Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.262/2004
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1P.262/2004
1P.264/2004/ gij

Beschluss vom 4. Juni 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
Bundesrichter Aeschlimann,
Gerichtsschreiberin Leuthold.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Daniel
Bohren,

gegen

Bezirksanwaltschaft Zürich, Büro F-1, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026
Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Art. 9, 29 Abs. 2 und Art. 31 BV, Art. 5 Ziff. 1 lit. c und Ziff. 3 EMRK
(Anordnung der Untersuchungshaft; Haftentlassung),

Staatsrechtliche Beschwerden gegen die Verfügungen des Bezirksgerichts
Zürich, Haftrichter, vom

6. und 16. April 2004.

Sachverhalt:

A.
Die Bezirksanwaltschaft Zürich führt gegen X.________, der aus
Serbien-Montenegro stammt, ein Strafverfahren wegen Verdachts des Entziehens
eines Unmündigen im Sinne von Art. 220 StGB. Sie wirft ihm vor, er habe
seiner Ehefrau den gemeinsamen, am 20. Mai 2000 geborenen Sohn vorenthalten,
indem er diesen Mitte September 2003 zu dessen Grosseltern nach Serbien
verbracht und ihn bisher nicht in die Schweiz zurückgebracht habe. Der
Angeschuldigte wurde am 4. April 2004 festgenommen und vom Haftrichter des
Bezirksgerichts Zürich mit Verfügung vom 6. April 2004 in Untersuchungshaft
versetzt. Am 13. April 2004 stellte er ein Gesuch um Haftentlassung. Mit
Verfügung vom 16. April 2004 wies der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich
das Gesuch ab.

B.
X.________ reichte am 29. April 2004 beim Bundesgericht sowohl gegen den
Haftrichterentscheid vom 6. April 2004 als auch gegen denjenigen vom 16.
April 2004 eine staatsrechtliche Beschwerde ein (1P.262/2004 und
1P.264/2004). Er beantragt, die angefochtenen Entscheide seien aufzuheben und
er sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Eventuell sei festzustellen,
dass die Untersuchungshaft widerrechtlich sei.

C.
Die Bezirksanwaltschaft liess sich mit Eingabe vom 5. Mai 2004 zu den
Beschwerden vernehmen. Der Haftrichter verzichtete auf eine Vernehmlassung.

D.
In seiner Replikschrift vom 13. Mai 2004 führte der Beschwerdeführer aus,
sein Haftentlassungsgesuch vom 29. April 2004 sei gutgeheissen und er sei am
7. Mai 2004 aus der Haft entlassen worden.

E.
Das Bundesgericht gab dem Beschwerdeführer und den kantonalen Instanzen
Gelegenheit, zur Frage der Gegenstandslosigkeit der Beschwerden und zu den
Kosten- und Entschädigungsfolgen Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer
erklärte in seiner Eingabe vom 28. Mai 2004, es bestehe weiterhin ein
aktuelles praktisches Interesse am Entscheid über die Frage der
Verfassungsmässigkeit der Haftanordnung und der Abweisung des ersten
Haftentlassungsgesuchs. Falls die Verfahren wegen Gegenstandslosigkeit der
Beschwerden abgeschrieben würden, sei er zu entschädigen und es seien ihm
keine Verfahrenskosten aufzuerlegen. Die Bezirksanwaltschaft beantragte, die
Kosten der bundesgerichtlichen Verfahren seien dem Beschwerdeführer zu
überbinden und dieser sei nicht zu entschädigen. Der Haftrichter verzichtete
auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die beiden Beschwerden betreffen die gleiche Angelegenheit und enthalten
dieselben Rügen. Sie sind deshalb gemeinsam in einem einzigen Entscheid zu
erledigen.

2.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 88 OG muss ein
Beschwerdeführer grundsätzlich ein aktuelles praktisches Interesse an der
Aufhebung des angefochtenen Entscheids bzw. an der Behandlung der von ihm
erhobenen Rügen haben, damit auf seine staatsrechtliche Beschwerde
eingetreten werden kann (BGE 125 I 394 E. 4a S. 397; 120 Ia 165 E. 1a S. 166
mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat wiederholt erklärt, das aktuelle
praktische Interesse an der Behandlung einer Haftbeschwerde entfalle, wenn
der Beschwerdeführer während der Hängigkeit des bundesgerichtlichen
Verfahrens aus der Haft entlassen werde. Es betonte, ein solches Interesse
könne auch nicht unter dem Gesichtswinkel eines späteren
Entschädigungsbegehrens bejaht werden (BGE 125 I 394 E. 4a S. 397; 110 Ia 140
E. 2a S. 141 ff.).

Im vorliegenden Fall reichte der Beschwerdeführer am 29. April 2004 beim
Bundesgericht gegen die Haftrichterentscheide vom 6. und 16. April 2004 eine
staatsrechtliche Beschwerde ein. Am 7. Mai 2004 wurde er aus der Haft
entlassen. Damit ist das aktuelle praktische Interesse an der Behandlung der
staatsrechtlichen Beschwerden dahingefallen. Die Voraussetzungen, unter denen
das Bundesgericht ausnahmsweise trotz Wegfalls des aktuellen praktischen
Interesses auf eine staatsrechtliche Beschwerde eintritt, sind hier nicht
erfüllt (BGE 125 I 394 E. 4b S. 397 mit Hinweisen). Die staatsrechtlichen
Beschwerden sind daher als gegenstandslos zu erklären und vom
Geschäftsverzeichnis abzuschreiben.

3.
Wird eine Beschwerde gegenstandslos, so ist nach Art. 72 BZP in Verbindung
mit Art. 40 OG über die Prozesskosten mit summarischer Begründung aufgrund
der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes zu befinden. Bei der
Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist in erster Linie auf den
mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen. Dabei geht es nicht darum,
die Prozessaussichten im Einzelnen zu prüfen; vielmehr muss es bei einer
knappen, d.h. Prima-facie-Beurteilung der Aktenlage sein Bewenden haben.
In den Beschwerden wurde in formeller Hinsicht vorgebracht, es fehle im
vorliegenden Fall an einer "Auseinandersetzung mit den zahlreichen, die Haft
ausschliessenden Umständen". Zwar sei ein Haftprüfungsverfahren durchgeführt
worden, doch habe "keine Haftprüfung stattgefunden". Mangels Haftprüfung
befinde sich der Beschwerdeführer "unter Verstoss gegen Art. 31 Abs. 1 und 3
BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK in Haft". Eventuell seien die
Haftrichterentscheide unzureichend begründet, so dass das rechtliche Gehör
des Beschwerdeführers gemäss Art. 29 Abs. 2 BV verletzt worden sei.
Aus dieser Vorschrift ergibt sich die Pflicht der Behörde, die Sache zu
prüfen und ihren Entscheid zu begründen. Diese Pflicht bedeutet jedoch nicht,
dass sich die urteilende Instanz mit allen Parteistandpunkten einlässlich
auseinander setzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen
müsste. Es genügt, wenn sie wenigstens kurz die Überlegungen nennt, von denen
sie sich leiten liess und auf welche sich ihr Entscheid stützt (BGE 126 I 97
E. 2b S. 102 f.; 124 V 180 E. 1a S. 181, je mit Hinweisen). Der Haftrichter
hat in seinen Entscheiden vom 6. und 16. April 2004 in einer diesen
Anforderungen genügenden Weise dargelegt, dass und weshalb die in § 58 Abs. 1
der Strafprozessordnung des Kantons Zürich genannten Voraussetzungen für die
Anordnung bzw. Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft im Falle des
Beschwerdeführers gegeben seien. Die Einwände, es sei keine Haftprüfung
vorgenommen und die Haftrichterentscheide seien unzureichend begründet
worden, waren somit unzutreffend.

In materieller Hinsicht machte der Beschwerdeführer geltend, der Haftrichter
habe in willkürlicher Weise angenommen, es bestehe Kollusions- und
Fluchtgefahr. Der Haftrichter führte zur Begründung der Kollusionsgefahr aus,
in Anbetracht der voneinander abweichenden Aussagen, welche der
Beschwerdeführer und seine Ehefrau zur Frage betreffend das Einverständnis
der Ehefrau mit der Reise des Sohnes nach Serbien und dessen dortigem
Aufenthalt gemacht hätten, sei ernsthaft zu befürchten, dass der
Beschwerdeführer versuchen könnte, auf die Ehefrau zwecks Rücknahme ihrer
belastenden Aussagen einzuwirken. Diese Auffassung des Haftrichters war
sachlich vertretbar, da bei Erlass der angefochtenen Entscheide vom 6. und
16. April 2004 eine Konfrontationseinvernahme des Beschwerdeführers mit
seiner Ehefrau noch nicht stattgefunden hatte. Durfte aber Kollusionsgefahr
ohne Verletzung der Verfassung und der EMRK bejaht werden, so konnte
dahingestellt bleiben, ob ausserdem Fluchtgefahr gegeben sei.

Eine Prima-facie-Beurteilung der Aktenlage ergibt, dass die staatsrechtlichen
Beschwerden keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätten. Die Kosten der beiden
bundesgerichtlichen Verfahren sind deshalb dem Beschwerdeführer aufzuerlegen,
und dieser hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung.

Demnach beschliesst das Bundesgericht im Verfahren nach Art. 72 BZP in
Verbindung mit Art. 40 OG:

1.
Die staatsrechtlichen Beschwerden werden als gegenstandslos erklärt und vom
Geschäftsverzeichnis abgeschrieben.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieser Beschluss wird dem Beschwerdeführer, der Bezirksanwaltschaft Zürich,
Büro F-1, und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Juni 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: