Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.332/2004
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1P.332/2004 /mks

Urteil vom 29. September 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Féraud,
Gerichtsschreiber Pfisterer.

A. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen,
Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.

Art. 7, 8, 9, 29 und 32 BV (Entschädigung im eingestellten Strafverfahren),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 27. April 2004.

Sachverhalt:

A.
Gegen A.________ wurde am 15. Oktober 1992 ein Strafverfahren eröffnet wegen
Verdachts auf Vermögens- und Konkursdelikte im Zusammenhang mit dem Konkurs
der B.________ AG, deren Verwaltungsrat er war. Die Staatsanwaltschaft des
Kantons Aargau stellte das Verfahren am 21. Juli 2003 ein.

A. ________ reichte daraufhin am 25. August 2003 bei der Staatsanwaltschaft
des Kantons Aargau ein Entschädigungsbegehren ein. Er beantragte eine
Entschädigung für ausgestandene Untersuchungshaft sowie für weitere
Nachteile, welche er aufgrund des eingestellten Strafverfahrens erlitten
habe. Die Staatsanwaltschaft sprach A.________ mit Verfügung vom 20. Oktober
2003 als Ersatz für den erlittenen Lohnausfall antragsgemäss Fr. 6'520.10 zu.
Für die ausgestandenen 23 Tage Untersuchungshaft gewährte es ihm Fr.
4'600.--, was einem Tagesansatz von Fr. 200.-- entspricht. Die weiteren
Forderungen von A.________ wies die Staatsanwaltschaft ab, mit Ausnahme des
Honorars für die Bemühungen des Anwalts.

B.
A.________ reichte gegen diesen Entscheid am 14. November 2003 persönlich
Beschwerde beim Obergericht des Kantons Aargau ein. Er beantragte unter
anderem die sofortige Auszahlung der zugesprochenen Entschädigung, verlangte
weitere Fr. 50'000.-- als Ersatz für Unkosten und als Genugtuung sowie eine
Lohnausfallentschädigung von Fr. 1'500'000.--. Das Obergericht wies die
Beschwerde am 27. April 2004 ab, soweit es darauf eintrat und auferlegte
A.________ die Kosten des Verfahrens.

C.
A.________ führt mit Eingabe vom 4. Juni 2004 staatsrechtliche Beschwerde
gegen den Entscheid vom 27. April 2004 und beantragt dessen Aufhebung sowie
Rückweisung zur Neubeurteilung. Zudem stellt er das Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft verzichten auf eine Stellungnahme.

A. ________ hat am 4. Juni 2004 beim Bundesgericht zudem eine als "Berufung"
bezeichnete Eingabe eingereicht. Er stellt sinngemäss die gleichen Anträge.
Die "Beschwerde" solle jedoch bis zur Erledigung der staatsrechtlichen
Beschwerde ausgesetzt werden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid in seinen
rechtlich geschützten Interessen betroffen (Art. 88 OG). Er macht die
Verletzung verfassungsmässig garantierter Rechte geltend (Art. 84 Abs. 1 lit.
a OG). Dazu ist er legitimiert. Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf seine staatsrechtliche
Beschwerde, unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen, einzutreten.

2.
2.1 Das Obergericht hat das Entschädigungsbegehren, soweit es darauf
eingetreten ist, einerseits mit dem Argument abgewiesen, der Beschwerdeführer
habe das Strafverfahren zumindest leichtfertig verursacht, weshalb ihm eine
Entschädigung zu verweigern sei. Andererseits hat es erwogen, die von der
Staatsanwaltschaft abgewiesenen Ansprüche seien nicht belegt. Der
Beschwerdeführer hätte seine Forderungen daher auf dem Weg des
Verantwortlichkeitsprozesses geltend machen müssen.

2.2 Der Beschwerdeführer richtet seine Beschwerde nur gegen den Vorwurf des
leichtfertigen Verhaltens. Das zweite Argument, wonach er das falsche
Rechtsmittel ergriffen habe, lässt er unangefochten. Eigentlich wäre daher
auf seine Beschwerde nicht einzutreten, denn beruht der angefochtene
Entscheid auf zwei voneinander unabhängigen Begründungen, muss sich der
Beschwerdeführer mit jeder von ihnen auseinander setzen und bezüglich jeder
hinreichend dartun, dass der Entscheid verfassungswidrig ist (vgl. dazu Art.
90 Abs. 1 lit. b OG und BGE 121 IV 94 E. 1b; 119 Ia 13 E. 2, je mit
Hinweisen). Vorliegend erweist sich die Beschwerde aber ohnehin als
unbegründet bzw. aus anderen Gründen als unzureichend.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Gleichheitsgebotes von Art.
8 Abs. 1 BV geltend. Er legt jedoch nicht dar, inwiefern das Obergericht in
vergleichbaren Fällen anders entschieden haben soll. Insofern fehlt es an
einer genügenden Begründung (vgl. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Gleiches gilt in
Bezug auf die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf unentgeltliche
Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3 BV). Die Kritik des Beschwerdeführers geht nicht
über eine kurze Zusammenfassung des obergerichtlichen Entscheides hinaus. Er
führt nicht aus, weshalb das Obergericht seine Beschwerde seiner Meinung nach
in verfassungswidriger Art und Weise als aussichtslos erachtet haben soll.

3.2 Sodann rügt der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Schutz der
Menschenwürde (Art. 7 BV) sinngemäss eine Verletzung des
Rechtsverweigerungsverbotes (Art. 29 Abs. 1 BV). In diesem Kontext steht auch
das Vorbringen, sein Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 29
Abs. 2 BV) sei verletzt worden. Der Beschwerdeführer macht geltend, das
Obergericht habe ihn nicht ernst genommen und hätte ihn in einer Verhandlung
anhören sowie weitere Beweise abnehmen müssen.

Diese Vorwürfe sind unbegründet. Das Obergericht hat die Beschwerde
namentlich mit dem Argument abgewiesen, die geltend gemachten Ansprüche seien
nicht belegt; in einem Entschädigungsverfahren nach einem eingestellten
Strafverfahren könnten jedoch nicht aufwändige Beweiserhebungen vorgenommen
werden. Das Obergericht hat dabei nicht grundsätzlich und abschliessend
weitergehende Ansprüche des Beschwerdeführers verneint oder ihm gar das Recht
auf eine Arbeitsstelle abgesprochen, wie er geltend macht. Der
Beschwerdeführer ist ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass zufolge
fehlender Liquidität der geltend gemachten Ansprüche nur der Rechtsweg nach
dem kantonalen Verantwortlichkeitsgesetz offen stehe. Daher erweist sich auch
der Vorwurf als unbegründet, das Gericht hätte eine Verhandlung durchführen
und weitere Beweise abnehmen müssen. Der Entscheid über die Beschwerde
erfolgt in der Regel ohne Parteiverhandlung auf Grund der Akten und
allfälliger eigener Erhebungen des Obergerichts (vgl. § 216 Abs. 2 StPO/AG).
Von einem menschenverachtenden Verhalten im Sinne von Art. 7 BV oder einer
Rechtsverweigerung gemäss Art. 29 Abs. 1 BV bzw. einer Verletzung des
rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) kann daher nicht die Rede sein. Der
Vorwurf, das Obergericht habe die Lohnausweise und -abrechnungen, die
Bewerbungsunterlagen und weitere Dokumente betreffend seine berufliche
Situation nicht berücksichtigt, geht sodann an der Sache vorbei. Bei der
Beurteilung des allfälligen verwerflichen oder leichtfertigen Benehmens
gemäss § 140 Abs. 1 StPO/SG waren diese Unterlagen nicht von Bedeutung.

3.3 Der Beschwerdeführer hält schliesslich dafür, das Obergericht habe eine
Quasi-Verurteilung vorgenommen und dadurch die Unschuldsvermutung von Art. 32
Abs. 1 BV sowie (sinngemäss) das Willkürverbot gemäss Art. 9 BV verletzt.

3.3.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist es mit dem Grundsatz der
Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV) vereinbar, einem Angeschuldigten bei
Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens Kosten zu überbinden bzw.
eine Entschädigung zu verweigern, wenn er in zivilrechtlich vorwerfbarer
Weise, d. h. im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus Art. 41 OR
ergebenden Grundsätze, gegen eine geschriebene oder ungeschriebene
Verhaltensnorm klar verstossen und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder
dessen Durchführung erschwert hat. Dagegen verstösst eine Kostenauflage gegen
den Grundsatz der Unschuldsvermutung, wenn dem Angeschuldigten in der
Begründung des Entscheids direkt oder indirekt vorgeworfen wird, er habe sich
strafbar gemacht bzw. es treffe ihn ein strafrechtliches Verschulden (BGE 120
Ia 147 E. 3b S. 155; 119 Ia 332 E. 1b S. 334; 116 Ia 162 E. 2e S. 175).

Das Bundesgericht prüft frei, ob sich aus dem Dispositiv oder aus den
Erwägungen des angefochtenen Entscheides ein direkter oder indirekter Vorwurf
einer strafrechtlichen Schuld ableiten lässt. Die Voraussetzungen der
Kostenauflage (Veranlassung oder Erschwerung des Strafverfahrens durch ein
verwerfliches oder leichtfertiges Benehmen) werden demgegenüber durch die
Vorschriften der kantonalen Strafprozessordnungen umschrieben. Das
Bundesgericht prüft in diesem Bereich nur, ob die betreffenden
Gesetzesbestimmungen willkürlich angewendet worden sind (vgl. BGE 116 Ia 162
E. 2f S. 175 f.).
3.3.2 Der Beschwerdeführer setzt sich nicht mit den Ausführungen des
Obergerichts auseinander, wonach er als Verwaltungsrat der konkursiten
Aktiengesellschaft dieser vor dem Konkurs namhafte Geldbeträge entzogen sowie
einen eine Gläubigerin bevorzugenden Vertrag abgeschlossen habe. Gestützt auf
diese unbestritten gebliebenen tatsächlichen Feststellungen kam das
Obergericht zum Schluss, der Beschwerdeführer habe das Strafverfahren
zumindest leichtfertig verursacht. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die
Würdigung dieser Feststellungen durch das Obergericht und damit seine
Schlussfolgerungen willkürlich sein sollten. Auch geht weder aus dem
Dispositiv des Entscheides noch aus dessen Erwägungen ein Vorwurf
strafrechtlicher Schuld hervor. Sowohl der Willkürvorwurf als auch die Rüge
der Verletzung der Unschuldsvermutung treffen damit nicht zu.

4.
Auf die als "Berufung" bzw. als "Beschwerde" bezeichnete Eingabe vom 4. Juni
2004 kann sodann nicht weiter eingegangen werden. Der Beschwerdeführer hat
damit das prozessual falsche Rechtsmittel gewählt. Der angefochtene Entscheid
des Obergerichts ist weder berufungs- noch beschwerdefähig im Sinne von Art.
43 ff. bzw. 68 ff. OG.

5.
Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich somit als offensichtlich
unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Sie ist aufgrund des Gesagten als von vornherein aussichtslos im Sinne von
Art. 152 OG zu erachten, so dass das vom Beschwerdeführer gestellte Gesuch um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege abzuweisen ist.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Parteientschädigungen werden keine
ausgerichtet ( Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 29. September 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: