Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.26/2004
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1P.26/2004/bie

Urteil vom 15. März 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Bundesrichter Eusebio,
Gerichtsschreiberin Leuthold.

X. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Y.________, Beschwerdegegnerin,
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
Florhofgasse 2, Postfach, 8023 Zürich,
Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, Postfach, 8023 Zürich,
Kassationsgericht des Kantons Zürich,
Postfach 4875, 8022 Zürich.

Art. 8, 9, 10, 29 und 30 BV (Strafverfahren),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom

27. November 2003.

Sachverhalt:

A.
Die Bezirksanwaltschaft Zürich erhob am 31. Oktober 2002 gegen X.________
Anklage wegen Drohung und Hausfriedensbruchs. Sie führte in der
Anklageschrift aus, X.________ habe am 10. April 2002, ca. 20.00 Uhr, im
Treppenhaus der Liegenschaft Z.________ in Zürich an der Wohnungstüre seiner
Nachbarin Y.________ geläutet, um sich über Lärmbelästigung durch
Türeschlagen zu beschweren. Als Frau Y.________ die Türe etwas geöffnet habe,
habe der Angeklagte sofort versucht, in ihre Wohnung einzudringen, und er
habe seinen Fuss zwischen Türe und Türschwelle in die Wohnung von Frau
Y.________ gesetzt. Diese habe indessen die Türe wieder zuschlagen können,
und der Angeklagte habe seinen Fuss wieder zurücknehmen müssen. Er habe dann
Y.________ durch die unterdessen von ihr verschlossene Türe heftig
angeschrieen, so dass sie durch das Vorgehen des Angeklagten (Versuch, in
ihre Wohnung einzudringen, und anschliessendes heftiges Anschreien) stark
geängstigt worden sei. Die Einzelrichterin in Strafsachen am Bezirksgericht
Zürich sprach X.________ am 28. Januar 2003 der Drohung und des
Hausfriedensbruchs schuldig und bestrafte ihn mit zehn Tagen Gefängnis, unter
Gewährung des bedingten Strafvollzuges. Der Angeklagte legte Berufung ein.
Das Obergericht des Kantons Zürich trat mit Beschluss vom 25. April 2003 auf
die Anklage betreffend Drohung nicht ein. Mit Urteil vom gleichen Datum
sprach es X.________ des Hausfriedensbruchs schuldig und bestrafte ihn mit
einer Busse von Fr. 800.--. Gegen dieses Urteil erhob X.________ eine
kantonale Nichtigkeitsbeschwerde. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich
trat mit Zirkulationsbeschluss vom 27. November 2003 auf die Beschwerde nicht
ein.

B.
X.________ reichte mit Eingabe vom 14. Januar 2004 beim Bundesgericht
staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts und den
Zirkulationsbeschluss des Kassationsgerichts ein.

C.
Das Obergericht und das Kassationsgericht des Kantons Zürich verzichteten auf
eine Vernehmlassung. Die Beschwerdegegnerin Y.________ äusserte sich in einer
von ihr selber verfassten Eingabe vom 20. Januar 2004 zu bestimmten
Behauptungen des Beschwerdeführers, ohne einen Antrag zu stellen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und
inwieweit es auf die bei ihm eingereichte staatsrechtliche Beschwerde
eintreten kann (BGE 129 I 173 E. 1 S. 174 mit Hinweisen).

1.1 Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde kann nur der
letztinstanzliche kantonale Entscheid, mithin der Zirkulationsbeschluss des
Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 27. November 2003, angefochten
werden (Art. 86 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Organisation der
Bundesrechtspflege, OG). Soweit der Beschwerdeführer das Obergerichtsurteil
vom 25. April 2003, den Entscheid der Einzelrichterin des Bezirksgerichts
Zürich vom 28. Januar 2003 sowie das Vorgehen der Bezirksanwaltschaft
kritisiert und in diesem Zusammenhang eine Verletzung der Art. 8, 9, 10 (Abs.
3), 29 (Abs. 2) und 30 (Abs. 1) BV rügt, kann auf die Beschwerde nicht
eingetreten werden.

1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht gegebenen Ausnahmen
abgesehen, rein kassatorischer Natur, d.h. sie kann nur zur Aufhebung des
angefochtenen Entscheids führen (BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S. 131 f., 173 E. 1.5
S. 176, je mit Hinweisen). Auf die vorliegende Beschwerde ist daher nicht
einzutreten, soweit mit ihr mehr oder anderes als die Aufhebung des
Beschlusses des Kassationsgerichts vom 27. November 2003 beantragt wird. Es
betrifft dies die Anträge des Beschwerdeführers, das Obergerichtsurteil sei
aufzuheben, er sei freizusprechen und es sei ihm zulasten des Kantons Zürich
eine Entschädigung von total Fr. 35'600.-- sowie eine angemessene Genugtuung
zuzusprechen.

2.
In der staatsrechtlichen Beschwerde wird geltend gemacht, es bestehe "der
Verdacht der Befangenheit des Kassationsgerichtes", weil dieses die Meinung
der Vorinstanz zur Nichtigkeitsbeschwerde eingeholt habe. Falls damit eine
Verletzung des Anspruchs auf ein unbefangenes Gericht nach Art. 30 Abs. 1 BV
gerügt wird, geht die Rüge offensichtlich fehl. Es entspricht einem
allgemeinen Grundsatz, dass die Rechtsmittelinstanz der unteren Instanz,
welche die angefochtene Entscheidung gefällt hat, Gelegenheit gibt, zum
Rechtsmittel Stellung zu nehmen. Es kann keine Rede davon sein, dass die
Rechtsmittelinstanz deswegen nicht mehr in der Lage wäre, unbefangen zu
entscheiden.

3.
Der Beschwerdeführer beklagt sich über eine Verletzung des in Art. 29 Abs. 2
BV gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil das
Kassationsgericht auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eintrat.

3.1 Gemäss § 430 Abs. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich (StPO) ist
in der Beschwerdeschrift jeder Nichtigkeitsgrund genau zu bezeichnen. Das
Kassationsgericht hielt fest, aus der Natur des Beschwerdeverfahrens, das
keine Fortsetzung des Verfahrens vor dem Sachrichter darstelle, folge, dass
sich der Nichtigkeitskläger konkret mit dem angefochtenen Entscheid
auseinander setzen und den behaupteten Nichtigkeitsgrund in der
Beschwerdeschrift selbst nachweisen müsse. In der Beschwerdebegründung seien
insbesondere die angefochtenen Stellen des vorinstanzlichen Entscheides zu
bezeichnen und diejenigen Aktenstellen, aus denen sich ein Nichtigkeitsgrund
ergeben solle, im Einzelnen anzugeben. Das Kassationsgericht vertrat die
Ansicht, diesen Anforderungen genüge die vom Beschwerdeführer gegen das
Obergerichtsurteil erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nicht. Es führte aus, in
dieser Beschwerde werde nicht eine Stelle im obergerichtlichen Entscheid
genannt oder bezeichnet, die einen Nichtigkeitsgrund enthalten solle. Ein
solcher Nachweis wäre allenfalls im Zusammenhang mit den Rügen der Verletzung
des Anklagegrundsatzes und der Verletzung des Ermittlungsgrundsatzes
entbehrlich. Wie bei den übrigen Rügen setze sich der Beschwerdeführer jedoch
auch bei diesen beiden nicht hinreichend mit dem angefochtenen Entscheid
auseinander, sondern erschöpfe sich in pauschalen und unsubstanziierten
Vorwürfen. Demzufolge sei auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzutreten.

Sodann führte das Kassationsgericht weitere Gründe an, aus denen auf die
Eingabe des Beschwerdeführers nicht eingetreten werden könne. Es hielt fest,
das Verfahren vor Kassationsgericht sei auf die Prüfung von
Nichtigkeitsgründen im Sinne von § 430 StPO beschränkt. Auf Vorbringen des
Beschwerdeführers, die darüber hinausgingen, sei daher nicht einzutreten.
Soweit aufgrund von Rügen zu prüfen wäre, ob ein Tatbestand erfüllt sei oder
ob Vorsatz vorliege, würde es sich um Fragen des materiellen Bundesrechts
handeln, die vor Bundesgericht zu erheben wären. Diesbezüglich würde dem
Kassationsgericht die Kognitionsbefugnis fehlen, weshalb auch aus diesem
Grund in den entsprechenden Punkten auf die Beschwerde nicht einzutreten
wäre.

3.2 In der staatsrechtlichen Beschwerde wird nichts vorgebracht, was geeignet
wäre, die erwähnten (E. 3.1 Abs. 1) Überlegungen der kantonalen Instanz zur
Frage der hinreichenden Begründung der Nichtigkeitsbeschwerde als unhaltbar
erscheinen zu lassen. Die Auffassung des Kassationsgerichts, wonach die
Rechtsschrift des Beschwerdeführers den Anforderungen von § 430 Abs. 2 StPO
nicht zu genügen vermöge, ist sachlich vertretbar. Ein Verstoss gegen das
Willkürverbot liegt nicht vor. Auch die weiteren, oben (E. 3.1 Abs. 2)
angeführten Erwägungen der kantonalen Instanz sind entgegen der Meinung des
Beschwerdeführers nicht zu beanstanden. Verhält es sich so, dann verletzte
das Kassationsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches
Gehör nicht, wenn es auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eintrat.

Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet.
Sie ist daher abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

4.
Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
für das bundesgerichtliche Verfahren. Die Bewilligung der unentgeltlichen
Rechtspflege setzt voraus, dass der Gesuchsteller bedürftig ist und sein
Rechtsbegehren nicht als aussichtslos erscheint (Art. 152 Abs. 1 OG). Da die
vorliegende Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hatte, ist das Gesuch des
Beschwerdeführers abzuweisen. Entsprechend dem Ausgang des
bundesgerichtlichen Verfahrens hat er die Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1
OG). Die Beschwerdegegnerin Y.________ ist nicht durch einen Anwalt vertreten
und stellte in ihrer Beschwerdeantwort keinen Antrag. Sie hat unter diesen
Umständen keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (vgl. BGE 125 II 518
ff.).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft, dem Obergericht, II.
Strafkammer, und dem Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 15. März 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: