Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.257/2004
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1P.257/2004 /gij

Urteil vom 20. August 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
Bundesrichter Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Störi.

"Zürich" Lebensversicherungs-Gesellschaft, Beschwerdeführerin, vertreten
durch Advokat Dr. Christoph Nertz,

gegen

Gerold Wunderle, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat René Brigger,
Grosser Rat des Kantons Basel-Stadt, Rathaus, Marktplatz 9, 4001 Basel,
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht,
Bäumleingasse 1, 4051 Basel.

Inanspruchnahme von Allmend; Änderung der Zonenzuweisung; Festsetzung von
Bau- und Strassenlinien sowie Genehmigung der Lärmempfindlichkeitsstufen im
Bereich Rosentalstrasse 9 - 13 in Basel,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht vom 9. Januar 2004.
Sachverhalt:

A.
Die "Zürich" Lebensversicherungs-Gesellschaft (im Folgenden: "Zürich") ist
Eigentümerin der mit Mehrfamilienhäusern überbauten Parzelle Nr. 2038 an der
Rosentalstrasse 9, 11 und 13 in Basel. Die Liegenschaft grenzt im Südwesten
an den neuerbauten, über 100 m hohen Messeturm und im Nordosten an die in die
Rosentalstrasse einmündende Mattenstrasse, an deren gegenüberliegender
Strassenseite die Liegenschaft Mattenstrasse 16 von Gerold Wunderle liegt.

Am 16. Dezember 1999 erliess der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt den
Beschluss betreffend "Festsetzung eines Überbauungsplanes und Erlass
spezieller Bauvorschriften am Messeplatz", auf dessen Grundlage unter anderem
der Messeturm realisiert wurde. Da die "Zürich" damals den Einbezug ihrer
Liegenschaft Rosentalstrasse 9-13 ins Planungsgebiet abgelehnt hatte, wurde
dieses Areal in Ziff. 2.5 des Grossratsbeschlusses im Sinne einer
behördenverbindlichen Festlegung als möglicher künftiger Baubereich für den
Ersatz der Gebäude Rosentalstrasse 9-13 ausgeschieden.

Nachdem der Messeturm im Oktober 2000 baurechtlich bewilligt war, liess die
"Zürich" ein Projekt für eine neue Überbauung ihrer Liegenschaft
Rosentalstrasse 9-13 ausarbeiten. Gestützt darauf wurde eine Vorlage für eine
Zonenplanänderung und die Ergänzung des Bebauungsplanes (in früherer
Terminologie: Überbauungsplan) ausgearbeitet und vom 19. September 2001 bis
zum 20. Oktober 2001 öffentlich aufgelegt. Am 28. September 2001 erhob Gerold
Wunderle Einsprache mit der Begründung, das Projekt beeinträchtige seine
Liegenschaft Mattenstrasse 16.

Der Grosse Rat fasste am 8. Mai 2002 zwei Beschlüsse. Der eine - formell eine
Änderung des Grossratsbeschlusses vom 16. Dezember 1999 - (im Folgenden:
Beschluss I) enthält die für die Realisierung des Neubaus der "Zürich"
notwendigen Änderungen des Bebauungsplanes. Der andere (im Folgenden:
Beschluss II) regelt die Inanspruchnahme von Allmend, die Änderung von
Zonenzuweisung, die Festsetzung von Bau- und Strassenlinien sowie die
Genehmigung der Lärmempfindlichkeitsstufe im Bereich der Rosentalstrasse 9 -
13; in Ziff. 5 weist er zudem die Einsprache von Gerold Wunderle ab. Beide
Beschlüsse wurden im Kantonsblatt vom 15. Mai 2002 publiziert.

Der Mieterinnen- und Mieterverband sowie die Schweizer Demokraten ergriffen
gegen den Beschluss II das Referendum. Die Vorlage wurde in der
Volksabstimmung vom 22. September 2002 abgelehnt und der Beschluss II damit
aufgehoben.

Am 21. November 2002 rekurrierte Gerold Wunderle gegen die Abweisung seiner
Einsprache ans Verwaltungsgericht. In seiner "vorsorglichen Rekursbegründung"
vom 12. Dezember 2002 beantragte er, die Beschlüsse I und II an die
Vorinstanz zurückzuweisen oder sie eventuell "materiell abzuweisen".
Ausserdem verlangte er, das Verfahren zu sistieren und ihm für den Fall, dass
diesem Antrag nicht stattgegeben werde, Gelegenheit für eine ausführliche
Rekursbegründung einzuräumen.

Mit Verfügung vom 20. Januar 2002 lud der Appellationsgerichtspräsident u.a.
die "Zürich" zum Verfahren bei und wies das Sistierungsgesuch ab.

In seiner (definitiven) Rekursbegründung vom 24. März 2003 beantragt Gerold
Wunderle, den Beschluss I aufzuheben oder ihn eventuell nur soweit zu
schützen, als dass kein Widerspruch zu den geltenden Nutzungsplänen vorliege.
Eventuell sei seine planungsrechtliche Einsprache zur richtigen Behandlung
und Publikation an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er um
aufschiebende Wirkung und die Beiladung der beiden Referendumsgruppen zum
Verfahren.

Die "Zürich" beantragte in ihrer Rekursantwort, den Rekurs abzuweisen.

B.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt trat am 9. Januar 2004 als
Verwaltungsgericht auf den Rekurs von Gerold Wunderle nicht ein. Zur
Begründung führte es an, der Grosse Rat habe die Abweisung der Einsprache des
Rekurrenten als Ziff. 5 des Beschlusses II formuliert und diesen insgesamt
dem Referendum unterstellt. Mit der Gutheissung des Referendums sei
grundsätzlich der ganze Beschluss II vom Volk abgelehnt worden. Die
Auffassung des Baudepartementes, die Abweisung der Einsprache sei ein
"persönlicher" Grossratsbeschluss im Sinne von § 29 Abs. 3 lit. a der
Verfassung des Kantons Basel-Stadt vom 2. Dezember 1889 (KV), der dem
Referendum nicht hätte unterstellt werden dürfen, treffe nicht zu. Mit dem
Volksentscheid vom 22. September 2002 sei der Beschluss II und damit auch der
darin enthaltene Einspracheentscheid nicht angenommen worden. Selbst wenn
indessen die Abweisung der Einsprache dem Referendum nicht hätte unterstellt
werden dürfen, so hätte dies jedenfalls nicht dessen Nichtigkeit zur Folge
gehabt. Liege somit kein Einspracheentscheid vor, fehle es an einem
Anfechtungsobjekt für das Rekursverfahren und damit an einer objektiven
Prozessvoraussetzung, weshalb auf den Rekurs nicht einzutreten sei.

Mit staatsrechtlicher Beschwerde von 28. April 2004 wegen Verletzung des
Willkürverbotes von Art. 9 BV beantragt die "Zürich", dieses Urteil des
Appellationsgerichts aufzuheben und es anzuweisen, über den Rekurs von Gerold
Wunderle einen materiellen Entscheid zu fällen.

C.
Der Grosse Rat verzichtet auf Vernehmlassung. Der
Appellationsgerichtspräsident beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit
darauf einzutreten sei. Gerold Wunderle beantragt, auf die Beschwerde nicht
einzutreten oder sie eventuell abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Die Beschwerdeführerin will mit ihrer staatsrechtlichen Beschwerde
erreichen, dass das Bundesgericht das Appellationsgericht dazu anhält, über
die Einsprache Gerold Wunderles materiell zu entscheiden bzw. sie abzuweisen.
Der angefochtene Entscheid schliesst indessen das Einspracheverfahren nicht
ab. Das Appellationsgericht ist auf den Rekurs des Einsprechers nicht
eingetreten, weil infolge der  Aufhebung des grossrätlichen
Einspracheentscheides in der Referendumsabstimmung kein Einspracheentscheid
und somit kein Anfechtungsobjekt vorliege; den vom Grossen Rat erneut zu
fallenden Einspracheentscheid werde die Beschwerdeführerin anfechten können
(angefochtener Entscheid S. 6/7). Es handelt sich daher um einen
Zwischenentscheid im Sinn von Art. 87 Abs. 2 OG, gegen den die
staatsrechtliche Beschwerde nur zulässig ist, wenn er einen nicht
wiedergutzumachenden Nachteil bewirken könnte. Nach der Rechtsprechung muss
es sich dabei um einen Nachteil rechtlicher Natur handeln, der auch mit einem
späteren günstigen Entscheid nicht gänzlich behoben werden kann (BGE 126 I
207 E. 2; 123 I 325 E. 3c).

Selbstverständlich hat die Beschwerdeführerin keine Garantie, dass der Grosse
Rat (allenfalls in veränderter Zusammensetzung) die Einsprache von Gerold
Wunderle erneut abweist. Inwiefern diese jedem Verfahren innewohnende
Ungewissheit über den Ausgang einen rechtlichen Nachteil im Sinne von Art. 87
Abs. 2 OG darstellen soll, vermag die Beschwerdeführerin nicht darzutun, und
das ist auch nicht ersichtlich. Dass die (mögliche) zeitliche Verzögerung
ihrer Bauprojekte einen solchen Nachteil darstellen könnte, behauptet sie zu
Recht nicht.

1.2  Höchst fraglich ist im Übrigen auch, ob die Beschwerdeführerin zur
staatsrechtlichen Beschwerde befugt ist. Nach Art. 88 OG ist dies nur, wer
durch den angefochtenen Entscheid persönlich in seinen rechtlich geschützten
Interessen beeinträchtigt ist und ein aktuelles und praktisches Interesse an
der Beschwerde hat.

Die Beschwerdeführerin bringt selber vor, der angefochtene Entscheid stelle
das ihr durch Art. 26 BV garantiertes Recht, ihr Grundstück entsprechend dem
Bebauungplan zu nutzen, bloss "faktisch" in Frage (Beschwerde S. 18 Ziff.
63). Vor allem aber legt sie dar, sie habe am 30. Dezember 2002 ein
generelles Baugesuch eingereicht und am 10. April 2003 einen grundsätzlich
positiven Vorbescheid des Bauinspektorates erhalten. Kann sie aber ihr
Bauvorhaben auch ohne den untergegangenen Beschluss II realisieren, so ist
weder ersichtlich noch wird dies von der Beschwerdeführerin dargetan,
inwiefern sie durch den angefochtenen Nichteintretensentscheid in ihren
rechtlich geschützten Interessen betroffen sein könnte.

1.3  Es kann indessen letztlich offen bleiben, ob die Beschwerdeführerin
beschwerdebefugt ist. Wie in E. 1.1 ausgeführt, handelt es sich beim
angefochtenen Entscheid um einen Zwischenentscheid im Sinn von Art. 87 Abs. 2
OG, ohne dass dargetan wäre, dass er einen nicht wiedergutzumachenden
Nachteil bewirken könnte. Auf die Beschwerde ist daher schon aus diesem Grund
nicht einzutreten.

2.
Auf die Beschwerde ist somit nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 156 OG). Sie hat
ausserdem dem Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung zu
bezahlen (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Grossen Rat und dem
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. August 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: