Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.165/2004
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1P.165/2004 /gij

Urteil vom 14. September 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Féraud,
Gerichtsschreiber Pfisterer.

Evangelische Kirchgemeinde Zizers, 7205 Zizers,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Andrin Perl,

gegen

Baugesellschaft "Am Schlossweg", bestehend aus:,
1.X.________,
2.Y.________,
Beschwerdegegner, beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian Schreiber,
Gemeinde Zizers, 7205 Zizers, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Reto Marugg,
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 4. Kammer, Obere Plessurstrasse 1,
7001 Chur.

Art. 9 und 29 Abs. 2 BV (Baueinsprache),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden, 4. Kammer, vom 11. Dezember 2003.

Sachverhalt:

A.
Die Baugesellschaft "Am Schlossweg", bestehend aus X.________ und Y.________
(nachfolgend Baugesellschaft), reichte am 5. Dezember 2000 ein Baugesuch für
die Erstellung von zwei Mehrfamilienhäusern A + B mit Einstellhalle auf der
in der Gemeinde Zizers gelegenen Parzelle Nr. 1548 ein. Die Gemeinde Zizers
(nachfolgend Gemeinde) wies das Baugesuch am 25. April 2001 ohne vorherige
Publikation und Auflage ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
hiess den von der Baugesellschaft dagegen erhobenen Rekurs am 27. November
2001 gut und wies die Sache zur öffentlichen Auflage und Publikation sowie
anschliessender materieller Behandlung im Sinne der Erwägungen an die
Gemeinde zurück. Das Gericht stellte in diesem Urteil unter anderem fest, die
Gebäude- und Firsthöhen der beiden geplanten Mehrfamilienhäuser richteten
sich im Sinne von Art. 45 Abs. 3 des Baugesetzes der Gemeinde Zizers vom 18.
Juni 2000 (BG) nach den Massen der umliegenden Bauten und seien daher
gesetzeskonform. Die Evangelische Kirchgemeinde Zizers (nachfolgend
Kirchgemeinde) war an diesem Verfahren nicht beteiligt.

B.
Am 8. März 2002 wurden die Baugesuche für den Neubau der beiden
Mehrfamilienhäuser A + B im Bezirksamtsblatt publiziert. Innert Frist erhob
unter anderem die Kirchgemeinde Einsprache. Sie machte insbesondere geltend,
die Bauvorhaben verletzten die Vorschriften über die Gebäudehöhe sowie über
die Gebäude- und Grenzabstände. Zudem werde das Ortsbild beeinträchtigt. Zur
Unterstützung ihrer Ansicht reichte die Kirchgemeinde eine Stellungnahme der
kantonalen Denkmalpflege vom 19. April 2002 ein.

Die Baugesellschaft reichte am 24. April 2003 ein abgeändertes Projekt für
die Erschliessung der beiden Bauten nach. Die Projektänderung wurde am 9. Mai
2003 amtlich publiziert. Dagegen gingen keine Einsprachen ein.

Die Gemeinde hiess die Einsprache der Kirchgemeinde am 26. Juni 2003
teilweise gut, soweit sie darauf eintrat und diese nicht gegenstandslos
geworden war. Auf das Argument der Verletzung der Bestimmungen über den
Ortsbildschutz trat sie nicht ein. Sie führte zudem aus, das
Verwaltungsgericht habe im Urteil vom 27. November 2001 festgestellt, die
beiden Bauvorhaben hielten die in der Kernzone geltenden Bauvorschriften
gemäss Art. 45 BG ein. Die Gemeinde erteilte daraufhin der Baugesellschaft
die Baubewilligung.

C.
Die Kirchgemeinde und ein weiterer Rekurrent erhoben gegen diesen Entscheid
am 25. Juli 2003 Rekurs beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Die
Kirchgemeinde machte zur Hauptsache geltend, die Bauvorhaben verletzten die
einschlägigen Bestimmungen des Ortsbildschutzes und des Schutzes historischer
Denkmäler sowie die Vorschriften über die Gebäude- und Grenzabstände. Die
Gemeinde und die Baugesellschaft beantragten beide die Abweisung des
Rekurses, soweit darauf eingetreten werde.

Das Verwaltungsgericht informierte die Parteien mit Schreiben vom 5. Dezember
2003, dass es die Streitsache zum Anlass einer Praxisänderung der
Rekurslegitimation von Nachbarn in Ästhetikfragen nehmen wolle. Sie könnten
sich am Augenschein vom 11. Dezember 2003 dazu äussern.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hiess den Rekurs am 11.
Dezember 2003 gut und hob die Baubewilligung auf, soweit damit die Balkone
von Haus A gegenüber der Parzelle Nr. 433 bewilligt worden waren. Im Übrigen
wies es den Rekurs ab. Die Gerichtskosten auferlegte es zu vier Fünfteln der
Kirchgemeinde sowie dem zweiten Rekurrenten, unter solidarischer Haftung, und
zu je einem Zehntel der Gemeinde bzw. der Baugesellschaft. Es verneinte eine
Verletzung der Bestimmungen über den Orts- und Landschaftsbildschutz und
erkannte, die Grenz- und Gebäudeabstandsvorschriften seien eingehalten, mit
Ausnahme der erwähnten Balkone von Haus A.

D.
Die Evangelische Kirchgemeinde Zizers führt mit Eingabe vom 11. März 2004
staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden vom 11. Dezember 2003. Sie beantragt die Aufhebung des
angefochtenen Entscheides, soweit dieser den Rekurs abweise, die
Kostenregelung betreffe und die aussergerichtliche Entschädigung regle. Die
Sache sei zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Zudem
ersucht die Kirchgemeinde um Gewährung der aufschiebenden Wirkung der
Beschwerde.

Das Verwaltungsgericht, die Gemeinde Zizers und die Baugesellschaft "Am
Schlossweg" sprechen sich für Abweisung der Beschwerde aus, soweit darauf
einzutreten sei.

E.
Das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde am 19. April 2004
gutgeheissen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1  Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen letztinstanzlichen
kantonalen Entscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist
(Art. 86 Abs. 1 OG).

1.2  Das Verwaltungsgericht bejahte die Rekurslegitimation der
Beschwerdeführerin in Bezug auf den Ortsbildschutz, weil es seine bisher an
der Legitimationspraxis zur staatsrechtlichen Beschwerde orientierte
Rechtsprechung änderte und neu (richtigerweise) jener zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht folgt; es liess demzufolge
eine Beeinträchtigung in schützenswerten Interessen als Nachbarin genügen
(vgl. dazu auch Giusep Nay, Verfahrensfragen bei der Anfechtung von
Planungsmassnahmen, ZGRG 3/86 S. 47 f.). Mithin ist zunächst näher zu prüfen,
ob die Beschwerdeführerin auch die strengeren Voraussetzungen der
Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde erfüllt.

Zur staatsrechtlichen Beschwerde ist nach Art. 88 OG befugt, wer durch den
angefochtenen Entscheid persönlich in seinen rechtlich geschützten Interessen
beeinträchtigt ist. Nach der Praxis des Bundesgerichts sind die Eigentümer
benachbarter Grundstücke befugt, die Erteilung einer Baubewilligung
anzufechten, wenn sie die Verletzung von Bauvorschriften geltend machen, die
ausser den Interessen der Allgemeinheit auch oder in erster Linie dem Schutz
der Nachbarn dienen. Zusätzlich müssen sie dartun, dass sie sich im
Schutzbereich der Vorschriften befinden und durch die behaupteten
widerrechtlichen Auswirkungen der Baute betroffen werden (BGE 125 II 440 E.
1c S. 442 f.; 119 Ia 362 E. 1b; 118 Ia 232 E. 1a, je mit Hinweisen). Trotz
fehlender Legitimation in der Sache selbst kann ein Beschwerdeführer aufgrund
seiner Parteistellung im kantonalen Verfahren die Verletzung von
Verfahrensvorschriften rügen, deren Missachtung eine formelle
Rechtsverweigerung darstellt (BGE 129 I 217 E. 1.4 mit Hinweisen). Dagegen
setzt die Rüge, ein Entscheid sei mangelhaft begründet, nach ständiger
Rechtsprechung die Legitimation in der Sache voraus, weil die Beurteilung
dieser Frage nicht von der Prüfung in der Sache selbst getrennt werden kann.
Dies ist der Fall, wenn gerügt wird, die Begründung sei unvollständig, zu
wenig differenziert oder materiell unzutreffend. Etwas anderes gilt nur bei
gänzlichem Fehlen einer Begründung, da diese Frage getrennt von der Prüfung
der Sache selbst beurteilt werden kann (BGE 129 I 217 E. 1.4 mit Hinweisen).

1.3  Die Beschwerdeführerin rügte im kantonalen Verfahren im Wesentlichen,
die
bewilligten Bauvorhaben seien mit Art. 1 Abs. 1, Art. 12 Abs. 2 und Art. 45
Abs. 3 BG der Gemeinde als Bestimmungen über den Orts- und
Landschaftsbildschutz nicht vereinbar und sie widersprächen auch Art. 1 Ziff.
2 sowie Art. 8 Abs. 3 der Verordnung des Kantons Graubünden vom 27. November
1946 über den Natur- und Heimatschutz (NHV, BR 496.100), wonach der Kanton
und die Gemeinden historisch wertvolle Bauwerke zu erhalten und vor Verbauung
zu schützen haben. In der staatsrechtlichen Beschwerde beruft sie sich darauf
und macht geltend, die Realisierung des Bauvorhabens habe sehr bedeutende
materielle und ideelle nachteilige Auswirkungen auf ihr Kirchengebäude mit
Baujahr 1711; die neuen Häuser kämen mitten in den ortsbaulich empfindlichen
Raum zwischen die drei schützenswerten Baudenkmäler evangelische Kirche,
unteres Schloss und oberes Schloss zu stehen. Dies habe sie mit einer
Stellungnahme der kantonalen Denkmalpflege untermauert, und zusätzlich habe
sie den Antrag gestellt, allenfalls eine Expertise bei der erwähnten
Denkmalpflege einzuholen. Darauf gehe das Verwaltungsgericht in seiner
Urteilsbegründung "mit keiner Silbe" ein und verletze damit ihr rechtliches
Gehör.

Die Bestimmungen über den Ortsbild- sowie Natur- und Heimatschutz, auf die
sich die Beschwerdeführerin beruft, dienen der Sicherstellung der
ästhetischen Einordnung neuer Bauten und Anlagen in das bestehende Ortsbild
und bezwecken damit hauptsächlich den Schutz von Interessen der
Allgemeinheit. Eine ästhetisch befriedigende Einordnung setzt regelmässig ein
über den bloss nachbarschaftlichen Rahmen hinausreichendes Bezugsfeld voraus.
Das Bundesgericht hat daher verschiedentlich die Legitimation von Nachbarn
zur staatsrechtlichen Beschwerde verneint, wenn sie sich allein auf Normen
über die ästhetische Gestaltung der Bauten beriefen, da diese Bestimmungen
nicht dem Schutz der nachbarlichen Interessen dienen. Soweit allerdings
solchen Normen weitere, über die Ästhetik im engeren Sinne hinausreichende
Zwecke zukommen, etwa weil Vorschriften über die Gebäudehöhe oder
Grenzabstände fehlen, erkennt ihnen die Rechtsprechung auch eine
nachbarschützende Funktion zu (BGE 118 Ia 232 E. 1b mit Hinweisen). Eine
solche, über den ästhetischen Bereich hinausgehende Funktion kommt den
Bestimmungen des BG der Gemeinde Zizers insoweit nicht zu, als dieses
Vorschriften über Gebäudehöhe und -abstände enthält, die vorliegendenfalls
denn auch streitig waren. Die Beschwerdeführerin beruft sich indessen auf die
Funktion und den Zweck der Ortsbild- und Heimatschutzbestimmungen,
historische Bauwerke zu erhalten und vor Verbauung zu bewahren. Auch insofern
dienen diese vor allem öffentlichen Interessen, hingegen zugleich dem Schutze
der einzelnen historischen Bauten. Als Eigentümerin des zu schützenden
historischen Kirchengebäudes ist die Beschwerdeführerin daher befugt, eine
verfassungswidrige Anwendung dieser gesetzlichen Vorschriften zu rügen. Sie
macht damit eigene rechtlich geschützte Interessen geltend. Ebenso führt sie
an, eine Störung des Ortsbildes mit der Kirche sowie dem oberen und unteren
Schloss durch die bewilligten Bauten habe nachteilige materielle und ideelle
Auswirkungen auf die Kirche als historisches Baudenkmal, und legt somit dar,
dass sie im Schutzbereich der angerufenen Normen betroffen ist. Die
Legitimation der Beschwerdeführerin in der Sache selbst ist danach zu bejahen
und demzufolge ist sie auch  berechtigt, eine mangelhafte Begründung des
verwaltungsgerichtlichen Entscheides in diesem Punkt zu rügen.

1.4  Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist, da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, einzutreten.

2.
2.1 Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV folgt die
grundsätzliche Pflicht von Gerichten, ihre Entscheide zu begründen. Der
Bürger soll wissen, warum entgegen seinem Antrag entschieden wurde. Die
Begründung eines Entscheids muss deshalb so abgefasst sein, dass der
Betroffene ihn gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Dies ist nur
möglich, wenn sowohl er wie auch die Rechtsmittelinstanz sich über die
Tragweite des Entscheids ein Bild machen können. In diesem Sinne müssen
wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich das Gericht
leiten liess und auf welche sich sein Entscheid stützt . Die
Begründungspflicht und der Anspruch auf Begründung sind allerdings nicht
bereits dadurch verletzt, dass sich die urteilende Behörde nicht mit allen
Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen
ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid
wesentlichen Punkte beschränken (BGE 126 I 97 E. 2b S. 102 f. mit Hinweisen).

2.2  Das Verwaltungsgericht prüfte im angefochtenen Urteil, ob die auf dem
Nachbargrundstück bewilligten Bauten "im Sinne von Art. 12 BG der Gemeinde
sowie im Lichte der vorgebrachten generellen ortsbildschützerischen Einwände
in die Umgebung einfügen" (E. 4) und bejahte dies. Mit den geltend gemachten
spezifischen Auswirkungen auf die evangelische Kirche als historisches
Bauwerk, auf die sich die Beschwerdeführerin gestützt auf eine Stellungnahme
der kantonalen Denkmalpflege berief, befasst es sich in keiner Weise. Es
äussert sich auch zum Antrag, dazu allenfalls ein Sachverständigengutachten
bei dieser Denkmalpflege einzuholen, nicht, sondern führt allein an, die
Gemeinde sei nicht verpflichtet gewesen, die Denkmalpflege beratend
beizuziehen. Da es sich dabei ohne weiteres um einen wesentlichen
Entscheidpunkt handelt, genügt der angefochtene Entscheid den
verfassungsmässigen Begründungsanforderungen nicht. Die Rüge der Verletzung
des rechtlichen Gehörs nach Art. 29 Abs. 2 BV ist begründet.

3.
Danach ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid
aufzuheben, ohne dass die weiteren erhobenen Rügen zu behandeln wären.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten den
Beschwerdegegnern aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 und 2 OG). Sie haben die
Beschwerdeführerin zudem angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2
OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 4. Kammer, vom 11. Dezember 2003
aufgehoben.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird den Beschwerdegegnern unter
solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegner haben die Beschwerdeführerin unter solidarischer
Haftbarkeit für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu
entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Gemeinde Zizers und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. September 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: