Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.201/2004
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1A.201/2004 /sta

Urteil vom 4. November 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Féraud,
Gerichtsschreiber Forster.

X. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion
Auslieferung,
Bundesrain 20, 3003 Bern.

Weiterauslieferung von Österreich an Serbien und Montenegro - B 139 279,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Bundesamts für Justiz,
Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, vom 16. August
2004.
Sachverhalt:

A.
Mit Auslieferungsentscheid des Bundesamtes für Justiz (BJ) vom 23. Mai 2003
wurde der Kosovo-Albaner X.________ durch die Schweiz an Österreich
ausgeliefert. Mit Ersuchen vom 2. Juli (ergänzt am 28. Juli) 2004 ersuchte
Österreich die Schweiz förmlich um Bewilligung zur Weiterauslieferung des
Verfolgten an Serbien und Montenegro zur Vollstreckung einer noch
ausstehenden Reststrafe von elf Monaten gemäss dem rechtskräftigen
Strafurteil des Gerichtes in Kosovska Mitrovica vom 14. Juni 1993 betreffend
ein Tötungsdelikt. Mit Entscheid vom 16. August 2004 bewilligte das BJ die
Weiterauslieferung von Österreich an Serbien und Montenegro.

B.
Gegen den Weiterauslieferungsentscheid des BJ gelangte X.________ mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 3. September 2004 an das Bundesgericht. Er
beantragt die Nichtbewilligung der Weiterauslieferung an Serbien und
Montenegro.

Das BJ beantragt mit Stellungnahme vom 27. September 2004 die Abweisung der
Beschwerde. Innert der auf 11. Oktober 2004 angesetzten Frist hat der
Beschwerdeführer kein Zustelldomizil in der Schweiz gewählt; am 29. Oktober
2004 ging seine Replik ein (in albanischer Sprache).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beurteilung von Weiterauslieferungsersuchen der Republik Österreich
richtet sich primär nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13.
Dezember 1957 (EAUe, SR 0.353.1), dem Österreich und die Schweiz (sowie auch
der Drittstaat Serbien und Montenegro, an den Österreich den Verfolgten
weiterausliefern möchte) beigetreten sind, sowie nach dem Zusatzvertrag
zwischen Österreich und der Schweiz vom 13. Juni 1972 über die Ergänzung des
EAUe und die Erleichterung seiner Anwendung (ZV-AT, SR 0.353.916.31). Soweit
die massgeblichen Staatsverträge bestimmte Fragen nicht abschliessend regeln,
ist das schweizerische Landesrecht anwendbar, namentlich das Bundesgesetz
über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG, SR
351.1) und die dazugehörende Verordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV, SR
351.11; vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. a IRSG; BGE 130 II 337 E. 1 S. 339).

1.1 Der Weiterauslieferungsentscheid des BJ kann mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden (Art. 55
Abs. 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 IRSG). Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art.
97-114 OG sind erfüllt.

1.2 Zulässige Beschwerdegründe sind sowohl die Verletzung von Bundesrecht
(inklusive Staatsvertragsrecht), einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens, als auch die Rüge der unrichtigen oder
unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts; der
Vorbehalt von Art. 105 Abs. 2 OG trifft hier nicht zu (Art. 104 lit. a-b OG).
Soweit die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben (und die staatsrechtliche
Beschwerde daher ausgeschlossen) ist, kann auch die Verletzung
verfassungsmässiger Individualrechte (bzw. der EMRK und des UNO-Paktes II)
mitgerügt werden (BGE 130 II 337 E. 1.3 S. 341 mit Hinweisen).

1.3 Das Bundesgericht ist an die Begehren der Parteien nicht gebunden (Art.
25 Abs. 6 IRSG). Es prüft die Weiterauslieferungsvoraussetzungen
grundsätzlich mit freier Kognition. Im Rahmen der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde befasst es sich jedoch nur mit Tat- und
Rechtsfragen, die Streitgegenstand der Beschwerde bilden (BGE 130 II 337 E.
1.4 S. 341 mit Hinweisen).

2.
Der Beschwerdeführer wendet sich in seiner Laienbeschwerde gegen die vom BJ
bewilligte Weiterauslieferung von Österreich an Serbien und Montenegro. Er
fürchte um sein Leben, sollte er "zur Strafverbüssung in ein serbisches
Gefängnis kommen", da er "1998 Mitglieder der UCK bekämpft" habe und nun
befürchte, "dass sich die UCK rächen könnte". "Deshalb" beantrage er "die
Auslieferung nach Kosova, und von der Auslieferung nach Serbien und
Montenegro Abstand zu nehmen". Ausserdem sei seine Heimat "Kosova und nicht
Serbien und Montenegro", und auch die Gerichtsverhandlung habe in der
autonomen serbischen Provinz Kosova stattgefunden.

2.1 Nach Massgabe des EAUe sind die Vertragsparteien grundsätzlich
verpflichtet, einander Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des
ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt oder zur
Vollstreckung einer Strafe oder einer sichernden Massnahme gesucht werden
(Art. 1 EAUe). Auszuliefern ist wegen Handlungen, die sowohl nach dem Recht
des ersuchenden als auch nach demjenigen des ersuchten Staates mit einer
Freiheitsstrafe (oder die Freiheit beschränkenden sichernden Massnahme) im
Höchstmass von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Strafe bedroht
sind. Ist im Hoheitsgebiet des um Auslieferung ersuchenden Staates eine
Verurteilung zu einer Strafe erfolgt, so muss deren Mass mindestens vier
Monate betragen (Art. 2 Ziff. 1 EAUe; Art. 35 Abs. 1 IRSG; vgl. BGE 128 II
355 E. 2.1 S. 360).

2.2 Der ersuchende Staat darf den Ausgelieferten, der von einer andern
Vertragspartei wegen vor der Übergabe begangener strafbarer Handlungen
gesucht wird, nur mit Zustimmung des ersuchten Staates der andern
Vertragspartei ausliefern (Art. 15 EAUe). Im Rechtshilfeverkehr zwischen der
Schweiz und Österreich sind dem Weiterauslieferungsersuchen die in Art. 12
Ziff. 2 EAUe erwähnten Unterlagen beizufügen, welche dem um Zustimmung zur
Weiterauslieferung ersuchenden Staat übermittelt worden sind (Art. IX ZV-AT).

2.3 Die Voraussetzungen einer Weiterauslieferung gemäss Art. 15 EAUe und Art.
IX ZV-AT sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Weiterauslieferung dient der
Vollstreckung einer noch ausstehenden Reststrafe von elf Monaten gemäss dem
rechtskräftigen Strafurteil des Gerichtes in Kosovska Mitrovica vom 14. Juni
1993. Das fragliche Tötungsdelikt wurde vor der (am 23. Mai 2003 erfolgten)
Auslieferung durch die Schweiz an Österreich begangen. Österreich hat die
förmliche Zustimmung der schweizerischen Behörden zur Weiterauslieferung
eingeholt (vgl. auch BGE 106 Ib 297 E. 6a S. 306). Das genannte
rechtskräftige Urteil und das Auslieferungsersuchen von Serbien und
Montenegro samt Beilagen befinden sich bei den Akten.

Die Vorbringen des Beschwerdeführers begründen kein Hindernis für die
Bewilligung der Weiterauslieferung. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer
die autonome serbische Provinz Kosova als seine Heimat bezeichnet und er dort
gerichtlich verurteilt wurde, schliesst eine Auslieferung bzw.
Weiterauslieferung an Serbien und Montenegro nicht aus (vgl. BGE 130 II 337
ff.). Zwar macht der Beschwerdeführer geltend, er fürchte um sein Leben,
sollte er "zur Strafverbüssung in ein serbisches Gefängnis kommen", da er
"1998 Mitglieder der UCK bekämpft" habe und nun befürchte, "dass sich die UCK
rächen könnte". "Deshalb" beantrage er "die Auslieferung nach Kosova, und von
der Auslieferung nach Serbien und Montenegro Abstand zu nehmen". Diese
Vorbringen sind jedoch sachlich nur schwer nachvollziehbar. Falls der
Beschwerdeführer, wie er geltend macht, Mitglieder der kosovoalbanischen
Widerstandsorganisation UCK "bekämpft", also die proserbische Seite
unterstützt hat und nun befürchtet, "dass sich die UCK rächen könnte", müsste
er - wenn schon - eher Bedenken gegenüber einer Auslieferung in die
(albanisch orientierte) Provinz Kosova äussern. Darüber hinaus wird die
Weiterauslieferung des Beschwerdeführers nicht für allfällige Straftaten
gegen UCK-Angehörige im Jahre 1998 beantragt, sondern für ein früheres
Tötungsdelikt, für das ihn das Gericht in Kosovska Mitrovica am 14. Juni 1993
rechtskräftig verurteilt hat. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, die
betreffende Verurteilung sei politisch motiviert.

Die Vorbringen des Beschwerdeführers begründen keine konkreten Anhaltspunkte
dafür, dass eine Weiterauslieferung nach Serbien und Montenegro unter dem
Gesichtspunkt der Menschenrechte, des Verbotes politischer Verfolgung oder
des internationalen ordre public unzulässig erscheinen könnte. Die Frage, ob
die materiellen Voraussetzungen einer Auslieferung des Verfolgten durch
Österreich an Serbien und Montenegro nach dem EAUe erfüllt sind oder nicht,
ist im Übrigen nicht durch den schweizerischen Rechtshilferichter zu prüfen,
sondern durch die dafür zuständigen österreichischen Behörden. Über das
bereits Dargelegte hinaus verlangt Art. 15 EAUe seitens der schweizerischen
Behörden keine selbstständige Prüfung der materiellen Voraussetzungen für
eine Auslieferung Österreichs an Serbien und Montenegro.

Auf die Replik des Beschwerdeführers in albanischer Sprache ist nicht
einzutreten. Sämtliche Rechtsschriften für das Gericht sind in einer
schweizerischen Nationalsprache abzufassen (Art. 30 Abs. 1 OG). Innert der
Replikfrist hat der Beschwerdeführer weder eine Eingabe in einer
schweizerischen Nationalsprache eingereicht, noch ein Fristerstreckungsgesuch
zur Einreichung einer Übersetzung gestellt. Das Ansetzen einer Nachfrist von
Amtes wegen ist für solche Fälle gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. Art. 30
Abs. 2 OG). Im Übrigen enthält die Vernehmlassung des BJ über den
angefochtenen Entscheid hinaus keine entscheiderheblichen neuen
Gesichtspunkte.

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Bei diesem
Verfahrensausgang wären die Gerichtskosten grundsätzlich dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Angesichts der konkreten Umstände kann
jedoch auf die Erhebung einer Gerichtsgebühr verzichtet werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Bundesamt für Justiz,
Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 4. November 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: