Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.125/2004
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1P.125/2004 /gij

Urteil vom 24. Mai 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Féraud,
Gerichtsschreiber Störi.

X. _______,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Dieter Roth,

gegen

Y._______,
Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat
lic. iur. Christian von Wartburg,
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410
Liestal,
Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons
Basel-Landschaft, Kanonengasse 20, 4410 Liestal.

Einstellung des Strafverfahrens,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Verfahrensgerichts in
Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft vom 28. Oktober 2003.

Sachverhalt:

A.
Mit Beschluss vom 5. März 2003 stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons
Basel-Landschaft das Strafverfahren gegen Y._______ wegen Schändung (Art. 191
StGB) ein. Sie kam zum Schluss, es sei zwar erwiesen, dass es in der Nacht
vom 9. auf den 10. Januar 2001 zwischen Y._______ und X._______ zum
Geschlechtsverkehr gekommen sei. Es sei sei aber nicht bekannt, wie sich
dieser abgespielt habe, insbesondere ob der offenbar erheblich angetrunkene
Y._______ dabei zumindest eventualvorsätzlich die alkoholbedingte
Wehrlosigkeit von X._______ ausgenutzt habe. Der Tatbestand sei daher,
insbesondere in subjektiver Hinsicht, nicht hinreichend zu beweisen.

Mit Beschluss vom 28. Oktober 2003 wies das Verfahrensgericht des Kantons
Basel-Landschaft die Beschwerde X._______s gegen die Verfahrenseinstellung
ab. Auch es kam zum Schluss, es sei nicht zu beweisen, dass Y._______ die
Wehrlosigkeit von X._______ zumindest eventualvorsätzlich ausgenützt habe,
als er den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen willkürlicher Beweiswürdigung
beantragt X._______, diesen Beschluss des Verfahrensgerichts aufzuheben.
Ausserdem ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf Vernehmlassung. Das Verfahrensgericht
beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Denselben Antrag stellt Y._______.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, vom Beschwerdegegner geschändet worden
zu sein und ist damit Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG. Als solches ist
sie befugt, die kantonal letztinstanzliche Einstellung des Strafverfahrens
gegen den Beschwerdegegner mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung
des Willkürverbotes von Art. 9 BV anzufechten (Art. 84 Abs. 1 lit. a , Art.
86 Abs. 1 und Art. 88 OG, Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG; BGE 120 Ia 101 E. 1a und
2a, 157 E. 2a und c).

2.
2.1 Nach § 136 Abs. 1 lit. b der Strafprozessordnung des Kantons
Basel-Landschaft vom 3. Juni 1999 (StPO) kann ein Strafverfahren u.a.
eingestellt werden, wenn "mit grösster Wahrscheinlichkeit eine Verurteilung
aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zu erwarten ist". Die
Beschwerdeführerin macht geltend, die Beweiswürdigung des
Verfahrensgerichtes, welches zum Schluss gekommen sei, die Beweislage reiche
für eine Verurteilung des Beschwerdegegners höchstwahrscheinlich nicht aus,
sei willkürlich.

2.2 Willkürlich handelt ein Gericht, wenn es seinem Entscheid
Tatsachenfeststellungen zugrunde legt, die mit den Akten in klarem
Widerspruch stehen. Im Bereich der Beweiswürdigung besitzt der Richter einen
weiten Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift im Rahmen einer
staatsrechtlichen Beschwerde nur ein, wenn die Beweiswürdigung offensichtlich
unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht
oder auf einem offenkundigen Versehen beruht (BGE 124 I 208 E. 4a; 117 Ia 13
E. 2c; 18 E. 3c je mit Hinweisen).

3.
3.1 Das Geschehen in der Nacht vom 9. auf den 10. Januar 2001 ist insoweit
unbestritten, als die Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegner bis
Mitternacht im Lager Pratteln der A._______AG gearbeitet hatten. Nach
Arbeitsschluss um Mitternacht suchten sie zusammen das Nelson Pub in Muttenz
auf, wo sie nach ihren eigenen Angaben Bier - die Beschwerdeführerin ein
grosses Guiness und ein oder zwei Stangen, der Beschwerdegegner zwei grosse
Guiness und zwei Stangen - tranken. Gegen zwei Uhr morgens fuhren sie im Auto
des Beschwerdegegners zur Wohnung von B._______, eines afrikanischen
Bekannten des Beschwerdegegners. Dort tranken sie wiederum Alkohol, die
Beschwerdeführerin zwei bis drei Glas Wodka, der Beschwerdegegner eine
grössere Menge Whisky. Gegen vier Uhr fuhr der Beschwerdegegner die
Beschwerdeführerin, der es bereits schlecht war, nach seinen Angaben in einem
Taxi, nach ihren Angaben in seinem Auto, zu ihrer Wohnung.

An die folgenden zwei Stunden kann sich die Beschwerdeführerin nur
bruchstückhaft erinnern: Sie sei angekleidet auf dem Bett gelegen und habe
gemerkt, dass sich der Beschwerdegegner an ihrer Hose zu schaffen gemacht
habe, worauf sie ihm gesagt habe, er solle aufhören. Als sie nach 6 Uhr
morgens aufgewacht sei, habe sie eine andere Hose angehabt als am Vorabend;
später habe sie dann noch festgestellt, dass sie, anders als am Vorabend,
keine Unterhose getragen habe. Die Kleider vom Vortag seien ungeordnet und
von Erbrochenem verschmutzt herumgelegen; ausserdem hätten sich eine
angebrochene Kondompackung, eine Vase und ein Tüchlein auf dem Boden
befunden.

Der Beschwerdegegner gab zunächst an, er sei mit dem Taxi weitergefahren,
nachdem er die Beschwerdeführerin vor deren Wohnung abgeladen habe. Später
sagte er aus, sich nicht mehr erinnern zu können, ob er die
Beschwerdeführerin nur vor das Haus gefahren oder sie noch in die Wohnung
begleitet habe und schloss, konfrontiert mit dem IRM-Gutachten, auch nicht
aus, mit ihr Geschlechtsverkehr gehabt zu haben.

3.2 Für das Verfahrensgericht steht auf Grund des IRM-Gutachtens fest, dass
es in der fraglichen Nacht zum Geschlechtsverkehr zwischen der
Beschwerdeführerin und dem Beschwerdegegner gekommen ist. Auf Grund ihrer
eigenen Angaben, die im Falle der Beschwerdeführerin von deren damaligem
Freund C._______, der sie nach ihrem Aufwachen morgens um 6 Uhr gesehen
hatte, und im Fall des Beschwerdegegners von der Beschwerdeführerin selber
bestätigt werden, geht es davon aus, dass beide erheblich betrunken waren und
jedenfalls die Aussage des Beschwerdegegners, er sei zur Tatzeit völlig
betrunken gewesen, nicht zu widerlegen ist. Wegen des Zeitablaufs - die
Taxizentrale hatte die entsprechenden Daten bereits gelöscht - habe nicht
mehr geklärt werden können, ob die Beiden mit einem Taxi oder im Wagen des
Beschwerdegegners zur Wohnung der Beschwerdeführerin gefahren seien. Eine
Rekonstruktion des Tathergangs sei in Ermangelung von Angaben der Beteiligten
unmöglich. Es sei nicht bekannt, wie sich der Geschlechtsverkehr zwischen den
Beiden abgespielt habe, und dies könne auch nicht ermittelt werden.

3.3 Diese Beweiswürdigung ist nicht offensichtlich unhaltbar. Es könnte zwar
sein, dass der einschlägig vorbestrafte Beschwerdegegner die Wehrlosigkeit
der sturzbetrunkenen Beschwerdeführerin ausnützte und sie schändete. Die
Beweislage reicht indessen für eine Verurteilung klarerweise nicht aus, und
die Auffassung des Verfahrensgerichts, dass nicht zu erwarten ist, dass sie
sich erheblich verbessert, ist sachlich ohne weiteres vertretbar. Es kann
weder mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen
werden, dass die Beschwerdeführerin in den Geschlechtsverkehr einwilligte
oder sich ihm jedenfalls nicht in einer für den ebenfalls betrunkenen
Beschwerdegegner erkennbaren Weise widersetzte, noch dass sie zwar bewusst-
bzw. wehrlos war, der Beschwerdeführer dies jedoch wegen seiner Trunkenheit
nicht wahrnahm, sondern ihre Passivität als Einverständnis missdeutete.

B. _______ und seine Ehefrau hätten allenfalls Angaben dazu machen können, ob
die Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegner in der fraglichen Nacht im
Taxi oder in dessen Auto von ihnen wegfuhren und wie sie deren
Alkoholisierungsgrad einschätzten. Auch die Ehefrau des Beschwerdegegners
könnte zu diesen Fragen möglicherweise Aussagen machen, wobei sie allerdings
nicht aussagen müsste. Selbst wenn sich indessen ergäbe, dass der
Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin in seinem eigenen Wagen nach Hause
fuhr, wäre damit für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen, ist es doch
keineswegs ausgeschlossen, dass der Beschwerdegegner selber fuhr, obwohl er
in einem Mass alkoholisiert war, das sein Erinnerungsvermögen stark
beeinträchtigte. Das Verfahrensgericht konnte jedenfalls auf Grund der
Aussagen der Beschwerdeführerin und des Beschwerdegegners ohne Willkür davon
ausgehen, dass er soviel getrunken hatte, dass ein derartiger
Gedächtnisverlust im Bereich des Möglichen ist. Unter diesen Umständen war es
vertretbar, auf die Einvernahme des Ehepaares B._______ und der Ehefrau des
Beschwerdegegners zu verzichten.

Das Verfahrensgericht hat die Aussagen der Beschwerdeführerin in keiner Weise
in Frage gestellt, weshalb es keinen Anlass hatte, das psychologische
Gutachten von Frau Dr. D._______ zu würdigen, welches ihren Aussagen
Glaubhaftigkeit bescheinige. Selbst wenn man davon ausginge, dass sich der
Beschwerdegegner an der Hose der Beschwerdeführerin zu schaffen machte - was
nahe liegt, da offensichtlich ein Geschlechtsverkehr stattgefunden hatte, -
änderte dies nichts daran, dass damit nicht bewiesen wäre, dass er sie
schändete. Dies gilt auch für die Schwellung der linken Augenbraue und einer
Schürfwunde am Knie, welche sie offenbar in dieser Nacht erlitt, zieht man
sich doch in stark betrunkenem Zustand infolge Verlustes der
Koordinationsfähigkeit derartige oberflächliche Verletzungen leicht zu, ohne
dass man sich im Nachhinein erinnert, wie und wo dies geschah. Unter diesen
Umständen konnte das Verfahrensgericht das Strafverfahren gegen den
Beschwerdegegner ohne Verfassungsverletzung einstellen, die Rüge ist
unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird
die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 156 OG). Sie hat zwar ein Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen
abzuweisen ist, da die Beweiswürdigung des Verfahrensgerichts offensichtlich
nicht willkürlich und die Beschwerde damit aussichtslos war (Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 500.-- zu bezahlen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 24. Mai 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: