Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.278/2004
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1A.278/2004 /ggs

Urteil vom 17. März 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
Gerichtsschreiberin Gerber.

1. X.________,
2.Y.________,
3.Z.________,
Beschwerdeführerinnen,

gegen

Orange Communications SA, vertreten durch Rechtsanwalt Amadeus Klein,
A.________ AG,
Beschwerdegegnerinnen,
Baudepartement des Kantons St. Gallen, Lämmlisbrunnenstrasse 54, 9001 St.
Gallen,
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Spisergasse 41, 9001 St. Gallen.

weitere Verfahrensbeteiligte:
Politische Gemeinde Au, 9434 Au,
vertreten durch den Gemeinderat Au, 9434 Au,

Mobilfunkantennen-Anlage; Legitimation zum Rekurs,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons St. Gallen vom 9. November 2004.
Sachverhalt:

A.
Am 20. Juni 2003 reichte die Orange Communications AG ein Baugesuch für die
Erstellung einer Mobilfunkanlage auf dem Dach des Gewerbebetriebs der
A.________ AG (Parzelle Nr. 2355) an der Werkstrasse in Au ein. Gegen das
Bauvorhaben gingen zahlreiche Einsprachen ein, u.a. von Z.________,
X.________ und Y.________.

B.
Am 29. September 2003 hiess der Gemeinderat Au die Einsprachen gut und
verweigerte die Baubewilligung gestützt auf das Vorsorgeprinzip. Er war der
Auffassung, die Mobilfunkanlage sei auf dem Hochspannungsmast Nr. 11 der 110
KV-Leitung St. Margrethen-Widnau, in rund 500 m Entfernung vom Standort an
der Werkstrasse, zu errichten, um die Immissionen im Wohnquartier zu
vermindern.

C.
Gegen den Bauabschlag rekurrierte die Orange Communications AG am 20. Oktober
2003 ans Baudepartement des Kantons St. Gallen. Dieses hiess den Rekurs am 8.
Dezember 2003 im Sinne der Erwägungen gut, hob die Verfügung des
Gemeinderates auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an den Gemeinderat Au
zurück. Das Baudepartement hielt fest, dass die Gemeinden nicht unter
Berufung auf das Vorsorgeprinzip eine Standortverlegung verlangen könnten.
Die Gemeinde müsse jedoch noch abklären, ob der Anlagegrenzwert beim
Immissionsort Nr. 2, im Innern des Standortgebäudes, eingehalten werde. Dies
hänge davon ab, ob das Gebäude eine geschlossene Betondecke aufweise. Gegen
den Entscheid des Baudepartements wurde keine Beschwerde erhoben.

D.
Am 8. März 2004 erteilte der Gemeinderat Au die Baubewilligung und wies die
Einsprachen ab. Dagegen erhob der Verein für einen gesundheitsverträglichen
Mobilfunk in Au SG (VgMA) am 29. März 2003 Rekurs beim Baudepartement. Das
Baudepartement trat auf den Rekurs nicht ein, weil der Verein VgMA am
erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt gewesen sei, sondern erst während
des Rekursverfahrens gebildet worden sei; zudem hätte die Beschwerde bereits
gegen den Departementsentscheid vom 8. Dezember 2003 erhoben werden müssen.

E.
Gegen den Nichteintretensentscheid des Baudepartements erhoben Z.________,
X.________ und Y.________ Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons
St. Gallen. Dieses wies die Beschwerde am 9. November 2004 ab, soweit es
darauf eintrat.

F.
Gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid erheben Z.________, X.________
und Y.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Sie
beantragen, ihnen sei das rechtliche Gehör zu verschaffen und die Sache zur
materiellen Beurteilung ihres Rekurses an das Baudepartement zurückzuweisen.

G.
Das Baudepartement und das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen
beantragen Abweisung der Beschwerde. Die Orange Communications SA schliesst
auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Der Gemeinderat
Au verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die A.________ AG hat sich nicht
vernehmen lassen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid des
Verwaltungsgerichts, der einen Nichteintretensentscheid des Baudepartements
gestützt auf kantonales Prozessrecht schützt.

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Einwand, kantonales
Verfahrensrecht sei in bundesverfassungswidriger Weise angewandt worden, mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorzubringen, wenn der kantonale Entscheid
geeignet ist, die richtige Anwendung des Bundesrechts zu vereiteln. Dies wird
bejaht, wenn eine kantonale Rechtsmittelinstanz in einer bundesrechtlichen
Materie gestützt auf kantonales Verfahrensrecht auf eine Beschwerde nicht
eintritt (BGE 127 II 264 E. 1a S. 267 mit Hinweis). Da die
Beschwerdeführerinnen mit ihrem Rekurs die Verletzung von Bundesumweltrecht
geltend gemacht hatten, ist im vorliegenden Fall die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde grundsätzlich zulässig.

Da alle übrigen Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, ist auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.

2.
Streitig ist zunächst, ob der Rekurs vom 29. März 2004 als Eingabe des
Vereins VgMA verstanden werden musste - mit der Folge, dass darauf mangels
formeller Beschwer nicht einzutreten war, oder ob er nach Treu und Glauben
auch als persönliche Eingabe der Unterzeichnenden hätte behandelt werden
müssen. Für die erste Auslegung spricht der Briefkopf, der als Absender
"VgMA, Z.________, Werkstrasse, 9434 Au" aufführt; für die zweite Auslegung
der Umstand, dass der Rekurs von allen drei Beschwerdeführerinnen persönlich
unterzeichnet und einleitend als "unser Rekurs" bezeichnet worden war.

Im Entscheid  1A.80/2002 vom 18. Juni 2002 (publ. in URP 2002 S. 800) hatte
das Bundesgericht einen ähnlichen Fall zu beurteilen.  Damals war von einem
"Komitee gegen Mobilfunk-Antennenbau" Beschwerde erhoben worden; aus den
Begleitumständen ergaben sich jedoch Hinweise darauf, dass die
Beschwerdeerhebung im Namen nicht näher bezeichneter Einsprecher erfolgt war.
Das Bundesgericht erinnerte daran, dass Rechtsmittelerklärungen nach Treu und
Glauben auszulegen sind. Das Verwaltungsgericht hätte deshalb die Beschwerde
nicht einfach - ohne Rückfrage - als diejenige des Komitees behandeln und
wegen fehlender Parteifähigkeit mit einem Nichteintreten erledigen dürfen (E.
4).

Der VgMA ist zwar eine juristische Person und damit parteifähig; da er jedoch
am Einspracheverfahren und am ersten Rekursverfahren vor dem Baudepartement
nicht beteiligt gewesen war, fehlte ihm die formelle Beschwer und damit die
Beschwerdebefugnis. Insoweit stellt sich wie im Fall 1A.80/2002 die Frage, ob
der - von juristischen Laien verfasste - Rekurs vom 29. März 2004 nach Treu
und Glauben ohne weitere Nachfrage dem nicht beschwerdebefugten Verein
zugeordnet werden durfte.

Die Frage kann jedoch offen bleiben, wenn auf den Rekurs schon aus einem
anderen Grund nicht eingetreten werden konnte.

3.
3.1 Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass der Rückweisungsentscheid des
Baudepartements vom 8. Dezember 2003 in Bezug auf die Frage der
Rechtmässigkeit der streitigen Mobilfunkantenne ein Endentscheid sei: Die
Rückweisung sei einzig zur Abklärung erfolgt, ob das Standortgebäude
tatsächlich eine geschlossene Betondecke aufweise. Das Baudepartement habe in
seinen Erwägungen ausdrücklich festgehalten, dass die Bestimmungen der NISV
eingehalten seien und die Baubewilligung zu erteilen sei, falls die Prüfung
des Betriebsgebäudes ergebe, dass dieses eine geschlossene Betondecke
aufweise und deshalb der Anlagegrenzwert am Immissionsort Nr. 2 eingehalten
sei.

Diese Erwägungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen: Auch nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein Rückweisungsentscheid wie ein
Endentscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar, wenn er bereits
einen Grundsatzentscheid in der Sache enthält (BGE 129 II 286 E. 4.2 S. 291
mit Hinweisen). Unterbleibt die Anfechtung, so kann der Grundsatzentscheid
später, bei der Anfechtung des nach der Rückweisung erlassenen neuen
Entscheids, nicht mehr in Frage gestellt werden. Im vorliegenden Fall hatte
das Baudepartement in seinem Entscheid vom 8. Dezember 2003 die
Rechtmässigkeit des Bauvorhabens bereits grundsätzlich bejaht, weshalb dieser
Entscheid von den Beschwerdeführerinnen hätte angefochten werden müssen.

3.2 Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, der Gemeinderat habe sie vor
Bewilligung des Bauvorhabens mündlich und in der Baubewilligung schriftlich
informiert, dass ihnen nach Erteilung der Baubewilligung nochmals eine
Rekursmöglichkeit eingeräumt werde.

3.2.1 Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat aus dem Recht auf
Vertrauensschutz (Art. 9 BV; früher: Art. 4 aBV) den Grundsatz abgeleitet,
dass einer Partei aus einer falschen Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich kein
Nachteil erwachsen darf (vgl. BGE 123 II 231 E. 8b S. 238 mit Hinweisen).
Aufgrund einer unrichtigen Auskunft kann sich daher eine gesetzliche Frist im
Einzelfall entsprechend verlängern (BGE 117 Ia 421 E. 2a S. 422 mit
Hinweisen).

3.2.2 Im vorliegenden Fall enthielt jedoch der Rekursentscheid des
Baudepartements vom 8. Dezember 2003 eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung
(Beschwerdemöglichkeit an das Verwaltungsgericht innert 14 Tagen seit
Eröffnung). Dieser Entscheid wurde den Beschwerdeführerinnen zugestellt.

Z. ________ ersuchte denn auch am 11. Dezember 2003 namens des VgMA um
Fristerstreckung für die Einreichung einer Beschwerde bis mindestens zum 20.
Januar 2004. Das Verwaltungsgericht teilte ihr am 12. Dezember 2003 mit, dass
die Beschwerdefrist als gesetzliche Frist nicht erstreckt werden könne;
sofern sie gegen den Entscheid des Baudepartements vom 8. Dezember 2003
Beschwerde erheben wolle, sei es zwingend, dass sie innert der Frist von 14
Tagen eine Beschwerdeerklärung einreiche, da ansonsten auf die Beschwerde
nicht mehr eingetreten werden könne.

Die Beschwerdeführerinnen wussten somit, dass sie den Rückweisungsentscheid
innert 14 Tagen anfechten mussten, und durften nicht auf eine spätere
Anfechtungsmöglichkeit vertrauen.

3.2.3 Die Rechtsmittelbelehrung der Gemeinde in der Baubewilligung vom 8.
März 2004, wonach auch gegen ihren Entscheid noch Rekurs ans Baudepartement
erhoben werden könne, bezieht sich nur auf die von der Gemeinde neu
beurteilten Fragen (hier: die tatsächlichen Feststellungen zum Vorhandensein
einer durchgängigen Betondecke im Standortgebäude), nicht aber auf die vom
Baudepartement bereits verbindlich entschiedenen Rechtsfragen. Im Übrigen
machen die Beschwerdeführerinnen selbst nicht geltend, dass sie durch die
Rechtsmittelbelehrung der Gemeinde davon abgehalten worden wären, gegen den
Rückweisungsentscheid zu rekurrieren. Dies erscheint auch vom zeitlichen
Ablauf her ausgeschlossen, lief doch die Frist zur Anfechtung des
Rückweisungsentscheids schon im Dezember 2003 ab, während der Entscheid der
Gemeinde mit Rechtsmittelbelehrung erst im März 2004 erging.

4.
Nach dem Gesagten ist nicht ersichtlich, inwiefern kantonales Verfahrensrecht
in bundesverfassungs- oder bundesrechtswidriger Weise angewendet worden wäre.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens tragen die Beschwerdeführerinnen die Gerichtskosten.
Da die Orange Communications AG durch ihren Rechtsdienst vertreten ist, hat
sie keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird den Beschwerdeführerinnen auferlegt.

3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Baudepartement und dem
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen sowie der Politischen Gemeinde Au
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. März 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: