Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.156/2004
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1P.156/2004 /bie

Urteil vom 28. Juni 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
Bundesrichter Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Störi.

A. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Susanne Pflüger, Friedensrichteramt Zürich 7 und 8, Dufourstrasse 35, 8008
Zürich, Beschwerdegegnerin,
Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, Postfach, 8023 Zürich.

Art. 8, 9, 29 BV, Art. 6 Ziff. 1 und Art. 14 EMRK (Entbindung einer
Friedensrichterin vom Amtsgeheimnis),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 28. Januar 2004.

Sachverhalt:

A.
A. ________ erhob am 30. November 2002 Strafklage wegen Ehrverletzung gegen
B.________. Zur Begründung führte er an, dieser habe ihn an der
Sühnverhandlung vor der Friedensrichterin der Kreise 7 und 8 der Stadt
Zürich, Susanne Pflüger, als Psychopathen bezeichnet.

Die mit dem Ehrverletzungsprozess A.________ gegen B.________ befasste
Einzelrichterin des Bezirksgerichtes Zürich lud Susanne Pflüger auf den 28.
Oktober 2003 als Zeugin vor. Diese ersuchte am 30. September 2003 ihre untere
kantonale Aufsichtsbehörde, die 6. Abteilung des Bezirksgerichtes Zürich, "um
Prüfung der Entbindung vom Amtsgeheimnis für eine Zeugenaussage".

Mit Beschluss vom 3. Oktober 2003 lehnte es die 6. Abteilung des
Bezirksgerichts ab, Susanne Pflüger vom Amtsgeheimnis zu entbinden.

A. ________ rekurrierte gegen diesen Entscheid ans Obergericht des Kantons
Zürich. Dessen II. Zivilkammer wies den Rekurs am 28. Januar 2004 ab und
bestätigte den angefochtenen Entscheid. Die Kosten des Verfahrens auferlegte
sie A.________.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 5. März 2004 wegen Verletzung
verschiedener Bestimmungen der BV, der EMRK und des UNO-Paktes II beantragt
A.________, diesen obergerichtlichen Entscheid aufzuheben und dem Gesuch der
Friedensrichterin um Entbindung vom Amtsgeheimnis stattzugeben. Eventuell
seien die Beschlüsse von Obergericht und Bezirksgericht aufzuheben und die
kantonalen Instanzen anzuweisen, das Gesuch um Entbindung vom Amtsgeheimnis
in einem fairen Verfahren zu beurteilen. Der vorliegenden staatsrechtlichen
Beschwerde sei in Bezug auf die ihm vom Obergericht auferlegten
Gerichtskosten aufschiebende Wirkung zu erteilen. Ausserdem ersucht er um
unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung sowie um Sistierung des
Verfahrens, bis das Kassationsgericht des Kantons Zürich über die von ihm
gegen den Obergerichtsentscheid ebenfalls erhobene Nichtigkeitsbeschwerde
befunden habe.

Das Obergericht verzichtet auf Vernehmlassung. Frau Pflüger verweist auf den
Beschluss des Bezirksgerichts vom 3. Oktober 2003.

C.
Mit Verfügung vom 30. März 2004 erkannte der Präsident der I.
öffentlichrechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu.

D.
Mit Verfügung vom 28. April 2004 sistierte der bundesgerichtliche
Instruktionsrichter das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des
kassationsgerichtlichen Verfahrens Kass.-Nr. AC040020.

E.
Am 18. Mai 2004 reichte das Kassationsgericht dem Bundesgericht seinen
Entscheid vom 30. April 2004 ein, mit welchem es die Nichtigkeitsbeschwerde
von A.________ abgewiesen hatte. Am 24. Mai 2004 reichte A.________ diesen
Entscheid ebenfalls ein mit dem Ersuchen, das Verfahren wieder aufzunehmen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid (Art. 86
Abs. 1 OG), mit welchem das Obergericht den Beschluss des Bezirksgerichts
schützte, Friedensrichterin Pflüger nicht vom Amtsgeheimnis zu entbinden. Da
der Beschwerdeführer im obergerichtlichen Verfahren Parteistellung hatte, ist
er ohne weiteres befugt zu rügen, das Obergericht habe seine Parteirechte
verletzt und dadurch eine formelle Rechtsverweigerung begangen (BGE 126 I 81
E. 3b; 125 II 86 E. 3b). Fraglich ist, ob er im Sinne von Art. 88 OG
legitimiert ist, den Entscheid in der Sache anzufechten. Er macht geltend,
die Zeugenaussage von Frau Pflüger in einem Ehrverletzungsverfahren zu
benötigen, welches er als Privatkläger angehoben hat. Da der Kanton Zürich
ein prinzipales Privatstrafklageverfahren kennt (§ 287 der
Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919), ist der
Beschwerdeführer dabei grundsätzlich in der gleichen Lage wie ein
öffentlicher Untersuchungsrichter oder Ankläger, welcher in der gleichen
Konstellation nicht beschwerdebefugt wäre. Nicht von vornherein
auszuschliessen ist allerdings, dass er aus seiner Stellung als Geschädigter
durch die Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen gegen den
(mutmasslichen) Ehrverletzer ein rechtlich geschütztes Anfechtungsinteresse
im Sinne von Art. 88 OG ableiten könnte. Dies kann hier allerdings offen
bleiben, da die Beschwerde in der Sache unbegründet ist (unten E. 2).

1.2 Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen
Anlass, sodass auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter
Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I
70 E. 1c), einzutreten ist. Der Beschwerdeführer begründet die nachfolgend
behandelten Rügen in ausufernder Weise unter zum Teil unzulässiger, zum Teil
unzutreffender und zum Teil unnötiger Berufung auf verschiedenste
Bestimmungen der EMRK, der Bundesverfassung, sowie des eidgenössischen und
kantonalen Verfahrensrechts. Soweit sich das Bundesgericht im Folgenden damit
nicht ausdrücklich auseinandersetzt, handelt es sich dabei nicht um den
gesetzlichen Anforderungen genügende Verfassungsrügen.

2.
Der Beschwerdeführer macht in der Sache geltend, die Weigerung des
Obergerichts, Friedensrichterin Pflüger vom Amtsgeheimnis zu entbinden, sei
willkürlich.

2.1 Willkürlich handelt ein Gericht, wenn es seinem Entscheid
Tatsachenfeststellungen zugrunde legt, die mit den Akten in klarem
Widerspruch stehen. Im Bereich der Beweiswürdigung besitzt der Richter einen
weiten Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift im Rahmen einer
staatsrechtlichen Beschwerde nur ein, wenn die Beweiswürdigung offensichtlich
unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht
oder auf einem offenkundigen Versehen beruht (BGE 124 I 208 E. 4a; 117 Ia 13
E. 2c; 18 E. 3c je mit Hinweisen).

2.2 Nach § 128 des Gerichtsverfassungsgesetzes des Kantons Zürich vom 13.
Juni 1976 (GVG) sind Friedensrichter zur Verschwiegenheit über
Amtsgeheimnisse verpflichtet. Nach § 143 der Vollzugsverordnung zum
Personalgesetz vom 19. Mai 1999 (VVO zum PersG) sind sie zu Zeugenaussagen
über Wahrnehmungen, die sie in Ausübung ihrer Obliegenheiten gemacht haben,
nur mit der Ermächtigung der zuständigen Aufsichtsbehörde befugt.

2.2.1 Das Obergericht ist im angefochtenen Entscheid davon ausgegangen, dass
ein erhebliches öffentliches Interesse daran besteht, dass alles, was einer
Friedensrichterin im Rahmen eines Verfahrens zur Kenntnis gelangt, geheim
bleibt. Dies gelte insbesondere für Vergleichsverhandlungen, in denen sich
die Parteien ausserhalb des Protokolls frei äussern können und sollen, ohne
befürchten zu müssen, später auf ihren Aussagen behaftet zu werden.
Demgegenüber liegt es zwar, was das Obergericht durchaus nicht verkannt hat,
auch im öffentlichen Interesse, dass Straftaten möglichst lückenlos verfolgt
werden. Es hat indessen das öffentliche und das private Interesse des
Beschwerdeführers an der Verfolgung einer Ehrverletzung dieser Art als
vergleichsweise gering eingestuft, welches das gewichtige Interesse an der
Vertraulichkeit einer Sühnverhandlung nicht zu überwiegen möge.

2.2.2 Selbstverständlich ist dem Beschwerdeführer darin Recht zu geben, dass
diese Interessenabwägung wohl anders - nämlich zu Gunsten einer Entbindung
der Friedensrichterin vom Amtsgeheimnis - ausfallen müsste, wenn ihr an der
Sühnverhandlung für die Aufdeckung eines Kapitalverbrechens relevante Fakten
zur Kenntnis gebracht worden wären. Im vorliegenden Fall geht es dem
Beschwerdeführer jedoch um die Verfolgung einer objektiv nicht besonders
schwerwiegenden Straftat. Auch wenn der Beschwerdeführer auf Grund besonderer
Umstände den Vorfall subjektiv als schwerwiegend empfinden mag, so wirft er
seinem Kontrahenten mit der angeblichen Beschimpfung doch lediglich ein
Vergehen vor, das auf Antrag mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Busse
bestraft wird (Art. 177 StGB). Es ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden, dass das Obergericht das private Interesse des Beschwerdeführers
und das öffentliche Interesse an der Aufklärung des Amtsgeheimnisses tiefer
einstufte als das öffentliche Interesse an dessen Wahrung. Das Obergericht
hat dem Amtsgeheimnis zu Recht einen hohen Stellenwert eingeräumt. Die Rüge,
es habe Frau Pflüger willkürlich nicht vom Amtsgeheimnis entbunden, ist
unbegründet.

3.
Der Beschwerdeführer rügt, das Obergericht habe seinen in Art. 29 Abs. 3 BV
verankerten Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
verletzt. Als bedürftige und nicht rechtskundige Partei habe er seine Rechte
vor Obergericht nicht in vollem Umfang wahrnehmen können. Die Ablehnung einer
Verfahrenshilfe stelle nach der Rechtsprechung der EMRK-Organe grundsätzlich
einen Verstoss gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK dar.

3.1 Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen
Mittel verfügt und deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos ist, Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege und, soweit dies für die Wahrung ihrer Rechte
erforderlich ist, unentgeltliche Verbeiständung.

Das Obergericht hat die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege
verweigert, da der Beschwerdeführer seine Bedürftigkeit nur behauptet und die
Einreichung von Unterlagen dazu in Aussicht gestellt habe, sofern das Gericht
dies verlange. Da somit keine Angaben zu seiner Mittellosigkeit vorlägen,
seien darüber auch keine Erhebungen zu machen, zumal die Kosten des
Rekursverfahrens gering seien. Überdies sei zu bedenken, dass sein Rekurs
wenig Aussicht auf Erfolg gehabt habe. Ein unentgeltlicher Rechtsbeistand
könne schon deshalb nicht bewilligt werden, weil er die Rekursschrift selber
verfasst habe.

3.2 Das Obergericht hat die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers als  nicht
ausgewiesen erachtet mit der Begründung, er habe nicht dargetan, "dass und
weshalb er als mittellos zu betrachten wäre". Dies erscheint, nachdem der
Beschwerdeführer ausdrücklich Unterlagen dazu anbot, nicht haltbar. Das
Obergericht hat jedoch auch die zweite Anspruchsvoraussetzung, wonach das
Rechtsbegehren nicht aussichtslos sein darf, verneint. Die Beurteilung des
Rekurses als wenig aussichtsreich ist, wie die Ausführungen in E. 2 zeigen,
haltbar. Das Obergericht konnte somit ohne Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV
das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abweisen. Dasselbe gilt für die
Abweisung des Gesuches um einen unentgeltlichen Rechtsbeistand. Ein Anspruch
auf Bestellung eines solchen hätte nur bestanden, wenn dies für die Wahrung
seiner Rechte "notwendig" gewesen wäre. Dies war nicht der Fall; der
Beschwerdeführer hat dem Obergericht in seiner Rekursschrift mit
ausreichender Klarheit dargetan, weshalb er die Weigerung des
Bezirksgerichts, die Friedensrichterin Pflüger vom Amtsgeheimnis zu
entbinden, für verfehlt bzw. verfassungswidrig hielt. Das Obergericht hat
denn seinen Rekurs auch nicht etwa deshalb abgewiesen, weil die Rekursschrift
mangelhaft gewesen wäre, sondern weil es sein Rechtsbegehren für materiell
unbegründet hielt. Die Rüge, das Obergericht habe mit der Ablehnung seines
Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung Art. 29 Abs. 3 BV
verletzt, ist daher unbegründet. Da sich aus der EMRK in dieser Beziehung
keine über Art. 29 Abs. 3 BV hinausgehenden Ansprüche ableiten lassen, ist
damit auch die Berufung auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK unbehelflich.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Unter den
gegeben Umständen rechtfertigt es sich, auf die Erhebung von Kosten zu
verzichten. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit
gegenstandslos. Da die Beschwerde am letzten Tag der nicht erstreckbaren
Rechtsmittelfrist von Art. 89 Abs. 1 OG eingereicht wurde, war das in der
Beschwerde erhobene Gesuch um Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsvertreters
zwecklos, da ein solcher die Beschwerde nach Fristablauf nicht mehr hätte
verbessern können. Im Übrigen ist der Beschwerdeführer auch vor Bundesgericht
nicht deshalb gescheitert, weil seine Beschwerdeschrift mangelhaft gewesen
wäre, sondern weil sein Rechtsbegehren sachlich unbegründet war.

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Obergericht, II. Zivilkammer, und
dem Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. Juni 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: