Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.4/2004
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1P.4/2004
1P.118/2004 /sta

Urteil vom 4. August 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Forster.

X. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Direktion der kantonalen Strafanstalt Pöschwies, Roosstrasse 49, 8105
Regensdorf,
Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, Kaspar Escher-Haus,
Postfach, 8090 Zürich.

Art. 29 und 32 BV, Art. 3 und 6 EMRK
(disziplinarische Sanktionen im Strafvollzug),

Staatsrechtliche Beschwerden gegen die Verfügungen der Direktion der Justiz
und des Innern des Kantons Zürich vom 8. Dezember 2003 (1P.4/2004) und

21. Januar 2004 (1P.118/2004).
Sachverhalt:

A.
X.  ________ befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug in der kantonalen
Strafanstalt Pöschwies. Mit Verfügung vom 27. August 2003 ordnete die
Direktion der Strafanstalt Disziplinarsanktionen wegen vorschriftswidrigen
Verhaltens am Arbeitsplatz gegen X.________ an, nämlich den Entzug des
Fernsehgerätes bis und mit 1. September 2003 sowie die Rückversetzung in
Einzelhaft und die früheste Zulassung zur Arbeit in einem anderen Gewerbe am
2. September 2003. Einen von X.________ dagegen erhobenen Rekurs wies die
Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich am 8. Dezember 2003
ab.

B.
Am 17. September 2003 fällte die Gefängnisdirektion gegen X.________ eine
Disziplinarbusse von Fr. 20.-- aus wegen unbewilligten Ausleihens seines PC
(Personal Computer) an einen Mitgefangenen. Den von X.________ gegen die
Disziplinarbussenverfügung erhobenen Rekurs wies die Direktion der Justiz und
des Innern des Kantons Zürich am 21. Januar 2004 ebenfalls ab, soweit sie
darauf eintrat.

C.
Gegen die Rekursentscheide vom 8. Dezember 2003 bzw. 21. Januar 2004 gelangte
X.________ mit staatsrechtlichen Beschwerden vom 28. Dezember 2003 (Verfahren
1P.4/2004) bzw. 17. Februar 2004 (Verfahren 1P.118/2004) an das
Bundesgericht. Die erhobenen Rügen ergeben sich aus den nachfolgenden
Erwägungen.

Mit Vernehmlassungen vom 19. Januar bzw. 2. März 2004 beantragt die Direktion
der Justiz und des Innern des Kantons Zürich die Abweisung der Beschwerden,
soweit auf sie einzutreten ist. Seitens der Direktion der kantonalen
Strafanstalt Pöschwies sind keine Stellungnahmen eingegangen. Im Verfahren
1P.118/2004 reichte der Beschwerdeführer am 22. März 2004 eine Replik ein.
Trotz entsprechender Einladung zu einem zweiten Schriftenwechsel hat der
Beschwerdeführer im Verfahren 1P.4/2004 nicht repliziert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Die Beschwerden wurden vom gleichen Rechtsuchenden eingereicht. Sie
richten sich gegen analoge Streitgegenstände (Disziplinarsanktionen im
Strafvollzug), und es werden teilweise übereinstimmende Rügen erhoben. Daher
rechtfertigt sich die Vereinigung der beiden Beschwerdeverfahren bzw. die
gemeinsame Beurteilung im vorliegenden Entscheid.

1.2  Was die angefochtene Disziplinarbusse betrifft (Verfahren 1P.118/ 2004),
ist das aktuelle Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers offensichtlich
gegeben. Zwar sind die im Verfahren 1P.4/2004 streitigen
Disziplinarmassnahmen bereits vollzogen worden. Dennoch ist unter dem
Gesichtspunkt des aktuellen praktischen Rechtsschutzinteresses (Art. 88 OG)
auch auf diese Beschwerde einzutreten.

Nach der Praxis des Bundesgerichtes wird auf das Erfordernis des aktuellen
praktischen Rechtsschutzinteresses verzichtet, wenn die streitige Problematik
sich jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnte,
an ihrer Klärung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein öffentliches
Interesse besteht und die Frage im Einzelfall sonst kaum je rechtzeitig
verfassungsrechtlich überprüft werden könnte. Dies gilt namentlich bei sofort
vollzogenen Disziplinarmassnahmen (vgl. BGE 124 I 231 E. 1b S. 233 mit
Hinweisen). Aus analogen Überlegungen ist auch schon die kantonale
Rechtsmittelinstanz auf den Rekurs des Beschwerdeführers im Verfahren
1P.4/2004 eingetreten. Art. 88 OG stellt hier kein Sachurteilshindernis dar,
zumal sich der Beschwerdeführer unbestrittenermassen nach wie vor im
(vorzeitigen) Strafvollzug befindet.

1.3  Von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen, ist die
staatsrechtliche
Beschwerde rein kassatorischer Natur (BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S. 131 f. mit
Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer (im Verfahren 1P.4/2004) mehr
beantragt als die Aufhebung des angefochtenen Entscheides bzw. die
Rückweisung der Streitsache an die kantonalen Behörden, kann darauf nicht
eingetreten werden.

2.
Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung von Art. 3 EMRK sowie der
strafprozessualen Garantien von Art. 6 EMRK und Art. 32 BV. Insbesondere sei
sein grundrechtlicher Anspruch auf Befragung von "Belastungszeugen"
missachtet worden.

2.1  Nach der Praxis des Bundesgerichtes kann eine als Disziplinarsanktion im
Strafvollzug verhängte verschärfte Einzelhaft (Disziplinararrest) zwar einer
zusätzlichen Strafsanktion nahe kommen. Selbst strikte Einzelhaft von bis zu
20 Tagen Dauer (wie sie das zürcherische Strafvollzugsrecht als schärfste
Disziplinarmassnahme vorsieht) wäre jedoch grundsätzlich nicht als
strafrechtliche Sanktion im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu betrachten (vgl.
BGE 125 I 104 E. 3b-e S. 109 ff. mit Hinweisen; § 135 lit. i i.V.m. § 141 der
zürcherischen Justizvollzugsordnung [JVV/ZH]). Umso weniger stellen die hier
streitigen weniger einschneidenden Disziplinarmassnahmen strafrechtliche
Sanktionen dar. Analoges gilt auch für die Disziplinarbusse von Fr. 20.--
(vgl. BGE 128 I 346 E. 2.3 S. 349 mit Hinweisen).

2.2  Nach dem Gesagten sind die besonderen strafprozessualen Garantien von
Art. 6 EMRK und Art. 32 BV im vorliegenden Fall grundsätzlich nicht
anwendbar. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Beschwerdeführer
sich im vorzeitigen Strafvollzug befindet und insofern den Schutz der
strafprozessualen Unschuldsvermutung geniesst (Art. 32 Abs. 1 BV). Zum einen
war nicht die Frage von strafrechtlicher Schuld oder Unschuld oder der
strafprozessualen Haftgründe Gegenstand der hier streitigen
Disziplinarverfahren. Zum andern gelten für reine Vollzugsfragen des
vorzeitigen Strafantrittes die Bestimmungen des Strafvollzugsrechtes (BGE 123
I 221 E. II/3f/aa S. 239; 126 I 172 E. 3 S. 174 f., je mit Hinweisen). Der
Ansicht des Beschwerdeführers, der disziplinarische Entzug des
Fernsehempfangs von wenigen Tagen Dauer stelle eine erniedrigende und
unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK dar, ist nicht zu folgen.

3.
Der Beschwerdeführer macht schliesslich eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) geltend. Im Verfahren 1P.4/2004 habe er keine
ausreichende Stellungnahme abgeben können. Und in beiden Disziplinarfällen
hätten die kantonalen Instanzen das Begründungsgebot verletzt.

3.1  Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichtes zum Anspruch auf
rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) hat der Betroffene insbesondere das
Recht, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids
zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen,
mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung
wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum
Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu
beeinflussen (BGE 129 I 85 E. 4.1 S. 88 f.; 127 I 54 E. 2b S. 56; 126 I 7 E.
2b S. 10 f., 97 E. 2 S. 102 f., je mit Hinweisen). Nach ständiger Praxis kann
jedoch das Beweisverfahren geschlossen werden, wenn die gestellten
Beweisanträge eine nicht erhebliche Tatsache betreffen oder offensichtlich
untauglich sind, oder wenn die entscheidende Behörde, ohne dabei geradezu in
Willkür zu verfallen, annehmen darf, die verlangten zusätzlichen
Beweisvorkehren würden am relevanten Beweisergebnis voraussichtlich nichts
mehr ändern (so genannte "antizipierte" Beweiswürdigung, vgl. BGE 125 I 127
E. 6c/cc S. 135; 124 I 208 E. 4a S. 211; 121 I 306 E. 1b S. 308 f., je mit
Hinweisen).

3.2  Wie der Beschwerdeführer selbst einräumt, wurde er vor Erlass der
Disziplinarverfügung vom 27. August 2003 angehört (Verfahren 1P.4/2004).
Insbesondere habe er sich zum belastenden Rapport des zuständigen
Werkmeisters vom 25. August 2003 äussern können. Die Behauptung des
Beschwerdeführers, er habe zu den strittigen Punkten "ungenügende
Arbeitsleistung und Verhalten am Arbeitsplatz" keine Stellungnahme abgeben
können, dies sei "ein ganz neuer Vorwurf", findet in den Akten keine Stütze.
Gemäss dem (vom Beschwerdeführer unterzeichneten) Anhörungsprotokoll vom 26.
August 2003 bildeten die genannten Vorhalte den Hauptgegenstand der
ausführlichen Anhörung. Auch im Rekursverfahren erhielt der Beschwerdeführer
Gelegenheit zur Stellungnahme. Damit wurde dem Anspruch auf rechtliches Gehör
im hier streitigen Disziplinarverfahren ausreichend Rechnung getragen. Ein
besonderer Anspruch auf Beizug von Entlastungszeugen oder auf persönliche
Befragung des Werkmeisters besteht im vorliegenden Fall nicht. Die
spezifischen strafprozessualen Verteidigungsrechte der EMRK und der
Verfassung sind hier, wie bereits dargelegt, nicht anwendbar. Die kantonalen
Behörden durften auf die Erhebung weiterer Beweise in willkürfreier
antizipierter Beweiswürdigung verzichten. Dies umso mehr, als der
Beschwerdeführer nicht bestreitet, dass er in der fraglichen Zeit am
Arbeitsplatz unerlaubterweise "Kraftübungen" gemacht habe. Wie sich aus den
Akten ergibt, war er diesbezüglich zuvor mehrmals vergeblich verwarnt worden.

3.3  Zwar beanstandet der Beschwerdeführer auch noch, die kantonalen
Instanzen
hätten (in beiden Verfahren) analog anwendbare Bestimmungen des "allgemeinen
Teils des StGB" missachtet. Er legt jedoch nicht dar, welche Bestimmungen des
StGB hier zu Unrecht nicht angewendet bzw. welche Grundrechte dadurch
verletzt worden wären. Auf die betreffenden Vorbringen ist mangels
ausreichender Substanziierung nicht einzutreten (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).
Im Übrigen halten die angeordneten Disziplinarsanktionen auch vor dem
Willkürverbot der Verfassung (Art. 9 BV) stand. Dies gilt auch für die
Disziplinarbusse von Fr. 20.-- wegen unbewilligten Ausleihens des PC an einen
Mitgefangenen (Verfahren 1P.118/2004). Entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers handelt es sich dabei nicht um einen "horrenden" Betrag. Er
bestreitet im Übrigen nicht, dass ein Wiederholungsfall vorgelegen und er den
Aufseher seiner Wohngruppe nach dessen Beanstandung provokativ dazu
eingeladen habe, einen Disziplinarrapport zu schreiben. Eine Verletzung der
aus dem rechtlichen Gehör fliessenden Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV)
ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer verkennt in diesem
Zusammenhang, dass Disziplinarverfügungen nicht den qualifizierten
Begründungserfordernissen zu genügen haben, die für Strafurteile gelten. Auch
die Höhe der Disziplinarbusse wird im angefochtenen Entscheid sachlich und
ausreichend begründet.

3.4  Soweit der Beschwerdeführer beiläufig auch noch beanstandet, die
kantonale Rekursinstanz habe (im Verfahren 1P.4/2004) die im kantonalen
Verfahrensrecht vorgesehene Beurteilungsfrist von 60 Tagen "seit Abschluss
der Sachverhaltsermittlungen" nicht eingehalten (§ 27a VRG/ZH), ruft er keine
Verfassungsbestimmung als verletzt an (vgl. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Im
Übrigen wäre im vorliegenden (zeitlich nicht besonders dringlichen)
Disziplinarfall auch keine verfassungswidrige formelle Rechtsverweigerung
bzw. Rechtsverzögerung ersichtlich (vgl. Art. 29 Abs. 1 BV).

4.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerden abzuweisen sind, soweit auf
sie eingetreten werden kann.

Der Beschwerdeführer stellt (sinngemäss) ein Gesuch um unentgeltliche
Prozessführung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind und
namentlich die Bedürftigkeit des Gesuchstellers sich aus den Akten ergibt,
kann dem Gesuch entsprochen und auf die Erhebung von Gerichtskosten
verzichtet werden (Art. 152 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtlichen Beschwerden (1P.4/2004 und 1P.118/2004) werden
abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden kann.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Prozessführung gewährt, und es
werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Direktion der kantonalen
Strafanstalt Pöschwies und der Direktion der Justiz und des Innern des
Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. August 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Der Gerichtsschreiber: