Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.209/2004
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1A.209/2004 /sta

Urteil vom 27. Oktober 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Féraud,
Gerichtsschreiber Forster.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph
Storrer,

gegen

Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion
Auslieferung, Bundesrain 20, 3003 Bern.

Auslieferung an Deutschland - B 150581,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Auslieferungsentscheid des Bundesamts
für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung,
vom 19. August 2004.
Sachverhalt:

A.
Gestützt auf das Festnahmeersuchen von Interpol Wiesbaden vom 6. Juli 2004
bzw. den Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 8. Juni 2004 wurde
X.________ am 7. Juli 2004 in der Schweiz verhaftet und in provisorische
Auslieferungshaft versetzt. Anlässlich der gleichentags erfolgten Befragung
widersetzte sich der Verfolgte einer vereinfachten Auslieferung nach
Deutschland. Am 26. Juli 2004 ersuchte das Bayerische Staatsministerium der
Justiz die schweizerischen Behörden um Auslieferung von X.________. Dem
Verfolgten wird gewerbsmässiger Betrug und Urkundenfälschung vorgeworfen. Mit
Entscheid vom 19. August 2004 verfügte das Bundesamt für Justiz (BJ) die
Auslieferung des Verfolgten an Deutschland.

B.
Gegen den Auslieferungsentscheid des BJ gelangte X.________ mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 15. September 2004 an das Bundesgericht. Er
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Abweisung des
Auslieferungsersuchens. Das BJ beantragt in seiner Vernehmlassung vom 24.
September 2004 die Abweisung der Beschwerde. Innert der auf 12. Oktober 2004
angesetzten Frist ist keine Replik des Beschwerdeführers eingetroffen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beurteilung von Auslieferungsersuchen der Bundesrepublik Deutschland
richtet sich nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13.
Dezember 1957 (EAUe, SR 0.353.1) und dem Zweiten Zusatzprotokoll zum EAUe vom
17. März 1978 (SR 0.353.12), denen beide Staaten beigetreten sind, sowie nach
dem Zusatzvertrag zwischen der Schweiz und Deutschland über die Ergänzung des
EAUe und die Erleichterung seiner Anwendung vom 13. November 1969 (SR
0.353.913.61). Soweit die genannten Staatsverträge bestimmte Fragen nicht
abschliessend regeln, ist das schweizerische Landesrecht anwendbar,
namentlich das Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen
vom 20. März 1981 (IRSG, SR 351.1) und die dazugehörende Verordnung vom 24.
Februar 1982 (IRSV, SR 351.11; vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. a IRSG; BGE 130 II 337
E. 1 S. 339).

1.1 Der Auslieferungsentscheid des BJ kann mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beim Bundesgericht angefochten werden (Art. 55 Abs. 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 1
IRSG). Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 97-114 OG sind erfüllt.

1.2 Zulässige Beschwerdegründe sind sowohl die Verletzung von Bundesrecht
(inklusive Staatsvertragsrecht), einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens, als auch die Rüge der unrichtigen oder
unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts; der
Vorbehalt von Art. 105 Abs. 2 OG trifft hier nicht zu (Art. 104 lit. a-b OG).
Soweit die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben (und die staatsrechtliche
Beschwerde daher ausgeschlossen) ist, kann auch die Verletzung
verfassungsmässiger Individualrechte (bzw. der EMRK und des UNO-Paktes II)
mitgerügt werden (BGE 130 II 337 E. 1.3 S. 341 mit Hinweisen).

1.3 Das Bundesgericht ist an die Begehren der Parteien nicht gebunden (Art.
25 Abs. 6 IRSG). Es prüft die Auslieferungsvoraussetzungen grundsätzlich mit
freier Kognition. Im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde befasst es sich
jedoch nur mit Tat- und Rechtsfragen, die Streitgegenstand der Beschwerde
bilden (BGE 130 II 337 E. 1.4 S. 341 mit Hinweisen).

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe "überhaupt nichts zu tun mit
angeblichen Kreditkartendelikten in Deutschland". Die ersuchende Behörde habe
die an ihn gerichteten Vorwürfe zu konkretisieren und näher zu erläutern,
welche Handlungen ihm vorgeworfen werden. Zwar treffe es zu, dass er in dem
im Auslieferungsersuchen erwähnten Zeitraum sich bei seinem Schwager in
Deutschland aufgehalten habe. Diesbezüglich vermöge er auch kein Alibi
geltend zu machen. "Ebenso konstant" habe er jedoch "ausgesagt, während
dieser Zeit in Deutschland an keinerlei Straftaten beteiligt gewesen zu
sein". In der gesamten Rechtshilfekorrespondenz fehle "jeglicher
konkretisierende Hinweis darauf, was denn der Beschwerdeführer selbst
Strafbares getan haben soll, welches sein Tatbeitrag zu den behaupteten
Kreditstraftaten gewesen sein soll". Gestützt auf die vagen Vorwürfe könnten
die Auslieferungsvoraussetzungen (bzw. die Einhaltung des
Spezialitätsprinzips oder des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes) nicht geprüft
werden.

2.1 Nach Massgabe des EAUe sind die Vertragsparteien grundsätzlich
verpflichtet, einander Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des
ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt oder zur
Vollstreckung einer Strafe oder einer sichernden Massnahme gesucht werden
(Art. 1 EAUe). Auszuliefern ist wegen Handlungen, die sowohl nach dem Recht
des ersuchenden als auch nach demjenigen des ersuchten Staates mit einer
Freiheitsstrafe (oder die Freiheit beschränkenden sichernden Massnahme) im
Höchstmass von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Strafe bedroht
sind (Art. 2 Ziff. 1 EAUe; Art. 35 Abs. 1 IRSG; vgl. BGE 128 II 355 E. 2.1 S.
360).

2.2 Art. 12 Ziff. 2 lit. b EAUe verlangt von der ersuchenden Behörde eine
"Darstellung der Handlungen derentwegen um Auslieferung ersucht wird". Zeit
und Ort ihrer Begehung sowie ihre rechtliche Würdigung unter Bezugnahme auf
die anwendbaren Gesetzesbestimmungen sind "so genau wie möglich" anzugeben.
Unter dem Gesichtspunkt des hier massgebenden EAUe reicht es grundsätzlich
aus, wenn die Angaben im Rechtshilfeersuchen und in dessen Beilagen es den
schweizerischen Behörden ermöglichen zu prüfen, ob ausreichende Anhaltspunkte
für eine auslieferungsfähige Straftat vorliegen, ob Verweigerungsgründe
gegeben sind bzw. in welchem Umfang dem Begehren allenfalls entsprochen
werden muss. Der Rechtshilferichter muss namentlich prüfen können, ob die
Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit nach Art. 2 Ziff. 1 EAUe erfüllt
ist. Es kann hingegen nicht verlangt werden, dass die ersuchende Behörde die
Tatvorwürfe bereits abschliessend mit Beweisen belegt. Der Rechtshilferichter
hat weder Tat- noch Schuldfragen zu prüfen und grundsätzlich auch keine
Beweiswürdigung vorzunehmen, sondern ist vielmehr an die
Sachverhaltsdarstellung im Ersuchen gebunden, soweit sie nicht durch
offensichtliche Fehler, Lücken oder Widersprüche sofort entkräftet wird (vgl.
BGE 125 II 250 E. 5b S. 257; 122 II 134 E. 7b S. 137, 367 E. 2c S. 371, 422
E. 3c S. 431; 120 Ib 251 E. 5c S. 255; 118 Ib 111 E. 5b S. 121 f.; 117 Ib 64
E. 5c S. 88, je mit Hinweisen).

2.3 Das Ersuchen stützt sich ausdrücklich auf den beigelegten Haftbefehl der
Staatsanwaltschaft Augsburg vom 8. Juni 2004. Darin wird der untersuchte
Sachverhalt wie folgt dargestellt: Der Beschwerdeführer sei der "Kopf einer
Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Kreditstraftaten
zusammengeschlossen" habe. "Der Tatplan" habe vorgesehen, "durch Strohmänner
bei Kreditinstituten in Deutschland Girokonten zu eröffnen und Kreditverträge
abzuschliessen, wobei von vornherein nur eine sofortige Inanspruchnahme des
Kreditbetrages und des Dispokreditbetrages des entsprechenden Girokontos
beabsichtigt" gewesen sei. "Die Strohmänner, die eigens zu diesem Zweck in
Österreich angeworben" worden seien, hätten "für ihre Tätigkeit im
Erfolgsfall einen geringen Teil der Kreditsumme behalten dürfen", den Rest
hätten sie an den Beschwerdeführer als "Drahtzieher" auszuzahlen gehabt. "Die
Bandenstruktur" sei "derart gestaltet" gewesen, dass der Beschwerdeführer
"für die Durchführung der Kreditaufnahmen", die Mitbestimmung der "Zeiten"
und "Örtlichkeiten" sowie die "Auswahl der operativ bei den Banken tätigen
Personen verantwortlich" gewesen sei. Weitere Angeschuldigte seien als
Kreditnehmer, als Anwerber, Fahrer, Begleiter und Betreuer der Kreditnehmer
sowie als Hersteller von "falschen Gehaltsbescheinigungen" aufgetreten.
Entsprechende betrügerische Kreditaufnahmen bzw. Kreditaufnahmeversuche seien
am 26. Februar 2004 (EUR 19'000.--), 1. März 2004 (EUR 32'755.10) und 3. März
2004 (EUR 30'000.--) je bei zwei Banken in Augsburg erfolgt (vgl. Haftbefehl,
S. 1-3).

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Beschwerdeführer zusammenfassend vor, er
habe "gemeinschaftlich handelnd als Mitglied einer Bande, die sich zur
fortgesetzten Begehung von Betrugstaten verbunden" habe, "in der Absicht,
sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen
eines andern dadurch beschädigt", dass er "durch Vorspiegelung falscher oder
durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregte
oder unterhielt, wobei er gewerbsmässig handelte". In zwei Fällen habe er
"dies durch zwei weitere selbständige Handlungen versucht". Ausserdem habe
der Beschwerdeführer "zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde
gebraucht". Auch diesbezüglich habe er "gewerbsmässig" gehandelt und "als
Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von
Urkundenfälschungen verbunden" habe. Das dem Beschwerdeführer vorgeworfene
Verhalten sei nach deutschem Strafrecht als "Betrug und versuchter Betrug",
"in zwei sachlich zusammentreffenden Fällen jeweils zugleich" als
"Urkundenfälschung" zu qualifizieren (Haftbefehl, S. 3).

2.4 Die Sachverhaltsdarstellung des Ersuchens erfüllt die massgeblichen
Voraussetzungen des EAUe. Die ersuchende Behörde wirft dem Beschwerdeführer
(gewerbs- und bandenmässigen) Kreditbetrug und Urkundenfälschung vor. Die
betreffenden Delikte sind sowohl nach deutschem als auch nach schweizerischem
Strafrecht strafbar. Die Strafdrohung schon für einfachen Betrug beträgt nach
Art. 146 StGB Gefängnis (bis zu drei Jahren) oder Zuchthaus bis zu fünf
Jahren. Dem Beschwerdeführer wird persönlich vorgeworfen, in betrügerischer
Weise getäuscht zu haben, und zwar in Mittäterschaft "durch Vorspiegelung
falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen". In zwei
weiteren Fällen habe er zu betrügen versucht. Ausserdem habe der
Beschwerdeführer "zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde
gebraucht". Im Rahmen der arbeitsteiligen Bandenstruktur sei er namentlich
"für die Durchführung der Kreditaufnahmen", die Mitbestimmung der "Zeiten"
und "Örtlichkeiten" sowie die "Auswahl der operativ bei den Banken tätigen
Personen verantwortlich" gewesen. Diese Angaben entsprechen den Anforderungen
von Art. 12 Ziff. 2 lit. b EAUe. Die Vorbringen des Beschwerdeführers, er
könne zwar kein Alibi darlegen, er bestreite jedoch und habe stets
bestritten, sich strafbar gemacht zu haben, begründen kein
Auslieferungshindernis. Von einer unverhältnismässigen Auslieferung wegen
Bagatellen kann ebenfalls keine Rede sein.

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Bei diesem
Prozessausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen
(Art. 156 Abs. 1 OG)

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Bundesamt für Justiz,
Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 27. Oktober 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: