Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.142/2004
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2004
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2004


1P.142/2004 /dxc

Urteil vom 22. März 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, Bundesrichter Aeschlimann,
Bundesrichter Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Steiner.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Marco Unternährer,

gegen

Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich,
Postfach, 8090 Zürich,
Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, Kaspar Escher-Haus,
Neumühlequai 10,
8090 Zürich.

Art. 9 und 10 BV, Art. 6 EMRK (Strafantritt),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung der Direktion der Justiz und
des Innern des Kantons Zürich vom 30. Januar 2004.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wurde mit Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 23. Mai
1996 unter anderem wegen bandenmässigen Raubes und Diebstahls zu 27 Monaten
Zuchthaus verurteilt.

Am 8. Januar 1998 wurde X.________ erstmals zum Strafvollzug aufgeboten. Nach
zwei mit einem Motorradunfall (Unfalldatum: 5. März 1997) begründeten
Gesuchen um Verschiebung des Haftantritts wurde das Institut für
Rechtsmedizin der Universität Zürich (IRM) mit der Begutachtung des
Verurteilten zur Frage der Hafterstehungsfähigkeit beauftragt. Gestützt auf
das am 23. März 1999 erstattete Gutachten wurde der Strafantritt verfügt. Ein
hiergegen gerichtetes Rechtsmittel blieb erfolglos (Entscheid der Direktion
der Justiz und des Innern vom 10. September 1999).

B.
Nachdem dem Begnadigungsgesuch des Verurteilten am 23. Dezember 1999 die
aufschiebende Wirkung erteilt worden war, wurde das Gesuch am 9. Juli 2001
abgewiesen. Anschliessend verfügte das Amt für Justizvollzug des Kantons
Zürich erneut den Strafantritt. Den hiergegen erhobenen Rekurs wies die
Direktion der Justiz und des Innern am 8. Februar 2002 ab. Diesen Entscheid
hob das Bundesgericht mit Urteil 1P.148/2002 vom 4. Juli 2002 auf, weil ein
zweites Unfallereignis vom 30. November 1999 nicht berücksichtigt worden war.

C.
Aufgrund des Bundesgerichtsentscheids holte die Direktion der Justiz und des
Innern beim IRM ein ergänzendes Gutachten zur Hafterstehungsfähigkeit ein und
wies den Rekurs gestützt darauf erneut hab. In der Folge wurde abermals der
Strafantritt angeordnet (Verfügung vom 10. Dezember 2003). Auch hiergegen
wandte sich X.________ mit Rekurs an die Direktion der Justiz und des Innern,
welche diesen am 30. Januar 2004 abwies.

D.
X.________ erhebt mit Eingabe vom 2. März 2004 staatsrechtliche Beschwerde
und beantragt, der angefochtene Entscheid der Direktion der Justiz und des
Innern sei aufzuheben. Zudem ersucht er um Erteilung der aufschiebenden
Wirkung sowie um Sistierung des Beschwerdeverfahrens. Überdies sei ihm die
unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Mit Schreiben vom 11. und vom 16. März 2004 macht der Beschwerdeführer
geltend, er habe am 6. März 2004 erneut einen Verkehrsunfall erlitten. Ein
Strafantritt erscheine zum heutigen Zeitpunkt nicht möglich.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die angefochtene Verfügung der Direktion der Justiz und des Innern des
Kantons Zürich ist kantonal letztinstanzlich (Art. 86 Abs. 1 OG). Da auch die
übrigen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind (Urteil 1P.148/2002 vom 4.
Juli 2002 in Sachen des Beschwerdeführers, E. 1.1 mit weiteren Hinweisen),
ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.

1.2 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG prüft das Bundesgericht nur klar und
detailliert erhobene Rügen. Auf ungenügend begründete Rügen und rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 127
I 38 E. 3c S. 43; 125 I 492 E. 1b S. 495 mit Hinweisen). So hat der
Beschwerdeführer im Rahmen einer Willkürrüge im Einzelnen zu zeigen,
inwiefern der angefochtene Entscheid beispielsweise mit der tatsächlichen
Situation in offensichtlichem Widerspruch stehen soll (BGE 125 I 492 E. 1b S.
495 mit Hinweisen). Die vorliegende Beschwerde genügt diesen Anforderungen
meist nicht, worauf im Rahmen der Erörterung der einzelnen Vorbringen näher
einzugehen sein wird.

1.3 Der Beschwerdeführer macht mit Eingaben vom 11. und vom 16. März 2004
geltend, er habe am 6. März 2004 erneut einen Verkehrsunfall erlitten. Bei
dieser Behauptung handelt es sich um ein unzulässiges Novum. Neue
tatsächliche Vorbringen dürfen sich nur auf Ereignisse vor Ergehen des
angefochtenen Entscheids beziehen (BGE 128 I 354 E. 6c S. 357 f.; 102 Ia 243
E. 2 S. 246, je mit Hinweisen).

2.
Der Antrag des Beschwerdeführers, das Verfahren sei zu sistieren, ist
abzuweisen, da dem derzeit hängigen zweiten Begnadigungsgesuch des
Beschwerdeführers nach einem abgewiesenen ersten Gesuch keine aufschiebende
Wirkung zuerkannt worden ist.

3.
In Bezug auf das kantonale Verfahren macht der Beschwerdeführer  eine
Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK geltend. Er sei nicht persönlich angehört
worden. Diese Rüge hat er allerdings vor der Direktion der Justiz und des
Innern nicht vorgetragen. Wer Rechte geltend machen will, die sich aus Art. 6
Ziff. 1 EMRK ergeben, ist nach Treu und Glauben gehalten, die entsprechende
Rüge bereits vor der letztinstanzlichen kantonalen Verwaltungsbehörde und
nicht erst vor Bundesgericht zu erheben (BGE 123 I 89 E. 2d S. 89; 120 Ia 19
E. 2c/bb S. 25). Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer macht keine
Ausführungen zur Frage, warum im vorliegenden Fall auf dieses Erfordernis
verzichtet werden müsste. Damit wird den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1
lit. b OG nicht entsprochen (vgl. E. 1.2 hiervor), weshalb auf die Beschwerde
in diesem Punkt nicht eingetreten werden kann.

4.
4.1 In der Sache wirft der Beschwerdeführer den kantonalen Instanzen zunächst
vor, die klare Aussage des Gutachtens zu verkennen, wonach eine geschlossene
Vollzugsform wohl nicht in Frage komme. Dazu ist festzuhalten, dass das
Gutachten des IRM vom 10. Juni 2003 zum Schluss kommt, im Rahmen eines
üblichen Freiheitsentzugs sei kaum mit einer Verschlechterung des
körperlichen Zustands zu rechnen, sofern gewisse ärztliche und psychologische
Kautelen eingehalten seien. Soweit Vorbehalte zum Freiheitsentzug in Form des
geschlossenen Vollzuges gemacht werden, ändert dies an der
Hafterstehungsfähigkeit des Beschwerdeführers nichts.

4.2 Der Beschwerdeführer behauptet vor allem, sein Gesundheitszustand habe
sich seit der Begutachtung durch das IRM verschlechtert. Dies hätte die
kantonalen Instanzen seiner Ansicht nach veranlassen müssen, die
Hafterstehungsfähigkeit noch einmal ergänzend abklären zu lassen. Das
Unterlassen dieser Abklärungen führe zu einer willkürlichen Feststellung des
massgeblichen Sachverhalts.

4.3 Der Beschwerdeführer stützt sich auf ein Schreiben des behandelnden
Neurologen vom 16. Dezember 2003. Nach diesem war der Zustand des
Beschwerdeführers damals schlechter als bei der letzten Konsultation im Juli
2003. Die Arbeitsfähigkeit wurde auf 50 Prozent festgelegt. Die Therapien
müssten weiter durchgeführt werden. Es bestehe weiterhin keine
Hafterstehungsfähigkeit.
Im angefochtenen Entscheid wird dazu ausgeführt, dieses äusserst summarische
Zeugnis enthalte keinerlei Hinweis darauf, weshalb es dem Rekurrenten
schlechter gehe. Es könne ihm nicht so schlecht gehen, dass die
Hafterstehungsfähigkeit in Frage gestellt sei. Sonst würde der behandelnde
Neurologe nicht zur Einschätzung kommen, der Beschwerdeführer sei zu 50
Prozent arbeitsfähig. Auch das Gutachten sei unter anderem gestützt auf
Arztberichte erstellt worden, wonach der Beschwerdeführer zu 50 bis 75
Prozent arbeitsfähig sei, allerdings nur für leichte bis mittelschwere
Arbeiten. Mit dieser Argumentation setzt sich der Beschwerdeführer auch nicht
ansatzweise auseinander. Damit ist die Willkürrüge offensichtlich nicht
hinreichend begründet (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; vgl. E. 1.2 hiervor).

5.
Nach dem Gesagten dringt der Beschwerdeführer mit den erhobenen Willkürrügen
nicht durch. Soweit er gestützt auf Art. 10 BV ebenfalls die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz angreift, geht dieser Vorwurf im Ergebnis nicht
über die Willkürrügen hinaus. Demnach erweist sich die Beschwerde als
offensichtlich unbegründet im Sinne von Art. 36a Abs. 1 lit. b OG. Sie ist
vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Durch den
Entscheid in der Sache wird das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden
Wirkung gegenstandslos.

6.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten grundsätzlich dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG); eine Parteientschädigung
fällt ausser Betracht (Art. 159 Abs. 2 OG). Angesichts der äusserst
rudimentären Angaben des behandelnden Arztes, gestützt auf welche der
Beschwerdeführer den nach Erstattung eines Gutachtens ergangenen Entscheid
angefochten hat, erscheint die vorliegende Beschwerde als zum vornherein
aussichtslos (vgl. BGE 128 I 225 E. 2.5.3 S. 235 f.; 124 I 304 E. 2c S. 306
f., je mit Hinweisen). Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen. Mit Rücksicht auf die
prekären finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers rechtfertigt es
sich, von einer Kostenauflage abzusehen.

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Das Gesuch um Sistierung des Verfahrens wird abgewiesen.

2.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

4.
Es werden keine Kosten erhoben.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Justizvollzug des
Kantons Zürich sowie der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons
Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. März 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: