Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.244/2004
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1A.244/2004 /ggs

Urteil vom 21. April 2005

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Gerber.

1. AA.________,
2.AB.________,
3.AC.________,
4.AD.________,
5.AE.________,
6.AF.________,
7.AG.________,
8.AH.________,
9.AI.________,
10.AJ.________,
11.AK.________,
12.AL.________,
13.AM.________,
14.AN.________,
15.AO.________,
16.AP.________,
17.AQ.________,
18.AR.________,
19.AS.________,
20.AT.________,
21.AU.________,
22.AV.________,
23.AW.________,
24.AX.________,
25.AY.________,
26.AZ.________,
27.BA.________,
28.BB.________,
29.BC.________,
30.BD.________,
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Fürsprecher Rainer Weibel,

gegen

Swisscom Mobile AG, Network Rollout Central, Beschwerdegegnerin, vertreten
durch Fürsprecher Dr. Andreas Güngerich,
Einwohnergemeinde Zollikofen, 3052 Zollikofen,
handelnd durch die Bauverwaltung, Wahlackerstrasse 25, Postfach, 3052
Zollikofen,
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Rechtsamt,
Reiterstrasse 11, 3011 Bern,
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung,
Speichergasse 12, 3011 Bern.

Neubau Mobilfunkanlage auf dem Dach des Swisscom-Gebäudes Bernstrasse 116 in
Zollikofen,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 13. September 2004.

Sachverhalt:

A.
Am 23. Oktober 2003 erteilte die Baukommission Zollikofen der Swisscom Mobile
AG die Gesamtbewilligung zum Neubau einer Mobilfunkantennenanlage an der
Bernstrasse 116 in der Zentrumszone Zollikofens.

B.
Gegen diese Bewilligung erhoben AA.________ und 37 weitere Personen
Beschwerde an die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern
(BVE). Diese wies die Beschwerde am 29. März 2004 ab, soweit sie darauf
eintrat, und bestätigte den Gesamtentscheid der Baukommission Zollikofen.

C.
Gegen den Beschwerdeentscheid der BVE erhoben AA.________ und Mitbeteiligte
Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Dieses wies die
Beschwerde am 13. September 2004 ab.

D.
Gegen den Verwaltungsgerichtsentscheid erheben AA.________ und 29 weitere
Personen Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Sie beantragen, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und das Baugesuch sei abzuweisen.
Eventuell sei das Urteil an das Verwaltungsgericht zur Feststellung des
massgeblichen Sachverhalts zurückzuweisen.

E.
Die Swisscom Mobile AG, das Verwaltungsgericht und die Gemeinde Zollikofen
beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen. Die BVE hat auf eine
Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) und das Bundesamt für
Gesundheit (BAG) haben zu den in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen Stellung
genommen, ohne einen formellen Antrag zu stellen. Das Bundesamt für
Kommunikation (BAKOM) hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, der sich in erster
Linie auf die Verordnung vom 23. Dezember 1999 über den Schutz vor
nichtionisierender Strahlung (NISV; SR 814.710) stützt, d.h. auf
Bundesverwaltungsrecht. Hiergegen steht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans
Bundesgericht offen (Art. 97 und 98 lit. g OG).

Die Beschwerdeführer wohnen in einem Perimeter von 586 m um die geplante
Mobilfunkanlage, in welchem die berechnete Strahlung 10% oder mehr des
Anlagegrenzwerts beträgt. Sie sind somit zur Beschwerde legitimiert. Auf die
rechtzeitig erhobene Beschwerde ist daher einzutreten.

2.
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil weder
die BVE noch das Verwaltungsgericht die von den Beschwerdeführern beantragte
Stellungnahme des BAG eingeholt habe.

2.1 Die Beschwerdeführer hatten im kantonalen Verfahren die Gesetzmässigkeit
der Grenzwerte der NISV bestritten, u.a. mit Hinweis auf die im September
2003 veröffentlichte Studie der niederländischen Forschungsstelle TNO
"Effects of global communication system radio-frequency fields on well being
and cognitive functions of human subjects with and without subjective
complaints". Die Beschwerdeführer machten geltend, inzwischen befasse sich
nicht nur das BUWAL mit dieser Studie, sondern auch das BAG habe eine Studie
in Auftrag gegeben, um die TNO-Ergebnisse zu überprüfen. Dies sei ein Hinweis
darauf, dass die für Gesundheitsfragen primär zuständige Behörde das Risiko
anders einschätze als das BUWAL. Sie beantragten daher, es sei eine
Stellungnahme des BAG über die Gründe und den Umfang des Studienauftrags
einzuholen (vgl. Beschwerde an das Verwaltungsgericht E. 5a S. 9).

Das Verwaltungsgericht hielt eine Anfrage beim BAG für überflüssig, weil
Umfang und Motive des Studienauftrags notorisch seien und auch dem Publikum
auf Internet zugänglich seien.

In der Tat ergab sich schon aus dem vom BAG im Internet veröffentlichten
Informationsblatt "Gesundheitliche Auswirkungen von hochfrequenter Strahlung"
vom 15. Januar 2004, dass die im September 2003 veröffentlichte holländische
Studie, die einen Zusammenhang zwischen der UMTS-Exposition und einem
verschlechterten Wohlbefinden zeige, erst noch von weiteren Forschungsgruppen
wiederholt werden müsse, bevor deren Resultate anerkannt werden könnten. Das
BAG unterstütze deshalb eine Schweizer Studie, welche die holländische
UMTS-Studie wiederhole und prüfe. Insofern war bereits aus dieser
Veröffentlichung klar, dass es beim BAG-Studienauftrag um die Replikation der
TNO-Studie ging. Bei dieser Situation bedurfte es keiner weiteren Auskunft
des BAG zu Umfang und Motiven der Studie.

2.2 Die Beschwerdeführer machen vor Bundesgericht geltend, sie hätten dem
Faktenblatt des BAG auf Internet nicht entnehmen können, dass die vom BAG
unterstützte Replikationsstudie von der "Forschungsstiftung
Mobilkommunikation" in Auftrag gegeben worden sei und dass die Studie zu 40%
von den Mobilfunkbetreibern finanziert werde.

Damit geben sie ihrem Beweisantrag jedoch nachträglich einen anderen Inhalt:
Im kantonalen Verfahren wollten die Beschwerdeführer mit der Stellungnahme
des BAG zur Replikationsstudie nachweisen, dass die für Gesundheitsfragen
zuständige Bundesbehörde das Gesundheitsrisiko nichtionisierender Strahlung
höher einschätze als das BUWAL; nach der Finanzierung der Studie und deren
möglichen Beeinflussung durch die Mobilfunkindustrie wurde nicht gefragt.

Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Auskunft für den Ausgang
des Verfahrens relevant gewesen wäre, wie im Folgenden darzulegen sein wird.

3.
Die Beschwerdeführer machen geltend, dass die auftraggebende
"Forschungsstiftung Mobilkommunikation", die von der ETH Zürich zusammen mit
den drei Mobilfunkbetreibern Orange, Sunrise und Swisscom gegründet worden
sei, wesentlich von der Mobilfunkindustrie abhänge. Auch die in Auftrag
gegebene Replikationsstudie werde zu 40% von der Mobilfunkindustrie
finanziert. Unter diesen Umständen könne die Studie von vornherein nicht zu
einem beweiskräftigen Ergebnis führen. Dies wecke massive Zweifel an der
Unbefangenheit des BAG, des BUWAL und letztlich auch des Bundesrats, die das
Risiko einer Gefälligkeitsstudie in Kauf nähmen. Diese Ämter würden somit
ihrer Verpflichtung, die Forschung über gesundheitliche Risiken
nichtionisierender Strahlung zu verfolgen und die geltenden Grenzwerte
periodisch zu überprüfen, nicht nachkommen; insoweit sei ihnen eine
Pflichtverletzung vorzuwerfen.
Die Beschwerdeführer verlangen, dass die Bewilligung für die UMTS-Antennen
solange zu versagen sei, bis das von der TNO-Studie an den Tag gebrachte
Gesundheitsrisiko mit einer unabhängigen Replikationsstudie untersucht worden
sei.

3.1 Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, die von der "Forschungsstiftung
Mobilfunkindustrie" in Auftrag gegebene Replikationsstudie zu beurteilen,
bevor diese überhaupt vorliegt. Dieser kann jedoch - entgegen der Auffassung
der Beschwerdeführer - nicht von vornherein die Seriosität abgesprochen
werden. Die Beschwerdeführer weisen selbst darauf hin, dass die Studie zu 60%
- und damit mehrheitlich - von der öffentlichen Hand (BAG, BAKOM, BUWAL sowie
verschiedenen niederländischen Ministerien) finanziert wird. Sie wird von PD
Dr. Peter Achermann vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der
Universität Zürich geleitet; beteiligt sind weiter Prof. Niels Kuster von der
ETH Zürich und Dr. Martin Röösli vom Institut für Sozial- und
Präventivmedizin der Universität Bern. Sie wird somit von ausgewiesenen und
von der Mobilfunkindustrie unabhängigen Fachleuten durchgeführt. Unter diesen
Umständen erscheinen die Vorwürfe der Beschwerdeführer gegenüber den
Bundesbehörden als unbegründet.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Bundesrat im März 2005 die
Lancierung eines neuen nationalen Forschungsprogramms zum Thema
"Nichtionisierende Strahlung, Umwelt und Gesundheit" mit einem Budget von
insgesamt 5 Millionen Franken beschlossen hat.

3.2 Wie das BAG in seiner Vernehmlassung mitgeteilt hat, werden die
zuständigen Behörden, insbesondere das BAG, das BUWAL und das BAKOM, nach
Vorliegen der Ergebnisse der Replikationsstudie eine Lagebeurteilung
vornehmen; gestützt darauf werde der Bundesrat nötigenfalls prüfen, ob eine
Anpassung der NISV vorzunehmen sei.

Bis zu diesem Zeitpunkt muss die Baubewilligung auf der Grundlage des
geltenden Rechts, mithin der NISV erteilt werden (so schon
Bundesgerichtsentscheid 1A.72/2004 vom 1. September 2004 Ziff. 4.2). Immerhin
bestimmt Anh. 1 Ziff. 65 NISV, dass auch alte Anlagen im massgebenden
Betriebszustand an Orten mit empfindlicher Nutzung den Anlagegrenzwert
einhalten müssen. Damit wird sichergestellt, dass eine allfällige spätere
Anpassung der Grenzwerte der NISV auch von bereits bestehenden Anlagen
eingehalten werden muss.

4.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist
abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang tragen die Beschwerdeführer die
Gerichtskosten und müssen die anwaltlich vertretene private
Beschwerdegegnerin für die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens
entschädigen (Art. 156 und 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführer haben die Swisscom Mobile AG für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Einwohnergemeinde Zollikofen, der Bau-,
Verkehrs- und Energiedirektion und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, sowie dem Bundesamt für Umwelt, Wald und
Landschaft, dem Bundesamt für Kommunikation und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. April 2005

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: