Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1A.152/2004
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1A.152/2004 /sza

Urteil vom 24. November 2004

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Alfred R. Sulzer, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr.
iur. Tomas Poledna,

gegen

Stadtrat von Zürich, 8022 Zürich, vertreten durch die Vorsteherin des
Polizeidepartements der Stadt Zürich, Amthaus I, Bahnhofquai 3, Postfach,
8021 Zürich,
Regierungsrat des Kantons Zürich,
Kaspar Escher-Haus, 8090 Zürich,
Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3003 Bern, vertreten durch
das Bundesamt für Strassen, 3003 Bern.

Verkehrsanordnungen im Stadtkreis Zürich 1
(Altstadt rechts der Limmat),

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Bundesrates der
Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 12. Mai 2004.

Sachverhalt:

A.
Alfred R. Sulzer ist Miteigentümer der Liegenschaft Spiegelgasse
13/Leuengasse 8, in deren Untergeschoss sich eine über die Leuengasse
erschlossene unterirdische Garage befindet. Er betreibt in diesen
Räumlichkeiten eine Beratungsfirma. Im Gebiet Altstadt rechts der Limmat, in
welchem sich die Liegenschaft befindet, bestehen seit 1972 Sperrzonen mit
einem Nachtfahrverbot von 19:00 bis 05:00 Uhr und Fussgängerzonen mit noch
weitergehenden Verkehrsbeschränkungen.

A.a Mit Verfügungen vom 6. März und 9. Juni 1987 erweiterte der
Polizeivorstand der Stadt Zürich die Fussgängerzone.

Am 28. Januar 1993 verfügte der Polizeivorstand wiedererwägungsweise neue
Verkehrsvorschriften für die Altstadt rechts der Limmat. Dabei wurde die
"Leuengasse zwischen der Spiegelgasse und dem Haus Nr. 3 (inkl.)" und die
Spiegelgasse der "Zone mit Fahrverbot" zugeteilt. Darin ist der Verkehr mit
Motorwagen, Motorrädern und Motorfahrrädern grundsätzlich verboten. Erlaubt
ist die Zufahrt zum Güterumschlag oder zum Ein- und Aussteigenlassen zwischen
05:00 und 12:00 Uhr; in der übrigen Zeit ist die Zufahrt für Hotellogiergäste
und Taxis sowie Fahrzeuge mit schriftlicher Ausnahmebewilligung erlaubt.

Der Stadtrat wies die dagegen erhobenen Einsprachen zwischen April und Juli
1995 ab.

Das Statthalteramt des Bezirks Zürich vereinigte die dagegen erhobenen
Rekurse und hiess sie am 30. April 1996 gut.

Der Regierungsrat des Kantons Zürich wies den Rekurs der Stadt Zürich gegen
diesen Statthalterentscheid am 9. Juni 1999 ab. Auf ein Wiedererwägungsgesuch
der Stadt trat er am 15. Dezember 1999 nicht ein.

A.b Gestützt auf erneutes Wiedererwägungsgesuch des Zürcher Stadtrates kam
der Regierungsrat am 4. Juli 2001 auf seinen Entscheid vom 9. Juni 1999
zurück, änderte diesen ab und bestätigte die Verfügung des Polizeivorstands
vom 28. Januar 1993 mit verschiedenen Änderungen. Die Liegenschaft des
Beschwerdeführers bleibt danach in der "Zone mit Fahrverbot", in welcher neu
sämtlicher Verkehr - auch derjenige mit Fahrrädern - verboten ist. Der 1993
verfügte Ausnahmenkatalog bleibt unverändert. Neu festgelegt wird, dass die
(auch der Erschliessung der Liegenschaft des Beschwerdeführers dienenden)
"Zufahrten Hirschengraben/Kirchgasse/Untere Zäune und ab Zähringerplatz" von
12:00 bis 02:00 bzw. 03:00 Uhr mit Hilfe einer bewachten Barrierenanlage
kontrolliert werden.

A.c Mit Entscheid vom 12. Mai 2004 wies der Schweizerische Bundesrat die
beiden Beschwerden der Geschäftsvereinigung Limmatquai Dörfli und von Alfred
R. Sulzer ab und schrieb diejenige der Stadt Zürich ab.

B.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 14. Juni 2004 beantragt Alfred R.
Sulzer, diesen Bundesratsentscheid sowie den Regierungsratsbeschluss vom 4.
Juli 2001 aufzuheben.

C.
Der Stadtrat von Zürich und das Bundesamt für Strassen beantragen in ihren
Vernehmlassungen, auf die Beschwerde nicht einzutreten oder sie eventuell
abzuweisen.

In seiner Replik hält Alfred R. Sulzer an der Beschwerde fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist, was der Beschwerdeführer nicht
verkennt, gegen Rechtsmittelentscheide des Bundesrates grundsätzlich nicht
gegeben (Art. 98 OG e contrario). Er macht indessen geltend, bei der
streitigen Rechtssache handle es sich um eine zivilrechtliche Angelegenheit
im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK, weshalb er gemäss BGE 125 II 420 entgegen
anderslautenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen beim Bundesgericht
angefochten werden könne.

1.1 Im erwähnten Urteil trat das Bundesgericht auf eine vom einschlägigen
Verfahrensrecht nicht vorgesehene Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen
Rechtsmittelentscheid des Bundesrates ein, um den von Art. 6 Ziff. 1 EMRK für
zivilrechtliche Streitigkeiten garantierten gerichtlichen Rechtsschutz zu
gewährleisten. Voraussetzung für ein derartiges Vorgehen ist, dass es sich
bei der im Streit liegenden Rechtssache um eine zivilrechtliche Angelegenheit
im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK handelt.

1.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, die sich an der Praxis der
Strassburger Organe orientiert, beschränkt sich die Garantie von Art. 6 Ziff.
1 EMRK nicht auf Streitigkeiten zwischen Privaten oder zwischen Privaten und
dem Staat in seiner Eigenschaft als Subjekt des Privatrechts und damit auf
zivilrechtliche Streitigkeiten im engeren Sinn, sondern gilt auch für
Verwaltungsakte einer hoheitlich handelnden Behörde, sofern diese massgeblich
in Rechte und Verpflichtungen privatrechtlicher Natur eingreifen.
Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist, dass
Existenz, Inhalt, Umfang oder Art der Ausübung von aus dem innerstaatlichen
Recht ableitbaren Ansprüchen oder Verpflichtungen privatrechtlicher Natur im
Streit liegen. Dabei wird verlangt, dass die Streitigkeit echt und
ernsthafter Natur ist und deren Ausgang sich für den zivilrechtlichen
Anspruch als unmittelbar entscheidend erweist; bloss weit entfernte
Auswirkungen reichen nicht aus. Als zivilrechtlich gilt insbesondere eine
sich im Schutzbereich der Eigentumsgarantie von Art. 26 BV abspielende
Streitigkeit über die Ausübung von Eigentumsrechten. Der Anwendungsbereich
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist damit zwar weit, aber keineswegs schrankenlos.
Die EMRK unterscheidet zwischen Zivilrechtsstreitigkeiten, für welche sie
einen innerstaatlichen gerichtlichen Rechtsschutz vorschreibt, und anderen
Streitigkeiten über die Verletzung materieller konventionsrechtlicher
Garantien, für welche Art. 13 EMRK innerstaatlich einen Anspruch auf eine
wirksame Beschwerde einräumt, welchem die Beschwerde an den Bundesrat vollauf
genügt. Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist daher kein genereller Anspruch
abzuleiten, wonach Rechtsstreitigkeiten unabhängig von ihrem Inhalt immer
einer gerichtlichen Beurteilung unterliegen (zur Publikation bestimmter
Entscheid 1P.7/2004 vom 13. Oktober 2004, E. 5; BGE 123 I 25 E. 2b/dd;).

1.3
1.3.1Bis vor kurzem galt nach ständiger Rechtsprechung, dass ein
Strassenanstösser kein besseres Recht auf die Benützung einer im
Gemeingebrauch stehenden Strasse hat als jedermann, soweit ihm das kantonale
Recht - was hier nicht geltend gemacht wird - eine besondere Rechtsstellung
einräumt. Der Strassenanstösser verfügte nach dieser alten Praxis nur über
eine tatsächliche Vorzugsstellung und nicht auf ein unter dem Schutz der
Eigentumsgarantie stehendes Recht auf Zugang und Benützung einer an sein Land
angrenzenden öffentlichen Strasse. Aus diesem Grund wurde ihm die
Legitimation abgesprochen, sich unter Berufung auf die Eigentumsgarantie
gegen die Aufhebung oder die Einschränkung des Gemeingebrauchs der Strasse
mit staatsrechtlicher Beschwerde zur Wehr zu setzen (Darstellung der
Rechtsprechung in BGE 126 I 213 E. 1b/aa).

1.3.2 Diese Rechtsprechung gab das Bundesgericht im erwähnten Entscheid auf.
Es erkannte, dass sich der Schutzbereich der Eigentumsgarantie nicht nur auf
die unmittelbar aus dem Eigentum fliessenden rechtlichen Befugnisse, sondern
auch auf gewisse faktische Voraussetzungen zur Ausübung dieser Befugnisse
erstrecke. Insoweit sei das Interesse an deren Erhaltung nicht bloss
faktischer Natur, sondern auch rechtlich geschützt (a.a.O. E. 1b/bb S. 215).
Zu beurteilen war, ob die Aufhebung einer direkten Zufahrt von einer
Kantonsstrasse zu einem Tanklager einen Eingriff in die Eigentumsgarantie
darstellte, obwohl die rückwärtige Erschliessung und damit die
bestimmungsgemässe Nutzung des Landes erhalten blieb. Das Bundesgericht
äusserte Zweifel daran, brauchte die Frage aber letztlich nicht zu
entscheiden (a.a.O. E. 3a).

1.3.3 Nach der mit BGE 126 I 213 vollzogenen Praxisänderung soll sich der
Strassenanstösser unter Berufung auf die Eigentumsgarantie  gegen ein
Verkehrsregime zur Wehr setzen können, welches ihm die bestimmungsgemässe
Nutzung seines Eigentums verunmöglicht oder übermässig erschwert. Das
bedeutet aber auch, wie das Bundesgericht im erwähnten Entscheid bereits
angedeutet hat, dass die Eigentumsgarantie den Strassenanstösser nicht vor
jeder ihm lästigen Änderung des Verkehrsregimes schützt, sondern nur von
einer solchen, die ihm die bestimmungsgemässe Nutzung seines Grundeigentums
faktisch verunmöglicht.

1.3.4 Für die Liegenschaft des Beschwerdeführers galt ab 1972 ein
Nachtfahrverbot. Nach dem hier umstrittenen Verkehrsregime wird die Zufahrt
zu seiner Liegenschaft für Automobile und Fahrräder grundsätzlich auf die
Zeit von 05:00 bis 12:00 Uhr beschränkt; ausserhalb dieser Zeiten ist für die
Zufahrt eine Ausnahmebewilligung notwendig. Dieses Verkehrsregime ist zwar
einschneidend, der Beschwerdeführer legt indessen nicht dar, weshalb es für
seinen Gewerbebetrieb in der Liegenschaft unabdingbar sein soll, dass er
selber, seine Angestellten, seine Geschäftspartner und seine Kunden jederzeit
mit dem Auto zur Liegenschaft gelangen können. Dies lässt sich auch nicht im
Ernst behaupten, ist doch die Liegenschaft von verschiedenen Haltestellen des
öffentlichen Verkehrs oder öffentlichen Parkierungsmöglichkeiten (z.B. dem
Parkhaus Hohe Promenade) in wenigen Minuten zu Fuss erreichbar. Zudem hat der
Regierungsrat in seinem Entscheid vom 4. Juli 2001 die Stadt
unmissverständlich auf eine "grosszügige und flexible Handhabung der
Kompetenzen bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen in dringlichen Fällen
namentlich durch die Kontrollorgane bei den Pförtneranlagen" behaftet.
Entgegen der Befürchtung des Beschwerdeführers besteht kein Grund zur
Annahme, dass sich die Stadt nicht an diese verbindliche Vorgabe halten wird.
Damit besteht Gewähr, dass der Beschwerdeführer bzw. seine Angestellten,
Geschäftspartner oder Kunden auch in Zukunft während der Sperrzeiten zur
Liegenschaft werden mit dem Auto zufahren können, sofern dies - z.B. für
dringende Materialtransporte - erforderlich ist, wobei nach dem Gesagten an
den Bedürfnisnachweis keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen.

1.3.5 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das umstrittene
Verkehrsregime die bestimmungsgemässe Nutzung der Liegenschaft des
Beschwerdeführers keineswegs verunmöglicht oder auch nur in unzumutbarer
Weise erschwert. Bei der vom Bundesrat am 12. Mai 2004 letztinstanzlich
entschiedenen Streitigkeit darüber handelt es sich daher um eine reine
Verwaltungsangelegenheit, der Beschwerdeführer kann aus der Eigentumsgarantie
von Art. 26 Abs. 1 BV daher nichts zu seinen Gunsten ableiten und hat damit
auch keinen konventionsrechtlichen Anspruch auf eine gerichtliche Überprüfung
des Falles. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nicht einzutreten.

2.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die
Verfahrenskosten zu tragen (Art. 156 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Stadtrat von Zürich, dem
Regierungsrat des Kantons Zürich und dem Bundesrat der Schweizerischen
Eidgenossenschaft schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. November 2004

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: