Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.441/2004
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1P.441/2004 /sta

Urteil vom 2. September 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Féraud,
Gerichtsschreiber Störi.

1. A.________,
2.B.________,
3.C.________,
4.D.________,
5.E.________,
6.F.________,
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt Christian Perrig,
substituiert durch Advokat-Stagiaire Monique Sieber,

gegen

Untersuchungsrichteramt Oberwallis, Kantonsstrasse 6, 3930 Visp,
Staatsanwaltschaft Oberwallis, Gebreitenweg 2, Postfach, 3930 Visp,
Kantonsgericht des Kantons Wallis, Strafkammer, Justizgebäude, 1950 Sion.

Untersuchungshaft,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons
Wallis, Strafkammer,
vom 22. Juli 2004.
Sachverhalt:

A.
Das Untersuchungsrichteramt Oberwallis führt gegen A.________, B.________,
C.________, D.________, E.________ und F.________ eine Strafuntersuchung
wegen gewerbs- und bandenmässigen Drogenhandels. Es verdächtigt sie, in der
Asylantenunterkunft an der ... in Brig einen schwunghaften Handel mit
Cannabis und Kokain betrieben und dabei mindestens 600 g Kokain abgesetzt zu
haben.

A.  ________, B.________, C.________, D.________, E.________ und F.________
wurden am 11. Mai 2004 verhaftet und am 25. Mai 2004 in Untersuchungshaft
genommen.

Am 17. Juni 2004 stellten A.________, B.________, C.________, D.________,
E.________ und F.________ ein Haftentlassungsgesuch, welches der
Untersuchungsrichter am 25. Juni 2004 abwies.

Das Kantonsgericht des Kantons Wallis wies die Beschwerde von A.________,
B.________, C.________, D.________, E.________ und F.________ gegen diesen
untersuchungsrichterlichen Entscheid am 22. Juli 2004 ab.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 31 Abs. 1 BV und
Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK beantragen A.________, B.________, C.________,
D.________, E.________ und F.________, diesen Entscheid aufzuheben und sie
unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Ausserdem ersuchen sie um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Die Strafkammer verzichtet auf Vernehmlassung. Der Staatsanwalt beantragt,
die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Beim angefochtenen Entscheid der kantonsgerichtlichen Strafkammer
handelt
es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid, gegen den die
staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Die
Beschwerdeführer rügen die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten, wozu
sie befugt sind (Art. 88 OG). Da diese und die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde, unter dem
Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38

E. 3c; 125 I 492 E. 1b), einzutreten.

1.2  Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung von
Untersuchungshaft kann, ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids,
auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 115 Ia 293 E.
1a). Der entsprechende Antrag der Beschwerdeführer ist daher zulässig.

2.
Nach Art. 72 Ziff. 1 der Walliser Strafprozessordnung vom 22. Februar 1962
darf Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn der Beschuldigte eines
Verbrechens oder Vergehens verdächtigt wird und Flucht-, Kollusions- oder
Wiederholungsgefahr besteht. Liegt ausser dem allgemeinen Haftgrund des
dringenden Tatverdachts einer dieser drei besonderen Haftgründe vor, steht
einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft auch unter dem Gesichtswinkel
der persönlichen Freiheit von Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 BV sowie Art.
5 Ziff. 1 lit. c EMRK grundsätzlich nichts entgegen.

2.1  Unbestritten ist, dass alle Beschwerdeführer des banden- und
gewerbsmässigen Drogenhandels dringend verdächtig sind.

2.2  Die Strafkammer nimmt an, es bestehe bei allen Beschwerdeführern
Kollusionsgefahr. Aufgrund der Aussagen von rund 30 Auskunftspersonen bestehe
der Verdacht, dass die Beschwerdeführer insgesamt rund 600 g Kokain abgesetzt
hätten. Die Befragung von weiteren rund 30 Drogenkonsumenten könne nur
korrekt abgeschlossen werden, wenn verhindert werde, dass die
Beschwerdeführer sie beeinflussen könnten.

Es ist gerichtsnotorisch, dass in Fällen banden- und gewerbsmässiger
Drogendelinquenz häufig versucht wird, Auskunftspersonen und Zeugen
einzuschüchtern und zu beeinflussen. Die Einschätzung des
Untersuchungsrichters und der Strafkammer, es sei zu befürchten, die
Beschwerdeführer könnten in Freiheit versuchen, dies zu tun, ist, jedenfalls
in dieser frühen Phase der Untersuchung, verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Dazu kommt, dass die Beschwerdeführer, die bisher offenbar jede
strafbare Handlung abgestritten haben, in Freiheit versucht sein könnten, ihr
Aussageverhalten untereinander abzusprechen, oder es könnten sich Einzelne
zusammentun, um durch übereinstimmende Aussagen ihren Tatbeitrag klein zu
reden und die strafrechtliche Verantwortung möglichst auf die
Mitbeschuldigten zu schieben. Die Strafkammer konnte daher ohne
Verfassungsverletzung Kollusionsgefahr annehmen.

2.3  Die Strafkammer nimmt an, es bestehe bei allen Beschwerdeführern
Fluchtgefahr. Es sei zwar unbekannt, wann diese aus Guinea und Sierra Leone
in die Schweiz eingereist seien. Es bestehe aber kein Zweifel daran, dass sie
keinerlei Bindung zur Schweiz hätten. Gegen D.________ bestehe zudem eine
rechtskräftige strafrechtliche dreijährige Landesverweisung. Nunmehr drohe
ihnen eine Freiheitsstrafe wegen Betäubungsmitteldelikten. Selbst wenn man
mit ihnen davon ausgehe, dass sie nicht in ihre Heimatländer flüchten würden,
sei daher zu befürchten, dass sie in Freiheit untertauchen und sich dem
weiteren Zugriff der Justiz entziehen würden.

Die Beschwerdeführer sind zwar Asylbewerber und werden als solche von der
öffentlichen Hand erhalten. Dass sie weitere Beziehungen zur Schweiz hätten,
ist nicht ersichtlich. Im Falle einer Verurteilung dürfte ihre Asylwürdigkeit
(Art. 53 AsylG) erheblich kompromittiert sein, was ihre Aussichten auf einen
positiven Asylentscheid drastisch senkt. Es ist daher nicht zu sehen, was sie
davon abhalten könnte, unterzutauchen und sich der weiteren Strafverfolgung
zu entziehen, zumal im jetzigen Stadium der Untersuchung keineswegs schon
feststeht, dass ihnen "bloss" eine bedingte Freiheitsstrafe droht. Sie halten
dem zwar entgegen, dass sie dazu nicht fähig wären, weil es ihnen an den
dafür erforderlichen Mitteln und der nötigen "Sprach- und Reisegewandtheit"
fehle. Dies hat sie indessen nicht daran gehindert, von weit her in die
Schweiz einzureisen und hier - immer nach dem Vorwurf der
Untersuchungsbehörden - in einem fremden Sprachraum einen regen Drogenhandel
zu betreiben. Sie können damit nicht im Ernst behaupten, sie seien zu
hilflos, um unterzutauchen. Die Einschätzung der Strafkammer, es bestehe
Fluchtgefahr, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

2.4  Sind somit neben dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachtes
zwei besondere Haftgründe erfüllt - einer würde genügen -, ist die
angeordnete Untersuchungshaft verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die
Beschwerdeführer, die sich seit nunmehr knapp vier Monaten in Haft befinden,
machen zu Recht nicht geltend, die Dauer der Untersuchungshaft rücke bereits
in grosse Nähe der zu erwartenden Strafe, sodass deren Fortsetzung auch nicht
unverhältnismässig erscheint.

3.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens tragen
die Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 OG). Sie haben indessen ein Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches
gutzuheissen ist, da die Mittellosigkeit ausgewiesen scheint und die
Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2  Advokat-Stagiaire Monique Sieber wird als unentgeltliche Verteidigerin
eingesetzt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Untersuchungsrichteramt und der
Staatsanwaltschaft Oberwallis sowie dem Kantonsgericht des Kantons Wallis,
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. September 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: