Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.225/2004
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1P.225/2004 /bmt

Urteil vom 23. April 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Féraud,
Gerichtsschreiber Pfäffli.

S.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Matthias Miescher,

gegen

K.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Clivia Wullimann,
Untersuchungsrichteramt des Kantons Solothurn, Prisongasse 1, 4502 Solothurn,
Obergericht des Kantons Solothurn, Anklagekammer, Amthaus 1, 4502 Solothurn.

Einstellungsverfügung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Solothurn, Anklagekammer, vom 12. März 2004.
Sachverhalt:

A.
S. ________ stellte am 21. Oktober 2003 Strafantrag gegen seine Ehefrau
K.________ wegen Verdachts der Verleumdung evtl. der üblen Nachrede. Die
Beschuldigte machte die beanstandeten Äusserungen im Rahmen einer von der
Fremdenpolizei angeforderten Stellungnahme im Verfahren zur Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung des von ihr getrennt lebenden Ehegatten. Der
Untersuchungsrichter des Kantons Solothurn stellte mit Verfügung vom 24.
November 2003 das Ermittlungsverfahren mit der Begründung ein, die von der
Beschuldigten gemachten Äusserungen seien durch das Gesetz geboten gewesen
und somit nicht strafbar. Dagegen erhob S.________ Beschwerde. Die
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn wies mit Entscheid vom
12. März 2004 die Beschwerde ab, verweigerte dem Beschwerdeführer die
unentgeltliche Rechtspflege unter Beiordnung eines unentgeltlichen
Rechtsbeistandes und auferlegte ihm die obergerichtlichen Verfahrenskosten
von Fr. 500.-- sowie eine Parteientschädigung an die Beschuldigte von Fr.
300.--.

B.
Gegen diesen Entscheid der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons
Solothurn erhob S.________ mit Eingabe vom 14. April 2004 staatsrechtliche
Beschwerde.

Das Bundesgericht verzichtet auf die Einholung von Vernehmlassungen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde setzt die
persönliche Betroffenheit des Beschwerdeführers in eigenen rechtlich
geschützten Positionen voraus (Art. 88 OG).

Nach der Praxis des Bundesgerichts ist der durch eine angeblich strafbare
Handlung Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die Einstellung
eines Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil staatsrechtliche
Beschwerde zu erheben. Der Geschädigte hat an der Verfolgung und Bestrafung
des Täters nur ein tatsächliches oder mittelbares Interesse im Sinne der
Rechtsprechung zu Art. 88 OG. Der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren
geht, steht ausschliesslich dem Staat zu, und zwar unabhängig davon, ob der
Geschädigte als Privatstrafkläger auftritt oder die eingeklagte Handlung auf
seinen Antrag hin verfolgt wird. Unbekümmert um die fehlende Legitimation in
der Sache selbst ist der Geschädigte aber befugt, mit staatsrechtlicher
Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten geltend zu machen, deren
Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG
erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus
einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren
teilzunehmen. Ist der Beschwerdeführer in diesem Sinne nach kantonalem Recht
Partei, kann er die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem
kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung
zustehen (BGE 128 I 218 E. 1.1). Er kann beispielsweise geltend machen, auf
ein Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, er sei nicht
angehört worden, habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu stellen,
oder er habe nicht Akteneinsicht nehmen können. Hingegen kann er weder die
Würdigung der beantragten Beweise noch die Tatsache rügen, dass seine Anträge
wegen Unerheblichkeit oder aufgrund antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt
wurden. Die Beurteilung dieser Fragen kann von der Prüfung der materiellen
Sache nicht getrennt werden. Auf eine solche hat der in der Sache selbst
nicht Legitimierte jedoch keinen Anspruch (BGE 120 Ia 157 E. 2a/bb mit
Hinweisen).

1.2 Etwas anderes gilt für das Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG. Gemäss
Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG kann das Opfer den Entscheid eines Gerichts
verlangen, wenn das Verfahren eingestellt wird. Es kann nach Art. 8 Abs. 1
lit. c OHG den betreffenden Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln
anfechten wie der Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren
beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder
sich auf deren Beurteilung auswirken kann. Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG geht Art.
88 OG als "lex specialis" vor. Die Legitimation des Opfers zur
staatsrechtlichen Beschwerde ist insoweit auf materiellrechtliche Fragen
erweitert (BGE 128 I 218 E. 1.1 mit Hinweisen).

1.3 Gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG ist Opfer, wer durch eine Straftat in  seiner
körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar
beeinträchtigt worden ist, unabhängig davon, ob der Täter ermittelt worden
ist und ob er sich schuldhaft verhalten hat. Nach der Rechtsprechung muss die
Beeinträchtigung von einem gewissen Gewicht sein. Bagatelldelikte wie z.B.
Tätlichkeiten, die nur unerhebliche Beeinträchtigungen bewirken, sind daher
vom Anwendungsbereich des Opferhilfegesetzes grundsätzlich ausgenommen.
Entscheidend ist jedoch nicht die Schwere der Straftat, sondern der Grad der
Betroffenheit der geschädigten Person. So kann etwa eine Tätlichkeit die
Opferstellung begründen, wenn sie zu einer nicht unerheblichen psychischen
Beeinträchtigung führt. Umgekehrt ist es denkbar, dass eine im Sinne des
Opferhilfegesetzes unerhebliche  Beeinträchtigung der körperlichen und
psychischen Integrität angenommen wird, obwohl der Eingriff strafrechtlich
als leichte Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) zu beurteilen
ist. Entscheidend ist, ob die Beeinträchtigung des Geschädigten in seiner
körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität das legitime Bedürfnis
begründet, die Hilfsangebote und die Schutzrechte des Opferhilfegesetzes -
ganz oder zumindest teilweise - in Anspruch zu nehmen (BGE 125 II 265 E.
2a/aa mit Hinweisen).

Nach der Botschaft vom 25. April 1990 zum Opferhilfegesetz sind von
einer Ehrverletzung Betroffene nicht Opfer im Sinne von Art. 2 OHG (BBl 1990
II S. 977 f.). Wie das Bundesgericht in BGE 120 Ia 157 erwog, kann fraglich
erscheinen, ob dies auch in aussergewöhnlich schweren Fällen von
Ehrverletzungen zu gelten hat. Es hat die Frage in jenem Entscheid offen
gelassen (E. 2d/aa S. 162). Die Frage kann auch vorliegend offen bleiben, da
der Beschwerdeführer nicht geltend macht, durch die beanstandeten Äusserungen
in seiner psychischen Integrität beeinträchtigt worden zu sein. Selbst wenn
man insoweit eine Beeinträchtigung annehmen wollte, so erreicht sie
jedenfalls nicht das Mass, das für die Bejahung der Opfereigenschaft
erforderlich ist. Der Beschwerdeführer ist daher nicht Opfer im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 OHG.

1.4 Somit kann dem Beschwerdeführer keine gegenüber der Praxis zu Art. 88 OG
erweiterte Legitimation zuerkannt werden. Auf die Beschwerde in der Sache
selbst ist daher nicht einzutreten, soweit die Beweiswürdigung der kantonalen
Behörden beanstandet wird. Der Beschwerdeführer kann einzig die Verletzung
von Verfahrensvorschriften geltend machen, deren Missachtung eine formelle
Rechtsverweigerung darstellt. Solche Rügen (Art. 29 BV) erhebt er jedoch
nicht in einer den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
genügenden Form. Seine entsprechenden Vorbringen betreffen im Wesentlichen
die Sache selber. Soweit sich die Eingabe des Beschwerdeführers gegen den
Entscheid in der Sache selbst richtet, ist deshalb nicht darauf einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer beanstandet weiter die Verweigerung der unentgeltlichen
Rechtspflege. In dieser Hinsicht greift der angefochtene Entscheid in
rechtlich geschützte Interessen des Beschwerdeführers ein, welcher deshalb
insoweit legitimiert ist, staatsrechtliche Beschwerde zu erheben. Allerdings
bleibt die verfassungsrechtliche Kontrolle auf die unentgeltliche
Rechtspflege als solche beschränkt und kann nicht dazu führen, dass indirekt
auch der Entscheid in der Sache überprüft wird. Es fragt sich demnach
vorliegend einzig, ob die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege aus
Gründen verfassungswidrig ist, die nicht mit dem Entscheid der Anklagekammer
in der Sache in Zusammenhang stehen (vgl. BGE 129 II 297 E. 2.2).
2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 9 und 29 BV. Die
Anklagekammer wäre verpflichtet gewesen, über die unentgeltliche Rechtspflege
vorweg in einem selbständig anfechtbaren Zwischenentscheid und nicht erst im
Entscheid in der Sache selbst zu befinden.

Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege ergibt sich, soweit das
kantonale Recht keine weitergehenden Ansprüche gewährt, als Minimalgarantie
aus Art. 29 Abs. 3 BV. Nach dieser Verfassungsbestimmung hat jede Person, die
nicht über die erforderlichen Mitteln verfügt, Anspruch auf unentgeltliche
Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es
zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf
unentgeltlichen Rechtsbeistand. Mit dem verfassungsmässigen Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege soll verhindert werden, dass dem bedürftigen
Rechtsuchenden der Zugang zu Gerichts- und Verwaltungsinstanzen in nicht von
vornherein aussichtslosen Verfahren wegen seiner wirtschaftlichen
Verhältnisse verwehrt oder erschwert wird. Dieses Recht gewährleistet der
bedürftigen Person, dass die entsprechende Gerichts- oder Verwaltungsinstanz
ohne vorherige Hinterlegung oder Sicherstellung von Kosten tätig wird.
Indessen folgt aus Art. 29 Abs. 3 BV kein Anspruch der bedürftigen Person,
dass ihr bereits zu Beginn des Verfahrens über die Befreiung von
Kostenvorschüssen hinaus die unentgeltliche Rechtspflege zugesichert wird.
Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass die Anklagekammer von ihm
einen Vorschuss für das Beschwerdeverfahren verlangt hätte. Ihm wurde
folglich der Zugang zum Gericht nicht verwehrt. Somit ist die Beschwerde in
diesem Punkt als offensichtlich unbegründet abzuweisen.

2.2 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Anklagekammer habe die
Begründungspflicht verletzt, indem sie zwar erläutert habe, weshalb die
Beschwerde abzuweisen sei, es aber versäumt habe, die angebliche
Aussichtslosigkeit zu begründen. Die Rüge geht fehl. Die Anklagekammer
erachtete die verfolgten Rechtsansprüche von Anfang an als aussichtslos,
weshalb sie die Voraussetzungen zur Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege verneinte. Mit Blick auf die von der Anklagekammer in der Sache
selbst gemachten Ausführungen waren ihre Darlegungen zur Verweigerung der
unentgeltlichen Rechtspflege genügend klar, so dass der Beschwerdeführer den
Entscheid in diesem Punkt in voller Kenntnis der Sache anfechten konnte. Die
Beschwerde ist daher auch insoweit abzuweisen.

2.3 Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, dass die Anklagekammer seine
Beschwerde von Anfang an als aussichtslos beurteilte, laufen die Vorbringen
auf eine Überprüfung der Sache selbst hinaus. Darauf kann nach dem bereits
Ausgeführten nicht eingetreten werden.

3.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen
ist, soweit darauf eingetreten werden kann.

Angesichts der offensichtlichen Aussichtslosigkeit der vorliegenden
Beschwerde kann dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege unter Beiordnung
eines Rechtsbeistandes nicht entsprochen werden. Dem Ausgang des Verfahrens
entsprechend sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr
wird seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung getragen.
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Untersuchungsrichteramt und dem
Obergericht des Kantons Solothurn, Anklagekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. April 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: