Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.39/2004
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1P.39/2004 /gij

Urteil vom 16. Juni 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb, Féraud, Fonjallaz, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Franz Stössel, Beschwerdeführer,

gegen

Regierungsrat des Kantons Schwyz, Bahnhofstrasse 9, Postfach 1260, 6431
Schwyz,
Kantonsrat des Kantons Schwyz, Bahnhofstrasse 9, 6430 Schwyz.

Revision der Verordnung über den Finanzhaushalt des Kantons Schwyz,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
des Kantonsrats des Kantons Schwyz vom 27. November 2003.

Sachverhalt:

A.
Der Kantonsrat des Kantons Schwyz beschloss am 27. November 2003, die
Verordnung über den Finanzhaushalt vom 22. Oktober 1986 (FHV) wie folgt zu
ändern:

"VIII. Haushaltsicherung

§ 41 Ausgabenbremse

Beschlüsse des Kantonsrates, die höhere Ausgaben oder tiefere Erträge für den
Kanton zur Folge haben als sie vom Regierungsrat beantragt werden, kommen nur
zu Stande, wenn ihr 60% aller Mitglieder des Kantonsrates zustimmen.

§ 42 Steuerverknüpfung

1Verursacht eine Vorlage, die dem Kantonsrat unterbreitet wird, eine
einmalige Ausgabe von mehr als 10 Mio. Franken oder eine wiederkehrende
Ausgabe von mehr als 2 Mio. Franken, hat der Regierungsrat darüber zu
berichten, ob zur Finanzierung eine Steuererhöhung erforderlich ist und wie
viele Prozent einer Steuereinheit dafür vorzusehen sind.

2Wird eine Vorlage vom Kantonsrat angenommen, stellt dieser in einem
besonderen Beschluss fest, für welchen Zeitpunkt und in welchem Umfang eine
Steuererhöhung vorzumerken ist. Die vorgemerkte Steuererhöhung ist zum
gewählten Zeitpunkt in die Bestimmung des Steuerfusses einzubeziehen (§ 40
Bst. b Kantonsverfassung in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Steuergesetz). Davon
kann abgesehen werden, wenn die beschlossene Ausgabe durch den Nachweis der
Einsparungen oder Mehreinnahmen kompensiert werden kann.

3Von der Steuerverknüpfung ausgenommen sind Ausgaben im Rahmen einer
Spezialfinanzierung.

§ 43 Befristung

Die Verfahrensbestimmungen zur Haushaltsicherung nach §§ 41 und 42 sind bis
31. Dezember 2007 befristet."

Dieser Beschluss wurde dem fakultativen Referendum unterstellt und am 5.
Dezember 2003 im Amtsblatt des Kantons Schwyz publiziert.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 19. Januar 2004 wegen Verletzung des
Stimmrechts und des Gewaltenteilungsgrundsatzes beantragt Franz Stössel,
diesen Kantonsratsbeschluss aufzuheben.

Regierungsrat und Kantonsrat beantragen in gemeinsamer Vernehmlassung, die
Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

In seiner Replik hält Franz Stössel an seiner Beschwerde vollumfänglich fest.

Regierungsrat und Kantonsrat halten in der Duplik an ihren Anträgen fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die angefochtene Regelung
beinhalte eine erhebliche Kompetenzverschiebung vom Kantonsrat auf den
Regierungsrat und hätte deswegen in Gesetzesform erlassen und damit dem
obligatorischen Referendum unterstellt werden müssen; ihr Erlass in Form
einer bloss dem fakultativen Referendum unterstehenden Verordnung verletze
sein Stimmrecht. Die Regelung bewirke zudem, dass 41 Kantonsräte gegen den
Willen der Mehrheit verhindern könnten, eine regierungsrätliche Vorlage
abzuändern. Die CVP verfüge über die absolute Mehrheit im Regierungsrat und
mit 43 von 100 Sitzen im Parlament über eine Sperrminorität; deren
Kantonsräte hätten daher im Rat ein grösseres Stimmengewicht als die
Parlamentarier der Minderheitsparteien. Es sei undemokratisch und verletze
sein Stimmrecht, wenn die von ihm gewählten Kantonsräte im Rat weniger
Gewicht hätten als diejenigen der Mehrheitspartei. Diese beiden Rügen sind
mit Stimmrechtsbeschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG zu erheben. Dazu ist
der Beschwerdeführer als Stimmbürger des Kantons Schwyz, der sich sinngemäss
auf die Garantie der politischen Rechte von Art. 34 BV beruft, ohne weiteres
befugt (Art. 88 OG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen
Bemerkungen Anlass, sodass auf die Stimmrechtsbeschwerde einzutreten ist.

1.2 Der Beschwerdeführer rügt anderseits, die angefochtene Regelung beinhalte
eine unzulässige Kompetenzverschiebung vom Kantonsrat auf den Regierungsrat
und verletze damit den Gewaltenteilungsgrundsatz. Eine solche Rüge ist mit
staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte im
Sinne von Art. 84 lit. a OG zu erheben. Die Gewaltenteilung gibt indessen
keinen generellen Anspruch darauf, dass keine kompetenzwidrigen staatlichen
Handlungen erfolgen. Für die Beschwerdeerhebung bedarf es der Legitimation im
Sinne von Art. 88 OG. Der Bürger kann nur verlangen, dass nicht mit
kompetenzwidrigen staatlichen Handlungen in seine persönlichen Rechte
eingegriffen wird (BGE 123 I 41 E. 5b). Zur staatsrechtlichen Beschwerde
gegen einen kantonalen Erlass auf dem Wege der abstrakten Normenkontrolle ist
legitimiert, wer durch die angefochtenen Bestimmungen unmittelbar oder
zumindest virtuell, d.h. mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit früher oder
später einmal in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen ist (BGE
125 I 173 E. 1b; 123 I 41 E. 5b; 123 I 221 E. 2).

Der Beschwerdeführer begründet seine Legitimation damit, dass nicht
ausgeschlossen sei, dass er als Kantonsrat kandidiere und gewählt werde und
dann als Vertreter einer Minderheitspartei über weniger "Stimmkraft" verfüge
als seine Ratskollegen der Mehrheitspartei. Damit macht er eine (virtuelle)
Beeinträchtigung seiner parlamentarischen Rechte geltend, wozu er in der
staatsrechtlichen Beschwerde, die, von hier nicht in Betracht fallenden
Ausnahmen abgesehen, einzig dem Schutz der verfassungsmässigen Rechte der
Bürger dient, nicht befugt ist. Auf die Gewaltenteilungsbeschwerde ist nicht
einzutreten.

1.3 Der Beschwerdeführer beantragt zwar, den Kantonsratsbeschluss insgesamt
aufzuheben. Aus der Begründung der Beschwerde ergibt sich aber ohne weiteres,
dass er sich nur gegen die in § 41 verankerte Ausgabenbremse wendet. Die in §
42 normierte "Steuerverknüpfung" und die in § 43 enthaltene Befristung dieser
Massnahme ist damit unangefochten geblieben und nicht Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens.

1.4 Nach der in Art. 34 BV verankerten Garantie der politischen Rechte hat
der Stimmbürger Anspruch darauf, die ihm nach Verfassung und Gesetz
zustehenden demokratischen Mitwirkungsrechte ungehindert und in vollem Umfang
auszuüben. Die Garantie ist verletzt, wenn ein Gegenstand, der nach der vom
kantonalen Verfassungsrecht zwischen Regierung, Parlament und Volk
vorgenommenen Kompetenzverteilung in einem dem obligatorischen Gesetzes- oder
Finanzreferendum unterliegenden Erlass oder Beschluss geregelt werden müsste,
nur dem fakultativen Referendum unterstellt wird (BGE 121 I 291 E. 1aE. 2a;
120 Ia 194 E. 1c).
Bei Stimmrechtsbeschwerden prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung
von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch diejenige
anderer kantonaler Vorschriften, welche den Inhalt des Stimm- und Wahlrechts
normieren oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen (BGE 119 Ia 154 E. 2c;
118 Ia 184 E. 3, je mit Hinweisen). In ausgesprochenen Zweifelsfällen
schliesst es sich jedoch der von der obersten kantonalen Behörde vertretenen
Auffassung an; als oberste kantonale Organe anerkennt das Bundesgericht Volk
und Parlament (Entscheid vom 12. Dezember 1989 in ZBl 92/1991 164 E. 1b; BGE
111 Ia 115 E. 2a). Die Anwendung anderer kantonaler Vorschriften und die
Feststellung des Sachverhalts prüft das Bundesgericht nur unter dem
Gesichtswinkel des Willkürverbotes (BGE 121 I 334 E. 3b).

2.
Regierungsrat und Kantonsrat vertreten die Auffassung, die umstrittene
Ausgabenbremse sei ein "Instrument des Verfahrensrechtes des Parlamentes".
Nach unbestrittener Praxis sei der Kantonsrat dafür zuständig, solche
organisatorischen Vorschriften auf dem Verordnungsweg unter Vorbehalt des
fakultativen Referendums zu erlassen. Höherrangiges Recht stünde der
Ausgabenbremse nicht entgegen (Bericht und Vorlage des Regierungsrates an den
Kantonsrat vom 11. Februar 2003 zur Änderung der Verordnung über den
Finanzhaushalt, S. 6). Der Beschwerdeführer bestreitet, dass es sich bei der
umstrittenen Ausgabenbremse um eine die interne Organisation des Kantonsrates
betreffende Regelung handle und macht geltend, sie verschiebe die
verfassungsmässige Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung und
hätte daher in einem dem obligatorischen Referendum unterliegenden Gesetz
erlassen werden müssen.

2.1 Die Befugnisse von Kantonsrat (§§ 30 ff.) und Regierungsrat (§§ 46 ff.)
sind von grundlegender Bedeutung für die staatliche Organisation und
dementsprechend in der Kantonsverfassung geregelt. Es steht damit nicht im
Belieben des Kantonsrates oder des Regierungsrates, die Kompetenzausscheidung
zwischen dem Regierungsrat als Exekutive und dem Kantonsrat als Organ der
Legislative abzuändern. Eine Änderung dieser verfassungsmässigen, vom Volk
angenommenen Kompetenzausscheidung zwischen Legislative und Exekutive muss in
der Verfassung - oder in Wahrung des Stimmrechts wenigstens in einem
ebenfalls dem obligatorischen Referendum unterliegenden Gesetz - vom Volk
vorgenommen werden.

2.2 Die umstrittene Ausgabenbremse sieht vor, dass der Kantonsrat Anträge des
Regierungsrates nur mit einem qualifizierten Mehr dahingehend abändern kann,
dass sie höhere Ausgaben oder tiefere Erträge zur Folge haben. In der
parlamentarischen Debatte wurde diese Regelung als "parlamentarische
Selbstbeschneidung" bezeichnet, die zwar demokratisch fragwürdig sei, aber
als quasi notwendiges Übel zur Haushaltsanierung hingenommen werden müsse
(Protokoll der ausserordentlichen Sitzung des Kantonsrates vom 26./27.
November 2003, Eintretensdebatte S. 985 ff.). Es könnte allenfalls bloss von
einer der parlamentarischen Selbstdisziplinierung dienenden
Verfahrensregelung gesprochen werden, wenn der Kantonsrat bei der Regelung
der Ausgabenbremse selber festlegen würde, welche seiner Beschlüsse nur mit
einem wie auch immer ausgestalteten qualifizierten Mehr zustande kommen,
beispielsweise weil sie Ausgaben oder Einnahmen-Ausfälle in einer bestimmten
Höhe oder auch in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes - etwa des
Steueraufkommens - bewirken. Eine derartige Regelung, wie sie offenbar in den
90er Jahren im Kanton Schwyz galt, könnte als interne Verfahrensregelung des
Kantonsrates betrachtet werden, die in einer Verordnung zu erlassen er nach
den insoweit unbestrittenen Darstellungen beider Räte befugt ist.

2.3 Mit dem hier angefochtenen § 41 FHV legt indessen der Kantonsrat die
Anwendung der Ausgabenbremse vollständig in die Hand des Regierungsrates und
tritt diesem einen wesentlichen Teil seiner Entscheidungsbefugnis in der
Haushaltführung ab. Der Regierungsrat bestimmt nach der getroffenen Regelung
mit der Ausgestaltung seiner Anträge, wann die Ausgabenbremse greift. Bringt
er beispielsweise in einem Bereich eine Vorlage mit hohen Ausgaben ins
Parlament, findet die Ausgabenbremse trotzdem keine Anwendung, d.h. der
Kantonsrat kann die Ausgaben mit einfachem Mehr beschliessen; möchte der
Kantonsrat hingegen in einem anderen Bereich höhere Ausgaben bewilligen, kann
er dies nur mit einer Mehrheit von 60% seiner Mitglieder tun, wenn der
Regierungsrat diese nicht beantragt. Anderseits kann der Regierungsrat die
Ausgabenbremse rigoros anwenden, indem er dem Kantonsrat rigide Sparvorlagen
unterbreitet, die dort nicht mehrheitsfähig wären, aber deshalb
Erfolgschancen haben, weil ihrer Ablehnung oder "Verwässerung" nach dem
umstrittenen § 41 FHV 60% aller Mitglieder des Kantonsrates zustimmen müssen.
Das Gleiche gilt für Vorlagen, die tiefere Erträge, etwa durch
Steuersenkungen, bewirken sollen; auch solche bedürfen, wenn der
Regierungsrat sie beantragt, nur der einfachen Mehrheit des Kantonsrates,
selbst wenn sie sehr hoch ausfallen, während der Kantonsrat nur mit einer
Mehrheit von 60% eine nach seiner Auffassung höhere Steuersenkung, als sie
der Regierungsrat zu beantragen bereit ist, beschliessen kann.

Der Handlungsspielraum des Kantonsrates bei der Haushaltführung wird, wie
diese Beispiele erhellen, durch die Ausgabenbremse nach § 41 FHV, die als
Bezugspunkt dafür, ob sie greift oder nicht, auf die Anträge des
Regierunsgrates abstellt, sehr stark eingeschränkt. Von Verfassungs wegen hat
der Regierungsrat als "oberste Vollziehungs- und Verwaltungsbehörde" (§ 46
Abs. 1 KV) allein das Recht, dem Kantonsrat Massnahmen zur Haushaltsanierung
zu beantragen, über welche dieser als "oberste Finanzverwaltungsbehörde"
(Vernehmlassung des Regierungs- und Kantonsrates vom 17. Februar 2004, E. 2.1
S. 2; § 40 lit. a - c KV) zu befinden hat. Mit der Ausgabenbremse, so, wie
sie ausgestaltet ist, erhält der Regierungsrat hingegen mehr als ein blosses
Antragsrecht; er kann in einem wesentlichen Teil anstelle der (einfachen)
Parlamentsmehrheit die Spar- und Steuerpolitik des Kantons bestimmen. Er
bestimmt, wann die Ausgabenbremse zur Anwendung gelangt und wann nicht, und
er kann gegen den Willen der (einfachen) Parlamentsmehrheit eine harte
Sparpolitik  durchsetzen. Der Kantonsrat tritt mit der Ausgabenbremse einen
wesentlichen Teil seiner ihm als oberster Finanzverwaltungsbehörde
obliegenden Entscheidungsbefugnis und Verantwortung für den Staatshaushalt
dem Regierungsrat ab. Der umstrittene § 41 FHV ändert damit die
verfassungsmässige Kompetenzaufteilung zwischen Regierungsrat und Kantonsrat.
Die Bestimmung hätte daher in einer der Volksabstimmung zu unterbreitenden
Verfassungsänderung oder zumindest in einem wie die Verfassung dem
obligatorischen Referendum unterstehenden Gesetz erlassen werden müssen.
Indem der Kantonsrat die Änderung allein in einer dem fakultativen Referendum
unterliegenden Kantonsratsverordnung beschloss, verletzte er das von Art. 34
BV geschützte Stimmrecht des Beschwerdeführers, die Stimmrechtsbeschwerde ist
begründet.

3.
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und § 41 FHV aufzuheben, ohne dass die
weiteren Rügen geprüft zu werden brauchten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens
sind keine Kosten zu erheben. Der nicht anwaltlich vertretene
Beschwerdeführer hat praxisgemäss keinen Anspruch auf Entschädigung.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist,
gutgeheissen und § 41 des Beschlusses des Kantonsrats Schwyz vom 27. November
2003 betreffend die Änderung der Verordnung über den Finanzhaushalt vom 22.
Oktober 1986 (FHV) aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie dem Regierungsrat und dem
Kantonsrat des Kantons Schwyz schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Juni 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: