Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.326/2004
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1P.326/2004 /gij

Urteil vom 6. August 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
Bundesrichter Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

X.  ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Isabelle
Brunner Schwander,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen,
Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.

Art. 9, 29 Abs. 1 u. 3 und Art. 30 Abs. 1 BV (Einstellung des
Strafverfahrens),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 21. April 2004.

Sachverhalt:

A.
Y.  ________ erstattete am 14. April 2003 gegen ihren Ehemann X.________ bei
der Kantonspolizei Aargau Strafanzeige wegen einfacher Körperverletzung und
sexueller Nötigung. Sie gab zu Protokoll, sie und ihr Mann hätten getrennte
Schlafzimmer. In der Nacht vom 13. auf den 14. April 2003 sei ihr Mann um ca.

00.15  Uhr in ihr Schlafzimmer gekommen und habe sie zum Geschlechtsverkehr
aufgefordert. Als sie dies abgelehnt habe, habe er sie beschimpft und an
ihrer Pyjamahose gerissen. Als sie ihm daraufhin gesagt habe, er solle sie
loslassen, sei er völlig ausgerastet. Er habe sie auf das Kinn geschlagen, in
ihr Gesicht gegriffen und ihr Kratzer zugefügt. Als sie seine Hände von ihren
Beinen habe wegschieben wollen, habe er bewusst mit den Fingern über ihren
linken Armrücken gekratzt und ihr eine blutende Wunde zugefügt. Während der
Auseinandersetzung habe er seine Hose heruntergezogen und seinen erigierten
Penis von hinten an ihren Genitalbereich gepresst. Während des ganzen
Gerangels habe er Bewegungen gemacht wie beim Geschlechtsverkehr und auf ihre
Hose ejakuliert.

X.  ________ wurde am 11. Juli 2003 von der Kantonspolizei Aargau zur Sache
befragt und erstattete dabei Strafanzeige gegen seine Ehefrau wegen
Körperverletzung und Gefährdung des Lebens. Er habe sich in der Nacht vom 13.
auf den 14. April 2003 in das Schlafzimmer seiner Frau begeben und ihr einen
Kuss auf die Wange gegeben. Daraufhin habe sie ihn gewürgt. Er habe ihren Arm
festgehalten und zusammengedrückt, um sie zum loslassen zu zwingen. Seine
Frau habe bei ihrer Anzeige gelogen, da sie sich scheiden lassen und ihn aus
dem Haus vertreiben wolle. Seine Frau sei schon früher gewalttätig gewesen
und habe ihn in den Penis geschnitten.

Nach Durchführung einer Konfrontationseinvernahme, bei welcher beide Parteien
je ihre Version des Vorfalls vom 14. April 2003 bestätigten, stellte die
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, gestützt auf den Schlussbericht des
Bezirksamts Lenzburg, das Verfahren gegen Y.________ am 26. Januar 2004 ein.
Sie kam zum Schluss, die Anschuldigungen ihres Ehemannes seien reine
Schutzbehauptungen.

B.
Die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau wies
die Beschwerde von X.________ gegen die Einstellung des Verfahrens am 21.
April 2004 ab. Sie erwog, die Staatsanwaltschaft habe wegen aller strafbaren
und verfolgbaren Handlungen Anklage zu erheben. Das Strafverfahren dürfe nach
§ 136 Abs. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Aargau vom 11. November 1958
(StPO) nur eingestellt werden, wenn zureichende Gründe für eine
Anklageerhebung fehlten. Dies sei dann der Fall, wenn zum vornherein
feststehe, dass ein Straftatbestand nicht erfüllt sei oder dessen Erfüllung
der Beschuldigten nicht nachgewiesen werden könne und eine Verurteilung daher
auszuschliessen oder höchst unwahrscheinlich, eine Anklage mithin sinnlos
sei. Im Zweifelsfall einer unsicheren Rechts- oder Beweislage sei dagegen
nach dem in § 24 Abs. 2 Satz 1 StPO normierten Grundsatz des Anklagezwanges
Anklage zu erheben.
Im vorliegenden Fall falle auf, dass X.________ seine Strafanzeige erst drei
Monate nach dem Vorfall im Rahmen des gegen ihn auf Grund der Strafanzeige
seiner Frau eröffneten Verfahrens eingereicht habe, was nahe lege, dass sie
lediglich als Reaktion auf die Anzeige seiner Frau erfolgt sei. Zudem stehe
in Bezug auf seinen Vorwurf, von seiner Frau gewürgt worden zu sein, Aussage
gegen Aussage; objektive Beweismittel lägen keine vor. Auf eine blosse
Anschuldigung könne eine Anklage, die im Übrigen völlig beweislos sei, nicht
abgestützt werden. Es sei daher mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass der
Beschuldigten der vorgeworfene Straftatbestand der einfachen Körperverletzung
nicht nachgewiesen werden könne. Daran vermöge auch die mit einem Arztzeugnis
belegte Behauptung von X.________ nichts zu ändern, seine Ehefrau habe ihn
auch schon in den Penis geschnitten. Vielmehr sei auch dieser Vorwurf in
keiner Weise nachweisbar, weshalb die Einstellungsverfügung zu bestätigen
sei.

C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 2. Juni 2004 wegen Verletzung von Art.
9, Art. 29 Abs. 1 und Art. 30 Abs. 1 BV beantragt X.________, dieses
obergerichtliche Urteil aufzuheben und ersucht um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung.

Die Beschwerdekammer und die Staatsanwaltschaft verzichten auf
Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, von seiner Ehefrau am Hals gewürgt und
dadurch in unmittelbare Lebensgefahr gebracht worden zu sein. Er ist damit
Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG. Als solches ist er befugt, die kantonal
letztinstanzliche Einstellung des Strafverfahrens gegen diese mit
staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte
anzufechten (Art. 84 Abs. 1 lit. a, Art. 86 Abs. 1 und Art. 88 OG, Art. 8
Abs. 1 lit. c OHG; BGE 120 Ia 101 E. 1a und 2a, 157 E. 2a und c). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die
Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1
lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten
ist.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, nach Art. 30 Abs. 1 BV habe er
Anspruch darauf, dass seine Sache durch ein durch ein Gesetz geschaffenes,
zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht beurteilt werde. Dieser
Anspruch sei verletzt, weil das von ihm angeregte Strafverfahren vom
Bezirksamt Lenzburg geführt und von der Staatsanwaltschaft eingestellt und
damit nicht von einer richterlichen Behörde geführt worden sei.

2.2  Die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts überprüfte die
Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft auf Beschwerde des
Beschwerdeführers hin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit voller
Kognition. Der Beschwerdeführer bestreitet zu Recht nicht, dass es sich bei
dieser um ein gesetzliches, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches
Gericht im Sinn von Art. 30 Abs. 1 BV handelt, welches seine Angelegenheit
beurteilte und das Vorgehen der Staatsanwaltschaft schützte. Die Rüge, diese
Bestimmung sei verletzt, ist offensichtlich unbegründet.

3.
Der Beschwerdeführer wirft der Beschwerdekammer Willkür sowie Rechts- und
Gehörsverweigerung vor; sie habe die Einstellung geschützt, obwohl nicht alle
erheblichen Beweise abgenommen und der Sachverhalt damit nicht im
verfassungsrechtlich geforderten Masse abgeklärt sowie in unhaltbarer Weise
gewürdigt worden sei.

3.1  Willkürlich handelt ein Gericht, wenn es seinem Entscheid
Tatsachenfeststellungen zugrunde legt, die mit den Akten in klarem
Widerspruch stehen. Im Bereich der Beweiswürdigung besitzt der Richter einen
weiten Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift im Rahmen einer
staatsrechtlichen Beschwerde nur ein, wenn die Beweiswürdigung offensichtlich
unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht
oder auf einem offenkundigen Versehen beruht (BGE 124 I 208 E. 4a; 117 Ia 13

E. 2c; 18 E. 3c je mit Hinweisen).

3.2  Nach den aus Art. 29 BV fliessenden Verfahrensgarantien sind alle
Beweise
abzunehmen, die sich auf Tatsachen beziehen, die für die Entscheidung
erheblich sind (BGE 124 I 208 E. 4a; 117 Ia 262 E. 4b; 106 Ia 161 E. 2b; 101
Ia 169 E. 1, je mit Hinweisen). Das hindert aber den Richter nicht, einen
Beweisantrag abzulehnen, wenn er in willkürfreier Überzeugung der bereits
abgenommenen Beweise zur Überzeugung gelangt, der rechtlich erhebliche
Sachverhalt sei genügend abgeklärt, und er überdies in willkürfreier
antizipierter Würdigung der zusätzlich beantragten Beweise annehmen kann,
seine Überzeugung werde auch durch diese nicht mehr geändert (BGE 122 V 157
E. 1d; 122 III 219 E. 3c, S. 223/224; 119 Ib 492 E. 5b/bb). In Bezug auf den
Entscheid über die Einstellung eines Strafverfahrens, wie sie hier zur
Diskussion steht, bedeutet dies, dass die zuständige Strafverfolgungsbehörde
ein Strafverfahren dann einstellen darf, wenn sie in willkürfreier
antizipierter Würdigung der Beweislage zum Schluss kommt, diese lasse eine
erfolgsversprechende Anklageerhebung nicht zu und könne auch durch die
Erhebung weiterer Beweise nicht entscheidend verbessert werden.

3.3  Das Obergericht ist im angefochtenen Entscheid zum Schluss gekommen, die
Beweislage lasse eine Verurteilung der Ehefrau des Beschwerdeführers höchst
unwahrscheinlich erscheinen, weshalb die Einstellung des Strafverfahrens
nicht zu beanstanden sei.

Beim fraglichen Vorfall haben sich nach übereinstimmender Darstellung des
Beschwerdeführers und seiner Frau nebst ihnen nur noch ihre beiden drei- bzw.
siebenjährigen Kinder im Schlafzimmer aufgehalten. Es wird von keiner Seite
geltend gemacht, diese hätten den Vorfall mitbekommen und könnten
sachdienliche Aussagen dazu machen. Somit ist mit der Beschwerdekammer davon
auszugehen, dass keine weiteren Aussagen erhältlich sind, die die
Anschuldigungen des Beschwerdeführers stützen könnten. Objektive Beweismittel
fehlen, da sich der Beschwerdeführer nach dem Vorfall nicht ärztlich
untersuchen liess und erst Monate später Anzeige erstattete. Die Einschätzung
der Beschwerdekammer, es sei auszuschliessen, dass die durch keine Beweise
gestützten Anschuldigungen des Beschwerdeführers zu einer Verurteilung von
dessen Ehefrau führen könnten, ist keineswegs willkürlich.

3.4  Der Beschwerdeführer warf seiner Frau am 11. Juli 2003 vor, ihm eine
Schnittwunde am Penis zugefügt zu haben und belegt dies mit einem Arztzeugnis
des Stadtspitals Triemli vom 11. Dezember 2001. Wie, durch wen und unter
welchen Umständen sich der Beschwerdeführer diese Wunde zuzog, ist ungeklärt,
und dies lässt sich anhand des Arztzeugnisses auch nicht erhellen. Darüber
sagte der Beschwerdeführer nichts Näheres, und eigenartigerweise hat er
diesen Vorwurf an der Konfrontationseinvernahme vom 14. November 2003 auch
nicht mehr zur Sprache gebracht. Es wäre an ihm gewesen, diesen Vorwurf zu
konkretisieren und vor allem darzutun, inwiefern er die Beweislage in Bezug
auf den Vorfall vom 14. April 2003 in ein neues Licht rücken könnte. Die
Beschwerdekammer ist keineswegs in Willkür verfallen, indem sie diesen
Vorwurf bei ihrer Beweiswürdigung ausser Acht liess. Sollten sich aus dem
offenbar vom Beschwerdeführer in Zürich gegen seine Frau angestrengten
Strafverfahren neue, für den vorliegenden Fall relevante Fakten ergeben, ist
es ihm unbenommen, nach § 142 StPO eine Wiederaufnahme des eingestellten
Verfahrens zu beantragen.

Gleiches gilt im Übrigen auch für den Versuch des Beschwerdeführers, mit dem
prozessualen Verhalten seiner Frau im Scheidungsverfahren nach dem Ergehen
des hier angefochtenen Urteils deren Unglaubwürdigkeit nachzuweisen. Falls er
glaubt, darin liege eine neue Tatsache oder ein neues Beweismittel, das eine
Wiederaufnahme des Verfahrens gegen seine Frau rechtfertigen könnte, so kann
er bei den zuständigen kantonalen Behörden ein entsprechendes Gesuch stellen.
Im bundesgerichtlichen Verfahren ist dieses Vorbringen ein unzulässiges
Novum, auf das nicht einzutreten ist.

3.5  Der Beschwerdeführer rügt, die Strafverfolgungsbehörden hätten den
Sachverhalt nicht genügend abgeklärt, indem sie auf die Einvernahme weiterer
Personen - etwa von Herrn Ung, dem Schwager des Beschwerdeführers, dem das
Geschehene unmittelbar nach dem Vorfall mitgeteilt worden sei, und der
direkten Nachbarn - verzichtet hätten. Zudem sei der Beschwerdeführer nicht
angehalten worden, Zeugen und Beweismittel zu benennen. Darin liege eine
Rechts- und Gehörsverweigerung und damit eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1
BV.

Der Beschwerdeführer erhob seine Vorwürfe erstmals an der polizeilichen
Einvernahme vom 11. Juli 2003 und bekräftigte sie an der
Konfrontationseinvernahme vom 14. November 2003. Beide Male war er von seiner
Anwältin begleitet, und beiden Aussagen lässt sich nicht der geringste
Hinweis entnehmen, dass es Zeugen geben könnte, die sachdienliche Aussagen
machen könnten. Der Beschwerdeführer legt denn auch nicht dar, inwiefern die
Aussagen von Herrn Ung oder der Nachbarn geeignet sein könnten, den
herrschenden Beweisnotstand zu beheben, und das ist auch nicht ersichtlich.
Unter diesen Umständen war das Bezirksamt verfassungsrechtlich nicht
verpflichtet, weitere Untersuchungshandlungen durchzuführen oder dem
Beschwerdeführer Frist anzusetzen, solche zu beantragen. Die Rüge ist
unbegründet.

3.6  Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebotes,
weil das Strafverfahren gegen ihn weitergeführt und dasjenige gegen seine
Frau eingestellt worden sei.

Die Beweislage in den beiden Fällen ist indessen keineswegs dieselbe. So
wurde beispielsweise Y.________ nach dem Vorfall ärztlich untersucht, und die
festgestellten Verletzungen lassen sich mit ihren Schilderungen vereinbaren,
währenddem die Anschuldigungen des Beschwerdeführers durch keine objektiven
Beweismittel gestützt werden. Da somit zwischen den beiden Verfahren
relevante Unterschiede bestehen, ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden, dass das eine eingestellt und das andere weitergeführt wird. Die
Rüge ist offensichtlich unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Damit
wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 OG). Er hat zwar ein
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches
jedoch abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
abgewiesen.

2.2  Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 6. August 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: