Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.471/2004
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1P.471/2004 /ggs

Urteil vom 4. Januar 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
Gerichtsschreiber Steinmann.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher lic. iur. André
Gross, und dieser vertreten durch Fürsprecher lic. iur. Beat Widmer,

gegen

Y.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Claude
Fischer,
Obergericht des Kantons Aargau, 2. Strafkammer, Obere Vorstadt 38, 5000
Aarau.

Strafverfahren; Kostenauflage,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, 2. Strafkammer, vom 1. Juli 2004.

Sachverhalt:

A.
Y. ________ führte als Profiboxer am 28. Februar 1998 in Zofingen mit seiner
(später im Handelsregister gelöschten) Firma A.________ GmbH ein Boxmeeting
durch und beteiligte sich als Kämpfer daran. Im Vorfeld zu dieser
Veranstaltung erschien in der Neuen Zürcher Zeitung am 6. Februar 1998 ein
Artikel, der sich kritisch mit der Sportveranstaltung auseinandersetzte und
sie als in sportlicher Hinsicht "völlig wertlose", einem "Betrug am Publikum
gleichkommende", "schlechte Jahrmarktveranstaltung" bezeichnete; der Artikel
beruhte weitgehend auf Informationen von X.________.

B.
Auf Strafantrag von Y.________ wegen übler Nachrede, Verleumdung und
unlauteren Wettbewerbs hin befand das Bezirksgericht Zofingen X.________ der
angezeigten Straftatbestände schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von
Fr. 500.--, auferlegte ihm die Verfahrenskosten und verpflichtete ihn zur
Entrichtung einer Parteientschädigung und Genugtuung.

Mit Berufungsentscheid vom 3. Juli 2003 stellte das Obergericht des Kantons
Aargau das Verfahren hinsichtlich der Verleumdung und üblen Nachrede wegen
Eintritts der Verjährung ein, bestätigte hingegen den Schuldspruch
hinsichtlich der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über den unlauteren
Wettbewerb (UWG) und verurteilte X.________ zu einer Busse von Fr. 300.--; im
Übrigen wies es dessen Berufung ab.

Auf Nichtigkeitsbeschwerde hin hob der Kassationshof des Bundesgerichts das
Obergerichtsurteil am 4. Juni 2004 auf (Verfahren 6S.340/2003) und wies die
Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurück.

C.
In der Folge nahm das Obergericht das Verfahren wieder auf und erkannte mit
Urteil vom 1. Juli 2004:
"1.In teilweiser Gutheissung der Berufung des Beklagten wird das
vorinstanzliche Urteil aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt:
1.Das Verfahren wird bezüglich der üblen Nachrede und der Verleumdung zufolge
Eintritts der absoluten Verfolgungsverjährung eingestellt.

2. Der Beklagte wird vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz
über den unlauteren Wettbewerb gemäss Art. 3 lit. a i.V.m. Art. 23 UWG
freigesprochen.

3. Auf die Genugtuungsforderung wird nicht eingetreten.

4. Die Gerichtskosten, bestehend aus einer Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.--,
einer Kanzleigebühr und den Auslagen von Fr. 700 (...), zusammen Fr.
1'700.--, werden den Parteien je zur Hälfte mit Fr. 850.-- auferlegt.

5. Die erstinstanzlichen Parteikosten werden wettgeschlagen.
Im Übrigen wird die Berufung abgewiesen.

2. Die obergerichtlichen Verfahrenskosten, bestehend aus einer Gerichtsgebühr
von Fr. 1'000.--, der Kanzleigebühr und den Auslagen von Fr. 155.--, zusammen
Fr. 1'155.--, werden dem Kläger zu vier Fünfteln mit Fr. 924.-- und dem
Beklagten zu einem Fünftel mit Fr. 231.-- auferlegt.

3. Der Kläger hat dem Beklagten dessen richterlich in Höhe von Fr. 6'841.80
genehmigten Parteikosten zweiter Instanz zu drei Fünfteln mit Fr. 4'105.10 zu
bezahlen und seine Parteikosten selber zu tragen."

D.
Gegen diesen Entscheid des Obergerichts hat X.________ beim Bundesgericht am
30. August 2004 staatsrechtliche Beschwerde erhoben und den Kostenpunkt
sowohl für das obergerichtliche wie das bezirksgerichtliche Verfahren
angefochten. Er stellt folgende Anträge:
"1.Es seien Ziffer 1.4, 1.5, 2. und 3 des angefochtenen Urteils aufzuheben.

2. Es seien die erstinstanzlichen und zweitinstanzlichen Verfahrenskosten
gemäss § 112 ZPO dem Beschwerdegegner aufzuerlegen.

3. Es sei der Beschwerdeführer zu verpflichten, dem Beschwerdeführer die
Parteikosten erster und zweiter Instanz zu ersetzen.

4. Die Sache sei zur Ausfällung eines entsprechenden Urteils an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

5. Unter Kosten und Entschädigungsfolge."
Zur Begründung macht der Beschwerdeführer geltend, der Kostenentscheid sei
hinsichtlich der eigentlichen Gerichtskosten wie der Parteientschädigung
willkürlich und stelle eine missbräuchliche Ausfällung einer Verdachtsstrafe
dar.

Das Obergericht wies in seiner kurzen Vernehmlassung auf den angefochtenen
Entscheid hin. Der Beschwerdegegner stellt in seiner Stellungnahme den
Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen.

E.
Zusätzlich zur vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde hat der
Beschwerdeführer gegen den Obergerichtsentscheid eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde erhoben. Der Kassationshof des Bundesgerichts ist
darauf mit Urteil vom 9. September 2004 nicht eingetreten (Verfahren
6S.323/2004).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist rein kassatorischer Natur, d.h. es können
mit ihr grundsätzlich keine über die Aufhebung des angefochtenen Entscheides
hinausgehende Anträge gestellt werden (vgl. BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S. 131,
mit Hinweisen). Die Beschwerdeanträge Ziff. 2 - 4 sind daher unzulässig,
weshalb der offensichtliche Verschrieb in Ziff. 3 der Beschwerdeanträge ohne
Bedeutung ist.

Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG ist in der staatsrechtlichen Beschwerde
darzulegen, gegen welche verfassungsmässigen Rechte der angefochtene
Entscheid verstösst und inwiefern dies der Fall sein soll. Das Bundesgericht
prüft lediglich hinreichend begründete Rügen. Inwieweit dies im vorliegenden
Fall zutrifft, ist in den nachfolgenden Erwägungen zu prüfen.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet der Kostenpunkt hinsichtlich
der Gerichtskosten und der Parteientschädigung im obergerichtlichen und
bezirksgerichtlichen Verfahren. Nicht einzugehen ist auf die Rüge, das
Obergericht hätte das Verfahren in Bezug auf die Verleumdung und üble
Nachrede nicht einstellen dürfen, sondern den Beschwerdeführer in diesem
Punkte freisprechen müssen. Dieser legt nicht dar, inwiefern dieser - bereits
am 3. Juli 2003 getroffene und nicht angefochtene - Entscheid gegen
Verfassungsrechte verstossen sollte oder in geradezu willkürlicher Anwendung
des kantonalen Verfahrensrechts ergangen sei. Darüber hinaus tut er nicht
dar, inwieweit sich der beanstandete Verfahrensentscheid auf den gerügten
Kostenpunkt auswirken sollte.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die angefochtene Kostenregelung stelle
eine missbräuchliche Ausfällung einer verdeckten Verdachtsstrafe dar. Daraus
kann sinngemäss geschlossen werden, dass er sich auf die Unschuldsvermutung
im Sinne von Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK bezieht, obwohl er die
Verfassungsgarantien nicht ausdrücklich anruft. Darüber hinaus rügt er die
Kostenregelung als willkürlich.

2.1 Nach der Praxis des Bundesgerichtes ist es mit dem verfassungsmässigen
Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht vereinbar, einem nicht verurteilten
Angeschuldigten mit dem direkten oder indirekten Vorwurf er habe sich
strafbar gemacht bzw. es treffe ihn ein strafrechtliches Verschulden,
Verfahrenskosten aufzuerlegen oder ihm eine Parteientschädigung zu
verweigern. Dagegen ist es zulässig, dem Betroffenen die Kosten dann zu
überbinden, wenn er in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise (d.h. im Sinne einer
analogen Anwendung der sich aus Art. 41 OR ergebenden Grundsätze) gegen eine
geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm verstossen und dadurch das
Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat (BGE 120 Ia
147 E. 3b S. 155; 119 Ia 332 E. 1b S. 334; 116 Ia 162 E. 2e S. 175; 115 Ia
309 E. 1a S. 310, je mit Hinweisen). Widerrechtlich im Sinne von Art. 41 Abs.
1 OR ist ein Verhalten dann, wenn es gegen Normen verstösst, die direkt oder
indirekt Schädigungen untersagen bzw. ein Schädigungen vermeidendes Verhalten
vorschreiben (BGE 119 Ia 332 E. 1b S. 334). - Wird eine Kostenauflage oder
die Verweigerung einer Parteientschädigung wegen Verletzung des Grundsatzes
der Unschuldsvermutung mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten, so prüft
das Bundesgericht frei, ob sich aus dem Dispositiv oder aus den Erwägungen
des Kostenentscheides ein direkter oder indirekter Vorwurf einer
strafrechtlichen Schuld ableiten lässt (BGE 116 Ia 162 E. 2f S. 175; 115 Ia
309 E. 1b S. 310 f.; 112 Ia 371 E. 2b S. 374). Die Beweiswürdigung und die
Anwendung des kantonalen Strafverfahrensrechtes durch die kantonalen Behörden
prüft das Bundesgericht jedoch nur unter dem Gesichtswinkel des
Willkürverbots (BGE 116 Ia 162 E. 2f S. 175 f.).
2.2 Das Obergericht traf seinen Kostenentscheid betreffend das
bezirksgerichtliche Verfahren in Anwendung von § 192 Abs. 1 der
Strafprozessordnung des Kantons Aargau (StPO) in Verbindung mit § 113 lit. b
der Zivilprozessordnung des Kantons Aargau (ZPO). Danach kann von den
allgemeinen Kostenregeln u.a. abgewichen werden, wenn sich die unterliegende
Partei in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst sehen konnte. Im
Einzelnen führte das Obergericht aus, dass die dem Beschwerdeführer
zuzurechnenden Aussagen teilweise irreführend und ungenau waren und damit
persönlichkeitsverletzend seien.

Der Beschwerdeführer zieht die Anwendung von § 113 lit. b ZPO nicht in Frage.
Er macht indessen geltend, es werde ihm zu Unrecht ein strafrechtlicher
Vorwurf gemacht. Äusserungen zum beruflichen Ansehen und zur Stellung als
Geschäfts- oder Berufsperson, Politiker, Künstler oder Sportler fielen nicht
unter den Persönlichkeitsschutz gemäss dem Strafgesetzbuch. Dabei übersieht
er, dass ihm mit dem angefochtenen Entscheid nicht vorgeworfen wird, er habe
sich strafbar gemacht bzw. es treffe ihn ein strafrechtliches Verschulden;
insbesondere wird ihm nicht vorgeworfen, den Straftatbestand der Verleumdung
bzw. der üblen Nachrede trotz des Freispruchs dennoch erfüllt zu haben. Das
Obergericht hat vielmehr ausgeführt, der Beschwerdeführer habe teilweise
irreführende und ungenaue Angaben gemacht, welche persönlichkeitsverletzend
seien. Damit hat es sich nicht auf Straftatbestände bezogen und keine
strafrechtlichen Vorwürfe zum Ausdruck gebracht, sondern vielmehr auf
geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnormen im Sinne der sich aus Art.
41 OR ergebenden Grundsätze Bezug genommen. Insoweit kann dem Obergericht im
Lichte der erwähnten Rechtsprechung keine Verletzung der Unschuldsvermutung
vorgeworfen werden.

Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, er habe keine irreführende oder
ungenaue Aussagen gemacht, wie sich insbesondere aus dem Urteil des
Kassationshofes des Bundesgerichts ergebe. Er setzt sich indessen mit den
Ausführungen des Obergerichts nicht auseinander und zeigt nicht auf,
inwiefern der angefochtene Entscheid in dieser Hinsicht willkürlich sein
soll. Soweit auf die Beschwerde in diesem Punkte überhaupt eingetreten werden
kann, erweist sie sich als unbegründet. Aus dem Urteil des Kassationshofes
ergibt sich klar, dass die dem Beschwerdeführer zuzurechnenden Aussagen in
verschiedener Hinsicht ungenau und nicht ganz korrekt gewesen sind und
irreführend informierten. Zudem verwies das Obergericht auf sein Urteil vom
3. Juli 2003. Bei dieser Sachlage ist es haltbar, die umstrittenen
Äusserungen als persönlichkeitsverletzend zu bezeichnen und aus diesem
Umstand den Schluss zu ziehen, dass sich der (heutige) Beschwerdegegner im
Sinne von § 113 lit. b ZPO in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst
sehen konnte. Demzufolge war es nicht unhaltbar, für das bezirksgerichtliche
Verfahren einen Teil der Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen und die
Parteikosten wettzuschlagen.

Die Beschwerde erweist sich daher hinsichtlich der Kostenliquidation im
bezirksgerichtlichen Verfahren als unbegründet.

2.3 In Bezug auf die Kosten im obergerichtlichen Verfahren führte das
Obergericht aus, der Beschwerdeführer habe zwar im Hauptpunkt obsiegt, sei
indessen bezüglich der Tragung der Prozesskosten teilweise unterlegen. Daher
rechtfertige es sich, gestützt auf § 112 Abs. 2 ZPO dem Beschwerdeführer
einen kleinen Teil der Kosten aufzuerlegen und ihm nur einen Teil der
Parteikosten zuzusprechen.

Der Beschwerdeführer setzt sich mit diesem Teil des angefochtenen Entscheides
in keiner Weise auseinander und geht insbesondere nicht auf den Umstand ein,
dass sich der für das obergerichtliche Verfahren geltende Kostenpunkt auf §
112 ZPO abstützt, sich in keiner Weise auf die Äusserungen des
Beschwerdeführers bezieht und ausschliesslich Bezug auf den nunmehr
vorliegenden Ausgang des Bezirksgerichtsverfahren nimmt. Bei dieser Sachlage
ist insoweit auf die Beschwerde nicht einzutreten.

3.

Demnach ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 OG). Dieser hat zudem den
Beschwerdegegner zu entschädigen (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 800.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 2.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Januar 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: