Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.22/2004
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1P.22/2004 /gij

Urteil vom 5. Juli 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
Ersatzrichter Seiler,
Gerichtsschreiber Härri.

X.  ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans W. Stössel,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zug,
Aabachstrasse 1, Postfach 760, 6301 Zug,
Obergericht des Kantons Zug, Strafrechtliche Abteilung, Aabachstrasse 3,
Postfach 760, 6301 Zug.

Art. 5 Abs. 2, Art. 9 und Art. 29 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Vollzug von
aufgeschobenen Strafen),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zug, Strafrechtliche Abteilung, vom 18. November 2003.
Sachverhalt:

A.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 13. September 1991 verurteilte das
Strafgericht des Kantons Zug X.________ wegen verschiedener Delikte zu einer
unbedingten Gefängnisstrafe von 18 Monaten, unter Anrechnung der
Untersuchungshaft von 14 Tagen, und einer Busse von Fr. 200.--; zudem
widerrief es den mit Urteil des Einzelrichteramtes vom 15. Februar 1990
gewährten bedingten Vollzug einer zehntägigen Haftstrafe. Es schob den
Vollzug der beiden Freiheitsstrafen zugunsten einer ambulanten Behandlung
gemäss Art. 44 Ziff. 1 und 6 StGB auf und stellte den Verurteilten unter
Schutzaufsicht.

Mit Verfügung vom 1. März 2001 stellte das Amt für Straf- und
Massnahmenvollzug die ambulante Behandlung als gescheitert ein und beantragte
dem Strafgericht Zug, die aufgeschobene Strafe zu vollziehen. Mit Beschluss
vom 15. Februar 2002 ordnete das Strafgericht den Vollzug der aufgeschobenen
Strafe an. Auf Berufung von X.________ hin hob das Obergericht des Kantons
Zug am 25. Juni 2002 diesen Entscheid auf und schob den Vollzug der
Freiheitsstrafen zu Gunsten einer erneuten ambulanten Behandlung auf.
Mit Verfügung vom 31. Januar 2003 stellte das Amt für Straf- und
Massnahmenvollzug die ambulante Behandlung wegen Undurchführbarkeit ein und
beantragte dem Obergericht des Kantons Zug, die aufgeschobenen Strafen von 18
Monaten Gefängnis und 10 Tagen Haft zu vollziehen. Mit Beschluss vom 18.
Oktober 2003, zugestellt am 2. Dezember 2003, ordnete das Obergericht die mit
Urteil des Strafgerichts vom 13. September 1991 bzw. mit Beschluss des
Obergerichts vom 25. Juni 2002 aufgeschobene Strafe von 18 Monaten zum
Vollzug an unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 14 Tagen (Ziff. 1);
zudem ordnete es für die Dauer des Vollzugs eine ambulante Behandlung an
(Ziff. 2). Die Verfahrenskosten von Fr. 6'706.95 auferlegte es X.________
(Ziff. 4).

B.
X. ________ führt mit Eingabe vom 13. Januar 2004 staatsrechtliche
Beschwerde.
Er beantragt, Ziff. 1, 2 und 4 des Beschlusses des Obergerichts aufzuheben.
Zudem stellt er das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
sowie um aufschiebende Wirkung.

C.
Das Obergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die
Staatsanwaltschaft hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

D.
Mit Verfügung vom 5. Februar 2004 hat der Präsident der I.
öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde
aufschiebende Wirkung beigelegt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Der angefochtene Entscheid ist ein kantonal letztinstanzlicher
Endentscheid. Die staatsrechtliche Beschwerde ist zulässig, soweit kein
anderes bundesrechtliches Rechtsmittel zur Verfügung steht (Art. 84 Abs. 2
OG). Der angefochtene Entscheid stützt sich auf den für Massnahmen nach Art.
44 StGB analog anwendbaren Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und 3 StGB (vgl. BGE 117 IV
398). Der Beschwerdeführer beanstandet jedoch nicht eine Verletzung
eidgenössischen Rechts, was mit Nichtigkeitsbeschwerde zu rügen wäre (Art.
269 Abs. 1 BStP), sondern einzig eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte.
Dies kann nicht mit Nichtigkeitsbeschwerde, sondern nur mit staatsrechtlicher
Beschwerde gerügt werden (Art. 269 Abs. 2 BStP; BGE 124 I 139 E. 2a; Urteil
6P.73/2003 und 6S.194/2003 vom 15. Dezember 2003, E. 4.1). Der
Beschwerdeführer ist zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (Art. 88
OG). Die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 34 Abs. 1 lit. c und Art. 89
Abs. 1 OG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

1.2  Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde können grundsätzlich keine
rechtlichen Argumente vorgebracht werden, welche nicht bereits im kantonalen
Verfahren geltend gemacht worden sind. Erlaubt sind nur solche neuen
Vorbringen, zu deren Geltendmachung erst die Begründung des angefochtenen
Entscheides Anlass gibt, sowie Gesichtspunkte, die sich derart aufdrängen,
dass sie von der kantonalen Instanz von Amtes wegen hätten berücksichtigt
werden müssen (BGE 129 I 49 E. 3, mit Hinweisen).

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Beschleunigungsgebots gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 1 BV. Im kantonalen Verfahren hat er
sich auf Art. 6 EMRK und Art. 9 BV berufen. Das Obergericht hat ausgeführt,
es könnte sich dabei um einen Irrtum handeln, indem sich der Beschwerdeführer
auf Art. 29 BV berufen wolle. Dies dürfte wohl zutreffen, so dass die Rüge
der Verletzung von Art. 29 BV kein neues rechtliches Vorbringen ist. Zudem
werden neue rechtliche Vorbringen auch zugelassen, wenn die letzte kantonale
Instanz volle Überprüfungsbefugnis besass und das Recht von Amtes wegen
anzuwenden hatte (BGE 128 I 354 E. 6c), was namentlich Rügen betrifft, die
sich auf ein faires Verfahren beziehen (BGE 119 Ia 88 E. 1a). Da das
Obergericht beim Entscheid über den nachträglichen Vollzug einer Strafe alle
Mängel des Verfahrens beurteilt und dabei nach freiem Ermessen entscheidet
und weder an die Anträge des Staatsanwalts noch an das Urteil der ersten
Instanz gebunden ist (§ 70 Abs. 3 und § 75 Abs. 2 der zugerischen
Strafprozessordnung vom 3. Oktober 1940), hatte es das Beschleunigungsgebot
von Amtes wegen anzuwenden. Die Rüge, Art. 29 BV sei verletzt, ist daher
zulässig.

2.
Der Beschwerdeführer erachtet das Beschleunigungsgebot als verletzt, weil der
Vollzug der Strafe erst rund 12 Jahre nach dem Strafurteil angeordnet worden
sei.

2.1  Das Obergericht hat ausgeführt (E. 3b/bb des angefochtenen Entscheids),
Art. 6 Ziff. 1 EMRK sei für das Strafverfahren anwendbar, in welchem über die
Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage entschieden werde, nicht aber
für die Durchführung und Überwachung der ambulanten Massnahme. Da der
Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK demjenigen von Art. 29 Abs. 1 BV
entspreche, könne auch bezüglich dieser Bestimmung auf das zur EMRK Gesagte
verwiesen werden (E. 3b/dd). Der Beschwerdeführer ist demgegenüber der
Ansicht, das Beschleunigungsgebot gelte auch für den Vollzug der Strafe.

2.2  Art. 6 Ziff. 1 EMRK gilt für strafrechtliche Anklagen. Nach Lehre und
Rechtsprechung erstreckt sich der Anwendungsbereich dieser Bestimmung auf das
gesamte Strafverfahren bis zum endgültigen Strafurteil (BGE 117 IV 124 E. 3;
Urteil 1P.338/2000 vom 23. Oktober 2000, E. 4b, publiziert in Pra 2001 Nr. 3
S. 12 E. 4b, mit Hinweisen; Arthur Haefliger/Frank Schürmann, Die europäische
Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2. Aufl., Bern 1999, S. 200 mit
Hinweis), nicht hingegen auf den Strafvollzug, weil dabei nicht über eine
strafrechtliche Anklage entschieden wird. Deshalb fallen nach der
Rechtsprechung Entscheide über den Strafaufschub, die bedingte Entlassung
oder den Widerruf wegen erneuter Straffälligkeit nicht unter den
Geltungsbereich von Art. 6 EMRK (Frowein/Peukert, Europäische
Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 1996, S. 194; Miehsler/Vogler, Int.
Kommentar zur EMRK, 1986, Rz. 182 f. und 218 f. zu Art. 6; Mark E. Villiger,
Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. Zürich 1999, S.
255). Anwendbar kann Art. 6 EMRK sein für Disziplinarstrafen im Rahmen des
Strafvollzugs, da es sich dabei um selbständige, vom ursprünglichen Urteil
unabhängige Sanktionen handelt (Übersicht über die Rechtsprechung in BGE 125
I 104 E. 2; Miehsler/Vogler, a.a.O., Rz. 231 zu Art. 6). Im Urteil des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Sachen Ezeh und Connors
gegen Vereinigtes Königreich vom 9. Oktober 2003 (Ziff. 120-130) wurde Art. 6
EMRK auch angewendet auf eine aus disziplinarischen Gründen im Rahmen des
Strafvollzugs ausgesprochene Sanktion, die darin bestand, dass die sonst
mögliche vorzeitige Entlassung hinausgezögert wurde. Der Gerichtshof erwog,
der Umstand, dass die zu erstehende Strafe diejenige sei, die im
ursprünglichen Urteil angeordnet wurde, hindere die Anwendbarkeit von Art. 6
EMRK nicht, wenn die ausgesprochene Sanktion sich faktisch in einem
zusätzlichen Freiheitsentzug auswirke.

2.3  Ob die hier streitige nachträgliche Anordnung des Strafvollzugs im
Lichte
dieser Erwägungen unter Art. 6 EMRK fällt, kann offen bleiben, denn sie fällt
so oder anders unter Art. 29 Abs. 1 BV. Diese Bestimmung ist zwar in Bezug
auf die angemessene Verfahrensdauer nach den gleichen Grundsätzen auszulegen
wie Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Reinhold Hotz, St.Galler Kommentar zur BV, 2002, Rz.
15 zu Art. 29). Indessen ist ihr Geltungsbereich weiter als derjenige von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK, indem er nicht bloss Streitigkeiten über zivilrechtliche
Ansprüche und strafrechtliche Anklagen umfasst, sondern sämtliche Verfahren
vor Gerichts- und Verwaltungsbehörden (Jörg Paul Müller, Grundrechte in der
Schweiz, 3. Aufl. Bern 1999, S. 504; René Rhinow, Grundzüge des
Schweizerischen Verfassungsrechts, 2003, S. 481), somit auch Verfahren im
Rahmen des Strafvollzugs (vgl. zur Anwendbarkeit von Art. 29 Abs. 3 BV im
Rahmen des Straf- und Massnahmenvollzugs BGE 128 I 225 E. 2.3.). Entgegen der
Auffassung des Obergerichts kann somit die Prüfung im Lichte des
Beschleunigungsgebots nicht schon unterbleiben, weil Art. 6 EMRK (allenfalls)
nicht anwendbar ist, da jedenfalls Art. 29 Abs. 1 BV anwendbar ist und sich
die materielle Prüfung nicht unterscheidet.

3.
3.1 Die grundsätzliche Anwendbarkeit des Beschleunigungsgebots auch auf den
Strafvollzug bedeutet nun allerdings nicht, dass dafür unbesehen die gleichen
Fristen gelten wie für die Strafverfolgung. Die Beurteilung der angemessenen
Verfahrensdauer entzieht sich starren Regeln; es ist vielmehr in jedem
Einzelfall zu prüfen, ob sich die Dauer unter den konkreten Umständen als
angemessen erweist; es kann dafür keine allgemein gültige Frist festgelegt
werden. Im Rahmen des Strafverfahrens bilden Kriterien für die Angemessenheit
der Verfahrensdauer etwa die Schwere des Tatvorwurfs, die Komplexität des
Sachverhaltes, die dadurch gebotenen Untersuchungshandlungen, das Verhalten
des Beschuldigten und dasjenige der Behörden (z.B. unnötige Massnahmen oder
Liegenlassen des Falles) sowie die Zumutbarkeit für den Angeschuldigten (BGE
124 I 139 E. 2c S. 142; Haefliger/ Schürmann, a.a.O., S. 201; Robert
Hauser/Erhard Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 5. Aufl., Basel
2002, § 58 N 6, mit zahlreichen Hinweisen).

3.2  Diese Kriterien können nicht unbesehen auf den Strafvollzug angewendet
werden: Einerseits gilt zwar das generelle Anliegen, dass
Rechtsangelegenheiten nicht übermässig lange hinausgezögert werden sollen,
auch für den Strafvollzug. Dem Strafurteil soll wirksam und rasch Nachachtung
verschafft werden. Der Verurteilte soll nicht für etwas büssen, was weit
zurück liegt, sondern einmal mit seiner Vergangenheit zum Abschluss kommen
(Reto Andrea Surber, Das Recht der Strafvollstreckung, Zürich 1998, S. 227,
245, 250, 316).

Andererseits müssen aber nach rechtsstaatlichen Grundsätzen rechtskräftige
Urteile vollstreckt werden. Dies gilt insbesondere für Strafurteile (Art. 374
StGB). Ein Urteil nicht zu vollstrecken, ist gesetzwidrig und willkürlich
(BGE 108 Ia 69 E. 2a; Pra 1996 Nr. 175 S. 643 E. 2; Urteil 1P.597/2002 vom 7.
Januar 2003, E. 2.4). Aus Respekt vor seiner Rechtsgültigkeit soll ein Urteil
auch dann noch vollstreckt werden, wenn seither eine gewisse Zeitspanne
verstrichen ist, weil sonst die Sicherheit der Rechtsordnung und die
Glaubwürdigkeit der Justiz auf dem Spiel stehen.

Zwischen diesen beiden gegensätzlichen Anliegen hat der Gesetzgeber eine
Abwägung getroffen, indem er eine Vollstreckungsverjährung festgelegt hat
(Art. 73 ff. StGB). Das Gesetz geht davon aus, dass eine rechtskräftige
Strafe bis zum Ablauf dieser Dauer vollstreckt werden kann. Das
Beschleunigungsgebot ist nicht deshalb schon verletzt, weil eine Strafe erst
kurz vor dem Ende der Vollstreckungsverjährung vollzogen wird.

3.3  Nach der Rechtsprechung kann zwar im Rahmen der Strafverfolgung das
Beschleunigungsgebot auch dann verletzt sein, wenn die Verfolgungsverjährung
noch nicht abgelaufen ist. Dies kann zur Konsequenz haben, dass (auch
abgesehen von einer Strafmilderung gemäss Art. 64 StGB) eine Strafe zu
reduzieren oder in Extremfällen sogar ein Verfahren einzustellen ist, auch
wenn die Verjährung noch nicht eingetreten ist (BGE 122 IV 103 E. I.4 S. 111,
119 Ib 311 E. 5 S. 323, 117 IV 124 E. 4d und e; Urteil 6P.86/1998 vom
4.12.1998, E. 4e). Dies kann aber nicht gleichermassen für den Strafvollzug
gelten: Das Beschleunigungsgebot soll im Strafverfahren insbesondere
verhindern, dass der Angeschuldigte unnötig lange Zeit über die gegen ihn
erhobenen Vorwürfe im Ungewissen belassen und den Belastungen eines
Strafverfahrens ausgesetzt wird (BGE 124 I 139 E. 2a). Diese Überlegung gilt
grundsätzlich im Rahmen des Strafvollzugs nicht: Der Verurteilte weiss, dass
er die Strafe verbüssen muss. Insoweit besteht keine belastende Ungewissheit
mehr. Dass Urteile zu vollstrecken sind, muss dem Verurteilten klar sein. Aus
diesem Grund gelten für den Strafvollzug auch in anderer Hinsicht strengere
Grundsätze als etwa für eine Untersuchungs- oder Sicherungshaft (BGE 108 Ia
69 E. 3).

3.4  Anders kann es sich verhalten, wenn der Vollzug der Strafe noch ungewiss
ist, weil - wie im vorliegenden Fall - mit Rücksicht auf eine angeordnete
Behandlung die Strafe aufgeschoben wird, was bedeutet, dass auf deren
Vollstreckung allenfalls auch verzichtet werden kann (Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2
StGB). Zusätzlich ist für den Vollzug aufgeschobener Strafen zu
berücksichtigen, dass die Vollstreckungsverjährung erst mit der Anordnung des
Strafvollzugs zu laufen beginnt (Art. 74 StGB; BGE 129 II 56, nicht publ. E.
3.4 ; Surber, a.a.O., S. 97). Wenn wie hier der Strafvollzug zugunsten einer
ambulanten Behandlung aufgeschoben worden ist, hat diese gesetzliche Regelung
zur Folge, dass eine Strafe theoretisch zeitlich unbegrenzt angeordnet werden
könnte. Gerade in solchen Fällen kann das Beschleunigungsgebot seine
Bedeutung haben. Wird eine ambulante Behandlung infolge eines behördlichen
Fehlverhaltens während vieler Jahre nicht durchgeführt, so wäre es stossend,
nach Jahr und Tag eine aufgeschobene Strafe noch anzuordnen, die, wäre sie
nicht aufgeschoben worden, schon lange verjährt wäre.

Umgekehrt soll aber der Verurteilte auch nicht davon profitieren können, dass
die Strafe zugunsten einer ambulanten Behandlung aufgeschoben worden ist.
Wird der Vollzug noch innerhalb derjenigen Verjährungsfrist angeordnet, die
gelten würde, wenn kein Strafaufschub angeordnet worden wäre, wird in der
Regel keine Verletzung des Beschleunigungsgebots anzunehmen sein. Denn dieses
wäre auch nicht verletzt, wenn gar kein Aufschub angeordnet worden wäre
(vorne E. 3.2). Unzumutbar lange könnte allenfalls die Dauer einzelner
Verfahrensschritte im Rahmen der Vollzugsanordnung sein.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer beanstandet mit Recht nicht, dass die einzelnen
Verfahrensschritte, die zur Anordnung des Vollzugs geführt haben, namentlich
das Verfahren vor Obergericht, zu lange gedauert hätten. Er macht aber
geltend, der gesamte Zeitraum zwischen den von ihm begangenen Delikten und
der Anordnung des Vollzugs sei zu lange. Der Hauptharst der ihm vorgeworfenen
Delikte falle in den Zeitraum 1984-1986, weitere Delikte in die Zeit zwischen
1989 und 1990. Die strafgerichtliche Hauptverhandlung habe am 13. September
1991 stattgefunden, die schriftliche Urteilsbegründung sei erst am 7.
September 1993 zugestellt worden. Danach hätten die Behörden kaum etwas
unternommen, um die angeordnete ambulante Therapie durchzuführen. Nur von
Juni bis August 1994 habe eine gewisse Betreuungstätigkeit stattgefunden, ab
1996 sei die Verbindung zwischen dem Beschwerdeführer und dem
Schutzaufsichtsamt abgebrochen. Erst im Jahre 2000 sei er von den
Vollzugsbehörden mehr oder weniger zufällig wieder entdeckt worden.
Angesichts dieser krassen Verletzung des Beschleunigungsgebots bestehe kein
Anspruch mehr auf Vollzug der ausgefällten Freiheitsstrafe.

4.2  Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die relative
Vollstreckungsverjährung von zehn Jahren (Art. 73 Ziff. 1 StGB) mit dem
Vollzugsantrag des Amtes für Straf- und Massnahmenvollzug vom 1. März 2001
unterbrochen wurde (Art. 75 Ziff. 2 Satz 1 StGB) und die absolute Verjährung
noch nicht eingetreten ist (Art. 75 Ziff. 2 letzter Satz StGB). Wäre die
Strafe nicht aufgeschoben worden, so könnte dem Vollzug keine Verjährung
entgegengehalten werden. Die Tatsache, dass die Strafe zugunsten einer
Massnahme aufgeschoben wurde, kann nun nicht ohne weiteres zur Folge haben,
dass die relativ lange Dauer zwischen Strafurteil und Anordnung des
Strafvollzugs als verfassungswidrig zu betrachten wäre (vorne E. 3.4).
Höchstens bei einem besonderen Fehlverhalten der Behörde könnte allenfalls
eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Betracht fallen.

4.3  Das Obergericht hat mit seinem Urteil vom 25. Juni 2002, mit welchem es
die erste Vollzugsanordnung aufhob, selber ausgeführt, im vorliegenden Fall
schienen weder die konkrete Durchführung der ambulanten Therapie noch die
Schutzaufsicht funktioniert zu haben. Mit der angeordneten Massnahme sei im
Grunde gar nicht richtig begonnen worden. Unter Berücksichtigung dieser
unglücklichen Umstände wäre es unverhältnismässig, die ausgesprochene Strafe
zu vollziehen, ohne dem Beschwerdeführer einen allerletzten Versuch zu
gewähren. Dies stelle die allerletzte Möglichkeit dar, den Vollzug der
ausgesprochenen Strafe abzuwenden. Das Gesetz sei damit bis an seine Grenzen
ausgereizt. Der Beschwerdeführer müsse sich im Klaren sein, dass der Erfolg
der ambulanten Massnahme in erster Linie von seinem Verhalten abhänge; es
ergehe der Appell an ihn, diese letzte Chance ernsthaft wahrzunehmen.

Im jetzt angefochtenen Beschluss vom 18. November 2003 führt das Obergericht
(E. 2b S. 6) aus, die ambulante Behandlung sei nun letztlich und massgeblich
am Verhalten des Beschwerdeführers gescheitert. Die Verteidigung bestreite
dies denn auch nicht.

4.4  Der Beschwerdeführer rügt diese zuletzt zitierte Darstellung als
aktenwidrig und willkürlich: In der Vernehmlassung vom 30. Mai 2003, S. 15
ff. (recte: S. 11 ff.), sei klar hervorgehoben worden, dass nicht der
Beschwerdeführer, sondern die mit dem Vollzug der Massnahme betrauten
Instanzen versagt hätten. - An der zitierten Stelle der Vernehmlassung hatte
der Beschwerdeführer kritisiert, dass zwischen dem Strafurteil von 1991 und
der Wiederaufnahme der Betreuung im Jahre 2000 kaum eine Behandlung oder
Betreuung stattgefunden habe, obwohl dies Aufgabe der Schutzaufsicht gewesen
wäre. Die beanstandete Aussage des Obergerichts bezog sich indessen nicht auf
den Zeitraum zwischen 1991 und 2000, sondern - wie aus dem Zusammenhang mit
der vorangehenden Erwägung 2a hervorgeht - auf die Zeit zwischen 2000 und
2003: Das Obergericht führte dort aus, die Schutzaufsicht habe im Herbst 2000
intensiv die Wiederaufnahme der ambulanten Behandlung in die Wege geleitet,
was am unkooperativen Verhalten des Beschwerdeführers gescheitert sei. Das
Obergericht habe dann (am 25. Juni 2002) den Vollzug der Strafe zugunsten
einer erneuten ambulanten Behandlung noch einmal aufgeschoben, wobei es den
Beschwerdeführer nachdrücklich ermahnt habe, diese letzte Chance ernsthaft
wahrzunehmen. Trotzdem habe der Beschwerdeführer die vereinbarten Termine
beim Psychologen nicht oder verspätet wahrgenommen und sei trotz Ermahnungen
auch der Weisung zur Abgabe einer wöchentlichen Urinprobe nur unvollständig
nachgekommen. Sämtliche vier Urinproben seien bezüglich Heroin bzw. Cannabis
positiv ausgefallen.
All diese Aspekte wurden tatsächlich von der Verteidigung weder in der
Vernehmlassung vom 30. Mai 2003 noch anlässlich der Verhandlung vom 18.
November 2003 (Protokoll der Verhandlung, S. 25) bestritten; die Verteidigung
konzentrierte sich darauf, die lange Dauer seit dem Strafurteil bzw. den
Straftaten zu kritisieren. Die beanstandete Aussage des Obergerichts ist
somit nicht willkürlich, sondern im Gegenteil durch die Akten bestätigt.

4.5  Die Begründung des Obergerichts erweist sich aber auch materiell als
verfassungskonform: Das Obergericht hat nämlich in seinem ersten Entscheid
vom 25. Juni 2002 der damals nicht unbegründeten Kritik des Beschwerdeführers
Rechnung getragen und mit Rücksicht darauf, dass die 1991 angeordnete
Behandlung und Schutzaufsicht während Jahren nie richtig funktioniert haben,
auf eine Anordnung des Strafvollzugs verzichtet. Insoweit hat es der Rüge des
Beschwerdeführers im Ergebnis Rechnung getragen. Es hat diesem indessen klar
gemacht, dass dies für ihn eine letzte Chance darstelle. In der Folge ist
seitens der Behörden ohne weitere Verzögerung das Notwendige und Zumutbare
vorgekehrt worden, um dem Beschwerdeführer zu ermöglichen, diese Chance
wahrzunehmen. In dieser Phase kann jedenfalls von einer Vernachlässigung
behördlicher Pflichten keine Rede sein. Der Beschwerdeführer behauptet dies
auch nicht. Im jetzt angefochtenen Entscheid hat das Obergericht auf das
Verhalten des Beschwerdeführers in dieser letzten Phase abgestellt. Hätte der
Beschwerdeführer die ihm im Urteil vom 25. Juni 2002 eingeräumte Chance
genutzt, wäre der Vollzug der Strafe nicht angeordnet worden. Kausal für die
(nachträgliche) Anordnung des Strafvollzugs war somit nicht der
unbestrittenerweise unbefriedigende Verlauf der angeordneten Therapie in den
90er Jahren, sondern das eigene Verhalten des Beschwerdeführers in der Zeit
nach dem Urteil vom 25. Juni 2002. Unter diesen Umständen ist das
Beschleunigungsgebot nicht verletzt.

5.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen. Der Beschwerdeführer wird
damit grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Er ersucht jedoch
um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Seine Bedürftigkeit ist
aktenmässig ausgewiesen. Angesichts der nicht ganz geklärten Rechtsprechung
zur Anwendung von Art. 6 EMRK im Rahmen des Strafvollzugs kann auch nicht
gesagt werden, dass die Beschwerde von vornherein aussichtslos gewesen wäre.
Dem Beschwerdeführer ist daher die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren
und seinem Anwalt aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar auszurichten (Art.
152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

2.1  Es werden keine Kosten erhoben.

2.2  Rechtsanwalt Hans W. Stössel, wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand
ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse
mit einem Honorar von Fr. 2'000.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Zug, Strafrechtliche Abteilung, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 5. Juli 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: