Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.45/2004
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1A.45/2004 /zga

Urteil vom 4. Mai 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Féraud,
Gerichtsschreiberin Gerber.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Maître Vincent Solari,

gegen

Eidgenössische Oberzolldirektion, Monbijoustrasse 40, 3003 Bern.

Internationale Rechtshilfe in Strafsachen an Jersey - OZD
67.0.74500.000013.02 Jersey - BJ B 133 919 JAS,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügungen der Eidgenössischen
Oberzolldirektion vom 28. Januar 2004 und vom 24. Februar 2003.

Sachverhalt:

A.
Der Kronanwalt ihrer Majestät für Jersey ermittelt gegen A.________,
zugelassener Wirtschaftsprüfer in St. Helier, Jersey, wegen Geldwäscherei.
Dieser wird u.a. verdächtigt, Gelder für zwei Kunden - B.________ und
C.________ - gewaschen zu haben, die ihrerseits in Grossbritannien wegen
Hinterziehung von Verbrauchssteuern (namentlich Alkoholsteuern) und
Geldwäscherei verfolgt werden.

Mit Schreiben vom 28. November 2002 ersuchte der Kronanwalt für Jersey das
Bundesamt für Justiz um Rechtshilfe; u.a. ersuchte er um die Beschlagnahme
von Kontounterlagen X.________s, der A.________ im Dezember 1997 einen Betrag
von £ 1 Mio. übertragen haben soll; diese Summe sei ihm von "Y.________",
einer in Calais ansässigen Firma überwiesen worden, die zwischenzeitlich
wegen Hinterziehung von Alkoholsteuern verurteilt worden sei.

B.
Mit Verfügung vom 8. Januar 2003 übertrug das Bundesamt für Justiz die
Durchführung des Rechtshilfeersuchens der eidgenössischen Zollverwaltung,
weil das Ersuchen aus Jersey einen klaren Zusammenhang mit einem britischen
Rechtshilfeersuchen vom 30. Mai 2002 i.S. B.________ aufweise, das bereits
von der Oberzolldirektion bearbeitet werde.

C.
Am 24. Februar 2003 erliess die Oberzolldirektion eine Eintretensverfügung.
Darin wurde dem Rechtshilfeersuchen im Sinne der Erwägungen entsprochen und
die Sektion Untersuchung der Zollkreisdirektion IV beauftragt, die
beantragten Rechtshilfemassnahmen durchzuführen. Daraufhin wurden insgesamt
985 Dokumente betreffend diverse Bankkonten bei der Z.________ Bank, Zürich,
beschlagnahmt, darunter auch Unterlagen über ein Konto von X.________. Mit
Schreiben vom 28. November 2003 teilte die Z.________ Bank mit, dass keiner
der betroffenen Kunden seine Zustimmung zur vereinfachten Ausführung gemäss
Art. 80d des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe
in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) erteilt habe.

D.
Am 28. Januar 2004 erliess die Oberzolldirektion eine Schlussverfügung. Darin
ordnete sie an, dass alle beschlagnahmten Unterlagen nach Eintritt der
Rechtskraft dem Bundesamt für Justiz zuhanden der ausländischen
Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln seien.

E.
Gegen die Schlussverfügung erhob X.________ am 1. März 2004
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, die
Schlussverfügung vom 28. Januar 2004 und die vorangegangenen
Zwischenverfügungen seien aufzuheben und das Rechtshilfeersuchen sei, soweit
es die Beschwerdeführerin betreffe, abzuweisen.

F.
Die Oberzolldirektion schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Dagegen beantragt das Bundesamt für Justiz,
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei gutzuheissen. Im zweiten
Schriftenwechsel hält die Oberzolldirektion an ihrem Antrag fest; dagegen
verzichtet die Beschwerdeführerin auf die Rüge, das Rechtshilfeverfahren
hätte nicht der Oberzolldirektion übertragen werden dürfen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Angefochten ist eine Schlussverfügung der Oberzolldirektion als ausführende
Bundesbehörde; diese unterliegt zusammen mit den vorangehenden
Zwischenverfügungen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
(Art. 80g Abs. 1 IRSG). Die Beschwerdeführerin ist als Kontoinhaberin
persönlich und direkt von der Rechtshilfemassnahme betroffen und deshalb zur
Beschwerde legitimiert (Art. 80h lit. b IRSG). Auf die rechtzeitig erhobene
Beschwerde ist daher einzutreten.

Die Beschwerdeführerin wohnt in England und es ist ungewiss, ob sie einer der
Amtssprachen der Schweiz mächtig ist. Es rechtfertigt sich deshalb nicht, vom
Grundsatz abzuweichen, wonach das Urteil in der Sprache des angefochtenen
Entscheides, hier also auf deutsch, verfasst wird (Art. 37 Abs. 3 Satz 1 OG).

2.
Grossbritannien ist dem Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in
Strafsachen vom 20. April 1959 (EÜR; SR 0.351.1) sowie dem Übereinkommen vom
8. November 1990 über Geldwäscherei sowie Ermittlung, Beschlagnahme und
Einziehung von Erträgen aus Straftaten (GwÜ; SR 0.311.53) beigetreten, die
auch von der Schweiz ratifiziert worden sind. Soweit ersichtlich, sind beide
Übereinkommen jedoch bislang nicht auf Jersey erstreckt worden: In der Liste
der Vertragsstaaten und der Erklärungen des Vereinigten Königreichs zum
Geltungsbereich der Übereinkommen werden nur Guernsey und die Insel Man
genannt. Dann aber unterliegt die Rechtshilfe an Behörden von Jersey
weiterhin dem IRSG und der dazugehörigen Verordnung (Verordnung vom 24.
Februar 1982 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen; IRSV; SR
351.11).

3.
Die Beschwerdeführerin rügt zunächst eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
(Art. 29 Abs. 2 BV), weil ihr die Verfügung des Bundesamts für Justiz vom 8.
Januar 2003 nicht zugestellt worden sei, welche die Oberzolldirektion mit der
Durchführung des Rechtshilfeverfahrens beauftragt habe.

3.1 Grundsätzlich haben die Berechtigten Anspruch auf Einsicht in die
Rechtshilfeakten und damit auch in Weiterleitungsverfügungen des Bundesamts
(Art. 80b Abs. 1 IRSG). Allerdings können derartige Verfügungen nicht
angefochten werden (Art. 78 Abs. 4 IRSG), weshalb die Berechtigten
regelmässig kein besonderes Interesse an deren Zustellung haben. Insofern ist
es verständlich, dass die Oberzolldirektion das Schreiben des
Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin vom 2. Februar 2004, ihm seien Kopien
des Rechtshilfeersuchens und der diesbezüglich ergangenen Verfügungen ("ainsi
que les décisions rendues à cet égard") zuzustellen, nur auf die
Schlussverfügung und die Eintretensverfügung bezog und es unterliess, auch
eine Kopie der Weiterleitungsverfügung beizulegen (Schreiben der
Oberzolldirektion vom 5. Februar 2004). Mit Schreiben vom 9. Februar 2004
bedankte sich der Rechtsanwalt für die Unterlagen, ohne darauf hinzuweisen,
dass er eine Kopie der Weiterleitungsverfügung vermisse. Die
Oberzolldirektion durfte deshalb annehmen, sie habe das Einsichtsgesuch der
Beschwerdeführerin vollständig erfüllt. Unter diesen Umständen verstösst es
gegen Treu und Glauben, erstmals vor Bundesgericht geltend zu machen, man
habe auch Einsicht in die Weiterleitungsverfügung verlangt und nicht
erhalten.

3.2 Das Bundesamt für Justiz kommt in seiner Vernehmlassung zum Ergebnis, der
Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil die
Oberzolldirektion ihre Schlussverfügung über weite Strecken mit dem
britischen Rechtshilfeersuchen vom 30. Mai 2002 begründe, dieses Ersuchen der
Beschwerdeführerin indessen nie eröffnet worden sei.

Dieser Vorwurf trifft zu: In der Tat stützt sich die Schlussverfügung für die
Begründung eines Abgabebetrugs auf gewisse Tatsachen, die sich nicht aus dem
Rechtshilfegesuch Jerseys ergeben, sondern dem britischen Rechtshilfeersuchen
vom 30. Mai 2002 entnommen sind, namentlich zur Vorgehensweise der
Gesellschaften B.________s (u.a. Verwendung falscher Rechnungen). Erwähnt
werden zudem gewisse Personen (D.________, E.________, F.________ und
G.________), die nur im britischen Rechtshilfeersuchen vorkommen. Dann aber
hätte die Oberzolldirektion der Beschwerdeführerin auf deren Anfrage vom 2.
Februar 2004 hin auch das britische Rechtshilfeersuchen eröffnen müssen.

3.3 Verletzungen des rechtlichen Gehörs können gegebenenfalls im Verfahren
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geheilt werden, indem den Parteien das
ihnen bislang vorenthaltene Rechtshilfeersuchen zugestellt und ihnen
Gelegenheit gegeben wird, sich dazu zu äussern. Diese Vorgehensweise
rechtfertigt sich allerdings nur, um einen formalen Leerlauf und eine
unnötige Verzögerung einer - an sich gebotenen - Rechtshilfeleistung zu
verhindern. Im vorliegenden Fall bestehen jedoch auch materielle Einwände
gegen die Rechtshilfegewährung, wie im Folgenden darzulegen sein wird.

4.
Voraussetzung für die Leistung von Rechtshilfe ist, dass die im Ausland
verfolgte Handlung die objektiven Merkmale eines nach schweizerischem Recht
strafbaren Tatbestandes aufweist (Art. 64 Abs. 1 IRSG).

4.1 Im vorliegenden Fall wird A.________ vorgeworfen, Gewinne B.________s aus
der Hinterziehung von Verbrauchssteuern, namentlich Alkolholsteuern,
gewaschen zu haben. Die Oberzolldirektion bejaht die doppelte Strafbarkeit,
weil die im Rechtshilfegesuch geschilderte Abgabehinterziehung nach
schweizerischem Recht als Abgabebetrug zu qualifizieren und deshalb
rechtshilfefähig sei (Art 3 Abs. 3 IRSG). Sie übersieht jedoch, dass ein
Abgabebetrug i.S.v. Art. 14 des Bundesgesetzes vom 22. März 1974 über des
Verwaltungsstrafrecht (VStrR; SR 313.0) keine taugliche Vortat für
Geldwäscherei i.S.v. Art. 305bis StGB darstellt, weil es sich nicht um ein
Verbrechen, sondern nur um ein Vergehen handelt (vgl. Art. 9 StGB). Damit
erfüllen die A.________ zur Last gelegten Handlungen nach schweizerischem
Recht keinen Straftatbestand.

4.2 In ihrer Replik vertritt die Oberzolldirektion die Auffassung, die
Rechtshilfe könne zwar nicht wegen Geldwäscherei, wohl aber zur Verfolgung
der Vortat, d.h. des Abgabebetrugs, gewährt werden

Der Kronanwalt von Jersey ermittelt jedoch nur gegen A.________, dem
ausschliesslich Geldwäscherei und nicht auch Steuerhinterziehung bzw.
Abgabebetrug vorgeworfen wird. Gegen dessen Kunden B.________ und C.________
wurde nicht in Jersey, sondern in Grossbritannien wegen Hinterziehung von
Verbrauchssteuern ermittelt; dieses Verfahren ist inzwischen eingestellt und
das diesbezügliche Rechtshilfeersuchen der britischen Behörden zurückgezogen
worden (Einstellungsverfügung der Oberzolldirektion vom 10. Oktober 2003,
Rechtshilfeakten act. 8). Damit scheidet die Gewährung von Rechtshilfe an
Jersey zur Verfolgung des Abgabebetrugs aus.

4.3 Nach dem Gesagten fehlt es an der doppelten Strafbarkeit, weshalb die
beantragte Rechtshilfe nicht gewährt werden kann. Es erübrigt sich deshalb,
auf die übrigen Rügen der Beschwerdeführerin einzugehen.

5.
Nach dem Gesagten ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen, die
Schlussverfügung der Oberzolldirektion ist aufzuheben und das
Rechtshilfeersuchen des Kronanwalts von Jersey vom 28. November 2002 ist
abzuweisen, soweit sie die Beschwerdeführerin betreffen. Bei diesem Ausgang
des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine
Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 1 OG) und es sind keine Gerichtskosten zu
erheben (Art. 156 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen. Die Schlussverfügung der
Oberzolldirektion vom 28. Januar 2004 wird aufgehoben und das
Rechtshilfeersuchen des Kronanwalts von Jersey vom 28. November 2002
abgewiesen, soweit sie Konten bzw. Kontounterlagen der Beschwerdeführerin
betreffen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Die Eidgenossenschaft hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und der Eidgenössischen
Oberzolldirektion sowie dem Bundesamt für Justiz, Abteilung internationale
Rechtshilfe, Sektion Rechtshilfe, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Mai 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: