsgericht hat seinen Entscheid auf Art. 41 des Baugesetzes
der Gemeinde Schiers vom 31. August 2001 und vom 3. Juni 2003 gestützt. Nach
dieser Bestimmung sind "bei Neubauten sowie bei Umbauten und Erweiterungen,
welche zusätzlichen Verkehr erwarten lassen", Abstellplätze für
Motorfahrzeuge zu erstellen. Ist die Anlage der vorgeschriebenen
Abstellplätze nicht möglich, ist gemäss Art. 42 des Baugesetzes für jeden
fehlenden Abstellplatz eine einmalige Ersatzabgabe von Fr. 4'500.-- zu
bezahlen.

Das Verwaltungsgericht hat erwogen, aus den eingereichten Bauplänen und dem
Augenschein ergebe sich, dass es sich beim geplanten Baukörper (neues
Giebeldach mit neuer Hausfassade und grossen Glasfenstern) räumlich,
architektonisch und visuell leicht wahrnehmbar um einen Umbau des bestehenden
Wohnhauses mit beachtlicher Nutzungserweiterung (2 x 26 m2) handle. Das erste
Kriterium (Umbau/ Erweiterung) sei damit eindeutig erfüllt. Durch die
geschaffene Wohnnutzungserweiterung von 52 m2 könne auch das zweite Kriterium
des mutmasslich zu erwartenden Mehrverkehrs bejaht werden. Nach der
allgemeinen Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge sei bei neu
sanierten und funktional erweiterten Wohnbauten regelmässig auch mit einem
erhöhten Verkehrsaufkommen zu rechnen. Es sei gerechtfertigt, von einer
erheblichen Veränderung der früheren Bausubstanz und generellen Wohnsituation
(energetische Totalsanierung und ansehnliche Wohnraumerweiterung im
Gesamtwert von 400'000 Franken) auszugehen. Die damit verknüpfte
Komfortsteigerung der Wohnqualität und die voraussichtlich vermehrte bzw.
intensivere Nutzung der neu erstellten Hauptwohnanteile zuzüglich Nebentrakt
legten die Vermutung nahe, dass die gesteigerte Bewohnbarkeit letztlich ein
erhöhtes Verkehrsaufkommen nach sich ziehen könnte, selbst wenn die
Hauptwohnräume keinen Wechsel in der bisherigen Nutzung erführen, da die
Erweiterung wichtiger Hauptwohnräume auch Anlass zu einer Erhöhung der
aktuellen Bewohnerzahl sein könne.

2.2 Die Beschwerdeführer rügen dies als willkürlich: Die Südfassade werde
gegenüber dem bestehenden Anbau mit Flachdach durch den Umbau lediglich um
1,5 Meter verschoben. Das Giebeldach sei einzig auf Aufforderung der Gemeinde
hin erstellt worden und erfasse mehrheitlich eine vorbestehende Baukubatur.
80 % der Baukosten beträfen die energetische Sanierung. Die optische
Veränderung der Fassade durch die Fenster stehe in keinem Zusammenhang mit
einer Erweiterung. Die bestehende Wohnfläche werde bloss marginal erweitert,
nämlich insgesamt um nur 24,4 anstelle der vom Verwaltungsgericht
angenommenen 52 m2. Weder die Zahl noch die Aufteilung der Räume würden
verändert, sondern nur pro Wohnung die Küche und ein Wohnzimmer minim
vergrössert. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es liege eine erhebliche
Veränderung der Bausubstanz vor, sei aktenwidrig und willkürlich. Auch die
energetische Totalsanierung habe keine Veränderung der Wohnsituation zur
Folge. Die Nutzung werde nicht intensiviert, auch nicht durch den Sitzplatz,
da dieser schon vorher benutzt und durch die Verschiebung der Fassade gar
kleiner geworden sei. Da das Haus bereits vorher vollumfänglich belegt
gewesen sei, sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kein
Mehrverkehr zu erwarten.

2.3 Das Verwaltungsgericht räumt in seiner Vernehmlassung ein, dass im Urteil
irrtümlich von einer Zunahme der Wohnfläche von 26 m2 pro Wohnung die Rede
sei. In Wirklichkeit sei es von einer Zunahme von 16 m2 pro Wohnung
ausgegangen, wie dies die Beschwerdeführer in ihrem Rekurs angegeben hätten.

2.4 Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon dann, wenn eine andere Lösung
ebenfalls vertretbar erscheint oder sogar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht
weicht vom Entscheid der kantonalen Behörde nur ab, wenn dieser
offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtssatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.
Vorausgesetzt ist sodann, dass nicht bloss die Begründung des Entscheides,
sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 129 I 8 E. 2.1, 128 II 259 E. 5
S. 280 f., mit Hinweisen).

2.5 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist es nicht willkürlich
anzunehmen, es liege ein Umbau bzw. eine Erweiterung vor. Dazu ist
unerheblich, ob das Giebeldach auf Anordnung der Gemeinde erstellt und ob die
beiden Wohnungen um je rund 26 oder 16 (wie die Beschwerdeführer in ihrem
Rekurs an das Verwaltungsgericht angegeben haben) oder 12 m2 (wie sie in der
staatsrechtlichen Beschwerde geltend machen) vergrössert werden: Unbestritten
wird die Fassade um ca. 1,5 Meter verschoben, was nach dem landläufigen
Wortsinn ohne weiteres als Umbau oder Erweiterung zu betrachten ist.

2.6 Auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Umbau lasse einen
zusätzlichen Verkehr erwarten, kann nicht als willkürlich betrachtet werden.
Zwar lässt die in absoluten Zahlen geringe Zunahme der Wohnfläche für sich
allein noch nicht auf zusätzlichen Verkehr schliessen. Das Verwaltungsgericht
hat aber nicht nur auf die Flächenerweiterung abgestellt, sondern eine
Gesamtwürdigung vorgenommen und dabei wesentlich berücksichtigt, dass bei
modernisierten und sanierten Wohnbauten regelmässig mit einem erhöhten
Verkehrsaufkommen zu rechnen sei. Dies kann generell nicht als unhaltbar
betrachtet werden. Auch im konkreten Fall ist diese Annahme nicht zu
beanstanden: Aus den bei den Akten liegenden Plänen und Fotos geht hervor,
dass das Haus bisher relativ altmodisch erscheint. Das eine - durch den Umbau
nun erweiterte - Zimmer war jedenfalls im Erdgeschoss derart klein (9,3 m2),
dass es nur beschränkt als vollwertiges Zimmer betrachtet werden konnte. Auch
die Esszimmer waren sehr klein (7,00 bzw. 7,85 m2). Durch den Umbau werden
die Wohnzimmer in der Südecke beträchtlich grösser. An die Stelle der kleinen
Küchen und Esszimmer treten grosszügige Wohnküchen. Die Annahme des
Verwaltungsgerichts, die mit dem Umbau verknüpfte Komfortsteigerung führe
voraussichtlich zu einer intensiveren Nutzung und diese wiederum zu einem
erhöhten Verkehrsaufkommen, ist unter diesen Umständen nicht unhaltbar.
Gemäss Rekursbeilage 9 wurde das ganze Haus bisher von einer einzigen
fünfköpfigen Familie bewohnt. Es kann nach allgemeiner Lebenserfahrung ohne
weiteres davon ausgegangen werden, dass es nach dem Umbau von zwei Parteien
bewohnt werden wird, was an sich schon regelmässig zu einem Mehrverkehr
führt. Schliesslich bringen die Beschwerdeführer in ihrer staatsrechtlichen
Beschwerde selber vor, sie hätten ursprünglich beabsichtigt, auf ihrer
Parzelle einen unterirdischen Parkplatz zu erstellen, was aber vom Tiefbauamt
aufgrund der engen Verhältnisse nicht bewilligt worden sei. Sie sind also
selber offensichtlich davon ausgegangen, dass ihr Vorhaben einen zusätzlichen
Parkplatzbedarf zur Folge hat.

3.
Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet. Sie ist abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens tragen die
Beschwerdeführer die Verfahrenskosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie haben der
Gemeinde Schiers, die als kleine Gemeinde ohne professionellen Rechtsdienst
auf den Beizug einer Anwältin angewiesen war, die Parteikosten zu ersetzen
(Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführer haben die Gemeinde Schiers für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Gemeinde Schiers und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Januar 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: