Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.238/2004
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1P.238/2004 /kra

Urteil vom 1. Juli 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Féraud,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Albrecht,

gegen

Daniel Regenass, Bezirksanwalt, Bezirksanwaltschaft V für den Kanton Zürich,
Postfach 1233, 8026 Zürich,
Beschwerdegegner,
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
Florhofgasse 2, Postfach, 8023 Zürich,
Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, Postfach, 8090
Zürich.

Art. 29 Abs. 1 BV (Ausstand),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung der Direktion der Justiz und
des Innern des Kantons Zürich vom 16. März 2004.

Sachverhalt:

A.
Die Zürcher Strafverfolgungsbehörden beschuldigen X.________, im Jahre 1997
die Knaben A.________ und B.________ sexuell missbraucht zu haben.

Das Obergericht des Kantons Zürich sprach ihn am 16. Mai 2002 vom Vorwurf der
mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern im Sinne von Art. 187 Ziff. 1
Abs. 1 und 3 StGB sowie vom Vorwurf der mehrfachen sexuellen Nötigung im
Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB frei, insbesondere weil die Aussagen der
Geschädigten prozessual nicht verwertbar seien und der Mangel wegen
Zeitablaufs nicht geheilt werden könne.

Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hob dieses obergerichtliche Urteil
am 19. Juni 2003 auf und ordnete an, die Geschädigten seien unter Wahrung der
Verteidigungsrechte X.________s als Zeugen einzuvernehmen.

Das Obergericht überwies das Verfahren am 22. August 2003 an die
Staatsanwaltschaft, welche in der Folge Bezirksanwalt Daniel Regenass mit den
anstehenden Untersuchungshandlungen beauftragte.

B.
Bezirksanwalt Regenass lud A.________ und B.________ zur Zeugenaussage auf
den 3. Februar 2004 vor. X.________ rekurrierte an die Staatsanwaltschaft, da
er mit den Einvernahmemodalitäten nicht einverstanden war und stellte ein
Ausstandsbegehren gegen Bezirksanwalt Regenass.

Mit Verfügung vom 19. Januar 2004 wies die Staatsanwaltschaft sowohl den
Rekurs als auch das Ausstandsbegehren ab.

X. ________ erhob Aufsichtsbeschwerde gegen die Durchführung der Einvernahme
von A.________ und B.________ und Rekurs gegen die Abweisung seines
Ausstandsbegehrens.

Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich (Justizdirektion)
wies den Rekurs am 16. März 2004 ab (Dispositiv-Ziffer II) und gab der
Aufsichtsbeschwerde keine Folge (Dispositiv-Ziffer III); die Kosten des
Rekursverfahrens auferlegte sie X.________ (Dispositiv-Ziffer IV).

C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 19. März 2004 wegen Verletzung von Art.
29 Abs. 1 BV beantragt X.________, die Ziffern II und IV der Verfügung der
Justizdirektion aufzuheben. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung.

Die Staatsanwaltschaft und Bezirksanwalt Regenass verzichten auf
Vernehmlassung. Die Justizdirektion beantragt unter Hinweis auf ihre
Verfügung, die Beschwerde abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der angefochtene Beschluss der Direktion der Justiz und des Innern
schliesst das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab, sondern
lässt im Gegenteil dessen Fortführung zu. Es handelt sich um einen
Zwischenentscheid über ein Ablehnungsbegehren im Sinne von Art. 87 Abs. 1 OG,
gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist. Der Beschwerdeführer
ist zur Befangenheitsrüge gegen den instruierenden Bezirksanwalt befugt (Art.
88 OG). Da diese und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist
auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.

1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ermöglicht indessen keine Fortsetzung des
kantonalen Verfahrens. Das Bundesgericht prüft in diesem Verfahren nur in der
Beschwerdeschrift erhobene, detailliert begründete und soweit möglich belegte
Rügen. Der Beschwerdeführer muss den wesentlichen Sachverhalt darlegen, die
als verletzt gerügten Verfassungsbestimmungen nennen und überdies dartun,
inwiefern diese verletzt sein sollen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38
E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c).

Soweit im Folgenden auf Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht
eingegangen wird, genügen sie diesen Anforderungen nicht. An Art. 86 Abs. 1
OG scheitert zudem seine Kritik, soweit sie sich nicht gegen den
angefochtenen Entscheid richtet.

2.
Der Beschwerdeführer wirft Bezirksanwalt Regenass vor, bei der Vorbereitung
der Einvernahme der beiden Geschädigten durch schwere Verfahrensfehler und
unsachliche Äusserungen den Anschein der Befangenheit erweckt zu haben.

2.1 Die Garantien von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK sind bei der
Ablehnung eines Untersuchungsrichters oder eines Vertreters der
Staatsanwaltschaft nur anwendbar, wenn diese ausnahmsweise in richterlicher
Funktion tätig werden und die Rolle eines eigentlichen Richters einnehmen.
Nehmen sie jedoch ihre Funktion als Strafuntersuchungs- oder Anklagebehörde
wahr, ist die Ausstandspflicht ausschliesslich aufgrund von Art. 29 Abs. 1 BV
zu beurteilen. Die Vorwürfe des Beschwerdeführers betreffen die
untersuchungsrichterliche Tätigkeit des Bezirksanwaltes. Er beruft sich daher
zu Recht auf Art. 29 Abs. 1 BV, die Ausstandspflicht von Bezirksanwalt
Regenass beurteilt sich nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im
vorliegenden Fall nebst den Bestimmungen des kantonalen Verfahrensrechts -
die der Beschwerdeführer allerdings nicht als verletzt rügt - ausschliesslich
nach dieser Verfassungsbestimmung (Pra 2002 Nr. 183 S. 974 ff. E. 2.1).
2.2 Hinsichtlich der Unparteilichkeit des Untersuchungsrichters im Sinne von
Unabhängigkeit und Unbefangenheit kommt Art. 29 Abs. 1 BV allerdings ein mit
Art. 30 Abs. 1 BV weitgehend übereinstimmender Gehalt zu. Ein
Untersuchungsrichter kann abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, welche
nach objektiven Gesichtspunkten geeignet sind, den Anschein der Befangenheit
zu erwecken (BGE 127 I 196 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung zu Art. 4 und
58 aBV sowie die Literatur). Verfahrens- oder andere Rechtsfehler, die ihm
unterlaufen, können nach der Rechtsprechung den Anschein der Befangenheit
allerdings nur begründen, wenn sie wiederholt begangen wurden oder so schwer
wiegen, dass sie Amtspflichtverletzungen darstellen (BGE 116 Ia 14 E. 5; 135
E. 3a; Pra 2002 Nr. 183 S. 974 ff. E. 2.1).

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, Bezirksanwalt Regenass sei befangen,
weil er am 11. September 2003 in einem Begleitbrief an die Polizei
geschrieben habe, "dass sich der inkriminierte Sachverhalt im Jahre 1997
abgespielt hat". Die Justizdirektion habe dazu im angefochtenen Entscheid
ausgeführt, "inkriminieren" sei ein Fremdwort für "beschuldigen", weshalb die
Formulierung des Bezirksanwaltes absolut korrekt sei. Dies sei nicht der
Fall; er habe sich nicht daran gestossen, dass der Bezirksanwalt den
Sachverhalt als "inkriminiert" bezeichnet habe, sondern dass er die
Indikativform verwendet und damit zum Ausdruck gebracht habe, davon
auszugehen, dass es sich bei den dem Beschwerdeführer gemachten Vorhalten um
ein tatsächliches Geschehen handle; dies zeige, dass er innerlich nicht
bereit sei, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die Geschädigten vom
Beschwerdeführer nicht missbraucht worden seien.

Diese Ausführungen grenzen an Haarspalterei. Wenn der Bezirksanwalt von
"inkriminiertem Sachverhalt" spricht bzw. schreibt, so macht er damit in
einer jedem Juristen geläufigen Ausdrucksweise klar, dass der Sachverhalt
nicht erwiesen ist und damit nicht feststeht, ob er sich tatsächlich ereignet
hat oder nicht. Aus dieser Formulierung - auch in der Indikativform - lässt
sich daher nicht ableiten, Bezirksanwalt Regenass sei befangen.

Die Grenze zur Haarspalterei überschreitet der Beschwerdeführer mit dem
Vorwurf, Bezirksanwalt Regenass habe ihm am 2. Februar 2004 geschrieben, wenn
er von Geschädigten spreche, meine er dies im Sinne von mutmasslich
Geschädigten. Dies zeige seine Voreingenommenheit, weil das Obergericht in
seinem Urteil vom 16. Mai 2002 nur zum Schluss gekommen sei, es sei "durchaus
denkbar" dass sich die Vorfälle so abgespielt hätten, wie dies in der
Anklageschrift dargestellt werde. Danach sei seine Täterschaft zwar möglich,
aber nicht wahrscheinlich. Gemäss diesem obergerichtlichen Urteil hätte der
Bezirksanwalt daher bloss von "möglicherweise", nicht aber von "mutmasslich"
Geschädigten sprechen dürfen.

Es ist landesüblich, einen (nicht verurteilten) Angeklagten als
"mutmasslichen Täter" zu bezeichnen, weshalb einem Bezirksanwalt von
vornherein nichts vorzuwerfen ist, wenn er dementsprechend von "mutmasslichen
Geschädigten" spricht. Abgesehen davon bezeichnet der Ausdruck "Geschädigter"
auch und vor allem eine Parteirolle (§ 10 StPO). Anders als die Gegenpartei,
deren Bezeichnung je nach Verfahrensstadium (Angeschuldigter [§ 11 StPO],
Angeklagter [§ 172 StPO], Verurteilter [§ 395 Abs. 1 Ziff. 3 StPO]) ändert,
behält der Geschädigte seine Parteibezeichnung von seinem Eintritt ins
Verfahren bis zu dessen Abschluss. Es entspricht daher üblichem
Sprachgebrauch, dass Untersuchungsbehörden, Gerichte und Anwälte schon dann
vom "Geschädigten" sprechen bzw. schreiben, wenn noch nicht feststeht, dass
der Angeklagte ein Delikt zu dessen Lasten beging. Bezirksanwalt Regenass
kann somit A.________ und B.________ bereits vor einer allfälligen
rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers als "Geschädigte"
bezeichnen, ohne dass daraus abgeleitet werden könnte, der Ausgang des
Verfahrens stehe für ihn bereits fest.

3.2 Der Beschwerdeführer stösst sich an der Art und Weise, wie Bezirksanwalt
Regenass die Einvernahme der beiden Geschädigten organisierte und legt in
weitschweifiger Weise dar, dass er den Polizeibeamten, der bei der Befragung
der Knaben mitwirken sollte, ungenügend und einseitig über den Fall
informiert habe und dass er festgelegt habe, dass er vor der Vertreterin der
Geschädigten Ergänzungsfragen stellen dürfe bzw. müsse, was für ihn ungünstig
sei.

Selbst wenn indessen die Vorbereitung und der vom Bezirksanwalt festgelegte
Ablauf der Zeugenbefragung in irgend einer Art und Weise zu beanstanden wären
- darüber wird allenfalls der Sachrichter zu befinden haben -, würde dies den
Bezirksanwalt nicht als befangen erscheinen lassen. Der Beschwerdeführer legt
nicht dar, und es ist auch nicht ersichtlich, dass diesem dabei ein besonders
schwerer Verfahrensfehler unterlief, der ihm nach der dargelegten
Rechtsprechung berechtigten Anlass geben könnte, dessen Unparteilichkeit
anzuzweifeln.

3.3 Bezirksanwalt Regenass hat dem Verteidiger des Beschwerdeführers auf
dessen wiederholtes Nachfragen nach dem Ablauf der Einvernahme der beiden
Geschädigten mit dem Satz "Das werden Sie dann sehen." geantwortet. Ausserdem
hat er das gegen ihn gerichtete Ausstandsbegehren, in welchem ihm der
Verteidiger vorwarf, befangen zu sein, weil er sich als "Verfahrenspartei"
bezeichnet hatte, als "hanebüchen" abgetan.

Es liegt in der Natur der Sache, dass es in einem langwierigen und mühseligen
Strafverfahren zwischen dem Verteidiger und dem Bezirksanwalt zu gewissen
Spannungen kommen kann, weshalb es nicht angeht, aus jeder allenfalls
ungeschickten oder emotionellen Formulierung des Untersuchungsrichters auf
dessen Befangenheit zu schliessen. Dies vor allem dann, wenn sich der
Verteidiger selber keineswegs auf professionelle Sachlichkeit beschränkte und
dem Bezirksanwalt durch sein Verhalten - etwa durch haltlose
Befangenheits-Vorwürfe - Anlass dazu gab. Dazu kommt, dass sich dessen
möglicherweise leicht ungehaltene Reaktion nicht gegen den Angeschuldigten
oder Angeklagten, sondern einzig an den Verteidiger selber richtet. Aus
diesen beiden Äusserungen lässt sich daher keineswegs schliessen,
Bezirksanwalt Regenass sei parteilich, es kann auf die zutreffenden
Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden.

4.
Die Rüge, die Justizdirektion habe Art. 29 Abs. 1 BV verletzt, indem sie den
Rekurs gegen die Ablehnung seines Ausstandsbegehrens durch die
Staatsanwaltschaft abgelehnt habe, ist offensichtlich unbegründet. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156
OG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt, welches
indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
2.1 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
abgewiesen.

2.2 Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft und der
Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 1. Juli 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: